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GELSENKIRCHEN, im JUNI 1999

Das Fernsehen die beleuchtete Buchseite
Über Illusionen und wandernde Buchstaben

von DIETMAR KESTEN

06/99
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TEIL: A
zum Teil B

I. Die Eroberung der Wirklichkeit. 

Wenn das Fernsehen die lebenswichtigen Interessen der Nation untersucht, dann findet es nur geringe Unterschiede gegenüber jenen Notwendigkeiten, die der Existenz des Individuums zugrunde liegen. Beide, Nation und Individuum werden von den gleichen Lichtimpulsen bewegt, beide von den gleichen Hoffnungen, den Ängsten, den gleichen Metaphern, den Illusionen und den Lobliedern. Nationen mögen nicht einsichtiger sein als Individuen. Das mag daran liegen, daß beide von einer Krise durchrieselt werden, die sie mit einer dermaßen starken Kraft erfaßt, daß zeitliche und örtliche Entfernungen schrumpfen was in der Vergangenheit geschah, was in Zukunft geschehen mag, was außerhalb des Alltags angesiedelt ist, und sich jenseits der Staatsgrenzen abspielt, sich in den Vergleichen mit innenund außenpolitischen Vorgängen übt, der Gegenwart, zu den Alltagssorgen der Menschen, das alles übt nur einen gerinen Einfluß auf uns aus.

In dieser Beschränktheit liegt die Beobachtung des Fernsehens, es löst die unmittelbare Zeit und die Umgebung auf, alle Ursachen, alle Dinge auf einmal. Das Medium ist Metapher, vielleicht das Einflußreichste überhaupt. Es ist wie eine Mikrowelle in Minutenschnelle abrufbar zeigt es Einsenbahnen, Rinder, Stahlwerke, Sport, Vergnügungen, Industriearbeiter und Prostituierte, Unabhängigkeitskriege, ein Denkmal in Oberammergau, die Freiheitsstatue und immer wieder dunkle Rauchwolken.

Damit verkörpert es den Geist unserer Kultur, und im gesamten öffentlichen Diskurs hat es schlicht die Form des Entertainments eingenommen, es ist Business, bleibt weitgehend ohne Protest, und ohne, daß die breite Öffentlichkeit davon Notiz genommen hätte, haben sich Politik, Religion, Nachrichten, Unterhaltung, Wirtschaft, Philosophie und Krieg in ihm eigenistet, in ein kongeniales Anhängsel des Showbusiness verwandelt; es ist nichts anderes, als eine vergnügliche Form sensorischen Erlebens.

Gerade an der Berichterstattung über den Kosovo-Krieg war das frappant: Wurde der Krieg 'aktueller', d. h. gab es neue Nachrichten, die die alten in den Schatten stellten, wurde er sozusagen aktualsiert, dann stiegen die Einschaltquoten, blieb er über ein paar Tage hinweg 'stabil', stagnierten sie oder sie sanken.

Das ist merkwürdig: Offenbar wird das Fernsehen von Schauspielern dirigiert, die ihren Part bestens verstehen; wir amüsieren uns, während andere unterdessen in den sicheren Tod gehen. Glanzvolle Fernsehspektakel stehen den Machern gut zu Gesicht. Wenn die Menschen allabendlich ihren Wohnzimmer-Düngerhaufen verlassen, dann basteln sie bereits wieder an der neuen Unterwerfung oder Vernichtung. Ihre darzustellende 'Kunst' hat sehr viel mit der Qualität und der Nützlichkeit einer Ware zu tun, die verkauftund gekauft wird, mannigfaltig in der Form, sprachbegabt, und was sich da vor unseren Augen abspielt, ist die Umwandlung der Sprache in grenzenlose Trivialität, der wir aufgesessen sind, als spiele sich unser Leben vor diesem Abbild in den letzten Zuckungen ab.

Fernsehen ist die fade Steuerung der zur Reife gelangten Warenproduktion; der Abgesang an die Moderne, die Vergeltung dafür, daß wir die Kommunikation untereinander haben sterben lassen. Jetzt zum ausgehenden 20. Jahrhundert bekommen wir die Quittung: Fernsehen nimmt uns den kommunikativen Austausch, die Gespräche zwischen den Menschen, und es nimmt uns die Fähigkeit, die Gedanken, die wir ausdrücken wollen, zu artikulieren.

Als leichtgläubiges Publikum nehmen wir seine Exesse gerne an, und lassen es unweigerlich zum wesentlichsten Inhalt dieser Kultur werden. Fernsehen ist Kriegskultur!! Es ist Austausch mit den Kriegsgütern und den Schicksalsschlägen, der Freude über die Geretteten, und der Scham, die aufkommt, wenn die Toten beweint werden. Fernsehen hat uns die Verpflichtung abgenommen, zu trauern, in einer Zeit, in der wir trauern sollten, weil es unsere Gefühle genommen hat, sie durch kalte Techniken und Technologien ersetzt hat. In diesem Sinne funktioniert Fernsehen als Austausch, es ist ein Komplex von zahlreichen Austauschvorgängen, die mit ihm und uns stattfinden. Es regelt den öffentlichen Diskurs und diktiert ihn, vermittelt die Inhalte, die es vermitteln will bis hin zu den philosophischen Gedankengängen. Das ist einmalig komplex, und hier es bringt es auch das Wesen des Daseins der Individuen zum Ausdruck; denn es wird von ihm gefiltert, aus seiner trauten Umgebung herausgelöst, im Grobdesign der Bilder, dem Austauch unter ihnen, und dem gesprochenen Wort visualisiert, oder anders gesagt: Fernsehen ist Austausch von pittoresker Postrealität ohne daß der 'Stoff', aus dem die Informationen sind, sichtbar wird. Es gebiert ein Schattenleben in einer Welt, in der Unterhaltung Sinn des Lebens wird. In der Welt dieses Mediums kann nichts besser vermittelt werden als der Krieg. Fernsehen hat ihn in unseren Kopf gesetzt, überall, auf der ganzen Welt, Brände, Kriege, Morde, Barbarei. Das Individuum partizipiert daran, oder muß daran partizipieren, weil der Fernsehalltag uns davon in Kenntnis setzt, zu jeder Minute und zu jeder vollen Stunde es ist eine gerissene Informationsweitergabe, die da stattfindet. War es einst der Telegraph, der es möglich machte, aus dem Zusammenhang gerissene Informationen in unvorstellbarer Geschwindigkeit über weite Strecken zu transportieren, und damit der Nachricht (Kriegsnachricht) die Vernachlässigung der Recherche an die Hand zu geben, so kann es heute die Existenz eines Krieges verlängern, oder auch verkürzen, die unvermeidlichen Kämpfe, die bevorstehen, vorbereiten oder nicht.

Das alles ist Produkt der technischen Phantasie; Medienereignis: Überall Personalcomputer, Internet, Faxe, Terminals, Handys, Notebooks, Schaltungen, Bits und Bytes; Halbleiter, Funktelefone, Nachrichtensateliten usw. Bruchstücke aus aller Welt werden vervielfältigt, zu einem einzigen Konglomerat aus lichtgeschwinden Details, die sich ihre Form schaffen: Der Niedergang des öffentlichen Diskurses war der Anbruch des Fernseh-Zeitalters. Das ist unwiderruflich; weil das Medium die Botschaft ist, die Wissenschaft außer Mode gekommen ist.

Daß das Fernsehen bestimmt Inhalte begünstigt und sie entscheidend zu prägen vermag, liegt auch an den Konstellationen der menschlichen Leidenschaften, an den Elementarkräften, die Macht erhalten und Macht ausüben; denn es nimmt keine Rücksichten auf sie und ihre Einrichtungen. Wenn z. B. militärische Botschaften weitergeleitet werden, ist auffällig, daß jeweils die Schwäche des Gegners und die vermeintliche Stärke des Angreifers genannt wird. Das hat damit zu tun, daß Kriege, dann am längsten dauern, wenn sie kostspielig werden an Gut und Blut. Ist der Gegner besser vorbereitet, dann sieht sich der Fernsehzuschauer einer Proportionalität entgegen, die die Stärken des Gegners entwickeln und die eigenen Kräfte in Relation setzen.

Fernsehen und Krieg ist daher eine 'Weltanschauung' der Kulturgüter in dieser Zeit, nicht nur einem Kulturgut, sondern dem, welches über Zeit und Raum hinweg existiert, über Gegenstände und Vorgänge, und es wird dann am deutlichsten, wenn der Plot der grammatischen Eigenschaften die individuelle Sprache verändert. Kultur ist auch ein Produkt der Sprache; aber sie wird auch von jedem einzelnen Kommunikationsmedium neu geschaffen vom Fernsehen wird uns eine neue Form des Denkens zur Verfügung gestellt, das wir gerne annehmen, weil das Medium die Botschaft ist, und das Medium die Aussagen über die Welt bestimmt. Die Botschaft macht die Aussage möglich. Auf der frühen Stufe der medialen Technik waren es Hieroglyphen, das Alphabet, Symbole, das phonetische Schreiben, später die sich durchsetzenden Sprachen, andere einsetzende Kommunikationsmöglichkeiten doch alle insgesamt Zwischenschaltungen für die heutigen Medien: Wir sehen und erfahren!

Auf einer früheren Stufe dieser Entwicklung erfuhr man nur, wie Erlebniszusammenhänge aus dem Zusammenhang gerisssen werden. Dadurch konnte der Glaube genährt werden, daß die gesellschaftliche Maschine mittels eines Textes existiert, der zu lesen ist, um menschliches Erleben und Handeln umzusetzen. Wenige wagten es, Gedanken in Sprache umzusetzen, sie niederzulegen oder zu verwandeln. Meistens blieb diese unwandelbare Weise in der Fixierung von Gedanken und Schriftzeichen stecken. PLATON war der Meister im Symbol-Denken. Deswegen folgte darauf eine Symbol-Sprache, die ausdrücken sollte, wie die Nachbildung der Zeit in Formen gefaßt wirdder Beginn der Philosophie, auch der eigentlichen Sprache, die es ermöglichte, Gedanken zu fixieren, Schriftzeichen zu deuten, sie der konzentrierten Schau zu unterziehen.

Erst im Alphabet begann der begründete gedankliche Austauch von Menschen, und mit dem phonetischen Schreiben hielt die Textentwicklung Einzug in die Kulturkreise der Völker. Schrift läßt das gesprochene Wort erstarren; darauf folgte die Grammatik, die sprachliche Logik, die Rhetorik, damit alles bedeutungsvoll wurde, hinreichend, wahrnehmend, lesend und umwälzend. Gedanken in Sprache niederzulegen, das war gleichbedeutend mit den Versuchen des IKARUS, fliegen zu können. Schreiben war Wahrnehmung, Erkennung, Anschaulichkeit. Das Auge wurde zur Sprachverarbeitung, das Ohr zum ersten Medium, daß Sätze, Töne, sprechende Stimmen und singende Laute vernahm, sie umwandelte, und nicht mehr als bloße 'Gedächtnisstütze', sondern als Ausbildung der ersten Informationen, der vergangenen, der gegenwärtigen, der gegenständlichen. Sprache als die erste und möglicherweise auch die einzige Form eines komplexen Austausches des Denkens; der Anfang des mündlich interaktiven Volkes, sicher merkwürdiger als das Schweigen, doch konnte so phonemisch die Vermittlung zwischen dem Schweigen und der Sprache einsetzen.

Der tiefgreifende, eingreifende, gefahrvoller Wandel gesellschaftlicher Bestandsaufnahme begann. MARX beantwortete die Frage nach dem Ursprung der Sprache nur eingebettet in das Wissenschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts Sie würde 'aus und mit der Arbeit' entstehen; sie verschwindet bei ihm hinter Ideologieproblemen und der Frage nach dem Verhältnis zum Überbau. Die Magie, die durch Sprache entsteht, interessierte ihn nicht. Das wahr ein Fehlschluß: Form und Sinn der Sprache ist medial betrachtet, die Frage nach der Beziehung zwischen Sprache und Denken, nicht primär eine, die im Primat der Produktionsverhältnisse begründet liegt. Sofern sie als Medien-Metapher definiert wird, ist sie die Erweiterung des zunächst einfachen Denken der Menschen, entwickelte sich zur metaphorischen Form, zu vermittelnden Informationen, und mit der Geschwindigkeit, mit der sie übermittelt wurde, entstand ein Kontext, von Menschen unabhängige Informationsquellen von 'natürlichen' Auslesen, verbesserungswürdigen, zusammenhangslosen und wahren Nachrichten der Medien-Metapherwandel setzte ein.

Epistemologie, Sprachästhetik, Literaturwissenschaft sie vernachlässigten, daß die Entstehung neuer Medien etwas mit Verkümmerung des öffentlichen Diskurses zu tun hatte, mit der Vorherrschaft der Fabrikation von geschriebenen, gehörten, gesehenen, vernetzten Informationen. Den modernen Kulturbetrieb, den sie analysierten, war der der Trivialität, der man aufsaß, er muß jedoch daran gemessen werden, was bedeutsam erschien, alles andere blieb vordergründig. Das Fernsehen hatte deshalb auf die geistige Verfassung der Menschen solch großen Einfluß, weil es ihm gelingen konnte, Vermittler in den bedeutsamen oder unbedeutsamen kulturellen Botschaften zu sein: Veränderungen in diesen Bereichen mußten zur Veränderung der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit werden; Fernsehkultur wurde zum Glauben an die Magie der Wörter; der menschliche Verstand hatte mit seinen Gedankengängen nichts mehr zu tun man mußte die Wendung von Sätzen, die konkreten Bilder, den Tonfall der Sprache als neue Formen von Wahrheit und Wahrheitsäußerungen interpretieren; was gesagt wurde, war wahr.  

II. Wahrnehmung Das Fernsehen hat tausend Gesichter.  

Menschliche Wahrnehmungsmöglichkeiten verschwinden tatsächlich von der Bildoberfläche; Informationen und Ideen werden in der Zwischenzeit vom Fernsehen, nicht vom gedruckten Wort geformt. Die Buchund Zeitungskultur ist womöglich keine Austauschform mehr zwischen dem Sprechen und dem Schreiben. Das Fernsehen konnte das vereinnahmen, einen Kräfteverlgeich zwischen sich und anderen Medien gewinnen. Und so wird es bleiben, weil es die Grenzen zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren verwischt hat und Computertechnologien, Zeitungen und Zeitschriften werden den hohen Auflösungen der Bilder in der symbolischen Unterwelt (Fernsehen) immer ähnlicher werden; es wird als Quelle der Zufriedenheit, des Hortes, des Vergnügens und der Bestürzung endgültig in die kulturelle Geschichte der Völker eingehen.

Fernsehen schuf ein Theater für die Massen, wenn Theater als Thema betrachtet wird, daß emotionale Macht schafft. Im Vietnamkrieg konnte es die öffentliche Meinung ganz nach Belieben mobilisieren, gegen einen bösartigen Rassismus blieb es fad und war von Vorurteilen durchsiebt. Fernsehen als moderne Kommunikationstechnologie schaffe es, das Denken umzuschichten, ins Gefüge seiner vorhandenen Instrumente einzubringen. Das hat weit mehr Schaden angerichtert, als gemeinhin angenommen wird. Dadurch ist der Gebrauch von Ideen verlustig gegangen; der Verstand, der überwiegen sollte, ist durch den 'Grundbesitz' im Wohnzimmer erniedrigende und todbringende Gefühlskälte. Fernsehen hat den gesamten Kulturbetrieb der Moderne vereinnahmt. Es wacht über die Erziehung der Kinder, über das Wissen, die Wahrheit und die Information. Es hat DEN Platz in der Moderne eingenommen, mit einer Ernsthaftigkeit und Klarheit, daß vor allem der Wert des öffentlichen Diskurses verfällt. 'Man kann niemandem trauen!' als Volksweisheit wird diese Metapher nur noch vom Fernsehen übertroffen: Dem Fernsehen kann man überhaupt nicht trauen, es lügt, gerät in Verwirrung, mißbraucht die Logik, den gesunden Menschenverstand, macht uns leidenschaftlich, aber wenig nachdenklich, weil sich alles stereotyp wiederholt, Argumente und Gegenargumente auf keine Erwiderung hoffen brauchen, Behauptungen und Gegenbehauptungen uns nur als kalte Abstraktion von Sätzen oder eingespielten Bildern entgegentreten.

Fernsehen ist nackte Sprache, es verarbeitet das meist eingekaufte Wissen für uns. Und dafür braucht es nicht den Kopf hinzuhalten: Läßt es sich auf das mediale Wort ein, dann macht es sich unsere Denkweise zu eigen, Schlüsse zu ziehen, kognitive Fähigkeiten, zieht im Hintergrund die Fäden, ist imstande Verallgemeinerungen in der mißbräuchlichsten Verwendung zu bewahren, verhindert, Gedanken zu vedichten, Urteile abzuwägen und Syllogismen zu setzen.

Fernsehen beharrt auf unlogische Zusammenhänge das sind keine Zufälle der Aufklärung, sondern das Aufblühen einer einst vom Buchdruck geprägten Kultur. Damit ein neues Bild von der Welt entworfen werden konnte, mußte es demonstrieren, daß der Kapitalismus der Moderne ein rationales, liberales System des Wirtschaftslebens ist. Kontinuierlichen Fortschritt gab es nur mit dem Fernsehen, und die Notwendigkeit, das Schreiben und Lesen zu ersetzen, konnte nur dieser 'Autodidakt' erreichen.

Das Schreiben und Lesen der Menschen ist mit ihm in die Phase der Verkrüpplung eingetreten, die Vorherrschaft der Vernunft ist durch seine Sinnbilder für den Niedergang der Kultur in eine finstere Zeit eingetreten: Fernsehen ist Teil des Lebens und seine Rolle in der menschlichen Existenz kann zur Schicksalsrolle werden. Da helfen auch keine Versuche, es durch menschliche Gesetze zu überwinden. Fernsehen beeinflußt die Nation, Politik der Staatsmänner, die gestern wußten, was sie morgen vor laufenden Kameras zu sagen hatten, und heute verkünden, was übermorgen geschieht. Perfekt beherrschte das ein Herr mit Namen HELMUT KOHL, der über Jahre hinweg in seinen Sylvesteransprachen nur Orte, Namen und Ereignisse austauschteund schicksalhaft der Nation suggerierte, daß sich alles zum 'Guten' oder 'Schlechten' wandelt. Politik kann sich Dank des Fernsehens immer den Gegebenheiten anpassen; sie ist ein Bild von einer Geschichte, die plastisch chirurgiert wird. Das ist Werbung, gereimte Verse für das Publikum.

Erstmals als Bild um die Jahrhundertwende trat es auf den Plan, wenn das Standbild als Vorläufer und Eroberer der individuellen (Ge-)Lüste bezeichnet wird ästhetisch tiefenwirkend Von da an ging es mit der Vernunft bergab. Der 'Guckapparat', das erkannten die Tiefenpsychologen, hatte errengenden Einfluß auf die 'Sitzkultur'man mußte sie monopolisieren, versteckt aufbereiten und wie eine frische Frucht dem verdutzten Publikum verabreichen. Jede Aufmerksamkeit schien gebrochen; öffentliches Wissen als Garschale, zwischen Morgengrauen und Zwielicht: Meldungen, die ablaufen wurden wie Haferflocken serviert.

Und es hielt sich die moderne Vorstellung bis in die heutigen Tage, daß man bei Kerzen -oder später Gaslicht, noch später Elektrizität besonders gut ritualisieren kann. Alles, was an Auffassungsvermögen möglich war, konnte durch systematischen Appell an die Gefühle der Menschen gleichsam als Hilfsmittel auf ein Minimum beschränkt bleiben.

Das wichtigste Merkmal des 'Erleuchtungsstoffes': Natürliche Errötung gab es nicht mehr; der 1. Platz in der Kultur war ihm sicher. Niemand kam auf die Idee, Werbung als Verpackung von politischen Ideen zu betrachten. Und doch war sie es, weil ihre Darstellungsweise das deduktive, folgerichtige Denken der Menschen absorbierte; die Wertschätzungen von Vernunft und Harmonie im mitmenschlichen Umgang als Produkt verkaufte. Werbung mußte erst die Information filtern, dann konnte die Politik sich immer den Gegebenheiten anpassen das Terrain wurde bereitet, das man betrat, und auf ihm balancierte.

Die Fähigkeit zur Distanz und zur Objektivität, die so verlustig gingen, die Verbindung dieser beiden Ideen schufen die Grundlage für einen weiteren Übergang, das Zeitalter des Showbusiness.

Diese Idee besagt, daß die Bindung der Telekommunikation an den Transport aufgelöst werden kann, und daß der Raum die Weitergabe von Informationen nicht unbedingt hemmen muß. Showbusiness war die Eroberung der Menschen und der Waren, um den Preis, daß die Verdienste MORSEs (eigentlich die Entdeckungen des Informationsnetzes) keine Telegraphie mehr war, sondern sich als Telepathie entpuppte: Das ganze Land wurde eine einzige Nachbarschaft, jeder sah jedem zu. Und die Folgewirkung: PETER FRANKENFELD (Showmaster der ersten Stunden) hat Keuchhusten!! Die Belanglosigkeit, mit der sich Informationen streuen ließen, dazu noch mit Biene MAJA oder JIM KNOPF untermalt, das konnte nur in die Handlungsunfähigkeit des modernen Menschen einmünden.

Politisches Entscheiden und Handeln wurde ein 'Informationsding', das man ohne Rücksichten zu nehmen wie im Krieg, kaufen und verkaufen konnte. Alles wurde in den Schatten gestellt: Die Aktualität und ihre Transzendenz, privates und soziales Leben, die zentrale Stellung der Zeitung, Distanz und Tempo, und die Kabelverbindungen der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts schufen praktisch die Aufhebung des Raums. Die alte Definition der Nachricht als eine zweckbestimmte Information für eine kurze überschaubare Zeit, kulminierte als Werbeträger zwischen einem Beschluß des Bundestages und einem Blitzeinschlag in Euskirchen, zwischen einem Bundesligaspiel und der Einkesselung von Demonstranten in München.

Mit Weitblick erkannten die Macher der 'Werbenachrichten' wie sie sich in den Dienst der Verkabelung stellen könen: Nation und Kontinent mußten eins werden das Schicksal der Information hing davon ab, und wenn man das rasende Tempo hinzunahm, dann mußten von allen Kontinenten immer mehr Informationen, nahezu ein Überfluß an Informationen herbeigeschafft werden. Und die Frage, die sich für jegliche mediale Kultur und sich immer mehr vernetzende Techniken herauskristallisierte war: Wie kommt es, daß sich eine Information, die ich morgens im Radio höre, der Zeitung entnehme, mich abends nach der 'Berieselung' dazu veranlaßt, meine Pläne zu ändern, etwas zu kaufen, was ich gar nicht kaufen wollte, etwas zu sehen, wozu mir gar nicht der Sinn steht, und mit einer Information umzugehen, die mir nicht hilft, Einsicht in ein Problem zu bekommen? Jede Nachricht, jede Meldung, jede Information ist und bleibt somit wirkungslos.

Woraus sie bestehen, wissen wir eigentlich nicht; wir wissen nur, daß es sie gibt, und daß es ein Vermächtnis ist, mit einer Fülle von irrelevanten 'Show'-Teilen umzugehen. Input und Output verflüchtigen sich wie Zeitungen oder Flugschriften -mediale Tradition, wenn man daran denkt, daß es etwa im 17. Jahrhundert nur den Buchdruck gab, der die gesellschaftlich-öffentlichen Angelegenheiten regelte. Es gab keine Filme, kein Radio, keine Photoreklame, keine PR, keine Langspielplatte, keine CD und vor allem: Kein Fernsehen. Die gedruckte Mündlichkeit hatte zumindest nicht den unpersönlichen Tonfall, den wir heute hören, wenn die täglichen 'Kanzelpredigten' Müll freigeben: Der technische Fortschritt brachte die gefühlsbestimmte Rhetorik; das ewige Höllenfeuer des Fernsehens bekam die größte Ausstrahlungskraft, die den Buchdruck bei weitem in den Schatten stellte; es lief ab vor riesigen Menschenmengen, den leidenschaftlichen Geist verdrängte, ihn erschütterte, und erschreckend baute es auf den wichtigsten Gedanken der Tiefenpsychologie díe Manipulation der Massen. Ohne Duldung auf einen öffentlichen Austausch; es gab die Antworten, die niemand stellte und niemandem ein Recht auf Erwiderung einräumte.

zum Teil B

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