TREND-Thema: Stadtumbau
Die Stadt und der Kapitalismus
Eine Einführung in das Thema

von Wolfgang Richter

06/10

trend
onlinezeitung

Vorbemerkung: Ich spreche einleitend nur zu zwei Aspekten des Themas. Der eine skizziert eine Analyse des aktuellen Konjunkturpakets der Bun­desregierung "für die Städte", der andere versucht einen Blick auf Verän­derungen in den "Arbeitsmärkten" vor Ort und dabei die Rolle der Städte.

Kapitalismus aktuell - die so genannte Krise hat nun auch die Stadt er­reicht. Und damit die Stadtmenschen, die allerdings schon immer gewit­tert hatten, dass nicht alles so gut ist, wie es oben gesagt wird. Krise war seit langem vor allem in den großen Städten, wo die Menschen dicht zu­sammen leben, mit Händen zu greifen. Sie war allgegenwärtig in den Nachbarschaften und Stadtteilen, in denen die Klasse der abhängig Be­schäftigten und der Erwerbslosen lebt. Aber man konnte sie zunehmend auch anderswo erkennen, wenn man nur wollte. Die Klasse kannte Krise und würde diese neue auch überleben. Bisher zum Thema erschienen:

Siehe auch die Infopartisan-Linkseite: Reaktionäres von "Rot-Rot"

Die nun große Krise hatte sich schon längere Zeit in den Medien als etwas ausgebreitet, das eine Krise des Finanzsystems sei. Das war weit weg und das war mit großem Geld des Staates zu behandeln und hoffentlich zu hei­len. Selber konnte man da nix dran machen. Aber es gab ja plötzlich irre viel Geld, die Geldmengen, die die Banker von der Politik bekamen, konn­te sich keiner richtig vorstellen - die eigenen Vorstellungen waren an Summen für Miete und Haushalt, gerade noch für Auto und Urlaub ge­wöhnt, das war sukzessive immer weniger geworden.

Dann wurde davon berichtet, die große Krise sei nun auch in der Wirt­schaft selbst, in Gewerbe, Handwerk und Industrie angekommen, das war schon weniger weit weg. Wenn aber das Finanzsystem wieder flott ge­macht sei, würde es bald wieder Geld für Investitionen geben und alles würde wieder wie früher werden. Jetzt kann man auch selbst wieder etwas dazutun: Man kann Verzicht üben, Lohnminderung hinnehmen, Kurzarbeit machen, den Betrieb retten helfen. Den Konsumterror muss man auch nicht mitmachen. Inzwischen haben sich Tafeln, Kleiderkammern und Um­sonstnotdienste ausgebreitet - ein blühendes Wohlfahrtsgewerbe, die Hängematte ganz unten.

Nun schreiben und reden einige, schon sehr beunruhigt, ob das nicht zu einer großen Krise des Wirtschaftssystems und auch des Gesellschaftssys­tems selbst werden könne. Die Details lassen sich immer weniger verschleiern - die bürgerlichen Wirtschaftsinstitute geben wöchentlich neue Schätzzahlen für den Rückgang der ökonomischen Kennziffern heraus -gerade sind sie bei 5% Rückgang des BIP angekommen, sowas war seit dem großen Krieg nicht. Gestern hieß es, die Exporte seien um 15% zu­rückgegangen, ausgerechnet die Exporte, auf die doch alles aufbaute. Die offiziellen Arbeitslosenzahlen rücken wieder auf 4 Millionen zu, von den verschleierten zu schweigen. Gerade beugen sich wieder Ministeriale in Berlin und Spezialisten in Nürnberg über die Statistiken auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, sie zu fälschen.

Da kommt die herrschende Klasse beobachtbar ins Grübeln, wie diese Kri­se wieder eingefangen werden könne. Einige reden von Verstaatlichung der wichtigsten Unternehmen in den wichtigsten Wirtschaftssektoren. Unerhörte Töne im Klassenkampf - kämen sie aus der ausgebeuteten Klasse, wäre der Verfassungsschutz nicht weit. Aber sie kommen aus der ausbeutenden Klasse - die leitet den Verfassungsschutz. Verquere Fron­ten, so scheint es. Die Klassenkampftöne kommen von rechts, von oben -von links, von unten kommen eher wenige und wenig organisierte Klas­senkampftöne. Wenn sie überhaupt zu hören sind, erklingt eine weitere Keynes-Melodie. Die Systemfrage wird nicht gestellt, noch nicht.

Das ist der aktuelle Rahmen für das Thema Stadt im Kapitalismus.

10 Milliarden Euro aus dem Konjunkturprogramm II, ein Bruchteil dessen, was für die spekulierenden Banker bereitgestellt wurde, sollen nun vor al­lem über Städten und Gemeinden ausgeschüttet werden. Das erscheint allen als ein wundersamer Goldrausch und die Rettung schlechthin. Man­chen sind sie aber nur der berühmte Tropfen auf den heißen Pflasterstein. Der galoppierende Abbau von Produktion, von Verteilung und von Kon­sumtion in privater Hand und der von gesellschaftlicher Reproduktion in der öffentlichen ist so nicht aufzuhalten oder gar umzudrehen. Meine The­se ist, dass dies auch gar nicht Sinn dieser Politik ist, vielmehr geht es ihr um Symbolik. Wir tun etwas! Zu allem Unglück ist ja auch ein großes Wahljahr, in Europa, in der Republik, in den Städten in NRW.

Werfen wir einen Blick auf das, was für die Kommunen getan wird.

1. Die Bundesvorgaben für die Millionen Euro an die Städte - in Dortmund sollen es knapp 80 Millionen sein - sind zweckgebunden für Investitio­nen, die im Wesentlichen das Bau- und Ausbaugewerbe umsetzen soll. Zwar setzt das Gesetz große Themen - Bildung und Schule, erneuerba­re Energie und Lärmschutz sollen gefördert werden. Aber alles muss in Bau- und Technikmaßnahmen landen - brauchte Bildung und Schule nicht auch das ordentliche Einstellen von Menschen als Lehrer/innen, als Psycholog/innen, als Koch/innen? Brauchten die Menschen in der Stadt nicht einen besser ausgestatteten ÖPNV mit engerem Netz und dichterer Fahrfolge? Brauchten die Niedriglöhner/innen und die Erwerb­slosen nicht qualifiziertere Beratungssysteme - von existenzsichernden Löhnen und Grundsicherungen ganz abgesehen? Das alles erlaubt das Konjunkturpaket nicht.

2. Alles muss zusätzlich sein. Was vor Ort im langjährigen Elend der Un­terausstattung der Kommunen lange schon als notwendig erkannt und vorsorglich eingeplant wurde, darf jetzt nicht beantragt werden. Man­che Räte und Verwaltungen werden Mühe haben, zu finden oder zu er­finden, was in das Konjunkturprogramm passt. Politik und Verwaltung müssen Zweitrangiges suchen, wenn sie ins Förderprogramm wollen. Natürlich wollen sie ins Förderprogramm, sonst kriegt die Nachbarge­meinde das Geld. Lieber beantragen sie Geld für Nachrangiges. Darin sind sie routiniert, tasten sie doch ständig die Förderprogramme der öf­fentlichen Hand in Land, Bund und Europa daraufhin ab, ob es etwas abzugreifen gibt, egal wie brauchbar es ist. Die Geschichte der neolibe­ralen Stadtentwicklung ist voll von Beispielen für Fehlplanungen auf dieser Grundlage, manche Städte zahlen später falsch verbaute För­dermittel zurück, nicht selten, um neue Fördermittel beantragen zu können.

3. Alles muss schnell gehen, da kann nicht lange "Demokratie gespielt" und beraten werden, was denn wirklich gebraucht wird. Die Ausführun­gen in der ersten Maßnahmen-Runde müssen noch 2009 gestartet werden. Die der zweiten dann gleich 2010. Letztlich wird auf diese Wei­se verhindert, dass über Inhalte und Formen der Umsetzung demokra­tisch beraten und entschieden werden kann. Die Vorlage der Verwal­tung ist gerade 10 Tage alt, wenn sie durch Bezirksvertretungen und Rat gejagt wird. Wie sollen die Bezirksvertretungen oder der Rat dazu stichhaltig beraten? Von der vielbesungenen Bürgernähe von Politik und Verwaltung oder gar von Bürgerbeteiligung in einem förmlichen Sinn kann schon gar keine Rede sein.

4. Planung und Vergabe der Maßnahmen unter dem Zeitdiktat des Kon­junkturprogramms verheißen eine neue Runde in der lang anhaltenden Spirale der Entmächtigung der kommunalen Kompetenzen. Die sukzes­sive und systematisch ausgedünnten Ämter werden nicht in der Lage sein, eine ordnungsgemäße Durchführung zu gewährleisten. Also wer­den die kommunal zu leistenden Tätigkeiten einmal mehr nach draußen vergeben - Bauleitplanung, Bauplanung, Vergabe, Kontrolle, Abnahme, das ganze Programm. Und zugleich werden alle Regeln weiter durchlö­chert und zurückgenommen, die Sicherheit und Qualität im Prozess des Planens und Bauens gewährleisten sollen. Wo es doch der Zeitdruck er­fordert. So kann "Privat vor Staat" einmal mehr zu einer Notwendigkeit erklärt werden.

5. Der Tiefpunkt des ganzen Spektakels ist die Vorgabe, dass die Empfän­gerinnen der falsch gezielten Euroströme sie in den Jahren ab 2010 zurückzugeben haben. Diese Rückgabe erfolgt über eine jährliche Kür­zung der gesetzlich festgelegten pauschalen Investitionszuweisungen an die Städte und Gemeinden um jeweils 10% der erhaltenen Konjunk­tur-Geschenke" über die folgenden zehn Jahre. Das ist nichts anderes als ein vorgezogener Wechsel auf die Zukunft der kommunalen Haus­halte und damit die Gestaltungsmöglichkeiten der Städte und Gemein­den in den Folgejahren. Viele Haushalte sind bereits über Jahre oder Jahrzehnte vollgestopft mit solchen Belastungen aus joint-ventures und PPP-Vorhaben. "Jetzt bauen und später zahlen" war bereits vielen Oberbürgermeistern die Chance, sich Denkmäler auf Kosten der Nach­kommen zu bauen.

Also Widersprüche ohne Ende.

Meine These ist, dass diese Widersprüche keine lässlichen Fehler eines schnell zusammengestoppelten Bundesgesetzes sind, sondern politisch bewusst in das Programm hinein geschrieben wurden. Die Kommunen bleiben damit in ihrer rechtlich und faktisch desolaten - durchaus verfas­sungswidrigen - Situation als letztes Glied in der Kette öffentlicher Hand­lungsebenen, ohne eigene Gestaltungsfähigkeit, abhängig und notorisch unterausgestattet. Damit wird die neoliberale Strategie und symbolische Politik punktgenau auf dem aktuellen Niveau fortgesetzt - es wird keines­wegs gegengesteuert. Der wundersame Goldrausch entpuppt sich als das aktuelle Instrument zur Fesselung demokratischer Ansätze, Ideen und Me­thoden vor Ort, ganz wie gehabt. Mit der hanebüchenen Konstruktion des Förderpakets demoralisiert diese Strategie die politische bürgerliche Klas­se vor Ort. Sie muss sich eilends durchbuckeln, wenn sie etwas abhaben will, was sie besser ganz anders einsetzte. Aber nirgendwo in den Rathäu­sern und in den Spitzen der Kommunalverwaltungen wird auch nur der Versuch erkennbar, politische Opposition gegenüber den falschen Direkti­ven aus der Bundeshauptstadt Berlin zu entwickeln, geschweige denn Demonstrationen dorthin zu organisieren. Fordert das die radikale linke Opposition in den Städten?

Wir haben die politische Nachrangigkeit der Kommunen im Kapitalismus und deren Folge für die Politik im allgemeinen und für die Stadtmenschen im besonderen seit langem analysiert als bewusstes Mittel und Ergebnis des Klassenkampfs von oben. Das große Kapital und die bürgerliche Politik agieren in ihm umso einvernehmlicher, je dominanter das Privatinteresse sich gesellschaftlich durchsetzen konnte, kurzgesagt mit dem Siegeszug des Neoliberalismus. Der Klassenwiderspruch der Arbeiterbewegung, der der Frauen, der der Erwerbslosen ist ideenmäßig und können nicht viele hinüber laufen, am wenigstens in der Richtung nach oben, aus der "dritten Arbeit" in die unterste "zweite Arbeit", die im Niedriglohnsektor öffentlich geförderte. Noch viel mehr gilt dies für die Grenze zum "ersten Arbeitsmarkt", die in der Regel als unüberwindbar gelten muss. "Erste Arbeit" ist Lohnarbeit und in allen Belangen, gera­de auch denen des Klassenkampfs, sytematisch abgeschlossen gegen "dritte Arbeit". Die beruht auf obrigkeitlicher Anordnung und auf Zwang und kennt keine Vertrags- und Koalitionsfreiheit und keine geregelte Vertretung und Mitwirkung im Betrieb. Da kommen die Kolleg/innen im Betrieb nicht zusammen.

7. All dies ist gut im konkreten Alltag der Menschen - besonders gut in den großen Städten - zu erkennen. Es gilt, den Abstand der politischen und Arbeiterbewegung zu den aus dem "ersten Markt" Ausgeschlosse­nen zu verringern und nach Formen der Kooperation zu suchen. Das Ausmaß der Veränderungen in den angesprochenen "Märkten" kann zahlenmäßig in der Veröffentlichungspflicht der Kämmerer und der Ge­schäftsführer der ARGEN erfasst werden. Gerade Stadtverwaltung und kommunal gesteuerte Unternehmen hatten früher unbestritten Vorbild­funktion, was Vertragsverhältnisse, soziale Beziehungen und Arbeits­bedingungen anbetrifft. Inzwischen droht eine Umkehr - zusehends ge­raten sie in die Rolle des Negativbeispiels. Für eine grundsätzliche linke Opposition zeigt sich hier ein Aufgabenfeld.

Editorische Anmerkung

Der Vortrag wurde am 25.03.09 in der Marxistischen Abendschule "Friedrich Engels" in Wuppertal gehalten und auf der Website der DKP Wuppertal veröffentlicht. Wir spiegelten von dort.