Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Stand: 02. Juli 2012
Sozialdemokratisch geführte Regierung in Frankreich schlug diese Woche einige Pflöcke ein

07-2012

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Jährliche Mindestlohn-Erhöhung von 0,6 % (plus Inflations-Ausgleich). Einige Steuererhöhungen für Banken und Ölkonzerne sind angekündigt. Aber auch ein weiterer drastischer Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst, mit Ausnahme des Schulwesens, von Polizei & Justiz…

Am Dienstag vergangener Woche, den 26. Juni 12 wurde die Position der Regierung zur Mindestlohnpolitik bekannt. Es ist in Frankreich bislang – oder war jedenfalls bis zur Wahl Nicolas Sarkozys im Jahr 2007 - üblich, dass in Wahljahren eine etwas stärkere Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns SMIC (Salaire minimum interprofessionnel de croissance, „Berufsgruppenübergreifender wachstumsorientierter Mindestlohn“) als in sonstigen Jahren vorgenommen wird.

In der Vergangenheit fielen diese Erhöhungen mituntersubstanziell aus: Als derSozialist François Mitterrand 1981 gewählt wurden, waren es bspw. 10 Prozent, und noch bei der Wahl von Präsident Jacques Chirac (1995) und Premierminister Lionel Jospin (1997) waren es jeweils 4 Prozent1. Als erster Präsident, der mit einer ihm zugeneigten Parlamentsmehrheit ausgestattet war, brach Nicolas Sarkozy allerdings mit diesem Brauch: Er erhöhte den SMIC nur um den - vom Arbeitsgesetzbuch her obligatorischen Inflationsausgleich plus Null komma null. Andere Vorgänger des jetzigen Präsidenten François Hollande oder Premierminister (im Falle unterschiedlicher Mehrheiten im Präsidenten- und Regierungslager) dagegen gaben einen so genannten coup de pouce, wörtlichDaumendruck“. Sie stellten also die Weichen für eine leichte zusätzliche Erhöhung infolge politischer Vorgaben, welche über den erforderlichen Inflationsausgleich hinausging.

Bis vor kurzem wurde der SMIC alljährlich zum 1. Juli erhöht, wobei die Regierung gesetzlich dazu verpflichtet ist, den Mindestlohn wenigstens um den jährlichen Inflationsausgleich (in Höhe des erfolgten Preisanstiegs in den letzten zwölf Monaten) plus um die Hälfte des jährlichen durchschnittlichen Lohnzuwachses anzuheben. Da die Entscheidung dazu also alljährlich Ende Juni erfolgte, war die SMIC-Erhöhung seit 1997 einer der ersten Beschlüsse, den eine neue Regierung im Wahljahr fällen musste. (Denn seit der Parlamentsauflösung und den vorgezogenen Neuwahlen im Frühjahr 1997 fallen die Parlamentswahlen immer in den Juni. Und der Staatspräsident wird jedes Mal im Mai gewählt, seitdem die Präsidentschaftswahlen im Jahr 1974 – infolge des vorzeitigen Ablebens von Amtsinhaber Georges Pompidou im Elysée-Palast – erstmals im April und Mai stattfanden.)

Allerdings findet seit kurzem die Weichenstellung zur jährlichen Mindestlohn-Erhöhung nicht mehr zum 1. Juli, sondern zum 1. Januar statt. Deswegen ist die Entscheidung der jetzigen Regierung zur Mindestlohnpolitik erstmals von der Anhebung des SMIC um den jährlichen Inflationsausgleich, welcher ohnehin obligatorisch ist, entkoppelt.

Seit Tagen und Wochen unterstrich die sozialdemokratisch geführte Regierung nun allerdings, die geplante Anhebung werde limité (begrenzt) ausfallen. Nun hatte allerdings auch niemand mit einer wirklich unbegrenzten Erhöhung gerechnet. Auch von raisonnable, also einem „vernünftigen“ Charakter der Erhöhung – um den Unternehmen und ihrer „Wettbewerbsfähigkeit“ nicht zu schaden, wie es dazu hieß – war des Öfteren die Rede.

Bereits am vorletzten Freitag, den 22. Juni 12 berichtete die (den „Arbeitergebern“ nahe stehende) Wirtschaftstageszeitung Les Echos, die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Juli 12 werde voraussichtlich zwei Prozent betragen. Zudem präzisierte das Blatt, diese 02 Prozent seien „großenteils – nämlich zu 1,4 % - ein Vorgriff auf den jährlichen Inflationsausgleich“, welcher sonst zum 01. Januar 2013 hätte erfolgen müssen (und ungefähr in dieser Höhe ausgefallen wäre) und nun jedoch zum Jahresende geringer ausfallen wird. Vgl. dazu http://www.lesechos.fr/economie-politique und http://www.liberation.fr/

Und genau so kam es denn auch. Die reale Mindestlohn-Erhöhung beträgt also 0,6 Prozent, der Rest ist lediglich ein um einige Monate vorgezogener jährlicher Inflationsausgleich. Insgesamt beträgt die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns (für eine Vollzeit-Arbeitsstelle) auf diese Weise 21,50 Euro brutto pro Monat: Der SMIC beträgt derzeit rund 1.430 Euro brutto und etwas unter 1.100 Euro netto monatlich. Das Arbeitsministerium selbst gab übrigens sogar eine noch niedrigere Zahl an, da es pseudo-stolz bekannt gab, für eine/n Mindestlohn-Empfänger/in bedeute der Beschluss „90 Euro mehr im zweiten Halbjahr 2012“, das wären mathematisch dann also 15 Euro monatlich…

Die Mindestlohn-Empfänger/innen, die ungefähr 15 Prozent der französischen Lohnabhängigen ausmachen, dürfen sich also keine ernsthaften Zugeständnisse oder gar „Geschenke“ von dieser Regierung erwarten.

Gewerkschaftliche Positionen

Aus Sicht der Gewerkschaften gibt es bereits erste „enttäuschte“ Reaktionen auf die Regierungspolitik; vgl. http://social.blog.lemonde.fr// - Auf die Ankündigung zum Mindestlohn reagierten zwei der drei wichtigsten gewerkschaftlichen Dachverbände, die „postkommunistische“ CGT und – stärker noch - der häufig demagogisch-schillernd auftretende Dachverband FO (vgl. http://social.blog.lemonde.fr), mit Unzufriedenheit und Kritik.

Die Führung der rechtssozialdemokratischen CFDT unter François Chérèque – der sich selbst bereits im Vorfeld gegen eine „überzogene“ Erhöhung des Mindestlohns ausgesprochen hatte, und eher gewerkschaftlichen Verhandlungen über höhere Lohngruppen den Vorzug gab – war hingegen zufrieden, übte jedenfalls keinerlei vernehmbare Kritik. Auf der „Arbeitgeber“seite verhielt sich der zentrale Kapitalverband Medef (ungefähr vergleichbar mit BDI-BDA in Deutschland) negativ.

Hingegen erklärte der Verband der „mittelständischen" Unternehmen, die CGPME, die Mindestlohn-Erhöhung sei noch im vernünftigen Rahmen geblieben. Wie einem Hintergrundartikel der Wochenzeitung ,Le Canard enchaîné‘ vom letzten Mittwoch (27. Juni 12) zu entnehmen ist, hatte sich die CGPME bereits im Vorfeld der Präsidentschaftswahl erkennbar an François Hollande angenähert, während die Spitze des Medef klar und unverkennbar für die Rechte unter Nicolas Sarkozy die Propagandatrommel rührte.

Nun soll allerdings bei einem großen gemeinsamen „Sozialgipfel“ von Regierung, Gewerkschafts- und Kapitalverbänden am 09. und 10. Juli dieses Jahres eine Reihe von Diskussionen über unterschiedliche sozial- und wirtschaftspolitische Themen unter den so genannten Sozialpartnern eröffnet werden. Darüber werden wir für unsere Leser/innen an dieser Stelle selbstverständlich ausführlich berichten.

Steuerpolitik

Unterdessen hegten die Bezieher der höchsten Einkommen ihrerseits gewisse Befürchtungen: Als Wahlkampfcoup hatte François Hollande im Februar 12 angekündigt, auf Privateinkommen ein über eine Million Euro jährlich einen neuen Spitzensteuersatz in Höhe von 75 Prozent (auf die oberste Tranche) anzuwenden. Ob dies nun wirklich in die Realität umgesetzt wird und was daraus genau wird, bleibt in naher Zukunft noch abzuwarten. Im neuen Haushaltsgesetz für das laufende Jahr 2012, das im Juli d.J. vorgelegt wird in einer gegenüber den Entwürfen der Sarkozy/Fillon-Regierung überarbeiteten Fassung und das diverse finanzpolitische Beschlüsse enthalten wird, ist die Maßnahme jedenfalls (noch) nicht enthalten. Diese wurde nun erst einmal auf Herbst 2012 vertagt. Vgl. http://www.lefigaro.fr/

Grundsätzlich ist allerdings schon damit zu rechnen, dass (auch) die Besserverdienenden stärker zur Kasse gebeten werden. Denn in diesen Krisenzeiten muss der Staatshaushalt ja irgendwie gegenfinanziert werden – auch die Konservativ-Wirtschaftsliberalen kamen in diesem Kontext 2011 nicht umhin, manche Steuern zu erhöhen. Es ist auch angekündigt, dass die Steuern vor allem für die Besser- und Bestverdienenden im derzeitigen Stadium vorrangig zur Finanzierung der staatlichen Mehrausgaben (Schuldendienst, Krisenlasten, am Rande auch François Hollands Wahlkampfversprechen) herangezogen werden sollen. Es ist zu hoffen, dass es dabei bleibt – und nicht letztendlich deswegen, weil die Bezieher der allerhöchsten Einkommen und die Unternehmen es schaffen, solche Regeln dank guter Anwälte, Anlagen in Steuerparadiesen und zwischenstaatlicher „Steuerkonkurrenz“ zu umschiffen, dann doch vor allem die so genannten „Mittelständler“ zur Kasse gebeten werden. Dies wäre nicht unbedingt deswegen schlecht, weil es moralisch schockieren müsste, sondern weil es strategisch furchtbar dumm wäre und die Mittelklassen nach rechts zu radikalisieren hülfe.

Die ersten Ankündigungen vom vorigen Donnerstag (28.06.12) besagen allerdings, dass im laufenden Jahr 2012 in einem ersten Anlauf vor allem Banken sowie Erdöl-/Mineralöl-Konzerne stärker als bislang zur Kasse gebeten werden sollen. (Vgl. http://www.lemonde.fr/economie/ ) Unternehmen, die Aktionärsdividenden ausschütten, sollen ebenfalls steuerlich zur Kasse gebeten werden.

Auch war vergangene Woche die Rede davon, dass jene Schwervermögenden, die unter Nicolas Sarkozy vom so genannten bouclier fiscal („steuerlichen Schutzschild“, vgl. http://fr.wikipedia.org/wiki/Bouclier_fiscal und http://www.trend.infopartisan.net/trd7807/t417807.html sowie http://www.trend.infopartisan.net/trd7807/t637807.html ) profitierten – einem nach oben hin gedeckelten Spitzensteuersatz, von dem circa 13.000 reiche Haushalte Nutzen zogen, vgl. http://www.leparisien.fr/ – für das abgelaufene Jahr 2011 keine Rückzahlungen von den Finanzämtern mehr erhalten sollen. Diese Deckelung der Spitzensteuersätze für einige Wenige oder ,happy few‘ hat die französischen Steuerzahler/innen im vergangenen Jahr 2011 insgesamt stolze 735 Millionen gekostet, vgl. http://www.leparisien.fr/economie/e oder http://www.lemonde.fr/ . Die Rechtsregierung selbst, die ihn 2005 eingeführt und 2007 ausgeweitet hatte, sah sich im vergangenen Jahr gezwungen, im Angesicht der Krisenlasten den bouclier fiscal für die Superprivilegierten wieder abzuschaffen: Ein Gesetz vom Juli 2011 revidierte die Gesetzesbestimmungen, die ihn schufen, entsprechend - ging aber gleichzeitig mit einer Absenkung der Großvermögensabgabe ISF einher, also einem neuen Steuergeschenk, das parallel dazu eingeführt wurde. Dennoch, trotz der Abschaffung des bouclier fiscal im Sommer 2011, sollten auch in den Jahren 2012 und 2013 noch Rückerstattungen von „zu viel“ bezahlten Steuern an Schwervermögende stattfinden. (Im Jahr 2010 hatte die Entdeckung, dass die Multimilliardärin und L’Oréal-Erbin Liliane Bettencourt für ein einziges Kalenderjahr – 2007 - stolze 30 Millionen Euro vom Finanzamt zurück geschenkt bekommen hatte, einen Skandal ausgelöst. Vgl. http://www.lefigaro.fr) Doch damit will die jetzige, sozialdemokratisch geführte Regierung nun Schluss machen und die Rückzahlungen stoppen, vgl. http://lci.tf1.fr/economie/ und http://lexpansion.lexpress.fr/

Zugleich will sie die Vermögensabgabe ISF im alten Umfang wiederherstellen, also wieder erhöhen, vgl. http://www.20minutes.fr/- Und eine weitere Maßnahme, die neben dem „steuerlichen Schutzschild“ oder bouclier fiscal im Sommer 2007 ebenfalls ein zentraler Bestandteil des damaligen „Reform“pakets (unter dem Titel ,loi TEPA‘) der frisch ans Ruder gekommenen Rechtsregierung unter Nicolas Sarkozy war, wird ebenfalls abgeschafft: die Steuer- und Abgabenbefreiung von Überstunden. Diese Maßnahme bestand darin, dass Unternehmen keine Steuern auf Überstunden bezahlten (d.h. den Arbeitgeberanteil an der Lohnsteuer einsparten), und die Lohnabhängigen keine Sozialabgaben für die Überstunden abdrückten. Beide Seiten sollten dadurch dazu animiert werden, möglichst viele Überstunden zu leisten, vor dem Hintergrund des Slogans ,travailler plus pour gagner plus („Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“). Dieses zentrale Wahlkampfversprechen Nicolas Sarkozys von 2007 kam damals sogar tendenziell gut an: Es stellte in Aussicht, dass zwar zwischen Kapital und Arbeit kein Lohnerhöhungen ausgehandelt werden könnten welch grauslichmarxistischer“ & „antiquierter Gedanke -, aber durch Ableisten von Überstunden dennoch mehr verdient werden könne. Hätte dies hingehauen, hätte es allerdings Arbeitsplätze gekostet, weil die vorhandenen oder verbleibenden Arbeitskräfte dann eben besserausgenutzt / ausgelastet worden wären. Allerdings hat die Maßnahme insgesamt kaum funktioniert, da in den Jahren der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007/08 die Unternehmen kaum Überstunden abriefen zur Enttäuschung jener Lohnabhängigen, die insgesamt damit gerechnet hatten, nach Belieben auf diese Möglichkeit zurückgreifen zu können. (Während Überstunden natürlich in Wirklichkeit vomArbeitgeber je nach seinem Bedarf angeordnet werden, oder eben auch nicht.) Heute erscheinen der bouclier fiscal und die Steuerbefreiung der Überstunden i, breiten Kreisen gleichermaßen als Ausdruck der sozialen Ungerechtigkeit oderUnausgewogenheit“, die unter Sarkozy geherrscht habe. Beide werden deshalb nun abgeschafft; dabei bleibt allerdings die Steuer- und Abgabenbefreiung für Überstunden in den Kleinbetrieben (unter 20 Beschäftigten) als rechtliche Möglichkeit aufrecht erhalten.

Gesamtfazit zur Steuerpolitik: Diese tendenziell eher die Reichen treffenden steuerpolitischen Beschlüsse wären sicherlich, in der Tendenz, erst einmal grundsätzlich zu begrüßen. Warten wir ab, wie es weitergeht und ob es bei diesem Kurs bleibt. Aber inzwischen mehren sich bereits die Stimmen, die auch kommende steuerliche Belastungen für Andere denn Reiche und Schwervermögende voraussehen. So wird zwar, im Rahmen der aktuellen Beschlüsse, die unter Präsident Nicolas Sarkozy im Handstreich im Januar/Februar 2012 beschlossene Mehrwertsteuer-Erhöhung (die so genannte ,TVA sociale, oder ,TVA anti-délocalisation = „Mehrwertsteuer gegen Produktionsauslagerungen“) abgeschafft. Diese sollte, laut dem damaligen offiziellen Diskurs, einheimische gegenüber Importprodukten favorisieren und dadurch nationale Unternehmen mitsamt Arbeitsplätzen begünstigen. Nach diesen Plänen wäre die Mehrwertsteuer (TVA) nunmehr ab 01. Oktober dieses Jahres von bislang 19,6 Prozent auf 21,2 Prozent angehoben worden. Dieser Beschluss wurde nun wieder abgeschafft. Doch werden gleichzeitig an führender Stelle offenbar Überlegungen angestellt, entweder die Mehrwertsteuer zwecks Eindämmung des Haushaltsdefizits nun doch anzuheben, oder aber dieAllgemeine Sozialabgabe“ (CSG) zu erhöhen. Letztere ist eine pauschale Abgabe, die nicht proportional zur Einkommenshöhe wächst, sondern unabhängig vom Einkommen in stabiler Höhe bleibt. Zu den Besonderheiten der CSG gehört ferner, dass sie nicht nur von Lohnabhängigen, sondern neben Personen, die von Finanzeinkünften wie etwa Mieteinkommen leben – ferner auch von einem Teil der Arbeitslosen und von Rentner/inne/n bezahlt werden muss. Eine solche Maßnahme wäre also ausgesprochen „unpopulär“, um nicht zu sagen: anti-sozial. Der Rechnungshof stellt in Aussicht, dass Frankreich, soll es seine finanzpolitischen „Verpflichtungen“ einhalten, „mindestens vorübergehend“ in 2013 entweder die Mehrwertsteuer oder die CSG anheben müsse; vgl. http://lci.tf1.fr/economie

Post scriptum zur Steuerpolitik: A propos internationale „Steuerkonkurrenz“: Die oberste britische Kanal-Ratte, pardon: der britische Premierminister David Cameron war sich nicht zu schade, in der vorletzten Juni-Woche (am Rande des G20-Gipfels im mexikanischen Los Cabos) französische Unternehmen dazu aufzufordern, sich der drohenden schröcklichen Steuerlast durch Flucht auf die Insel und Ansiedlung in Großbritannien zu entziehen. Vgl. http://www.lefigaro.fr/impots und http://lci.tf1.fr/economiesowie die spätere Relativierung der Äußerung: http://www.lemonde.fr

Mindestens einen Verbündeten unter den Gutverdienenden weist Präsident Hollande in dieser Sache jedoch auf. Der frühere Fußballstar Zinedine Zidane erklärte am vorletzten Donnerstag (21. Juni 12), es „störe (ihn) nicht, Steuern zu zahlen“; vgl. http://www.20minutes.fr/ oder http://www.lemonde.frÄhnlich äußerte sich am Tag zuvor auch der frühere Tennisprofi und Sänger Yannick Noah.

Abbau im öffentlichen Dienst

Am vergangenen Donnerstag (28.06.12) wurde jedoch ebenfalls bekannt, dass der sozialdemokratische Premierminister Jean-Marc Ayrault den öffentlich Bediensteten einen drastischen Sparkurs verordnet (vgl. http://actu.orange.fr/ )

Zwar soll es bei dem im Wahlkampf getätigten Versprechen bleiben, 60.000 Stellen im öffentlichen Schulwesen wieder einzurichten, nachdem die rechte Vorgängerregierung allein in den fünf Amtsjahren Nicolas Sarkozy über 80.000 vernichtet hatte – und in den Jahren von 2002 bis 2007, unter Jacques Chirac, weitere Zehntausende. Dieses Versprechen kann die jetzige Regierung nicht umgehen, da François Hollande sich mit ihm profiliert hatte: Seine Ankündigung vom 09. September 2011 in dieser Sache war dazu bestimmt, ihm Aufmerksamkeit und den Sieg bei den innerparteilichen Urwahlen (élections primaires) über die Präsidentschaftskandidatur vom 09. und 16. Oktober 11 zu verschaffen. Auch vor diesem Hintergrund war es Hollande gelungen, sich unter den insgesamt sechs Anwärter/inne/n auf die sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatur durchzusetzen.

Aber insgesamt soll es keine zusätzlichen öffentlichen Bediensteten geben, in der Gesamtschau aller Sektoren: von Polizei und Gefängniswärtern über Justiz und Lehrer/innen bis hin zum Krankenhauspersonal.

Neben dem Schulwesen werden dabei auch Polizei, Gendarmerie (in Frankreich untersteht Erstere dem Innen-, die Letztgenannte dem Verteidigungsministerium) und Justiz zu „geschützten“ Bereichen erhoben, die von Stellenabbau in den kommenden Jahren nicht betroffen sein sollen. Dies bedeutet jedoch, dass in allen anderen Bereichen des öffentlichen Diensts nun ein umso härterer Kurs des Stellenabbaus eingeschlagen wird – statt, wie unter Nicolas Sarkozy, „nur“ 50 % der (altersbedingten und sonstigen) Abgänge sollen in einigen Bereichen sogar zwei Drittel nicht durch Einstellungen ersetzt werden. Insgesamt sollen in allen Bereichen mit Ausnahme der drei „prioritären“ Sektoren (Schulwesen, Polizei/Gendarmerie, Justiz) im Zeitraum von 2013-2015 nun also 2,5 % abgebaut werden; vgl. dazu http://www.lefigaro.fr - Arbeits- & Sozialminister Michel Sapin will sich jedoch gegen den Vorwurf verwehren, es handele sich um einen „Aderlass“, vgl. http://www.lemonde.fr/ Ex-Außenminister Alain Juppé, welcher als einer der möglichen künftigen Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur der konservativ-wirtschaftliberalen UMP für 2016/17 gilt, kommentierte dazu am Freitag früh (29. Juni 12) auf ,Radio France Inter‘ hämisch: „Jene, die mit einer ,Veränderung jetzt‘ rechneten (Anm.: ,Le changement maintenant‘, so lautete der Hauptslogan von Präsidentschaftskandidat François Hollande im Wahlkampf), erleben ein ziemlich anderes Erwachen.“

Kassensturz-Bericht des Rechnungshofs

Am heutigen Montag früh (02. Juli 12) publizierte nun die Cour des comptes, also der französische Rechnungshof, ihren Audit-Report. Also ihren Untersuchungsbericht zur finanziellen Situation und Kassenlage des französischen Staates, den die Regierung nach ihrer Einsetzung Mitte Mai 12 – infolge des Wahlsiegs François Hollandes bei der Präsidentschaftswahl - bestellt hatte. Normalerweise hätte der Report bereits vergangene Woche veröffentlicht werden können/sollen; seine Vorstellung wurde jedoch verschoben, um diese nicht mitten in den EU-Gipfel in Brüssel vom 28./29. Juni 12 hineinplatzen zu lassen.

Der 250seitige Audit-Bericht spricht davon, dass sechs bis acht Milliarden Euro Finanzierung für die Vorhaben der amtierenden Regierung fehlten, sofern das für dieses Jahr anvisierte Haushaltsziel – mit einem Budgetdefizit von maximal 4,5 % im Staatshaushalt – erreicht werden soll. Der sozialliberale, amtierende Finanzminister Pierre Moscovici beschwerte sich deswegen schon am Sonntag (01. Juli), die konservativ-wirtschaftsliberale Vorgängerregierung habe „keinen Finger gekrümmt“ in punkto Schuldenreduzierung und Abbau der Staatsausgaben, vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/ (rien foutre = ungefähr „keinen Finger rühren“). Laut Angaben des Haushaltsministeriums, das derzeit durch den Sozialdemokraten Jérôme Cahuzac geführt wird und für Budgetplanung sowie Steuerplanung zuständig ist, entsprechen rund 1,5 Milliarden des voraussichtlichen Defizits ungdeckten Ausgaben der Vorgängerregierung. Dazu zählen so unterschiedliche Haushaltsposen wie die im beginnenden Wahlkampf verabschiedete Einführung eines zehnten Jahresmonats Stipendium für Studierende (da die Hochschulferien nicht zum Stipendienempfang berechtigten, wurden bislang nur neun Monate im Jahr ausgezahlt), die ebenfalls mit Wahlkampfzwecken zusammenhängende Weihnachts-Sonderzahlung für Sozialhilfeempfänger/innen vom Jahresende 2011. Aber auch ungedeckte Militärausgaben oder angekündigte Prämien für französische Medaillengewinner/innen bei den bevorstehenden Olympischen Spielen sowie Abgabensenkungen für Landwirte. (Vgl. Libération vom 02.07.12) Im Rundfunksender Radio France Inter spielte der frühere Haushaltsminister Eric Woerth Amtsvorgänger Jérôme Cahuzacs unter der konservativ-wirtschaftsliberalen Vorgängerregierung, welcher Ende 2010 über einen massiven Korruptionsskandal stolperte – die „ungedeckten Ausgaben“ der alten Rechtsregierung jedoch herunter: Es sei normal, dass man zum Jahresbeginn nie wisse, wie viele Ausgaben (etwa für Militäroperationen) im laufenden Jahr anstünden, und dass man deswegen nachjustiere. Dies dürfte allerdings der zu erwartenden Kritik der Rechten über die „Verantwortungslosigkeit der Sozialisten beim Geldausgaben“ vielleicht ein bisschen den Mund stopfen.

Doch für das kommende Jahr 2013 entdeckt der Rechnungshof sogar 33 Milliarden unfinanzierter Ausgabenpläne. Um zusätzlich das Haushaltsdefizit in das, durch den EU-Vertrag von Maastricht sowie zuletzt durch die jüngsten EU-Beschlüsse, geforderte Limit von drei Prozent des jährlichen Budgets zurückkehren zu lassen, fordert der Rechnungshof für 2013 sogar eine Absenkung der Ausgaben durch die öffentlichen Hand um satte 40 Milliarden Euro. Vgl. dazu http://www.lefigaro.fr/- Dazu fordert der Präsident des Rechnungshofs, Didier Migaud, explizit eine Verringerung der Zahl der öffentlichen Bediensteten oder, alternativ, Einschnitte bei ihren Löhnen bzw. Gehältern (mindestens durch ausbleibenden Preisausgleich); vgl. http://www.lefigaro.fr

Laut Darstellung in staatstragenden Medien, wie der (seit dem Amtsantritt von Präsident Hollande und Premierminister Ayrault nunmehr regierungsnahen) Pariser Abendzeitung Le Monde, macht dieses Dokument „eine Austeritätspolitik unausweichlich“ . Vgl. dazu den Artikel mit einschlägiger Überschrift: http://www.lemonde.fr/

Anmerkungen

1 Und dies ist noch gar nichts: Im Mai 1968, bei der Verhandlungsrunde im Arbeitsministerium in der rue de Grenelle vom 27. Mai 68, schlug eine damals reichlich verängstigte „Arbeitgeber“schaft von sich aus eine Erhöhung des damaligen SMIG (er schrieb sich damals noch mit „g“, für „garantiert“) um 35 % vor. Die CGT-Spitze hatte zuvor am Verhandlungstisch 30 % fordern wollen…

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.