Editorial
Im Sommerloch

von Karl Mueller

08/2018

trend
onlinezeitung

Am 1. Juni begann wie jedes Jahr für die Meteorolog*innen klimatologisch der Sommer. Ab diesem Zeitpunkt konnte von einem "Sommerloch" allerdings nicht die Rede sein, worunter Journalist*innen gemeinhin ein Nachrichtenloch verstehen, das entsteht, weil die Großkopferten aus Politik und Wirtschaft sich im Sommerurlaub befinden. Bevor es jedoch in diesem Jahr in den Urlaub ging, mussten Seehofer und Merkel nämlich noch die  Politburleske aufführen,  Deutschland geht unter, wenn die CDU/CSU/SPD-Regierung wegen einer weiteren Verschärfung der Zuwanderungsbedingungen implodiert. Die Grünen witterten Morgenluft und boten sich erneut für bundesdeutsche Regierungszwecke an, um an Staatsraison zu retten, was ihrer Meinung nach gerettet werden sollte. Dies erwies sich als glatte Fehleinschätzung, denn eine Burleske  lebt von grotesker Komik und vulgärer Sprache. Der Inhalt ist hingegen nachrangig. So war es auch hier, die Zuwanderungsbedingungen sollten verschärft werden, da waren sich alle Schausteller*innen einig. Ihre Zusammenarbeit stand nie auf dem Spiel. Und pünktlich zur Fußball-WM war ihre derb-lustige und provokative Bühnenshow zu Ende.

Obwohl die bundesdeutsche Nationalmannschaft die leichteste Vorrundengruppe erwischt hatte, war das nationalistische Spektakel WM entgegen aller Vermutungen für den viermaligen Weltmeister bereits am 27. Juni in der Vorrunde  zu Ende war. Dieser Umstand erzeugte ein neues Nachrichtenhoch, das sich alsbald als politisch anschlußfähig zur gerade beendeten CDU/CSU/SPD-Bühnenshow erwies.

Mesut Özil - eine sportliche Kronjuwele der bundesdeutschen Nationalmannschaft, der seit 2010 regelmäßig Dates mit dem faschistoiden türkischen Präsidenten Erdogan hatte, ließ es sich auch vor der WM nicht nehmen, "seinen" Präsidenten zu einem gemeinsamen Fotoshooting am 13.5.2018 in London zu treffen, wo auch Gündogan ein weiterer bundesdeutscher Nationalspieler teilnahm. Verständlich, denn Erdogan befand sich in einem Wahlkampf, dessen Ausgang für ihn zu diesem Zeitpunkt ungewiss war. Da musste geholfen werden. Für BRD-Rechte und Nationalist*innen jeglicher Couleur war dieses Treffen natürlich eine Steilvorlage, ihren rassistischen Dreck in den sogenannten "sozialen" Medien auszukotzen.

Nachdem das bundesdeutsche Team gescheitert war, sollte es nicht lange dauern, bis die Boulevardpresse sich dieses Rassismus "kritisch" annahm, um daraus das Argument zu basteln, dass das Scheitern irgendwie mit dem Özil-Erdogan-Meeting zu tun habe. Ähnliche Verlautbarungen kamen auch aus dem Reihen des DFB. Schließlich wurden noch empirische Untersuchungen jüngeren Datums aufgespürt, womit eine in der BRD "bröckelnde Integration" wissenschaftlich belegt werden sollte. Dadurch wurden Özil und Gündogan  sozusagen zu Akteuren in einem mutmaßlich gesellschaftlichen Zersetzungsprozesses stigmatisiert. Es schien höchste Zeit zu sein, dass das von Seehofer geführte bundesdeutsche "Heimatministerium" mit der Arbeit beginnt.

Da platzte dem Özil, der sich seit dem Fotoshooting zu seinem "Fall" ausgeschwiegen hatte, der Kragen. Am 22. Juli trat er aus der Fußballnationalmannschaft aus und veröffentlichte eine dreiteiligen Erklärung. Darin erzählt er von Respekt und zwei Herzen in der Brust und dass er es nun endgültig Leid sei, ständig rassistisch gemobbt zu werden. Infolgedessen entstand bereits am 25. Juli eine #MeTwo Initiative Alltagsrassismus, wo allein in den ersten drei Tagen über 50.000 Postings eintrafen. Vom Sommerloch - trotz 30 Grad im Schatten und mehr - also keine Spur.

Bei dieser in den bürgerlichen Medien kontinuierlich ausufernden Debatte über Rassismus im Alltag wollte auch die Linke natürlich nicht daneben stehen, sondern meldete sich mit entsprechenden Kommentaren zu Wort. Wir dokumentieren in unserer Ausgabe den "offenen Brief" von Deniz Naki , einem deutsch-türkischer Fußballspieler kurdischer Abstammung, der am 30. Januar 2018  wegen angeblicher „Diskriminierung und ideologische Propaganda“  vom Disziplinarrat der türkischen Fußballföderation (TFF) lebenslang in der Türkei gesperrt wurde.

Anders sah es mit den Nachrichtenlöchern auf lokaler bzw. regionaler Ebene aus. Diese Löcher lassen sich grundsätzlich bundesweit nicht zeitgleich vereinheitlichen, sondern die länderspezifische Ferienregelung schafft hier eine gewisse Heterogenität. In Berlin und Brandenburg begannen dieses Jahr die Sommerferien noch während der WM am 5. Juli.2018. So richtig dünnte der "Lokalteil" der Tagesspresse allerdings erst nach dem Ende der WM am 15. Juli aus. Der Berliner Tagesspiegel z.B. musste  deshalb in seiner Wochenendausgabe vom 21. Juli (Özil war noch nicht zurückgetreten) seine Berlinseite mit einem echten Ladenhüter füllen. Auf zwei vollen Seiten - ohne Reklame(!), dafür mit einem riesigen aussagelosen Foto - kümmerte sich Hannes Soltau um "Selbstzerfleischung und Selbstüberschätzung, Pathos, Phrasen, Zersplitterung und Gewalt" der "Mosaiklinken". Soltau, Volontär des Tagesspiegel mit einem Master in "Kulturen der Aufklärung", zuvor Jungle World-Autor, holte sich dafür sechs Leute in den Zeitzeugenstand. Eine "Friedensaktivistin", die schon als junge Frau mit der SEW für den Frieden unterwegs gewesen war; eine "Blockupy-Sprecherin"; ein "68er", der jetzt bei Attack ist; eine "Feministin" in ihrem sechsten Lebensjahrzehnt, für die Marx und Sex zusammengehören, ein "Theaterautor", der nicht mehr an den Kommunismus glaubt und ein "Antideutscher" mit DDR-Vergangenheit, der Gruppensprecher der Antideutschen Aktion Berlin ist.

Die Gespräche mit diesen Leuten inspirierten Soltau offensichtlich zur Abfassung von drei politischen Vorschlägen an die Mosaiklinke". Zunächst sollten diese laut Soltau die "Errungenschaften der bürgerlich Gesellschaft" verteidigen und dann zur Heilung von "Wundstellen" die Arztrolle am gesellschaftlichen Krankenbett übernehmen. Beides könne - so Soltau - nur funktionieren, wenn die "Unbelehrbaren", die "DDR, RAF und Stalinismus verharmlosen", aus der "Mosaiklinken" ausgeschlossen werden. Dass die Gruppe "Jugendwiderstand" als Beispiel für diesen nur begrifflich konstruierten Zusammenhang genannt wird, ist an intellektueller Unredlichkeit (Blödheit) kaum zu toppen.

Am 24. Juli 2018 wurde in Berlin der jährliche Verfassungsschutzbericht des Bundes zur  "Unterrichtung und Aufklärung über verfassungsfeindliche Bestrebungen in Deutschland" vorgelegt, wobei nicht verabsäumt wurde, auf das Anwachsen des "Linksextremismus" hinzuweisen. In diesem Kontext liest sich Soltaus Artikel wie ein Beitrag zur Bekämpfung des Linksextremismus - natürlich in der dem Tagesspiegel eigentümlich seriösen Art und Weise. Dass die staatliche Bekämpfung des Linksextremismus in der Regel weniger diskursiv erfolgt, zeigen hingegen aktuell z.B. die Attacken gegen die MLPD oder die G20-Aktivist*innen.

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Ein journalistisches Sommerloch gab es bei TREND nicht, wie die vorliegende Ausgabe unter Beweis stellt:

Richard Albrecht philosophiert über Gerechtigkeit, Wolfgang Hoss formuliert Grundlinien für eine solidarische Warenproduktion, mit Bernard Schmid werfen wir einen Kennerblick auf die Ereignisse in Frankreich des letzten Monats, Max Brym hat uns das Wichtigste aus Kosova zusammengestellt.

Mit dem Berliner Extra Dienst erinnern wir wochengenau an die Ereignisse des Jahres 1968 und wiederentdecken in der Rubrik Texte zur Geschichte die Gründung der "43 Group" und ihren antifaschistischen Kampf in Großbritannien

Und noch ein wenig Statistik zum Schluss

Quelle am 2.8.2018
https://www.alexa.com/siteinfo/infopartisan.net