Material zum Thema "Schülerknast"

Die Schülerdatei
Auf dem Weg zum gläsernen Schüler

von Gusto Sakev

04/09

trend
onlinezeitung

Am 19.Februar 2009 setzten 108 Abgeordnete von CDU, SPD LINKE eines der am härtesten umkämpften Überwachungsgesetze trotz 33 Gegenstimmen durch. Es geht um die sogenannte „Schülerdatei".

Nach den Plänen der Regierungskoalition sollen alle Berliner Schülerinnen in einer zentralen Datei erfasst werden. Auf den ersten Bück klingt das nicht besonders bedrohlich, wenn auch vollkommen unnötig. Brisant ist allerdings, dass nicht nur die Namen aller Schülerinnen und Schüler, sondern auch 15 weitere Informationen gespeichert werden sollen, unter anderem über Nachhilfeunterricht, Migrationshintergrund und den sozialen Stand der Eltern.

Der Berliner Sozi-Senat unterstützt den sozialdemokratisch geführten Bezirk Neukölln bei der Einrichtung eines "Schülerknasts" für so genannte schuldistanzierte Jugendliche aus migrantischen Zusammenhängen.
Mitte April wird dieses Heim für freiheitsentziehende Maßnahmen eines Trägers der ev. Kirche eröffnet. In der letzten Ausgabe stellten wir historisches Material vor, um aufzuzeigen in welche real- und ideologiegeschichtlichen Traditionen dieser "Schülerknast"  einzuordnen ist. In der vorliegenden Ausgabe wollen wir auf die Rechtsgrundlagen eingehen, die dem heutigen Wegsperren und Aussondern dienen. Des weiteren wollen wir zeigen, wie diese Maßnahme zukünftig durch eine zentrale Schülerdatenbank unterstützt wird.

Bildungssenator Zöllner begründete die Notwendigkeit einer solchen Datei mit den fehlenden Lehrerinnen. Während er sich in den vergangenen Jahren wegen angeblich fehlendem Geld weigerte, auf die Forderungen von Tausenden Streikenden nach mehr Lehrerinnen und Lehrern für kleinere Klassen einzugehen, sind nun offenbar 22 Mio. Euro vorhanden, um alle Berliner Schülerinnen zu nummerieren und zu normieren ohne die Bildung auch nur im Ansatz zu verbessern.

Hinzu kommt, dass die Schülerdatei faktisch nichts an den bisherigen Planungsschwierigkeiten ändern wird. Das Problem liegt nämlich darin, dass Schulwechsler meistens bei mehreren Schulen anfragen (sogenannte Doppelanmeldungen), die Schulverwaltung aber erst am ersten Schultag erfährt, für welche Schule sie sich entschieden haben. Selbst wenn die Senatsverwaltung für Bildung in den Sommierferien jedem doppelt angemeldeten Schüler hinterher telefonieren würde, wäre das keine Lösung, denn die Verteilung der Lehrerinnen beginnt bereits 3 Monate vor Schuljahresende.

Tatsächlich ist das Ziel der Schülerdatei auch ganz sicher nicht, die Schule für Schülerinnen erträglicher zu gestalten. Wie das geht haben schließlich am 12. November 2008 weit über 100.000 Schülerinnen und Schüler in ganz Deutschland klar gemacht. Im Fall der Schülerdatei macht ein Zitat der Justizsenatorin Gisela von der Aue deutlich, worum es eigentlich geht: „Diese Schülerdatei ist eines der wichtigsten Mittel, um effektiv gegen Schulschwänzer und junge Straftäter vorzugehen. Wir können nicht länger darauf warten."

Während die Schülerdatei der Polizei allerdings bei Straftaten keine neuen Befugnisse oder relevanten Daten zur Verfügung stellt, hat sie durchaus Auswirkungen auf den Umgang mit Schulschwänzern. Die Informationen hierüber sollen nämlich nicht nur mitgespeichert werden, sondern auch direkt der Polizei zugänglich sein. In Zukunft sollen also nicht mehr Lehrerinnen und Eltern über den Umgang mit Schulschwänzern entscheiden, sondern verstärkt die Polizei selbstständig einschreiten und die Schulpflicht mit Gewalt durchsetzen können. Es ist ganz klar, dass damit die eigentlichen Probleme der Schülerinnen und Schüler wie die Perspektivlosigkeit insbesondere an Hauptschulen, der Leistungsdruck und die autoritäre Struktur nicht verändert wird, sondern nur einige Folgen auf brutale Weise angegangen werden.

Außerdem ist als Folge der Schülerdatei zu erwarten, dass es für Menschen ohne Aufenthaltstitel, so genannte "Illegale", noch schwieriger und riskanter wird ihr Menschenrecht auf Bildung wahrzunehmen. Die Einführung einer vergleichbaren, wenn auch umfangreicheren, Kartei in Hamburg hatte sogar die Abschiebung von Jugendlichen zur Folge!

Die in der gesamten Gesellschaft immer weiter zunehmende Überwachung einer Politik, die jeden noch so kleinen Regelverstoß gegen ihre Gesetze immer martialischer bestraft, soll nun auch an Berlins Schulen Einzug erhalten. Genauso ist aber auch der Widerstand gegen eben diese Überwachungspläne in den Schulen angekommen.

Am 25.02. demonstrierten trotz der sehr kurzfristigen Mobilisierung Hunderte Schülerinnen und Schüler für die sofortige Rücknahme des Gesetzes. Zwar ist es fraglich, ob diese Forderung durchgesetzt werden kann, allerdings gibt es auch andere Möglichkeiten, Sand ins Getriebe zu streuen: Der Chaos Computer Club (CCC) hat einen Aufruf gestartet, per Brief der Schule die Weitergabe der eigenen Daten formlos zu verbieten. Das hat keine negativen Folgen und ist für die Schule verbindlich.

weiterführende Links
www.schuelerdatei-berlin.de
www.ccc.de

Editorische Anmerkungen

Den Artikel entnahmen wir der 1. Ausgabe der Zeitschrift "Klassen-Kampf".