TREND-Thema: Stadtumbau

Gentrifizierung in Berlin-Wedding?

Politisches Café Wedding

06/10

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Unter dem Motto "Unser Park - unsere Stadt" versammelten sich am 24. April rund 10.000 Menschen im Stuttgarter Schlossgarten, um gegen das Bahnprojekt "Stuttgart 21" zu demonstrieren. Die Veranstaltung war der bisherige Höhepunkt des Widerstandes gegen das umstrittene Bauvorhaben - nicht nur rein zahlenmäßig. Auch die Art des Protestes änderte sich. Bezogen sich die Kritikpunkte der S21-Gegner in den letzten Jahren hauptsächlich auf die umweltschädlichen, städtebaulichen und bahntechnischen Folgen des Projektes, nahmen in den letzten Monaten durch die Krise immer mehr Menschen die eigentlichen Intentionen der Vorantreiber des Projekts wahr. Bisher zum Thema erschienen:

Siehe auch die Infopartisan-Linkseite: Reaktionäres von "Rot-Rot"

Berlin verändert sich. Bei Leibe nicht immer zum Guten. In zahlreichen Bezirken lassen sich teils dramatische Aufwertungsprozesse nachzeichnen, in deren Folge es zur Verdrängung insbesondere gesellschaftlich ausgegrenzter und ökonomisch marginaliserter Bevölkerungsgruppen gekommen ist. Im Gegensatz zu anderen Innenstadtvierteln wie Prenzlauer Berg, Friedrichshain oder Neukölln, fristete der Wedding eher ein Dasein im Schatten der Aufwertung. Aber auch im Viertel nördlich der „Neuen Mitte“ Berlins sind Aufwertungsimpulse zu spüren. Dies wurde auf einer Veranstaltung zum Thema „Was tun!? Gegen Gentrification im Wedding“ im Weddinger Hausprojekt „Scherer 8“ deutlich. Damit wurde ein Diskussionsprozess angestoßen, der am 10. Juni bei einer weiteren Veranstaltung über linke Handlungsperspektiven fortgesetzt werden soll. (Aufruf)

Im folgenden Artikel werden die Ergebnisse der Diskussion vom 13.Mai zusammengefasst.

Gentrification im Wedding?

Am 13. Mai 2010 wurde im Rahmen des „Politischen Cafés Wedding“ zu einer Veranstaltung zum Thema Stadtumstrukturierung, Gentrification und Verdrängung (http://wba.blogsport.de/2010/04/29/diskussionsveranstaltung-am-13-mai-um-2000-in-der-scherer-8/) ins Hausprojekt Scherer 8 (http://scherer8.blogsport.de) geladen. Dem Aufruf folgten gut 80 Besucher_innen. Neben linken Aktivist_innen kamen auch viele Anwohner_innen, Vertreter_innen von Nachbarschaftsinitiativen und soziale Projekte, um über Anzeichen der Aufwertung des Weddings zu diskutieren. Eröffnet wurde die Veranstaltung von einem Vortrag von Andrej Holm (http://gentrificationblog.wordpress.com/), der verschiedene Dimensionen von „Gentrification“ skizzierte und aktuelle Aufwertungsdynamiken in Berlin aufzeigte. Die folgende Diskussion orientiere sich an den von ihm dargestellten Dimensionen. Verdeutlichen ließ sich, das verschiedene Aufwertungsimpulse zu spüren seien.

Politisch initiierte Aufwertung:

Im Wedding verdeutlichen sich solche politisch initiierte Aufwertungen etwa im Brunnenviertel. Die Landeseigene Wohnungsbaugenossenschaft DEGEWO bemüht sich seit Jahren um eine Imageaufbesserung des Viertels auf der vom Prenzlauer Berg gesehenen „anderen Seite des Mauerparks“. In der Folge werden Verträge mit sog. Billigläden nicht verlängert, stattdessen ziehen, wie eine Anwohnerin berichtete, zunehmend Designerläden in das Brunnenviertel. Zudem seien Veränderungen der Mieterbelegungen beobachtbar: der Anteil türkischer und arabischer Familen sinke zusehens zugunsten deutscher Mieter. Dies könne, so die Vermutung mehrere BesucherInnen, auch auf Bemühungen der Schulverwaltungen zurückgeführt werden, den Anteil von deutschen Kindern und Jugendlichen in den Klassen zu erhöhen und die Schulen so attraktiver für deutsche Mittelschichtsfamilien zu machen.

Einige Kilometer weiter bemüht sich die Initiative „Aktives Stadtzentrum Müllerstraße“ (http://www.muellerstrasse-aktiv.de/) um „Attraktives Ansiedlungsmanagement“ in der Einkaufsstraße, wie es in einem Handlungskonzept heißt. Ein Besucher berichtete über die Folgen, die dieses „Engagement“ für die Anwohner_innen hat, insbesondere für Menschen, die gezwungen sind, am Existenzminimum zu leben:„Die meisten 1-Euro-Läden sind schon verschwunden und damit auch viele günstige Angebote. Was jetzt neu hinzukommt ist meist in den höheren Preisklassen angesiedelt. Keine Ahnung wer da einkaufen soll – wir sicherlich nicht mehr.“

Symbolische Aufwertung:

Die Entwicklung von kulturellen Infrastrukturen und subkulturellen Szenen ist ambivalent. Sie führt einerseits aus einer oftmals wahrgenommenen Tristesse in vermeintlich abgehängten Vierteln heraus, anderseits werden diese „Enklaven symbolischer Aufwertung“ in immobilienwirtschaftliche Werbestrategien interegriert und können als Antriebskräfte für Aufwertungsprozesse wirken. Die Besucher_innen berichteten über eine Reihe von Kulturstandorten, die in den vergangenen Jahren zu einer „Aufbruchstimmung“ (TIP-Berlin) (http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit-stadtleben-und-leute/neues-kulturzentrum-uferhallen-berlin-wedding) geführt hätten. In ehemaligen Fabrikanlagen und zuvor leerstehenden Gewerbegeschäften etabliert sich seit einigen Jahren ein mehr oder minder alternatives kulturelles Angebot. Künstlervereinigungen wie die „Kolonie Wedding“ (http://www.koloniewedding.de/) oder Projekte wie die UferHallen (http://www.uferhallen.de/) tragen zur Erhöhung der Attraktivität des Viertels bei, das in der Presse eher als Sinnbild von Arbeitslosigkeit und vermeintlich gescheiterter Integrationspolitik verhandelt wird.

Wie Vertreter_innen des Exrotaprint-Geländes (http://www.exrotaprint.de/) berichteten, bewegen sich die Projekte selbst in Widersprüchen. Geringere Mieten sind Voraussetzung für die Entwicklung ihrer künstlerischen und sozialen Aktivitäten, damit wird aber gleichzeitig zu Aufwertungsprozessen beigetragen. Nicht zuletzt sehen sich diese Projekte einer Vereinnahmung durch Aufwertungsstrategien durch Quatiersmanagement und Bezirk ausgesetzt, die darauf zielen die Bedingungen immobilenwirtschaftlicher Inwertsetzung zu verbessern. Trotz des durchaus widersprüchlichen Engagements ist eine Beteiligung von Vertreter_innen von Kunststandorten, wie dem Exrotaprint an Debatten begüßenswert.

Neubauten und städtebauliche Großprojekte:

Während Großprojekte wie MediaSpree oder die geplante Bebauung des Tempelhofer Feldes in Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln nicht zu ignorierende Aufwertungsprozesse in Gang gesetzt haben, sehen sich die Weddinger Bewohner_innen nicht mit großklotzigen Luxuswohnanlagen oder ähnlichem konfrontiert. Für Unbehagen sorgte allerdings der Neubau des BND an der Chausseestraße (südlich des Weddings). Denkbar wäre es, dass die Neubebauung mit Wohn- und Geschäftshäusern, wie sie jetzt um das Gelände herum beobachtbar ist, in Zukunft nicht an der Stadtteilgrenze halt machen wird und auch höhere Mieten für Altbauwohnungen nach sich zieht. Ähnliche Befürchtungen äußeren auch Anwohner_innen des Brunnenviertels in Bezug auf die geplante Mauerparkbebauung.

Umzugskettenaufwertung:

Verdrängunspozesse sind keineswegs immer auf städtebauliche Großprojekte und politisch initiierte Aufwertungsbemühungen zurückzuführen, sondern sind selbst Folge von Prozessen der Gentrifizierung in anderen Stadtteilen. Andrej Holm beschrieb, dass die „Verdrängten“ aus Friedrichshain gegenwärtig in Neukölln als Aufwertungsakteure auftreten, da sie wesentlich höhere Mieten zu zahlen bereit sind. Auch einige Bewohner_innen des Wedding konnten über derartige Entwicklungen anhand von Neubelegungen von Wohnungen in ihren Häusern berichten. Im Afrikanischen Viertel, dem Brüsseler Kiez, der Brunnenstraße oder dem Quartier am Gesundbrunnen sei zu beobachten, dass es viele Zuzüge aus Kreuzberg oder dem Prenzlauer Berg gibt. Zu den Gründen befragt, gaben die neuen Mieter_innen in ihren vorherigen an. Ob diese Entwicklungen sich zu einem Trend entwickeln, bleibt abzuwarten. Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass es Wohnungseigentümern in der gegenwärtigen Situation nicht schwer fällt, Mieten bei Neubelegungen um 25 bis 30 % anzuheben, wie BesucherInnen berichteten.

So what's left?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Aufwertungsprozesse und die hiermit verbunde Verdrängungen der „sozial Schwachen“ im Berliner Vergleich gegenwärtig in Grenzen halten. Eine Entwarnung ist dies noch lange nicht. Dass der Wedding aus dem Mietpreisrahmen innerstädtischer Bezirke fällt, mag zum jetzigen Zeitpunkt beruhigend wirken, kann aber nur allzu schnell die Begehrlichkeiten von Investoren wecken. Darauf zu warten, dass der Wedding nach Neukölln der nächste Stopp der „Aufwertungskarawane“ wird, kann keine Lösung sein.

Es gilt daher politische Handlungsfähigkeit zu einem Zeitpunkt zu entwickeln, in dem sich die Anwohner_innen noch nicht der vollen Wucht von steigenden Mieten und Verdrängungsprozessen ausgesetzt sehen. Verständigung über gemeinsame Bedürfnisse können eine Voraussetzung sein, um Selbstorganisierungsprozesse zu befördern. Hierzu zählt auch, sich Gedanken zu machen, welche Strategien und Handlungsmöglichkeiten sich zu eigen gemacht werden können, die in sozialen Auseinandersezungen um bezahlbaren Wohnraum und ein „Recht auf Stadt“ entwickelt wurden.

Genau diese Fragen sollen beim nächsten Politischen Café am 10. Juni diskutiert werden.

Editorische Anmerkung

Den Artikel spiegelten wir von Indymedia, wo er am 6.6.2010 erschien