Editorial
Ungelöst

von Karl-Heinz Schubert

07/2018

trend
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Der Berliner Tagesspiegel vom 2. Juli 2018 untertitelte seinen  Bericht über die Senatsklausur  "Der Wohnungsneubau kommt nicht voran" und lieferte dazu folgende Zahlen:  

"Es geht um 14 Großsiedlungen mit insgesamt 41.940 Wohnungen, von der Wasserstadt Oberhavel über den Blankenburger Süden bis Johannisthal und Lichterfelde-Süd...Bis einschließlich 2021 rechnet Lompscher mit dem Baubeginn für 19.860 Wohnungen, von 2022 bis 2026 sollen weitere 11.130 hinzukommen und ab 2026 könnte der Bau der restlichen 10.950 Wohnungen starten."

Für dieses Scheitern sogenannter "linker" Wohnungspolitik - bekanntlich ist die Linkspartei für dieses Senatsressort zuständig - lieferte die Berliner Mietergemeinschaft in ihrer Juliausgabe des Mieterechos eine strukturell ökonomische Erklärung:

"Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sind stärker der betriebswirtschaftlichen Logik als der sozialen Wohnungsversorgung verpflichtet und agieren mit einigen Einschränkungen wie private Wohnungsunternehmen."

Im Mai 2018 fand von den Posttrotzkist*innen des Marx21-Netzwerks, die fraktionell in der Linkspartei arbeiten, wieder ein "Marx is muss"-Kongress statt. Drei  thematische Schwerpunkte - 50 Jahre 1968, Kampf gegen rechts und 200 Jahre Karl Marx - sollte der diesjährige Kongress haben.

Werner Szybalski nahm dieses Meeting zum Anlass, um dort seine kommunalpolitische Broschüre "Kapitalismus kommunal angreifen" zur Überwindung des Kapitalismus in die Debatte einzubringen. Gleichzeitig schickte er uns ein Exemplar der Broschüre zum Abdruck. Wir nahmen seine Schrift mit Interesse entgegen, nicht nur um sie bekannter zu machen, sondern weil wir angesichts der Hilfslosigkeit der sozialdemokratischen "Links"partei, erfahren wollten, wie Linke, die in diesem sozialdemokratischen Wahlverein politisch unterwegs sind, sich die Lösung zentraler kommunaler Fragen - wie eben auch die der Wohnraumversorgung - vorstellen.

"Kapitalismus kommunal angreifen" ist mehr als nur eine Handreichung für kommunale Tagespolitik. Es ist vor allem eine Sammlung von programmatischen Bekenntnissen, die sehr stark an David Harveys stadtpolitisches Konzept erinnert, das darin gipfelt, dass sich die antikapitalistisch basisdemokratisch transformierten Städte zu einem Städtebund zusammenschließen. Werner Szybalski nennt es Region, deren Vielzahl dann den antikapitalistischen Unterbau der EU bilden soll. In der Wohnungsfrage bietet er statt Verkauf die Erbpacht von staatliche Grundstücke als Königsweg an, wenn das Kapital diese erwerben und verwerten will. Hier gibt es erhebliche Zweifel an dem vermeintlich antikapitalistischen Charakter dieses Verwertungskonzept (siehe dazu: "Kapitalverwertung im Retrolook")

Werner Szybalski Programm erinnert auch ein wenig an die politischen Ansprüche, die die "Bochumer" vor Jahren an ihr Programm knüpften. Siehe dazu die entsprechenden Stellungnahmen im Kontext der sogenannten NaO-Debatte.

Dass die wohnungspolitische Wirklichkeit und die sie bestimmenden Eigentumsformen in der  BRD ein komplexes ökonomisches Prozessgebilde ergeben, eingebettet in internationale Verwertungstrukturen, kann in dieser Ausgabe in einem Text von Heinz-J. Bontrup "Grundrente, Wohnungseigentum und Wohnungsmarktspekulation"  anschaulich nachvollzogen werden.

Die Wirklichkeit ist leider doch erheblich komplexer als der Subtext solcher Programme glauben machen will.

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Kämpfe um Wohnraum, mietenpolitische Aktivitäten und staatsbürgerliches Engagement für Volksentscheide haben natürlich Konjunktur, wenn sich Betroffene zurecht wehren aber gleichzeitig hoffen, die Wohnungsfrage ohne Aufhebung des Kapitalismus (für sich) lösen zu können. Sie wird eine ungelöste bleiben, solange Privateigentum an Produktionsmitteln - mit staatlicher Macht und Herrschaft verbunden - gesellschaftliche Arbeit und Verteilung bestimmt.

Das Kämpfe um Produktions- und Reproduktionsbedingungen zum Geschäftsbetrieb des Kapitalismus gehören und nicht zu seiner Aufhebung führen, solange die lohnabhängigen Massen weder Organisation noch Plan zu seinem Sturz haben, ist leider eine Binsenwahrheit. Sehr eindringlich nachzuvollziehen an Bernard Schmids Bericht aus Frankreich "Am Ende der Fahnenstange des Sozialprotests vom Frühjahr/Frühsommer 2018".

So kann es nicht bleiben, dachten zahlreiche ehemalige Genoss*innen und Funktionär*innen der DKP und gründeten die Kommunistische Organisation (KO). Wir dokumentieren ihre Gründungsdokumente und sind gespannt, wie sie die Einheit der Klassenlinken in der BRD herstellen wollen. Ob sie sich in endlosen Theoriediskussionen verzetteln oder ob sie bündnisbereit an den Klassenkämpfen teilnehmen, um dort ihre Theorien durch die Praxis zu prüfen und ggf. in Teilen zu verändern.

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Ein wenig Statistik zum Schluss

Quelle am 2.7.2018
https://www.alexa.com/topsites/category/World/Deutsch/Medien/Alternative_Medien