Editorial
Ein stinkender Leichnam

von Karl Mueller

10/2018

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"Wir müssen kämpfen für den Aufbau einer revolutionär-sozialistischen Massenarbeiterbewegung in Westdeutschland, in Westeuropa und in der ganzen Welt." Mit diesen Worten beendete Ernest Mandel von der trotzkistischen 4. Internationale am 15. Januar 1969 auf dem Teach-in im Audimax der westberliner Technischen Universität sein Referat zur Vorbereitung  der Demo am 18. Januar vor dem SPD-Haus in der Müllerstraße. Anlass der Demo war die Erinnerung an den 50. Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg und  Karl Liebknecht und an die reaktionäre Rolle der SPD seit 1914 und in der Novemberrevolution 1918/19.


Quelle: Die Rote Garde Westberlin

Der eigentliche Grund hingegen waren die jüngsten Erfahrungen der außerparlamentarischen Opposition(APO) mit der SPD, die sich 1966 an der CDU/CSU geführten Bundesregierung beteiligt hatte, um im Sommer 1968 die Notstandgesetzgebung verfassungrechtlich durchsetzen zu können - ein Gesetzespaket, das die Transformation der BRD in eine Militärdiktaktur rechtlich möglich macht. Die Durchsetzung dieser "NS-Gesetze" trotz einer breiten Protestwelle, die bis in die Betriebe reichte, zwang die APO sich der Organisationfrage zu stellen und ihre revolutionär-sozialistischen Ziele zu diskutieren.

Eine der Hauptparolen auf der Demo am 15. Januar 1919 war Rosa Luxemburgs Ausspruch "Die SPD ist nichts als ein stinkender Leichnam". Mit diesem Verdikt ist die SPD, die 1999 (zusammen mit den Grünen) erstmalig nach dem II. Weltkrieg wieder deutsche Truppen zu Kampfhandlungen ins Ausland schickte, nicht mehr zu beschreiben. Der SPD-Leichnam von 1968 enthielt zumindest noch die rudimentäre Vision einer sozialistischen Gesellschaft - wenn auch in der pervertierten Lesart des Godesberger Programms von 1959. Heute ist die SPD zu einer neoliberalen Klientelpartei verkommen, die dafür sorgt, den alten "Sozialstaat" BRD zu zertrümmern, um aus ihm einen "Gestaltungsstaat" für optimierte Kapitalverwertung zu formen.

Das Sozialstaatskonzept, womit Sozialdemokrat*innen gern Arzt am Krankenbett des Kapitalismus spielen, lebt in der Linkspartei weiter. Dem revisionistischen SED-Urschleim entwachsen, übernahm die PDS die in der BRD freigewordene Beschäftigungsposition der SPD und wurde zum heutigen Inbegriff von "Sozialdemokratie", als die letzten "echten" Sozialdemokrat*innen die SPD verließen und sich 2007 als WASG mit der PDS zur Partei "Die LINKE" zusammenschlossen. 

Anknüpfend an diese politische Stellenbeschreibung der Linkspartei  analysiert Willi Gettél in dieser Ausgabe pointiert den ideologischen Zustand dieser Partei als sozialdemokratisches Plagiat, das untot durch die BRD west.

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W.F. Haugs Aufsatz "Das Ende des hilflosen Antifaschismus" aus dem Jahre 1968 wandte sich gegen den Vorwurf des "Linksfaschismus", mit dem damals versucht wurde, Politik und Politikformen der APO zu diskreditieren. Dies erforderte eine grundsätzliche Stellungnahme zur Frage über den Zusammenhang von antifaschistischer und revolutionär-sozialistischer Politik. Haugs Antwort entstand damals auch unter dem Eindruck zunehmender Erfolge der NPD bei den Landtagswahlen 1967 und 1968, als die NPD in die Landtage von Bremen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg mit bis zu fast 10% der Stimmen einziehen konnte. Im Hinblick auf die Rolle der SPD in diesem Kontext lautete sein damaliges Resümee:

"Wenn diese Überlegungen zutreffen, dann ist antifaschistische Politik nur auf der Grundlage eines sozialistischen Bündnisses realisierbar. Gegen faschistische Gewalt hilft nur revolutionäre Gewalt."

Gewisse historische Parallelen zwischen heute und 1968 drängen sich gleichsam auf. Die nominelle SPD handelt wieder gemeinsam mit der CDU als soziale Charaktermaske des ideellen Gesamtkapitalisten, während  bei  Abwesenheit einer wirkmächtigen revolutionär-sozialistischen Bewegung wertkonservative und völkisch-faschistische Kräfte zusehends erstarken. Das sozialdemokratische Plagiat, Die LINKE, pflegt folgerichtig nur einen ethischen Antifaschismus und sorgt dafür, das die soziale Grundfrage - d.h. die Aufhebung des Kapitalismus - nicht zum Thema wird. 

Daraus ergibt sich für die revolutionäre Linke eine prekäre Situation. Zum einen müssen ökonomische Verteilungskämpfe nicht nur im Betrieb  sondern auch gegen verheerende Zustände im Reproduktionsbereich (Miete, Wohnen, Schule) geführt werden. Zum andern fehlt es an einer programmatischen Fassung der "konkreten Utopie"(Bloch) von einer nichtkapitalistischen Gesellschaft, worin sich das Alltagsdenken der Massen und ihre kollektiven Erfahrungen im Klassenkampf abbilden.  Solch einem Programm lägen sowohl Auswertungen des Scheiterns der sozialistischen Projekte als auch eine Klassenanalyse des Kapitalismus in seiner heutigen imperialistischen Etappe zugrunde.

Es gibt zwar Zirkel, die sich in diesem Sinne aufstellen, doch sie sind aber nur zu einem verschwindend geringen Teil mit den kämpferischen Teilen des Proletariats verbunden. Die meisten linken Zirkel sind allerdings nicht bereit, das selbstverschuldete Zirkelwesen zu überwinden oder fühlen sich sowieso unter dem sozialdemokratischen Dach der Linkspartei für ihre Zwecke gut aufgehoben. Infolgedessen findet auch kein gesellschaftlich wirksamer ideologischer Kampf um die Köpfe statt. Auch da nicht, wo sich Bündnisse wie im Antifa-Kampf bilden.

Mit dem Kampf um die Köpfe ist allerdings nicht gemeint, ethisch grundierten Bündnissen eine so genannte linke Ethik als die bessere vorzuhalten. Der ideologische Kampf - als eine der drei Seiten des Klassenkampfes - muss sich heute gegen die aktuellen Quellen der bürgerlichen Weltanschauung richten, um den Abfluss ihrer hybriden Substrate in das Massenbewusstsein zu be-/verhindern.

Zur Verdeutlichung: Im Sommer 2018 feierte das bürgerliche Feuilleton den Dichterpriester Stefan George anlässlich seines 150. Geburtstages. Dazu hieß es z.B. bei Cicero:  "Georgesche Essenz" sei die Triebkraft für Stauffenbergs Attentat auf Hitler gewesen. Solche Sichtweisen werden nicht von Journalisten erarbeitet, sondern wie das von über 150 Wissenschaftler*innen verfasste dreibändige Werk "Stefan George und sein Kreis" (2015) zeigt, dass sie es sind, die mit ihrer "Wissenschaft" dem Alltagsdenken ideologische Angebote verabreichen. In diesen Zusammenhängen entstehen dann Konstrukte, wie sie Manfred Riedel in seinem Buch "Geheimes Deutschland. Stefan George und die Brüder Stauffenberg"(2006) verabreicht, wo er das reaktionäre Gedankengut und den religiös grundierten Führerkult des Stefan George mithilfe dessen Chiffre "Geheimes Deutschland" in ein "geheimes europäisches Deutschland" umdeutet, um den "Westmächten" nach 1945 vorzuwerfen, sie hätten denen wie den Stauffenbergs die "Unterstützung" verweigert. Womit eine ideologische Schnittstelle zum völkischen Denken der AFD entsteht.

Übrigens von der so genannten linken Presse haben sich an der Einschätzung von Stefan George anläßlich seines 150. Geburtstages nur die neusozialdemokratischen Blätter "Neues Deutschland"(ND) und "Der Freitag" beteiligt. Das Neue Deutschland in besonders skandalöser Weise, indem  es George und seine Epigonen mit ihrer nationalistischen Fiktion vom "geheimen Deutschland"  auf sich selber zurückspiegelte:

"Der wichtigste Gedanke dabei ist wohl die Verlagerung des Vaterlandes aus dem Raum in die Zeit. Etwas von diesem Anspruch müssen auch die Gründer dieser Zeitung in sich getragen haben, als sie sie »Neues Deutschland« nannten - und damit einen Anspruch für die Zukunft formulierten."

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Und noch ein wenig Statistik zum Schluss

Quelle am 1.10.2018
https://www.alexa.com/siteinfo/infopartisan.net