Texte  zur antikapitalistischen Organisations- und Programmdebatte

07-2012

trend
onlinezeitung

 

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011/12 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Der Berg kreiste und gebar eine (reformistische) Maus
Ein Kommentar zur Version 2.0 des Bochumer „Programms“ (BP) von Karl-Heinz Schubert

Im letzten Monat verlautbarte Robert Schlosser  in seinem Artikel "Bochumer Programm: Gibt es was zu verbessern?"l, was am sogenannten Bochumer Programm (BP) überholungsbedürftig sei. Er formulierte zu diesem Zweck eine Auswahl aus den öffentlich von Dritten erhobenen Kritikpunkten am BP, die seiner Meinung nach im nächsten BP-Relaunch abgearbeitet sein sollten: Staatsschulden, Wohnungsfrage, Streikrecht, Bildungsfrage, MigrantInnenfrage, Militarismus/Bundeswehr.

Gestern am 14. 7.2012 wurde nun die Version 2.0 der BP im Marx-Forum vorgestellt,  erarbeitet von Robert Schlosser, Wal Buchenberg und zwei weiteren AutorInnen des BP, die sich extra dafür persönlich getroffen hatten. Gemessen an Schlossers o.a. jüngsten Statement ist festzustellen, dass der Berg kreiste und eine Maus gebar.

Version 2.0 unterscheidet sich von der Erstfassung, die ohnehin nur ein willkürlich zusammengestellter Forderungsflickenteppich in marxo-syndikalistischer Lesart war, auf den ersten Blick gar nicht. Folgende Änderungen lassen sich schließlich finden:

Zunächst wird in den alten Text eingeflochten, dass an der klassenunspezifischen „Demokratisierung“ alle Leute „unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer ethnischen Herkunft“ teilhaben sollen, womit die MigrantInnenfrage programmatisch bei den „BocherumerInnen“ als erledigt angesehen werden darf.

Eine weitere Textveränderung findet sich im dem Abschnitt über Reformen. Jetzt sollen Reformen nur noch „lindern“ und nicht mehr  „ körperlichen und psychischen Ruin verhindern“. Unsere BochumerInnen wollen ab jetzt nur noch für Reformen kämpfen, die uns Werktätigen „die Möglichkeit geben, die Bedingungen unseres Lebens und unserer Arbeit zunehmend selbst zu gestalten.“

Tatsächlich neu hinzugekommen ist aus den Kritiken am BP die NATO-Austrittsforderung.

Entschlackt wurde die gewerkschaftliche Streikrechtsforderung, indem Rede- und Organisationsfreiheit als Forderungen gestrichen wurden. Mit einer Forderung nach dem politischen Streikrecht, wie sie in der BRD-Gewerkschaftsbewegung – auch im Sinne einer Gleichstellung zu anderen EU-Ländern – erhoben wird, hatten die BochumerInnen schon vorher nichts am Hut.

Sprachlich verändert wurde die Forderung zum Umgang mit „betrieblichen Daten“. Die urprüngliche Forderung nach „Zugang“ zu diesen Daten wurde in eine Öffentlichkeitsforderung abgewandelt, ohne jedoch die völlig widersinnige Einschränkung auf die „Unternehmensangehörigen“ aufzugeben. Bekanntlich gehören LeiharbeiterInnen sowie outgesourcte KollegInnen nach geltender Rechtsauffassung nicht  zum Unternehmen. Diese KollegInnen können dann im Sinne der Bochumer Programm-Logik nur darauf hoffen, dass ein mutiger DGB-Betriebsrat ihnen „illegal“ Firmendaten zukommen lässt.

Eine sprachlich kleine, aber dafür gravierende Veränderung bedeutet, die Ersetzung der Formulierung „Einheitliche Ausbildung in Theorie und Praxis“ durch „einheitlich polytechnische Bildung“. Wenngleich auch Karl Marx in seinen Instruktionen an die Delegierten des Zentralsrat der IAA 1867 die „polytechnische Ausbildung“ empfiehlt (MEW, 16/193ff), so darf nicht übersehen werden, dass sie für ihn unter den damaligen historischen Bedingungen nur die Ergänzung zur geistigen und körperlichen Erziehung darstellte. Bezeichnenderweise finden sich dererlei polit-praktische Vorschläge in seiner grundsätzlichen Kritik am 1875er SPD-Programm (MEW 19/ 13-32) nicht. Auf der anderen Seite bildete in den realsozialistischen Staaten die polytechnische Bildung  im Anschluß an N. Krupskaja später das Herzstück der staatlichen „kommunistischen“ Erziehung.

Von daher ist es völlig unklar, welches Verständnis von polytechnischer Bildung der Aufnahme dieses Begriffes in die Version 2.0 des BP den “BochumerInnen” zugrundeliegt. Da sich die ProgrammschreiberInnen in früheren Erläuterung des BP’s auf die IAA bezogen haben, dürfte es sich wohl um die erstere Variante handeln. Dem wäre dann mit den Argumenten der GAM-GenossInnen entgegen zu halten: „Die Kontrolle durch die Arbeiterbewegung sowie die Forderung nach einer allgemeinen polytechnischen Schule sind letztlich mit dem kapitalistischen System unvereinbar, weil „Bildung“, d.h. die Aneignung für die Reproduktion der Klassen notwendigen Bildungs- und Ausbildungsinhalte, immer privat, als Moment der Reproduktion der Ware Arbeitskraft, organisiert werden muss und daher nie bewusst gesellschaftlich organisiert sein kann.“ (GAM-Aktionsprogramm 2011).

Insofern müssen sich die BochumerInnen zurechnen lassen, dass diese Forderung sie in die Nähe der Linkspartei rückt, für die deren bildungspolitische Bundesprecher Rosemarie Hein ebenfalls die Einführung der polytechnischen Bildung im Hier und Jetzt fordert und dabei klar erkennt: „Sie ist jedoch keinesfalls ohne das lebhafte Engagement von Lehrerinnen und Lehrern, Unternehmerinnen und Unternehmern zu haben.“ Polytechnische Bildung als Reformansatz für Allgemeinbildung – Eine Skizze – Magdeburg 09.01.200.

Kurzum: Hier gebar der Bochumer Berg eine kleine reformistische Maus.

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Eine ausführliche Kritik am Bochumer „Programm“ es gibt von mir bei TREND Onlinezeitung:

  • Schnellschüsse
    Thesen zum „Bochumer Programm“ – Teil 1: Die Aktionslosungen
  • Marxo-Syndikalismus
    Thesen zum „Bochumer Programm“ – Teil 2: Die “beigefügten” Prinzipien