Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Neue Arbeitsrechts-„Reform“
 
Teil 25 – Stand vom 13. Mai 2016

05/2016

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Der französischen Regierung gelingt die Annahme des Gesetzentwurfs zum künftigen „Arbeitsgesetz“ (in erster Lesung) durch Knebelung des Parlaments * Show-Antrag der „Parlamentslinken“ scheitert * Massive Repression in Paris und anderswo; Handgreiflichkeiten auch zwischen Autonomen und Gewerkschaften * Vom Eisenbahner-Streik wird jedenfalls nicht die Dynamik kommen, die das Gesetz noch kippen könnte: Die CGT-Eisenbahner ruft zu Salamischeiben-Streiks auf – ein unwürdiges Spektakel * Hoffen vielleicht noch auf die Fernfahrer? * Freitag früh: Räumung(sversuch?) für seit anderthalb Wochen besetzten Rathaussaal in Rennes

Nuit debout bedeutet in erster Linie auch: wenig Schlaf. Deswegen nur die Ereignisse des, angespannten, gestriges Tages in Kürze – Ausführlicheres folgt.

(Es gilt in Abwandlung eines französischen Sprichworts, das sich ansonsten auf diverse „Ziel“gruppen anwenden lässt – und in anderem Zusammenhang ausdrücklich nicht unser Zustimmung findet:) „Triffst Du einen sozialdemokratischen Abgeordneten, haue ihm links und rechts eine herunter. Solltest Du je nicht wissen, warum: Er weiß genau, warum!“ Ausnahmen, löbliche Ausnahmen aus den Reihen der (französischen) Sozialdemokratie bleiben eben dies – Ausnahmen, Einzelfälle – und bestätigen ansonsten die Regel. Gehört der betreffende Abgeordnete jedoch dem „Aubry-Flügel“ der französischen Sozialdemokratie an, welcher in den bürgerlichen Medien dies- und jenseits des Rheins nun mitunter als „links“ gehandelt wird, dann verdoppele die Ration!

Am gestrigen Donnerstag, den 12. Mai (nein, es lag nicht daran, dass es der Vortag eines „Freitag, der 13.“ war!) scheiterte das Unterfangen, auf parlamentarischem Wege die Annahme des geplanten „Arbeitsgesetzes“ in der französischen Nationalversammlung zu verhindern.

Zuvor hatten Abgeordnete der französischen KP, der regierungskritischen Hälfte der französischen Grünen sowie von den ,frondeurs’ (ungefähr: „Aufsässigen“) – der parlamentarischen Linken innerhalb der französischen Sozialdemokratie – versucht, einen eigenen Misstrauensantrag gegen die Regierung Valls unabhängig von jenem der Konservativen einzubringen. Nur ein erfolgreiches parlamentarisches Misstrauensvotum hätte den Gesetzentwurf noch stoppen und die Regierung Valls zu Fall bringen können, da Letztere den Verfassungsartikel 49-3 zur Geltung brachte, welcher eine Sachdebatte verhindert (und die Vertrauensfrage der Regierung mit der automatischen Annahme des Gesetzentwurfs verknüpft).

Dies scheiterte jedoch am Mittwoch Abend knapp. Dazu wären nicht, wie wir in Teil 24 berichteten, 49 sondern 58 Abgeordnete erforderlich gewesen. Unsere ursprüngliche Zahlenangabe - „49“ - beruhte auf ersten Medienberichten und Twittermeldungen, die jedoch in ihrer ¨-Zählung implizit davon ausgingen, dass die ungefähr zehn Abgeordneten der französischen KP (eine genaue Zählung ist delikat, da auch ausgetretene KP-Mitglieder und „Reformkommunisten“ zu ihrer Fraktion zählen) ohnehin in diesem Sinne abstimmen und sich noch 48 oder 49 zusätzliche parlamentarische Verbündete finden müssten. 58 Abgeordnete wären also erforderlich gewesen. Die Zahl hat eine Logik, da es die erste natürliche (ungebrochene) Zahl ist, die auf 57,7 folgt. Diese entspricht zehn Prozent der Gesamtzahl der französischen Abgeordneten, da die französische Nationalversammlung 577 Sitze aufweist.

58 wären erforderlich gewesen, doch nur 56 unterzeichneten. Den ganzen Mittwoch Nachmittag über hielt die parlamentarische „Linke“ die Spannung ob ihrer Erbsenzählerei aufrecht. Viele Stimmen, darunter auch die der linksliberalen Tageszeitung ,Libération’ (welche der französischen Sozialdemokratie nahe steht) gehen jedoch davon aus, es sei ohnehin Alles oder so gut wie Alles nur Show gewesen.; vgl. http://www.liberation.fr – Die parlamentarische „Linke“ innerhalb der Sozialdemokratie habe die Regierung Valls gar nie ernsthaft zu Fall bringen wollen, sondern ihre Opposition relativ gefahrlos demonstriert, um danach zu Verhandlungen über die Zuteilung von Kandidaturen zu den kommenden Parlamentswahlen (im Juni 2017) überzugehen.

Die Gruppierung um die frühere Arbeitsministerin Martine Aubry (im Amt von 1997 bis 2002) spielte jedoch auch dabei von vornherein nicht mit. Diese Leute erklärten, sie betreibe keine „Politik des größeren Übels“. Man wolle keine Spaltung der französischen Sozialdemokratie – warum in drei Teufels Namen sollte man eigentlich versuchen, diesen für den Mülleimer der Geschichte bestimmten Haufen zu retten? – und auch nicht im Parlament gemeinsam mit Konservativen für das Misstrauen gegen Valls stimmen. Dies tat dann auch kein/e einzige/r der sozialdemokratischen Abgeordneten: Nach dem Scheitern eines eigenes Antrags stimmten letztendlich alle, alle, alle für die Regierung (und dadurch automatisch für die Verabschiedung des Gesetzentwurfs zur „Reform“ im Arbeitsrecht).

Nun ist unklar, warum man nicht „Widersprüche im Lager des Feindes“ ausnutzen sollte: Klar, ohne die parlamentarische Rechtsopposition wäre kein Misstrauensvotum durchgegangen. Doch angesichts der sonnenklaren Tatsache, dass Manuel Valls eine rechte Politik betreibt und dass die Sitzverteilung im Parlament nicht die derzeitige Stimmung im Lande wiedergibt (71 bis 74 % laut Umfragen für die Ablehnung des „Arbeitsgesetzes“, während die Konservativen dessen Verschärfung fordern), hätte man die rein parteipolitisch motivierten Widersprüche im gegnerischen Lager ruhig ausnutzen dürfen. Warum hätte es da denn schlimmer sein sollen, zusammen mit bürgerlichen Abgeordneten für den Misstrauensantrag gegen Valls und seine Bagage zu stimmen? Allerdings erklärten – keine Überraschung – gestern auch Vertreter des bürgerlichen Rechtsblocks wie der Abgeordnete Philippe Gosselin, man wolle die Regierung Valls ja doch gar nicht stürzen, sondern man sei konstruktiv und lediglich um parlamentarische Kommunikation (also Show) bemüht.

Eine Demonstration in Paris endete mit massiver Polizeigewalt und im Tränengasnebel. Ausführlicheres dazu, und zur Repression allgemein, folgt.

Vom Streik bei der französischen Bahngesellschaft SNCF, welcher am kommenden Mittwoch (18. Mai) stattfindet, wird jedenfalls nicht der entscheidende Impuls ausgehen, um die Regierung zur Rücknahme des gestern in erster Lesung verabschiedeten Gesetzentwurfs zu zwingen. Die CGT-Eisenbahner (CGT-cheminots), deren Gewerkschaftsbürokratie innerhalb des Dachverbands CGT derzeit klar auf dem rechten Flügel steht, tut Alles, um eine Dynamik in dieser Richtung zu verhindern. Ganz in diesem Sinne ruft sie nun dazu auf, die Streiks per Salamitaktik zeitlich auseinander zu rupfen. Ihrem gestern erfolgten Aufruf zufolge sollen die Bahnbeschäftigten nun allwöchentlich am Mittwoch und Donnerstag streiken – und dann jeweils am Freitag früh die Arbeit wieder aufnehmen. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/ und http://tempsreel.nouvelobs.com)

Das Ganze ist selbstverständlich ein ausgesprochen schlechter Witz, ein Trauerspiel, ein absolut unwürdiges Schauspiel. Offenkundig will zumindest ein Teil der CGT-Bürokratie, insbesondere bei der Bahngesellschaft SNCF – aufgrund von Eigeninteressen und Verhandlungspositionen des Apparats -, so ungefähr Alles, nur keine Zuspitzung der laufenden Kämpfe und erst recht nicht ihr Zusammengehen. Die linke Basisgewerkschaft SUD Rail (SUD Schienenverkehr) steht zwar inhaltlich für eine andere Ausrichtung, dürfte jedoch allein und ohne die CGT niemals die Kräfte dafür aufbringen, wie sich auch angesichts der jeweiligen zahlenmäßigen Mobilisierungsfähigkeit bei der Demonstration der Bahnbeschäftigten am Dienstag, den 10. Mai (vgl. unseren Teil 24 dazu) erwies.

Dadurch zeichnet sich ab, dass es wahrscheinlich sehr schwierig werden dürfte, durch soziale Mobilisierungen ein Kräfteverhältnis zu entwickeln, um „von der Straße“ (respektive Schiene) aus noch die geplante Arbeitsrechts-„Reform“ stoppen zu können. Dieses Ziel jedenfalls rückt vorläufig in die Ferne. In der Hoffnung, dass der Verf. an diesem Punkt Unrecht behält!

Hoffen kann man eventuell noch auf den Aufruf (der Branchenverbände von CGT sowie FO) an die LKW-Fahrer, kommende Woche die Arbeit niederzulegen. (Wir berichteten bereits)

Streikaufrufe gibt es unterdessen noch eine Reihe, etwa für den französischen Überseebezirk Guadeloupe: http://canempechepasnicolas.over-blog.com/ ...oder, von der CGT ausgehend, an die französischen Seeleute gerichtet: http://actualites.nouvelobs.com/

Näheres werden wir in Kürze berichten..

 

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.