Probleme der Linken  (TEIL VI)
Die "Interim" & Israel
Weitere Texte aus der Interim (Nr.557 und 558)
11/02
 
 
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INTERIM 557 / S. 13
Für die Intifada ist Gegen Israel!
Eine Reaktion auf das Papier "Naher Osten - Ferner Werten" (Interim 556)
Textauswahl Interim:

Das Papier versucht den Eindruck zu vermitteln, aus der Polarisierung zwischen Palästina- und Israel-Solidarität hinauskommen zu wollen, in Wirklichkeit bezieht es jedoch eindeutig Position, und zwar für die Intifada und damit gegen Israel!

Auch wenn man den Ansatz teilt, dass sich Israel aus den besetzten Gebieten zurückziehen muss, und dass es zwei unabhängige Staaten geben muss, gibt es kein Recht, die Intifada, die nun mal fast ausschließlich aus Selbstmordattentaten besteht, und deren Aktivisten beileibe nicht alle nur gegen bestimmtes Unrecht oder die Besatzung kämpfen, sondern viele auch - z.B. als Anhänger der Hamas - gegen die Existenz des israelischen Staates insgesamt, als rechtmäßigen „Widerstand" zu glorifizieren! (Möllemann lässt grüßen!)

Das tut der Text jedoch. Damit stellen die Autorinnen klar, wer für sie die Täter und wer die Opfer sind. Hier wird das bipolare Schwarz-Weiß-Denken reproduziert, gegen welches das Papier doch angeblich antreten will.

Noch ein paar Anmerkungen, zu weiteren Textstellen:

Wieso ist die israelische Regierung derzeit die entscheidende Kriegspartei? Diese einseitige Schuldzuweisung zeigt ebenfalls das polarisierte Denken der Autorinnen und verkennt völlig, dass der Terror der Intifada gegen unschuldige Zivilbevölkerung die andere Seite dieses „Krieges" ausmacht.

In dem Zitat von Gush Shalom im 5. Kapitel wird so getan, als wenn die Palästinenserinnen ausschließlich gegen israelisches Unrecht kämpfen würden, und dass sie automatisch aufhören würden, wenn das beseitigt wäre. Das ist Unfug. Es blendet den existenten Antisemitismus in der palästinensischen Gesellschaft aus. und dass Gruppen wie Hamas und Djihad immer wieder betonen, dass sie deshalb kämpfen, weil Israel von der Landkarte verschwinden soll.

Sowieso ist die ständige Instrumentalisierung von Uri Avnery und Moshe Zuckermann sehr ärgerlich. Mit solchen Zitaten versucht man, sich ein moralisches Mäntelchen umzuhängen, und alles Weitere vor dem Vorwurf antisemitisch zu sein, in Schutz zu nehmen. Ein Schutzschild für jede Kritik also. Das ist Herrschaftsrhetorik... Ob Eure Ansichten von Jüdinnen und Juden geteilt werden, sagt nichts darüber aus, wie sie zu bewerten sind!

Richtig und wichtig ist Eure Kritik an der Relativierung des Holocausts durch ständige historische Vergleiche - egal von welcher Seite! Aber es ist nicht genau dasselbe, ob Juden die antisemitischen Angriffe auf sie mit dem Holocaust vergleichen, oder ob Antisemiten die Politik Israels mit dem Holocaust vergleichen. Denn auch wenn die Ausmaße und die ganze Situation in beiden Fällen absolut nicht vergleichbar sind (und auch nicht verglichen werden sollten!!!), so ist im Fall antijüdischer Angriffe doch immerhin das Motiv ein vergleichbares: nämlich Antisemitismus.

Nicht ganz fair ist es, ein Zitat der Bahamas, die den Koran mit Mein Kampf verglichen haben, auf die gesamte israel-solidarische Linke zu übertragen. So argumentiert außer den Bahamas-Spinnern ja wohl niemand! Und das wisst Ihr!

Bei der Frage der Besetzung fällt auf. dass bei Eurer kurzen, historischen Aufarbeitung mit keinem Wort erwähnt wird. dass die ersten Siedlerinnen, die jüdischen PionierInnen, in Palästina, vor allem Sozialistinnen waren. Von der Kibbuz-Bewegung findet sich merkwürdigerweise KEIN Wort, und das. obwohl wir doch fortschrittliche Bezugspunkt? für linke Solidarität suchen, oder nicht? Warum ist das so? Soll hier etwa die gesamte Staatsgründung als zwar verständlich, aber eben doch Unrecht denunziert werden?

Wahrscheinlich, denn so liest sich auch der folgende Satz: „Historisch betrachtet war die zionistische Siedlungspolitik Unrecht". Seit wann urteilen wir mit Kategorien v^ie Recht und Unrecht darüber, wenn Menschen in ein anderes Land immigrieren, um sich dort niederzulassen. Ich dachte, das Recht auf Freies Fluten wäre eine Grundforderung von Linken. Historisch betrachtet war das Siedeln der Jüdinnen und Juden in der damaligen britischen Verwaltungszone überhaupt nicht auf Vertreibung anderer ausgerichtet und daher das gute Recht der jüdischen Migrantinnen! Und es stellt sich auch die Frage, was die „ideologischen Wurzeln dieser Besetzung" sein sollen, von denen Ihr da redet. Welche Verschwörungstheorie versteckt sich denn dahinter?

Recht habt Ihr, dass man vor lauter Warnen vor verkürzter Kapitalismuskritik nicht die Kapitalismuskritik vergessen darf! Und selbstverständlich ist nicht jedes Engagement gegen Kapitalismus, Konzerne und Globalisierung gleich „antiamerikanisch" und „antisemitisch"! Dennoch tut Ihr im Text so, als gebe es verkürzte und in der Konsequenz antisemitische Kapitalismuskritik von Links gar nicht, und das sei nur ein Problem von Nazis wie Horst Mahler. Ja wo lebt ihr denn? Macht mal die Augen auf! Gerade bei der Linken finden wir das sehr häufig und genau hier findet sich immer wieder eine Schnittmenge mit Rechts und ein Aktionsfeld für rot-braune Querfront.

Am Schluss des Papieres wird pathetisch die Solidarität mit allen fortschrittlichen Kräften gefordert. Schön und Gut und trotzdem Quatsch. Solidarität üben wir schließlich auch mit Flüchtlingen in Deutschland, die keine Linken sind. Müssen alle Jüdinnen und Juden Hippies werden, damit ihnen die Herzen der deutschen Linken zufliegen? Solidarität gilt es mit allen Opfern von antisemitischen Angriffen zu üben, egal ob sie Linke sind oder nicht!

Immerhin haben in Israel kritische Menschen die Möglichkeit, ihre Meinung zu veröffentlichen und auf die Straße zu tragen, und schließlich auch. Scharon wieder abzuwählen, während auf der anderen Seite regelmäßig Palästinenser gelyncht werden. denen man Kollaboration mit der israelischen Sache vorwirft. Sollte die Forderung an paläst. Seite nicht erst mal sein, überhaupt gewisse demokratische Levels einzuführen?

Zu guter letzt stellt sich die Frage, warum sich eigentlich die deutsche Linke gerade im Nahost-Konflikt so dringend einmischen muss, wie in dem Papier mehrmals betont wird. In anderen Konflikten auf dieser Welt tun wir das ja auch nicht. Wieso ist hier die Notwendigkeit sich zu verhalten so besonders groß?

Das Papier „Naher Osten - Ferner Westen" ist ein weiterer Beitrag aus der Reih.?, Texte, die nicht polemisch sind, und die sich als Diskussionspapier für eine linksradikale Debatte eignen. (Davon gibt es ja zum Glück doch immer mehr!) Mehr ist dieses Papier jedoch nicht. Es kommt nicht aus dem Freund-Feind-Denken heraus und es lebt von einem identitären Bekenntnisdrang zur palästinensischen Sache. Schade.

Ich und noch jemand, der neben mir sitzt
Anarchy for you and me!

INTERIM 557 / S. 14-20

Palästina. Israel. Solidarität?
Wider den Geschichtsrevisionismus II.

Dieser Text versteht sich als lose Fortführung des Artikels "Israel. Palästina. Deutsche Linke." aus Interim 550. Es geht um Anmerkungen zur aktuellen Debatte sowie eine kurze Replik auf das "Problem ist Antisemitismus" (Interim 550) und "Dem Geschichtsrevisionismus keinen Raum" (Interim 555).

Solidarität, die: [lat.-frz.], Zusammengehörigkeitsgefühl von Individuen und Gruppen bzw. Zustand, in dem sich eine Vielheit als Einheit verhält, wobei dieses Verhalten i.d.R. durch störende Eingriffe von außen motiviert ist. Neben den Formen der Solidarität der Gesinnung (Einheitsbewusstsein) und Solidarität des Handelns (gegenseitige Hilfsbereitschaft) gibt es die Interessenssolidarität, die lediglich durch sachlich begründete Interessensgleichheit in einer bestimmten Situation wirksam ist und nach dem Erreichen des gemeinsamen Ziels endet.

Wir sind eine gemischte Gruppe von Leuten mit einer linksradikalen Geschichte. Die meisten trieben sich die letzten zehn Jahre in autonomen Zusammenhängen herum und versuchten dort Sozialrevolutionäre und internationalistische Ansätze zu stärken. Unser Selbstverständnis ist der Kampf für eine bessere, "befreite" Gesellschaft. Wir versuchen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten gegen Unterdrückungsverhältnisse und -mechanismen im kleinen (lokalen wie persönlichen) ebenso wie im großen (internationaler Kontext) zur Wehr zu setzen. Unsere Solidarität gehört dabei selbstverständlich all jenen Gruppen und Individuen, die sich - wo auch immer - auf diesem Planeten - mit eben solcher Intention für ein besseres Leben und die Verwirklichung dieses Traums einsetzen. Das ist auch unsere Perspektive auf den Nahostkonflikt. Ein Staat hingegen, der foltert, mordet und aggressive Ziele verfolgt, gehört mit Sicherheit nicht dazu. Auch nicht wenn es sich um den jüdischen Staat handelt.

Wir sind solidarisch mit allen Israelis - ob jüdisch oder arabisch - die sich für Frieden und Verständigung, gegen Ausbeutung und Unterdrückung engagieren, ob individuell (im verborgenen) oder kollektiv, zusammengeschlossen in den zahlreichen Gruppen und Initiativen, die auch vor Konfrontationen mit der Staatsgewalt (also dem israelischen Militär oder Polizei) nicht zurückschrecken. Sie sind die Adressaten von linker, auch praktischer Solidarität.

Solidarisch mit einem Staat zu sein, und zwar einem quasi religiösen Gottesstaat, mit dezidiert rechtsradikalen Elementen in der Regierung und in der Vergangenheit wie Gegenwart immer wieder Ministerpräsidenten und Ministern, die getrost als Kriegsverbrecher bezeichnet werden können, finden wir befremdlich.

Wir haben uns im Verlauf der letzten Monate des öfteren gefragt, warum diese relativ einfache politische Positionierung von so vielen Linken in Frage gestellt und z.T. sogar als antisemitisch denunziert wird. Ein Grund - so unsere Annahme - ist ein unvollständiges, verklärtes und unpolitischen Israelbild. Die unüberlegte Übernahme von offiziellen israelischen Geschichtsmythen in linken Debatten, die oft irritierend selbstbewussten Darstellungen von historischem Teilwissen und die gebetsmühlen-artige Verknüpfung der Staatsgründung Israel mit der Shoa bestätigten unseren Verdacht. Deshalb haben wir uns entschieden, euch zu einen kleinen Ausflug in die Geschichte Israels und der Zionistischen Bewegung einzuladen. Dabei werden wir nicht einen vollständigen Überblick bieten können, aber wir werden uns ein paar Ereignisse ansehen, die nicht so recht in das offizielle Bild der Geschichte passen wollen. Es ist also ein Ausflug in die komplizierte Welt der Wirklichkeit.

Achtung Sie verlassen die einfache Sicherheit ideologisch abgeleiteter Vorstellungen! Bitte Loslassen!

Ja, Israel ist kein Staat wie alle anderen.

Wir befinden uns irgendwo in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Kapitalistische Produktionsverhältnisse setzen sich langsam durch und der Nationenbildungsprozess ist in vollem Gange - zumindest in Europa. Das Spiel selbst ist eigentlich ganz einfach: Ethnische, religiöse und einfach so erfundene historische Gemeinsamkeiten werden konstruiert und müssen als Begründung für einen eigenen Staat herhalten, die Bewohnerinnen der entsprechenden Gebiete werden zu einer nationalen Masse, dem Staatsvolk homogenisiert. Ein Nationalstaat für Jüdinnen konnte sich nicht wie andere auf ein bereits besiedeltes Gebiet beziehen. Aufgrund jahrhundertelanger Verfolgungen und Wanderungen waren jüdische Gemeinden in ganz Europa verstreut. Die frühe zionistische Parole "ein Land ohne Volk für das Volk ohne Land" spiegelt di'; • ses Dilemma wider. Für die Geburt Israels - als den jüdischen Nationalstaat - war die Idee des Zionismus notwendig. Er beruht auf drei Grundannahmen: 1. Die Jüdinnen sind ein Volk und nicht nur eine Religionsgemeinschaft. deshalb ist die Jüdinnenfrage eine nationale Frage. 2. Der Antisemitismus und die daraus resultierende Jüdinnenverfolgung stellen eine latente Gefahr für die Jüdinnen und Juden dar. Mit der industriellen Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen wurde Israel zu einer Existenzfrage. 3. Palästina [Erez Israel] war und ist die Heimat des jüdischen Volkes. Ziel der zionistischen Bewegung war Ende des 19. Jh. die Gründung einer "öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte" für das Judentum in Palästina; in der Bewegung ernsthaft diskutierte Alternativstandorte - etwa Uganda, Malta/Zypern und Argentinien - waren zwischenzeitlich verworfen worden.

Grob vereinfacht gesprochen: keine zionistische Bewegung/-besiedlung ohne die gescheitere Emanzipation der Jüdinnen Osteuropas, die Träger der ersten Ali-jahs (Einwanderungswellen) zwischen 1882 und 1923 waren. Insbesondere das durch die Pogrome entwurzelte jüdische Subproletariat Osteuropas war ein wesentlicher sozialer Träger der zionistischen Bewegung. Aber ebenso gilt: keine zionistische Bewegung ohne das nationale Klasseninteresse der jüdischen Ober- und Mittelschichten in Europa. Insbesondere die in Westeuropa etablierten und aufgestiegen jüdischen Ober- und Mittelschichten sahen in der Schaffung einer "jüdischen Heimstätte" einerseits ihre Chance auf koloniale Expansion und zugleich eine Versicherung vor der zu erwartenden Westwanderung von verarmten jüdischen Flüchtlingen aus Osteuropa. Kurzum der Zionismus muss sowohl als Vertreibungs- als auch als nationenbildende Eroberungsgeschichte angesehen werden (Verhandlungen der zionistischen Funktionäre mit fast allen europäischen Kolonialmächten und dem Osmanischen Reich belegen diese Tendenz). Eine einseitige Interpretation gelingt nur unter der Ausblendung der historischen und politischen Verhältnisse und verlässt damit den Pfad von linker Politikformulierung.

Nicht ganz unwichtig in diesem Kontext: Auf dem ersten Zionistenkongress 1897 in Basel (die ersten Siedlungen waren bereits errichtet) stieß dieser "Master-Plan" zur Besiedlung Palästinas bei den meisten assimilierten westeuropäischen Jüdinnen und den orthodoxen Jüdinnen ("nur der Messias ist befugt, die Juden ins gelobte Land zu führen") auf Ablehnung [noch heute spaltet sich das Verständnis von Israel in ein israelisches (auf einen Staat bezogen) und ein jüdisches (Heimstätte des weltweiten Jüdinnentums). Dagegen hatten die europäischen Großmächte angesichts ihrer damaligen Interessenlage in Nahost (Suezkanal, Indienroute) ein strategisches Interesse an einer Spaltung des arabischen Raumes. Eine jüdische Heimstätte würde dabei als Puffer zwischen dem Osmanischen Reich und Ägypten fungieren. Die zionistische Nationalbewegung entstand just zu einem Zeitpunkt, als sich der westliche Kolonialismus anschickte, die Welt in Einflusssphären aufzuteilen. Beide gingen eine Verbindung ein. Von Beginn der zionistischen Kolonisation an war das Ziel, eine jüdische Mehrheit in Palästina anzustreben. Eine der Strategien der zionistischen Bewegung, eine mögliche zukünftige Entscheidung über einen offiziellen jüdischen Staat durch die Schaffung vollendeter Tatsachen in ihrem Sinne zu beeinflussen, war dabei die Förderung einer jüdischen Einwanderung nach Palästina. Die Grenzverlaufe der erworbenen Ländereien samt darauf errichteter Siedlungen wurden beharrlich expandiert.

Dass die Entstehung des Staates Israel vor dem Hintergrund der Shoa betrachtet werden müsse (interim-Redaktion 550) ist so richtig und historisch belegt, wie sie verkürzt und historisch unwahr ist. Die Geschichte ist tatsächlich oft komplizierter als die ideologischen Vorstellungen/Projektionen. Deshalb an dieser Stelle ein kleiner Exkurs zur frühen zionistischen Besiedlung:

MANDATSZEIT

Wir befinden uns im Jahre 1917: der erste Weltkrieg liegt in den letzten Zügen, der bolschewistische Putsch in Petrograd geht als Oktoberrevolution in die Geschichte ein und die kolonialen Siegermächte teilen sich die Welt neu auf. Im Nahen Osten heißt der glückliche Sieger Großbritannien. Die Mandatschaft über Palästina wird vom Völkerbund an die Krone übertragen. Auch für die zionistische Bewegung sind damit die Karten neu gelegt. Insbesondere die früheren Versuche, dem türkischen Sultan einen jüdischen Staat vom osmanischen Reich abzuschwatzen sind hinfällig. Doch mit der neuen Kolonialmacht im nahen Osten wächst die Hoffnung für das zionistische Projekt: Mit der Balfour-Deklaration vom November 1917 sicherte Großbritannien "den zionistisch-jüdischen Bestrebungen (...) [zur] Schaffung einer nationalen jüdischen Heimstätte in Palästina" seine volle Unterstützung z'i.. Die britischen Kolonialisten lösten damit ihr Versprechen gegenüber der Zionistischen Organisation ein, das diese während des l. Weltkrieges an die britische Politik binden sollte. Ein gleichermaßen gegebenes Versprechen auf einen unabhängigen arabischen Staat wurde damit gebrochen. Die Politik des "teile und herrsche" ist Kennzeichen jeder Fremdherrschaft, so auch der britischen. Palästina, stand bis zu diesem Zeitpunkt noch unter Herrschaft des Osmanischen Reichs; es existierten inzwischen 53 zionistische Siedlungen auf etwa 6% der Fläche des Mandatsgebietes. Bereits Mitte der zwanziger Jahre, also wenige Jahre nach Beginn der britischen Mandatschaft, verfügte der Jischuv, die jüdische Gemeinschaft in Palästina, über ein (von Großbritannien gebilligtes) eigenes Staatswesen mit einer Verfassung, dem Nationalrat als Regierung, politischen Parteien, dem Allgemeinen Gewerkschaftsverband "Histadrut" (Prinzip: "hebräische=jüdische Arbeit"), Verwaltungsbezirken und Steuerhoheit, der Jewish Agency als außenpolitisches Vertretungsorgan und - diese allerdings illegal -eine nationale Militärorganisation, die Haganah. Innenpolitisch verloren bereits 1931 antimilitaristische und sozialistische Kräfte - z.B. Brit Shalom - die für einen binationalen arabischjüdischen Staat eintraten, gegenüber der Union der Zionisten-Revisionisten (aus jüdischsozialistischer Sicht eine "faschistische Bewegung") und anderen Radikalen an Einfluss. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen der Gewerkschaftsjugend und dem Bethar-Jugendverband; der Histadrut musste die Führung der Haganah abgeben. Besagte Kräfte traten für eine militante Politik gegenüber den Palästinensern ein, welche zunehmend Widerstand gegen die fortschreitende und nicht zimperliche Expansion des Jischuv auf ihre Kosten lieferten. Aus dem Umfeld der Revisionistischen Partei und der Haganah wurden dazu in den Folge Jahren diverse neue Militarorganisationen gebildet die mit Angriffen und Anschlägen auf die britische Mandatsverwaltung als auch auf arabische Zivilistinnen das zionistische Projekt der Besiedlung Palästinas militärisch unterstützten. (1931: Irgun Bet (B) [Irgun Zvai Le'umi = nationale Militärorganisation in Palästina]; 1938: Etzel [Zeva' Le'umi -organisierte beispielsweise bewaffnete Anschläge auf Palästinenser. (Kampfmethode: Schleudern von Handgranaten in arabische Menschenmengen]; 1940 Lehi: besser bekannt als Stern-Gruppe [Lochammei Herut Yisrael = Kämpfer für die Freiheit Israels - traten für ein Hebräisches Königreich vom Euphrat bis zum Nil ein]. 1937 - also auch noch vor der offenen Verfolgung und Vernichtung von Jüdinnen in Nazideutschland - stellte die britische "Peel-Kommission" fest, dass die Nationale Heimstätte das Stadium des Experiments hinter sich habe und zu einem "gut funktionierenden Unternehmen" geworden sei. Sie hob den durch die jüdische Einwanderung erzielten "Fortschritt" für das arabisch geprägte Land hervor. Jedoch seien die nationalen Bestrebungen der Jüdinnen und Araberinnen nicht miteinander vereinbar, daher wurde ein Teilungsplan in Aussicht gestellt, der gleichzeitig eine Begrenzung der jüdischen Einwanderung und' des Landerwerbs forderte. "Teilung bedeutet, dass kein Teil alles von dem erhält, was er wünscht. Sie bedeutet, dass die Araber es hinnehmen müssen, dass ein Teil des von ihnen lange bewohnten und einst beherrschten Territoriums ihrer Souveränität entzogen wird. Sie bedeutet, dass die Juden mit weniger als dem Land Israel, über das sie einst herrschten und über das wieder zu herrschen sie hofften, zufrieden sein müssen" (zit. nach Tophoven 1990: 26) Mit der Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüdinnen organisierten die zionistischen Organisationen die nach britischer Verordnung legale wie illegale Einwanderung nach Palästina, sie versuchten jedoch nicht, auch andere Fluchtorte für Jüdinnen und Juden auszumachen. David Ben Gurion, der später erste Ministerpräsident Israels schrieb im Dezember 1938 an die zionistische Executive: "Großbritannien versucht, das Problem der Flüchtlinge vom Problem Palästina zu trennen. Die Dimension des Flüchtlingsproblems erfordert eine sofortige, territoriale Lösung. Wenn Palästina sie nicht aufnimmt, dann ein anderes Land. Der Zionismus ist in Gefahr. Alle anderen territorialen Lösungen, die sicher scheitern werden, erfordern riesige Geldsummen. Wenn die Juden zwischen den Flüchtlingslagern, der Rettung von Juden vor den Konzentrationslagern, und der Unterstützung eines nationalen Museums in Palästina zu wählen haben, wird das Mitleid die Oberhand gewinnen und die gesamte Energie des Volkes darauf verwendet werden, Juden aus den verschiedenen Ländern zu retten. Der Zionismus wird nicht nur von der Tagesordnung in der Weltöffentlichkeit in Großbritannien und den USA verschwinden, sondern auch in der jüdischen Öffentlichkeit. Wenn wir eine Trennung zwischen dem Flüchtlingsproblem und dem Palästinaproblem zulassen, riskieren wir die Existenz des Zionismus." (zit. nach Hashash 1991: 57) Und im März 1940 stellte er auf einer Sitzung des Zionistischen Exekutivkomitees klar: "Ich bin nicht bereit, unsere Situation in Erez Israel mit dem Maßstab Nazi-Deutschlands oder irgendeinem anderen Land zu messen. Ich habe nur ein Maß und einen Aspekt - das zionistische Maß. Und unsere Situation und unsere Wege sind allein vom zionistischen Gesichtspunkt zu prüfen. Erez Israel ist nicht eines der Länder, in welchem es Juden gibt, und die Frage, was diesem oder jenem Juden geschehen wird, interessiert uns nicht. Die Probleme, die ein Jude in der deutschen oder selbst in der amerikanischen Diaspora hat, sind nicht unsere Probleme. Für die zionistische Konzeption ist nur eines von Bedeutung: Wird ein Problem die Überführung jüdischer Massen in das Land und ihre dortige Verwurzelung erleichtern und beschleunigen oder nicht. Nichts anderes ist von Bedeutung." (ders.: 55). Zum Teil wurden Bemühungen,' Jüdinnen vor der Vernichtung zu retten sogar offen kritisiert. So erklärte David Ben-Gurion zu einem Plan, tausende deutsche jüdische Kinder nach Großbritannien zu bringen und so vor dem Holocaust zu retten: "Wenn ich wüsste, dass es möglich wäre, alle Kinder in Deutschland zu retten, indem sie nach England gebracht werden, und nur die Hälfte von ihnen, indem sie nach (Israel) transportiert werden, so würde ich für die zweite Alternative optieren."
(zitiert nach Tim Wise bei  http://www.zmag.org/ZSustainers/ZDaily/2001-09/05wise.htm   deutsche Kurzfassung: http://members.aol.com/sozlmn/011903.htm )

Das heutige Verständnis von Israel als dem Schutzraum für die verfolgten Jüdinnen kam also in der Politik der israelischen Staatsgründungsgeneration nicht vor. Im Gegenteil: Überlebende der Shoa hatten es in der zionistisch geprägten Gesellschaft nicht leicht, Akzeptanz zu finden.

Anfang der vierziger Jahre verschlechterten sich die zuvor kooperativen Beziehungen zwischen dem Jischuv und der Mandatsmacht dramatisch. Großbritannien hatte - entgegen der früheren Versprechungen - (im sogenannten Weißbuch) 1939 erklärt, definitiv nur einen unabhängigen, gemeinsamen jüdisch-arabischen Staat binnen zehn Jahren zu schaffen und den jüdischen Bevölkerungsanteil auf ein ungefähres Verhältnis von 1:3 zur Gesamtbevölkerung zu regeln. Von den politischen Bestrebungen des Jischuv beunruhigt, versuchten sie .die Autorität seiner Institutionen zu begrenzen. Dies führte zum offenen Konflikt (Sprengstoffanschläge auf Regierungsbüros, Infrastruktur- und Militäreinrichtungen, Polizeistationen; Ermordung von Lord Moyne [British Minister of Middle East Affairs in Kairo] durch die Stern-Gruppe, Bombenanschlag auf das King-David-Hotel in Jerusalem [Sekretariat der Mandatsverwaltung und Hauptquartier] durch Etzel mit 91 Toten und 45 Verwundeten Briten, Juden und Arabern sowie repressivsten Gegenschlägen Großbritanniens inklusive Hinrichtungen und Deportationen]. Der Kampf der jüdischen Untergrundbewegungen war sowohl ein Antikolonialkrieg gegen die Briten als auch ein erneuter kolonialer Versuch, einen Staat gegen den Willen eines Volkes auf dessen Territorium zu etablieren. Hier wird auch noch einmal deutlich, dass die Geschichte keine gradlinige ideologische Erzählung ist. Zu den Widersprüchlichkeiten gehört eben auch, dass zeitgleich zur industriellen Vernichtung der Jüdinnen, zionistische Milizen Strukturen der anti-Hitlerkoalition militärisch angriffen.

STAATSGRÜNDUNG ISRAELS

Unser kleiner Ausflug führt uns vorbei am zerstörten Europa in das Jahr 1945. Auch der zweite Weltkrieg verändert die Bedingungen für eine Staatsgründung Israels enorm.

Nach Kriegsende überschnitten sich zwei Entwicklungen: l. Mit Fokus auf Europa vor allem 1946/47 eine große Zahl von jüdischen Flüchtlingen und Überlebenden der Shoa, die als Heimatlose und Entwurzelte in West-Ost- bzw. Ost-West-Richtung zwischen Deutschland, Polen, der Tschechoslowakei und Russland/der Ukraine wanderten, in Deutschland von den Alliierten in DP-Lagern [Displaced Persons] zusammengefasst wurden und in ihrer Mehrheit nach Palästina auswandern wollten sowie 2. Mit Fokus auf Palästina seit Bekanntgabe der Teilungspläne durch die UN und dem erklärten Rückzug der britischen Mandatsmacht bis Mai 1948 eine umfassende Mobilisierung finanzieller und militärischer Ressourcen (v.a. des Jischuv) und umfangreicher Waffenkäufe seit dem Herbst 1947. Die Haganah, die bereits zur Zeit der arabischen Revolte 1936 50,000 Personen unter Waffen hielt, erklärte die Generalmobilmachung der Bevölkerung, auf palästinensischer Seite begann die Organisation und Ausbildung von Selbstschutzkommitees sowie dis Aufstellung der Arab Liberation Army aus arabischen Freiwilligen durch die Arabische Liga (ca. 1,200 Kämpfer). Laut ÜN-Teilungsbeschluss sollte der jüdische Staat auf 56,47% und der arabische auf 42,88% des Gebietes Palästinas entstehen, obwohl zum damaligen Zeitpunkt 1,32 Millionen Palästinenser und 589,000 Juden im Land lebten,. Jerusalem und seine Umgebung sollten unter internationale Verwaltung geraten. Die palästinensischen/arabischen Verbande versuchten verschiedene isoliert gelegene Siedlungen und Vorstädte sowie Jerusalem, den Negev und Westgaliläa vom jüdischen Hauptgebiet längs der Küste abzuschneiden.

Die jüdischen Verbände konnten dagegen erfolgreich ihre Siedlungsgebiete ausweiten. Ziel war es, möglichst viel Land mit möglichst wenig Arabern zu erobern. Es kam [vgl. Plan Dalet(D)] zur systematischen Zerstörung palästinensischer Dörfer mit Massakern [u.a. Deir Jassin 250 Tote durch Etzel] und der gezielten Vertreibung der ansässigen Bevölkerung (die palästinensische Bezeichnung dieses Traumas lautet "al nakbah" [die Katastrophe]), ein Vorgehen das man im heutigen Sprachgebrauch wohl als ethnische Säuberungen bezeichnen würde. Die Massaker wurden gezielt eingesetzt, 'um die arabischen Bevölkerung über die betreffenden Dörfer hinaus zu verängstigen und zur Flucht zu bewegen. Diese bewusst geplante Vertreibung der Palästinenser konnte erst Ende der achtziger Jahre durch die Gruppe der "Jungen Historiker" auch anhand von Dokumenten belegt werden. Das öffentliche Bewusstsein der israelischen Gesellschaft reagierte auf die Konfrontation mit diesem Teil der eigenen Geschichte mit Ablehnung und Verdrängung. Die "Jungen Historiker" (wir wissen nicht, ob es bei denen auch Frauen gab) stellen den zentralen Staatsgründungsmythos der israelischen Sonderstellung in Frage und beschreiben Israel als einen ganz normalen kolonialen Nationalstaat. . Einer ihrer führenden Vertreter, Ilan Pappe, erklärte hierzu: "Der jüdische Staat ist auf den Ruinen des eingeborenen Volkes der Palästinenser errichtet, und deren Lebensgrundlage, Häuser, Kultur und Land hat man systematisch zerstört". Inzwischen steht Ilan Pappe, Professor für Geschichte an der Universität von Haifa vor der Entlassung, weil er sich vehement für die kritische Stimme eines Studenten stark machte, der nach Aufdeckung eines bislang unbekannten israelischen Massakers an palästinensischen Bewohnern des Dorfes Tantura im Jahre 1948 relegiert worden war.

In der offiziellen Geschichtsschreibung des Staates Israel, die auch in der BRD als 'historische Wahrheit' verbreitet und selbst von linken Gruppen aufgegriffen wird, wird dieser Zeitabschnitt auf den ersten arabischisraelische Krieg 1948 verkürzt. Ein Verteidigungsakt gegen die reaktionären arabischen Armeen, die den soeben gegründeten Staat Israel angegriffen haben. Einen Tag nach der Proklamation des Staates Israel am 14. Mai 1948 marschierten die Armeen Trans Jordaniens, Ägyptens, Iraks, Syriens und Libanons in Palästina ein, um die Errichtung eines Staates Israel noch zu verhindern. Am Ende des (Unabhängigkeits-)Krieges von 1948, [Feuereinstellungen (11.6.48) und UNO-Vermittlungsmissionen (Ermordung des schwedischen UNO-Verrmittlers Graf Bernadotte durch die dem Irgun nahestehende jüdische "Vaterlandsfront" - er hatte territoriale Veränderungen sowie Rückkehrrecht palästinensische Flüchtlinge gefordert)] besaß Israel 77% der Gesamtfläche Palästinas. Rund 750,000 Palästinenser waren geflohen/vertrieben worden, von 550 verlassenen Dörfern wurden bis auf 121 alle zerstört [inklusive der Friedhöfe].

Soviel zur Geschichte der Staatsgründung. Mehr als ein halbes Menschenleben sind seitdem vergangen, doch als eine der zentralen Grundlagen des Nahostkonflikts bleiben die damaligen Geschehnisse bis heute aktuell. Es ist in diesem Kontext irreführend, die mörderischen Konsequenzen des europäischen und namentlich deutschen Antisemitismus, für den genau diese Gesellschaften verantwortlich zeichnen, in den nahöstlichen Raum im Sinne von verlegener "Wiedergutmachung" für eigenen Handlungsunwillen bzw. unmittelbare Schuld zu übertragen. Der Gedanke von Erez Israel und die zionistische Besiedlung bis zur Staatsgründung sind nicht erst mit der Shoa entstanden und auch nicht ihre Konsequenz .

In der Debatte der letzten Monate machten sich viele Beteiligte immer wieder einen eurozentrischen Blick auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina zu eigen, bzw. brachten Dinge zusammen, die in keinem kausalen Zusammenhang miteinander stehen. Das gängige Argumentationsmuster vom Staat Israel als der "Schutzstätte", die ein primär defensiver Charakter auszeichne ["Es ist der einzige Flecken Erde wo sich Jüdinnen und Juden selbstständig gegen antisemitische Angriffe verteidigen können (und leider -müssen)" - Interim 555]und damit... unmittelbarer Bezugspunkt vermeintlich linker, "uneingeschränkter" Solidarität wird (schließlich ist man/frau ja gegen Faschismus und Antisemitismus), ist historisch-politisch einfach falsch. Antisemitismus und Antijudaismus sind und waren ein ernsthaftes und zu bekämpfendes Problem, sie sind aber nicht ein Erklärungsmodell der Welt. Sprich: ein Palästinenser ist nicht automatisch Antisemit, weil er sein legitimes Recht auf Widerstand gegen die israelische Besatzung ausübt und beispielsweise in der Westbank Steine auf Siedler oder Soldaten schleudert. Und was bringt ihn überhaupt dazu?

Aus unserer Perspektive müssen politische Handlungen von Einzelnen aber auch von Gruppen immer in einem historisch und materialistischen Kontext betrachtet werden, wenn wir sie verstehen wollen, und als internationalistisch orientierte Linke wollen wir die Dinge verstehen! Eine strukturelle Analyse der Bedingungen und Grundlagen eines Konfliktes kann nicht bei der Kritik von Aktionsformen stehen bleiben. Und auch eine Reduktion auf den eigenen (nationalen) Geschichtshorizont erscheint uns als nicht geeignet für eine Analyse der Kämpfe in anderen Teilen der Welt. In Widerstandaktionen gegen die israelische Besatzungspolitik ausschließlich Antisemitismus zu sehen, bedeutet, die ganze Welt durch die deutsche Brille zu betrachten. Das finden wir falsch.

Eine Folge des falsch verstandenen Anti-Antisemitismus, der sich aus Prinzip pro-israelisch positionierte, war die Übernahme des antisemitischen Stereotyps des Opfers. Gerade in der Gleichsetzung Israels mit den Überlebenden der Shoa ist diese Zuschreibung festgeschrieben. Entsprechend finden die legitimatorischen Darstellungen der westlichen Geschichtsschreibung, Publizistik und Tagespresse auch in Teilen der Linken Diskussion immer wieder einen unhinterfragten Wahrheitsgehalt. So werden die Nahostkriege im gängigen Verständnis als reine Verteidigungskriege Israels gegen seine aggressiven arabischen Nachbarn wahrgenommen. Vor allem in den USA und der alten Bundesrepublik dominiert diese einseitige Perspektive. In Wirklichkeit hat Israel all seine Kriege, mit Ausnahme des 48er Unabhängigkeitskriegs und des Yom-Kippur-Kriegs von 1973, be-wusst geplant wie neuere Veröffentlichungen eindeutig belegen. Eine ausführliche Darstellung, würde an dieser Stelle zu weit führen, deshalb hier ein paar Fakten:

1956

Der zweite israelisch-arabische Krieg ["Operation Kadesh=Sinaifeldzug"] vom 29.10. -8.11.1956] wurde von Moshe Dayan und David Ben-Gurion spätestens seit 1954 und gegen den Willen des amtierenden, eine moderate Nahostpolitik verfolgenden Ministerpräsidenten Moshe Sharett als gemeinsamer Angriff mit Frankreich und der alten Kolonialmacht Großbritannien geplant. Ziel war ein Sturz des ägyptischen Regimes, dass eine antikolonialistische (Verstaatlichung des Suezkanals) und Modernisierungspolitik betrieb. Nasser war Panarabist und Antikolonialist, aber kein Kriegstreiber und Antizionist. Die Operation Kadesh sollte Israel den Sinai einbringen, der nach Ben-Gurions Ansicht niemals Teil Ägyptens gewesen war. Dieser expansive Krieg ("Erez Israel von Nil bis Euphrat") diskreditierte Israel in der arabischen Welt völlig und hatte eine Radikalisierung seiner arabischen Nachbarn zur Folge.

1967

Die offizielle Begründung des 3. israelisch-arabischen Kriegs ["Sechstagekrieg" vom 5. -11.6.1967] war der eines Präventivkriegs, da Israel von "angriffsbereiten arabischen Armeen eingekreist" gewesen sei. Das dem mitnichten so war, gaben selbst israelische Politiker und Militärs in einer Vielzahl von Veröffentlichungen und Interviews offen zu. Der damalige Stabschef, Yitzak Rabin, glaubte nicht, dass Nasser Krieg wollte. General Matti Peled gestand in der französischen "Le Monde" vom 3.6.1972: "All jene Geschichten über die große Gefahr, der wir wegen unseres kleinen Gebietes ausgesetzt waren, kamen erst auf, als der Krieg zu Ende war, sie spielten in unseren Überlegungen vor Ausbruch der Feindseligkeiten keine Rolle. Vorzutäuschen, dass die ägyptische Armee, die an unserer Grenze stand, in der Lage gewesen wäre, die Existenz Israels zu gefährden, ist nicht nur eine Beleidigung für jeden, der die Lage analysiert, sondern ist primär eine Beleidigung der israelischen Armee". und Wohnungsbauminister Mordechai Bentov dazu in "Al-Hamishmar" vom 14.4.1971: "Die ganze Geschichte von der Gefahr einer Zerstörung wurde in jedem Detail im nachhinein erfunden und übertrieben, um die Annexion arabischen Landes zu rechtfertigen" [zit. nach Watzal 2001: 34]. Auch der mit dem Sicherheitsargument begründete Angriff auf Syrien und die Eroberung des Golan wurde von Israel provoziert. In einem Interview das Verteidigungsminister Dayan am 22.11.1976 und 1.1.1977 einem Journalisten von "Ha'aretz" gegeben hatte, und dass erst am 27.4.1997 (!) in "Yediot Aharonot" veröffentlicht wurde, erklärte dieser, die Zwischenfälle hätten zu 80% nach folgendem Muster begonnen: "Wir schickten einen Traktor aufs Feld, dorthin, wo man nichts tun konnte, in die demilitarisierte Zone. Wir wussten, dass die Syrer anfangen würden zu schießen. Wenn sie nicht schössen, sagten wir dem Fahrer, er solle weitermachen, bis es den Syrern zu viel wurde und sie zu schießen anfingen. Dann beschossen wir sie mit unserer Artillerie und später mit der Luftwaffe. So war es." vgl. ders.: 36). Der vermeintliche Präventivkrieg Israels war ein klassischer Angriffskrieg, indem vor allem das israelische Militär drauf drängte (Geheimabsprachen mit den USA waren vorausgegangen - )die zum damaligen Zeitpunkt günstige Gelegenheit zur "Befreiung Jerusalems und der Westbank" zu nutzen. Nach Vernichtung der ägyptischen Luftwaffe, eroberte Israel mit Gazastreifen, Sinai, Goian, Westjordanland und Ostjerusalem Territorien, die viermal so groß wie das Staatsgebiet waren. Hunderttausende neuer Flüchtlinge waren die Folge, die israelischen Verluste gering [z.B. Israel: 300 Tote/Ägypten: 15,000 Tote u. 6,000 Gefangene).

Verlauf und Folgen des Sechstagekriegs sind die diplomatische und politische Grundlage des heutigen "Nahostkonflikts, wovon die ÜN-Resolution 242 nur ein Punkt unter vielen ist. Alle Friedensverhandlungen, internationale Resolutionen aber auch der Grossteil der palästinensischen Forderungen beziehen sich immer auf den Zustand vor diesem Krieg. In Israel hingegen ist mit dem "historischen Sieg von 1967" ein massives Erstarken rechtsreligiöser Kräfte und der "Erez Israel Haschlema" [Groß-Israel-Ideologie] zu verzeichnen. Galten die ersten Siedlungen in den besetzten Gebieten nach 1967 zunächst als zeitlich begrenzte Verteidigungsanlagen, so änderte sich deren Funktion mit der Verschiebung der politischen Machtverhältnisse in Israel. Seit 1977 wird mit der Machtübernahme des national-konservativen Likudblocks unter Menachim Begin [früheres Irgun-Mitglied] die Siedlungspolitik in den besetzten/autonomen Gebieten als direkte Waffe eingesetzt, um mit massivem Wohnungsbau inklusive eigener Straßen etc. pp. die palästinensischen Siedlungsgebiete zu zerstückeln und eine potentielle Eigenstaatlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes zu verbauen.

Ariel Sharon, im damaligen Kabinett Wohnungsbauminister, später dann [bis zu den Massakern von Sabra und Shatila im Libanonfeldzug 1982 zur Vernichtung der PLO, für die er mitverantwortlich zeichnete] Verteidigungsminister, versucht damit heute mehr als zwanzig Jahre alte Ideen zu verwirklichen.

AUSBLICK

Wir hoffen, mit diesem Artikel in der bisherigen Debatte bislang kaum reflektierte Hintergründe des Nahostkonfiikte beleuchtet und einige Denkanstöße gegeben zu haben, auf dass die Debatte zu Israel-Palästina-Antisemitismus-Deutsche Linke sich produktiv fortsetze. Woran es der Debatte unseres Erachtens vor allem mangelt, ist die Frage, unter welchem Fokus da eigentlich was Betrachtet wird. Aus dem Umstand, dass aus der "jüdischen Schutzstätte" Israel - in den Augen dortiger Kritiker - das heute für Jüdinnen und Juden wohl unsicherste Land der Welt geworden ist, den Kurzschluss "uneingeschränkter" oder wahlweise "kritischer" Solidarität mit dem offiziellen Israel zu ziehen, kann es jedenfalls nicht sein. Wie die aktuelle Debatte beweist, macht ein solch einseitiges Stellungbeziehen blind gegenüber historisch-politischen Realitäten. Sie immunisiert gegen die Tatsache tagtäglicher Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenwürde durch Israel. Sie verschweigt die tiefe Spaltung der israelischen Gesellschaft, und sie ignoriert konsequenterweise die Existenz der außerparlamentarischen Linken in Israel und führt ihre Aktivitäten letztlich ad absurdum. Eine linksradikale Haltung besteht für uns auch im Falle des Nahostkonfliktes in der Solidarität mit all Jenen, die sich gegen Abhängigkeiten wehren und von Herrschaftsverhältnissen befreien wollen. Diesen Gruppen gilt unsere Unterstützung - auf beiden . Seiten des Krieges!

N.N.

Kleine Auswahl empfehlenswerter Literatur zum Thema

  • Augustin, Ebba (1988): Struktur und Politik der militärischen Besetzung der Westbank und die Intifada.
  • Ben-Sasson, Haim Hillel [Hrsg.](1980): Geschichte des jüdischen Volkes Bd.3, München. Grossmann, David (1988): Der gelbe Wind: Die israelischpalästinensische Tragödie, München.
  • Hashash, Ali (199l): Palästina -Kampf der Gegensätze, Gießen. Hoekmann, Gerrit (1999): Zwischen Ölzweig und Kalaschnikow - Geschichte und Politik der palästinensischen Linken, Münster Keller, Adam (2002): The Terrible Year. (gekürzte deutsche Fassung in: Gegeninformationsbüro (Hg.) 2002: Israel, Palästina, Krieg. Berlin
  • Pappe, Ilan (1992): The making of the Arab Israeli conflict 1947-51, London.
  • Tophoven, Rolf (1990): Der israelisch-arabische Konflikt, Bonn. Watzal, Ludwig (200l): Feinde des Friedens. Der ewige Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, Berlin.
  • Köstler, Arthur (1947): Diebe in der Nacht
  • verschiedene Inamo-Themenhefte zu Israel, Palästina und der Intifada

INTERIM 558 / S. 18-21

Für einen gemeinsamen Kampf der Unterdrückten Israels / Palästinas gegen Imperialismus und Chauvinismus

Die imperialistischen Großmächte hetzen die Völker gegeneinander, um ihre Expansion zu betreiben

Angesichts der aktuellen Ereignisse im Nahen Osten, dem militärischen Vorgehen der reaktionären israelischen Armee gegen die palästinensischen Autonomiegebiete und den zunehmend ausschließlich gegen die Zivilbevölkerung Israels gerichteten Bombenattentaten der reaktionären Hamas und anderer Organisationen werden die revolutionären Kräfte in der ganzen Welt sich gegen jede Hoffnung auf kurzfristige Lösungen wenden. Ihre, unsere Solidarität gilt den relativ gesehen sehr wenigen demokratisch und revolutionär orientierten Kräften in Israel, die gegen den polizeistaatlichen Terror Israels kämpfen und deshalb als „Vaterlandsverräter" und „Helfer Palästinas" gebrandmarkt werden, die sich für die Solidarität mit den geschundenen palästinensischen Massen, gegen deren ins rassistisch gehende Diskriminierung einsetzen und ihre „eigene" reaktionäre Regierung bekämpfen. Ihre, unsere Solidarität gilt den relativ gesehen sehr wenigen demokratischen und revolutionären Kräften in der palästinensischen Bevölkerung, die keine Zugeständnisse an die reale Koalition von PLO und Hamas machen, die die reaktionäre Losung „Einsatz der Großmächte" bekämpfen und im Kampf für die eigenen Rechte gleichzeitig den Kampf gegen die arabische Reaktion, alle Erscheinungen des Antisemitismus und der pauschalen Diffamierung aller Israelis und „Juden" führen, was dazu führt, daß sie dem Verdacht der „Kollaboration mit Israel" ausgesetzt und oft genug von Hinrichtung und Vernichtung bedroht und betroffen sind.

Die revolutionären Kräfte in der ganzen Welt wissen, daß nur die heute erst im Keim existierende jüdischpalästinensische Solidarität den verfluchten Knoten der Feindschaft zwischen der Masse der Bevölkerung Israels und der Masse der Masse der Bevölkerung der palästinensischen Autonomiegebiete zerschlagen kann. Dies ist nur möglich im gemeinsamen Kampf gegen die imperialistischen Großmächte, (die diese Feindschaft schüren, um als angebliche „Friedensmächte" ihre Position auszubauen) und im Kampf gegen die „eigene" Reaktion eine grundsätzliche Lösung durchzusetzen - basierend auf der Idee zweier Staaten, die die damals noch sozialistische Sowjetunion 1947 unterstützte. Der nachfolgende Text ist erstes Ergebnis unserer Debatte über den Krieg zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten, den wir hiermit zur Diskussion stellen.

I.

  •  In den letzten 20 Jahren sind die imperialistischen Großmächte verstärkt dazu übergegangen, bestehende Konflikte in der Welt zu nutzen, um die Völker gegeneinander aufzuhetzen, in von beiden Seiten reaktionären Kriegen (wie im Iran-Irak Krieg), beide Seiten zu unterstützen, um solche Kriege anzuheizen und zu verlängern. Flächenbombardierungen einzusetzen wie im Krieg gegen Ex-Jugoslawien und sich national gebende Bewegungen wie im Kosova voll und ganz als Bodentruppen und Kanonenfutter zu benutzen. Die selbe Taktik erleben wir bei der Schürung des Konfliktes zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir und gerade auch im Krieg zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten. Dabei ist besonders auffallend, daß die PLO-Führung heute winselnd den US-Imperialismus und die europäischen imperialistischen Großmächte um „Hilfe" anbettelt und die pro-US-imperialistischen Reaktionäre in der Führungsspitze Israels zunehmend scheinbar oder auch wirklich auf Distanz zum US-Imperialismus gehen.
  • Eine aktuelle Einschätzung allein ohne geschichtlichen Hintergrund erlaubt jedoch keine wirkliche politische Einschätzung der Situation im Krieg zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten. Die bloße Verurteilung des militärischen Vorgehens der israelischen Armee gegen die palästinensischen Autonomiegebiete, gegen die palästinensische Zivilbevölkerung und die palästinensischen bewaffneten Kräfte und eine bloße Verurteilung der vor allem von Hamas durchgerührten Attentate, die sich in erster Linie oder nur gegen die israelische Zivilbevölkerung richten und keineswegs „Aktionen der Verzweiflung" sind, sondern Ausdruck einer reaktionären ideologischpolitischen Linie, bleibt zu sehr an der Oberfläche.
  • Bei diesen geschichtlichen Hintergründen ist der entscheidende Knotenpunkt die Debatte über den 1947 unter Federführung der damals sozialistischen Sowjetunion vorgeschlagenen Plan zur Gründung zweier Staaten, der aufgestellt wurde, nachdem eine gemeinsame Staatsgründung als gescheitert angesehen werden mußte. Wesentliche Basis dieser Vorschläge waren vor allem und in erster Linie die Erfahrungen des Befreiungskrieges gegen Nazideutschland und auch grundsätzliche Überlegungen über die Geschichte der jüdischen Bevölkerung und der palästinensischen Bevölkerung.
  • Die Nazifaschisten hatten überall auf der Welt in ihrem imperialistischen Kampf gegen den englischen Imperialismus korrupte rührende Persönlichkeiten, die in der anti-englischen Bewegung in kolonial unterdrückten Ländern Einfluß hatten, gekauft und massiv politisch und militärisch unterstützt - so in Indien, Irland, aber eben auch in den allermeisten arabischen Ländern, insbesondere in Palästina mit dem Mufti von Jerusalem an der Spitze. So entwickelte sich der angeblich „antiimperialistische" Befreiungskampf gegen den englischen Imperialismus, der in seiner Kolonie Palästina die Massen jüdischer und palästinensischer Nationalität gegeneinander aufhetzte, in einen pro-nazistischen, von Nazideutschland teils unterstützten, teils angeleiteten Kampf, worin der verbrecherische „Kampf gegen das Weltjudentum" mit seiner eliminatorischen Komponente entscheidenden Einfluß hatte. Verkörperung dieser Grundtendenz war der Mufti von Jerusalem, der bis heute als sogenannter „palästinensischer Patriot" gefeiert wird. Er half den Nazis, bosnisch-muslimische SS-Einheiten aufzubauen und bekam für seine „Verdienste" in Nazi-Deutschland „Asyl". Die große Mehrheit der verfolgten jüdischen Bevölkerung beteiligte sich dagegen direkt oder indirekt am welthistorischen Befreiungskampf gegen den Nazifaschismus der in der Anti-Hitler-Koalition vereinigten Staaten und Völker.
  • Reaktionäre arabische Staaten akzeptierten den Plan zur Gründung zweier Staaten nicht und begannen den ersten Krieg gegen Israel 1948. Die führende Schicht in Israel entwickelte sich vor dem Hintergrund des Bruches der Anti-Hitlerkoalition zu vom US-Imperialismus abhängigen Kräften, die mit dessen Hilfe die Situation nutzten, um für den US-Imperialismus gegen den englischen Imperialismus vorzugehen und Israel entgegen dem Plan der Gründung zweier Staaten schon 1948 territorial zu erweitern. Vor, während und nach diesem Krieg kam es in der Tat zu Massakern an palästinensischen Dörfern vor allem durch reaktionäre israelische Organisationen. Reaktionäre arabische Staaten forderten zudem die Flucht der palästinensischen Bevölkerung indem sie rasche Rückkehr in ein paar Wochen, nachdem angeblich Israel militärisch zerschlagen sein würde, in Aussicht stellten. Seitdem existiert das Problem hunderttausendfacher Flucht. Die palästinensischen Flüchtlinge, ihre Kinder und Enkel, leben bis heute in Flüchtlingslagern.
  • Israel wurde zunehmend zu einem Stützpunkt des US-Imperialismus im Nahen Osten militärisch aufgerüstet, unterstützte ideologisch und praktisch seine weltweiten Verbrechen (Pinochet, die Contras in Nicaragua...). ohne daß der US-Imperialismus auf seinen massiven Einfluß in anderen arabischen Staaten verzichtete. Arabische reaktionäre Staaten ihrerseits wurden auch von anderen imperialistischen Großmächten, insbesondere auch der sozialimperialistischen Sowjetunion aufgerüstet und in den Rivalitäten der Großmächte als Werkzeuge verwendet.

II.

  • Die Schaffung der PLO als nationale Befreiungsbewegung Schulter an Schulter mit anderen revolutionären-demokratischen Organisationen in der ganzen Welt - unterstützt von den demokratischen, revolutionären und kommunistischen Kräften in Israel - krankte von Anfang an an fundamentalen Fehleinschätzungen in folgenden Punkten:
    • Prinzipielle Ablehnung des von der damals sozialistischen Sowjetunion mit Stalin an der Spitze vorgeschlagenen Plans zur Gründung zweier Staaten von 1947 und des Rechts auf eigenständige staatliche Existenz Israels.
    • Orientierung auf die reaktionären Regimes der arabischen Staaten und die These der „einen arabischen Nation".
    • Keine korrekte Einschätzung der reaktionären, pronazistischen Einflüsse in der vorangegangenen Etappe anti-englischer palästinensischer Bewegungen.
    • Verleugnung des nationalen Elements bei der jüdischen Bevölkerung in Israel und Reduzierung auf ein angeblich bloßes „Religionsproblem".
    • -Keine korrekte Einschätzung, daß die Sowjetunion zur Zeit Breshnews eine revisionistischkapitalistisch-imperialistische Macht war, was dazu führte, daß die PLO schon in den 70er Jahren ins Fahrwasser revisionistischer-pro-sowjetischer Kräfte geriet.
  • Unter anderem auch durch diese Fehleinschätzungen kam es zunächst 1970 zu dem bisher größten Massaker an der palästinensischen Befreiungsbewegung - durchgeführt vom jordanischen Staat unter Führung des US-Imperialismus -, dem sogenannten „Schwarzen September" mit über 20.000 ermordeten Palästinenserinnen und Palästinensern. Wahrlich ein „Chile" im Nahen Osten! Systematisch wurde vom US-Imperialismus und anderen imperialistischen Großmächten der Einfluß auf die PLO vergrößert, um sie in ein Werkzeug der Aufhetzung der Völker zu verwandeln und jegliche eigenständigen revolutionären demokratischen Elemente zu zerstören. Das ist heute fast oder ganz gelungen. Die PLO-Administration lebt von den Geldern der imperialistischen Großmächte und der arabischen Reaktion und ist keinesfalls eine unabhängige Kraft - abgesehen davon, daß von revolutionären oder gar kommunistischen Idealen, ja nicht mal mehr der Sprache nach, die Rede sein kann.
  • In den letzten Jahren hat zudem angesichts der proimperialistischen Finanzierung der PLO-Administration die reaktionäre Hamas-Bewegung in der palästinensischen Bevölkerung als scheinbar „radikalere" Kraft massiv an Boden gewonnen. Abkommen und Übereinkünfte offizieller und inoffizieller Art mit der PLO bei gleichzeitiger Abhängigkeit der Hamas von reaktionären arabischen Staaten haben zu einer desolaten Situation geführt, in der jede demokratisch-revolutionäre palästinensische Stimme buchstäblich sofort um das Überleben kämpfen muß. Die durch die israelische und arabische Reaktion leidgeprüften Massen der palästinensischen Bevölkerung sind heute real ohne demokratisch-revolutionäre Führung.

III.

  • Der deutsche Imperialismus spielt schon immer sein schmutziges Spiel in dieser Angelegenheit. Mit der Doppelstrategie der angeblich „besonderen Beziehungen zu Israel" wurde zunächst jede pro-US-amerikanische Aggression und Expansion unterstützt, während gleichzeitig und traditionell auch immer auf die Seite der reaktionären arabischen Staaten gesetzt wurde. Zehntausende von Nazi-Funktionären hatten schließlich nach 1945 Zuflucht in Syrien, Ägypten, Irak usw. gefunden und waren als Militär-, Geheimdienst- und Folterexperten begehrt und zudem behilflich bei der Ankurbelung der Importe und Exporte. Nie und nimmer ging es um Unterstützung einer gerechten Sache, immer um Vergrößerung des Einflusses des deutschen Imperialismus in diesen weltpolitisch und ökonomisch wichtigen Gebieten.
  • In Westdeutschland holten sich die Nazis, die nach 1945 in SPD, FDP und CDU ihre „neue Heimat" fanden, als angeblich „proisraelisch" Absolution. Sie rangelten von Anfang an mit offenen antisemitischen Reaktionären, die die israelische Führung mit ganz Israel und vor allem Israel mit den Juden überhaupt gleichsetzten und an den nazistischen Traditionen der Zusammenarbeit mit reaktionären arabischen Kräften anknüpften. Dazu kommt eine Nazi-Bewegung in Deutschland die schon länger, nun aber in zunehmendem Tempo Kontakte zu sich als „islamistisch" bezeichnenden Organisationen zwecks militärischer Ausbildung und Logistik aufnimmt, so daß im weltweiten nazistischen Netz der bewaffneten pronazistischen Kräfte - von Hamas bis Ustascha-Kräften über bosnische Faschisten - eine „heilige Allianz" gebildet wurde nach dem Vorbild Nazideutschlands, in dem deutsche Nazis mehr und mehr an Gewicht erhalten. Diese „Heilige Allianz" lässt sich insbesondere auch an den weltweiten Konferenzen der Holocaust-Leugner belegen, die immer öfter unter führender Beteiligung von deutschen Nazis zusammen mit arabisch-pro-nazistischen Kräften und anderen pronazistischen Gruppen aus aller Welt stattfinden. Es zeichnet sich ab, daß die gewaltige antisemitische Welle in Europa und insbesondere in Deutschland zu einem reaktionären Bündnis bestimmter offizieller Abteilungen des deutschen Imperialismus mit nazistischen Organisationen, palästinensischen Organisationen und Teilen von sich selbst als „links" bezeichnenden Kräften führte. Dies ist der Hintergrund, daß bis hinein in das Lager verschiedener antinazistischer örtlicher und überregionaler Gruppen eine gewaltige Konfusion entsteht und palästinensische und israelische Fahnen schwingende Gruppen ihre destruktive Wirkung entfalten, die wir auf allen Ebenen bekämpfen müssen.

IV.

  • Unsere Aufgaben heute im Sinne des proletarischen Internationalismus sind vielfältig:
    • Es gilt, alle israelischen und palästinensischen Kräfte, die wirklich eine revolutionäre, gegen den Imperialismus und die innere Reaktion gerichtete Linie erkämpfen, in ihrer Zusammenarbeit zu stärken und zu unterstützen.
    • Dabei müssen die Machenschaften der imperialistischen Großmächte und der inneren Reaktion entlarvt werden, die Völker gegeneinander aufzuhetzen, den israelischen und arabischen Nationalismus zu schüren. Es gilt die Manöver der imperialistischen Großmächte zu entlarven, die mit friedlich-neokolonialistischen und kriegerischen Mitteln ihren Einfluß und ihre Stützpunkte im Nahen Osten versuchen auszubauen.
    • Dabei liegt der Schwerpunkt der Entlarvung für uns auf den Machenschaften des deutschen Imperialismus, dessen Politiker teils getrennt teils im gleichen Atemzug die reaktionären Kräfte Israels und der palästinensisch-arabischen Reaktion unterstützen, um in Zusammenarbeit, vor allem aber auch in imperialistischer Rivalität mit dem US-Imperialismus und anderen imperialistischen Großmächten ihren Einfluß im Nahen Osten zu vergrößern.
    • Gleichzeitig und in gewisser Weise vorrangig gilt es hier in Deutschland einen gewaltigen ideologischen und politischen Kampf gegen antisemitische und antimoslemische deutsch-nationale und nazistisch geprägte Entwicklungen zu rühren. Die israelisch-palästinensischen Kämpfe sind dabei lediglich ein Anlaß, nicht Ursache dieser rassistischen Ideologie und Politik der verschiedenen Abteilungen des deutschen Imperialismus.

Rosa, 23.09.02

Editorische Anmerkung
Die hier virtuell erstmalig veröffentlichten Texten sind per OCR-Scan von der Originalquelle eingelesen worden. Etwaige Lesefehler können daher übersehen worden sein. Sonstige Fehler sind wie im Original. Red. trend