Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Miete neu denken: Definitionsfragen

Eine Replik auf Guenther Sandlebens kritische Anmerkungen zum Klassen- und Kapitalbegriff in der „MhS-Kritik“

von Karl-Heinz Schubert


trend
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Vorbemerkung: In der letzten Ausgabe erschien von Karl-Heinz Schubert der 1. Teil einer Kritik am Mietshäuser Syndikat. Im zweiten Teil sollte aufsetzend auf einer Diskussion des Textes im "Arbeitskreis Kapitalismus aufheben" (AKKA) ein politisches Fazit  gezogen werden. Mittlerweile wurden Stellungnahmen zu Karl-Heinz Schuberts Text angekündigt. Die erste legte Guenther Sandleben vor: Zwei Bemerkungen zu Karl-Heinz Schuberts Kritik des Mietshäuser Syndikats.  Es folgt die Antwort von Karl-Heinz Schubert. Der Arbeitskreis Kapitalismus aufheben (AKKA) will diese Debatte noch abwarten, bevor der Fazit ziehende 2. Teil erscheint. / red. trend

Im Hinblick auf meine Feststellung, dass „Wohnen eine Klassenfrage ist“ wirft Guenther Sandleben die Frage auf: „Ist damit gemeint, dass sich im Wohnen die Lebensweise einer Klasse lediglich ausdrückt oder meint er, dass Wohnen ein Klassenverhältnis konstituieren würde?“ Sodann spekuliert er, was mit meinen knappen Andeutungen gemeint sein könnte, und versteigt sich zu der Annahme, dass in Verlängerung meiner Ausführungen die „Klassenfrage zu einer Angelegenheit der Zirkulationssphäre“ werden könnte.

Zugegebener Maßen liegt nicht immer in der Kürze die Würze, so dass solche Assoziationen möglich sind und unbedingt einer Klarstellung bedürfen.

Die das Klassenverhältnis der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft konstituierenden Bedingungen sind zweifellos bestimmt durch die Art und Weise, wie der gesellschaftliche Reichtum produziert wird, nämlich vermittelt und geprägt durch das antagonistische Grundverhältnis von Lohnarbeit und Kapital. Als soziale Charaktermasken dieses ökonomischen Antagonismus stehen sich Proletariat und Bourgeoisie im kapitalistischen Arbeits- und Verwertungprozess gegenüber. Seine alltägliche Ausprägung erhält dieser Grundwiderspruch durch das Ringen beider Seiten um die Lohnhöhe, die Dauer und die Qualität der Arbeit(szeit). Doch der Klassengegensatz macht nicht am Firmenausgang halt. Im politischen Raum ringen die Klassen um verbindliche Regulierungen des Lohnarbeitsverhältnisses und zwar möglichst zu ihren Gunsten. Diese ökonomischen und politischen Formen des Klassenkampfes werden begleitet (oder auch eingeleitet bzw. nachbereitet) durch ein Ringen um die Köpfe. Während es der Bourgeoisie ausreicht, die bestehenden Verhältnisse zu legitimieren, benötigt das Proletariat, um sich historisch Geltung zu verschaffen nicht nur die Vision einer nichtkapitalistischen Gesellschaft, sondern auch die subjektive Erfahrung sich im Kampf als Klasse konstituiert zu haben.

Diese subjektive Erfahrung wird im Reproduktionsbereich erschwert, weil sich dort ProletarierInnen und Kapitalisten vermittelt durch Ware-Geld-Beziehungen als „rechtlich ebenbürtige Personen“(Sandleben) gegenübertreten. Diese Gleichheit ist ihrerseits notwendiger Schein, der aus der kapitalistischen Warenproduktion erwächst und zunächst die klassenmäßigen Widersprüche in der Miet- und Wohnungsfrage verhüllt. Denn aus der Sicht des Mieters – ganz gleich welcher Klasse er angehört – sind die Mietkosten für eine Wohnung, die ausschließlich zur persönlichen Reproduktion dient, erst einmal Abzug vom persönlichen Reproduktionsfonds. Doch hier zeigt sich bereits, wie das im Produktionsprozess konstituierte Klassenverhältnis wirkt. Während auf der einen Seite durch den Verkauf der Ware Arbeitskraft der persönliche Reproduktionsfonds entsteht, entsteht der des Kapitalisten aus der Aneignung eines Teils des vom Proletariat erzeugten Mehrwerts – aus seiner Sicht als „Unternehmerlohn“ deklariert.

Vom Standpunkt der gesamten Klasse bedeutet dieser Umstand, dass es im Kapitalismus, wo das Proletariat keine Verfügungsgewalt über den von ihm geschaffenen Wert- und Mehrwert hat, der für die Klasse verbleibende Lohnfonds nie ausreicht, allen Mitgliedern der Klasse einen angemessenen Wohnraum in ausreichender Zahl zur Verfügung zu stellen. Von daher stand die organisierte ArbeiterInnenbewegung immer vor dem Problem, bereits im Kapitalismus einen Kampf um die allgemeinen Mietbedingungen und um ausreichende Wohnungsversorgung zu führen, um zu einem erträglichen Verhältnis zwischen Lohnhöhe und Wohnkosten zu gelangen. Die Schwäche des Proletariats auf diesem Feld einen Kampf als Klasse zu führen, führt wie in der heutigen BRD zu einer anwachsenden Wohnungsnot, zu einem Mietrecht, dass der Immobilienwirtschaft fast alle bisher erkämpften Beschränkungen vom Mietwucher bis zur Kündigung auf fast Null herunterfährt und zu einer Umverteilung im Staatshaushalt, der die Profite mit den Immobilien befeuert.

Im Erleben der einzelnen Lohnabhängigen kann sich in der Wohnungsfrage der hier skizzierte allgemeine Klassengegensatz recht unterschiedlich ausdrücken, obgleich das Mieten einer Wohnung – oder besser das Leihen dieser Ware gegen monatliche Zinszahlung - ein notwendiger Akt für alle ist, um die eigene Arbeitskraft für ihren Verkauf zu erhalten, zu pflegen und zu erneuern. Geschuldet der konkreten Lohnsituation reicht nämlich die Variationsbreite in der proletarischen Klasse vom Kauf einer eigenen Wohnung, die „vom Munde abgespart“ wurde, über verhältnismäßig kleine oder überbelegte Mietwohnungen bis zur Obdachlosigkeit. Von daher erscheinen die Kämpfe für eine Obergrenze der Kosten im sozialen Wohnungsbau, der Kampf gegen Modernisierungsverdrängung im Altbau oder der Kampf gegen Zwangsräumungen nicht als Teilkämpfe des Kampfes zwischen den Klassen, sondern als sozialer Einpunkt-Widerstand. Unterstrichen wird dieser Eindruck von der Begrenzung der Forderungen auf eine Logik, die die Verfügungsgewalt der Kapitalisten über den vom Proletariat geschaffenen gesellschaftlichen Reichtum, der sich auch und gerade in Wohnungen ausdrückt, als unverrückbare Rahmenbedingung anerkennt.

Den Zusammenhang zwischen Einpunkt-Forderungen und einer allgemeinen antikapitalistischen Linie im Wohnungskampf herzustellen, ist von daher einer der wichtigsten Aufgaben, wenn der Klassenkampf auch „im kleinen“ als ein solcher geführt werden soll. So wie im Betrieb der proletarische  Klassenkampf die Verteilung des Werts vor seiner Realisierung angreift, indem versucht wird, Kontrollrechte darüber durchzusetzen, um in die Verfügung (zumindest teilweise) einzugreifen, so sollte der Wohnungskampf auch von dem Ziel, Kontrolle und Verfügung über den Profit mit dem Wohnraum bzw. über die Profitmethoden zu erlangen, bestimmt sein.

Und wie in der Produktionsphäre dieser Kampf auf einer anderen Ebene als politischer und ideologischer geführt wird, so sollte auch der Kampf ums Wohnen jene Ebenen nicht aussparen. Während jedoch im Betrieb der Arbeits- und Verwertungsprozess die KollegInnen zwangsläufig zusammenbringt, was die subjektiven Voraussetzungen für eine gewerkschaftliche (und tw. politischen) Organisierung befördert, resultiert das Zusammenwohnen aus einer Vielzahl individuell geschlossener Mietzinsverträge mit dem Immo-Kapitalisten. Die historisch vermittelten Erfahrungen des Wohnungskampfes zeigen von daher, dass kollektive Formen der Organisierung im Hinblick auf ihre Kontinuität ungleich schwerer zu entwickeln sind als im Betriebskampf.

Guenther Sandlebens zweiter Kritikpunkt bezieht sich darauf, daß meine Formulierungen im Hinblick auf „konstantes fixes Kapital“ dazu einladen, „das Kapital als etwas Dinghaftes, als einen langlebigen Gebrauchsgegenstand zu interpretieren“. Ausgangspunkt war für ihn ein sprachlicher Dreher in meinem Aufsatz: „Stofflich fungieren Immobilien als konstantes fixes Kapital.“ Es hätte heißen müssen: „Konstantes fixes Kapital kann stofflich als Immobilie fungieren.“

Bei der nachfolgenden Auszählung stört ihn, dass ich zur Illustration der Stofflichkeit „auch Wohnungen“ hinzunehme. Gerade dann wenn sie vermietet werden: „Falsch wird es aber, wenn man diese Kapitalbestimmung auf die Mietsache als solche überträgt.“ Seine Kritik basiert allerdings auf einem Konstrukt: Die „Mietsache als solche“. Dies ist ein wenig an den Haaren herbeigezogen, denn der gesamte Aufsatz ist darauf abstellt, anhand der Firmenökonomie des Mietshäuser Syndikats aufzuzeigen, dass es die „Mietsache als solche“ gar nicht gibt.

Im Kern liegt die Differenz zwischen uns ganz woanders. Guenther Sandleben definiert: „Der Begriff „konstantes fixes Kapital“ macht nur Sinn, wenn er auf den kapitalistischen Produktionsprozess bezogen wird und zwar auf die wertbildende Seite dieses Prozesses.“ Diese Ansicht teile ich unter der Voraussetzung nicht, dass Guenther Sandleben damit meint, dass nur dort, wo Mehrwert produziert wird, der Kapitaleinsatz jenseits des Lohnes (variables Kapitals) als konstantes fixes Kapital zu betrachten ist.

Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, nämlich dem der Umschlagzeit, zerfällt das vorgeschossene Kapital immer in zirkulierendes Kapital, das sich pro Produktionseinheit nur einmal umschlägt (wozu auch das variable Kapital gehört) und fixes Kapital, das sich stückweise in mehreren Perioden entwertet. Diese Betrachtung befasst sich nicht mit der Wert- und Mehrwertproduktion, sondern mit der Zirkulation des Werts.

Durch die Mißachtung dieser beiden Aspekte kann Günther Sandleben rein definitorisch feststellen, dass Wohnungen nicht die Rolle des konstanten fixen Kapitals innehaben können.

Der Berliner Mieterverein schreibt hingegegn im April 2010:

"Die Zweckentfremdung von Wohnraum nimmt immer größere Ausmaße an. Vor allem in attraktiven Citylagen werden seit Jahren Wohnungen umgenutzt in Büros, Anwaltskanzleien, Arztpraxen, Ferienapartments und ähnliches. Konsequenz: Bezahlbarer Wohnraum in den Innenstadtbezirken wird immer knapper. Seitdem das Oberverwaltungsgericht Berlin das Verbot der Zweckentfremdung 2002 aufgehoben hat, fehlt jeder Überblick, wie viele Wohnungen schon auf diese Weise vom Markt verschwunden sind."

Interessanterweise beinhaltet diese Aufzählung fast nur Wohnungen, die zu Produktionstätten von Dienstleistungen wurden. Werden diese Dienstleistungen von LohnarbeiterInnen in einem Umfang betrieben, dass der von ihnen erzeugte Mehrwert wieder akkumuliert werden kann, dann sind die Wohnungen konstantes fixes Kapital des Gewerbes – ganz gleich, ob gemietet/geliehen (geleast) oder ins Firmeneigentum dieser „start up's“ übernommen.

Sollte Guenther Sandleben hier noch zustimmen, dann wird er gemäß seiner Definition spätestens jetzt widersprechen, wenn ich mich in die Zirkulationsphäre begebe und Wohnungen, die einem Handelkapitalisten als Lager- und Versandstützpunkt dienen, vom Standpunkt des Kapitalumschlags als dessen „konstantes fixes Kapital“ bezeichne, obgleich mit dieser Handelstätigkeit kein Mehrwert erzeugt wird, sondern nur realisiert und als Preis dafür ein Teil davon als Handelsgewinn eingesteckt wird.

Lesen wir dazu den Altmeister der Kritik der Politischen Ökonomie:

"Welcher Art immer diese Zirkulationskosten sein mögen; ob sie aus dem rein kaufmännischen Geschäft als solchem entspringen, also zu den spezifischen Zirkulationskosten des Kaufmanns gehören; oder ob sie Posten vorstellen, die aus nachträglichen, innerhalb des Zirkulationsprozesses hinzukommenden Produktionsprozessen, wie Spedition, Transport, Aufbewahrung etc. entspringen: sie unterstellen auf Seite des Kaufmanns, außer dem im Warenkauf vorgeschoßnen Geldkapital, stets ein zusätzliches Kapital, das in Ankauf und Zahlung dieser Zirkulationsmittel vorgeschossen war. Soweit dies Kostenelement aus zirkulierendem Kapital besteht, geht es ganz, soweit aus fixem Kapital, geht es nach Maßgabe seines Verschleißes als Zusatzelement in den Verkaufspreis der Waren ein; aber als ein Element, das einen nominellen Wert bildet, selbst wenn es keinen wirklichen Wertzusatz der Ware bildet, wie die rein kaufmännischen Zirkulationskosten. Ob aber zirkulierend oder fix, dies ganze zusätzliche Kapital geht ein in die Bildung der allgemeinen Profitrate." (MEW 25 / 299 - Unterstreichung von mir.)

Spätestens bei Marxens Hinweis, dass das „im Warenkauf vorgeschoßne(n) Geldkapital, stets ein zusätzliches Kapital“ ist - und zwar sowohl zirkulierend als auch fix -, würde ein Ignorieren dieses gern deskriptiv als „Unkosten“ bezeichneten Geldkapitals und den darin sich ausdrückenden Wert aus der Bildung der allgemeinen Profitrate rausnehmen, was akkumulations- und krisentheoretisch zu unakzeptablen Ergebnissen führen würde.