Auf den Kopf gestellt
Nach Naziangriff steht antifaschistischer Gewerkschafter vor Gericht

von GewerkschafterInnen gegen Rechts

11/07

trend
onlinezeitung

Am 16. und 23. Januar 2008 findet vor dem Amtsgericht Erfurt der Prozess gegen Angelo Lucifero statt, der sich mit einer Schreckschusspistole gegen Naziangriffe gewehrt hatte. Unterstützung ist gefragt.

Wer sich in Thüringen gegen Nazis engagiert, hat es nicht leicht. Diese Erfahrung macht seit vielen Jahren auch der Gewerkschafter Angelo Lucifero. Bereits im Jahr 1991 wurden die Brems­schläuche am Auto des engagierten Antifaschisten von Unbekannten durchtrennt, in den folgenden Jahren kam es zu zahlreichen anonymen Morddrohungen am Telefon, Einschüchterungsversuchen im Internet sowie handgreiflichen Angriffen durch Neonazis. Die letzte Attacke erfolgte am 9. Fe­bruar 2007 in der Erfurter Innenstadt am Rande eines „Infostandes“ der Erfurter NPD und unter den Augen der anwesenden Polizei. Alle Versuche, juristisch gegen diese Bedrohung vorzugehen, schei­terten. Sämtliche Verfahren wurden eingestellt oder Anzeigen gar nicht erst verfolgt. Stattdesen steht der Gewerkschafter nun im Januar 2008 selbst als Angeklagter vor Gericht. 

Was war passiert?

Am 15. März 2007 fand in der Erfurter Innenstadt die wöchentliche Donnerstagsdemo gegen Sozi­alabbau statt. Thema an diesem Tag: Aktionen gegen Rechts. Doch statt nur über Neonazis zu re­den, fanden sich die OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen der Demonstration unverhofft in der Situation, diesen selbst gegenüber zu stehen. Denn rund 50 Rechtsextreme versuchten – teilweise mit Ka­meradschafts- und NPD-Fahnen ausgestattet – an der Veranstaltung „teilzunehmen“ und grif­fen Einzelne, darunter auch Angelo Lucifero, an. Dieser setzte sich mit einer Schreckschusspistole zu Wehr. Die Nazis veranstalteten daraufhin noch am gleichen Tag eine Spontandemonstration. 

Nonsens der Demokraten

Die Medienberichterstattung in den folgenden Tagen stellte jedoch die Ereignisse völlig auf den Kopf: Statt über die Einschüchterungsversuche und die Angriffe von Neonazis auf eine angemeldete Demons­tration gegen Sozialabbau zu berichten, stand auf einmal der angebliche „Waffengebrauch“ im Zen­trum der öffentlichen Auseinandersetzung. Nicht das Verhalten der Polizei vor Ort oder die Unfä­higkeit der Anmelder für die Sicherheit ihrer TeilnehmerInnen zu sorgen, wurden diskutiert, son­dern das Verhalten von Angelo Lucifero kritisiert. Die Palette der KritikerInnen reichte dabei von CDU-Landtagsabgeordneten bis zum Landesbezirksleiter der Gewerkschaft ver.di, Tho­mas Voß. Dieser sagte gegenüber Thüringer Allgemeinen Zeitung "Wir können und wollen uns nicht der gleichen Mittel bedienen, wie man sie aus dem rechtsradikalen Raum kennt". Das dies auch nie­mand getan hatte, interessierte Voß nicht, denn er sprach eine arbeitsrechtliche Abmahnung aus, die bis heute nicht zurückgenommen worden ist. 

Bundesweite Unterstützung

In den folgenden Wochen und Monaten gab es jedoch auch Unterstützung aus der ganzen Bundesre­publik. Einen Offenen Brief unterschrieben über 280 GewerkschafterInnen und forderten darin von der Gewerkschaftsspitze, „dass Angelo Lucifero die volle Unterstützung erhält, insbesondere auch gegenüber der CDU Landtags­fraktion, die sich nicht gegen die rechtsextremen Angreifer, sondern gegen den Angegriffenen stellt und in Selbstverteidigung ein 'zweifelhaftes De­mokratieverständnis' sieht.“ Darüber hinaus gab es viele individuelle Schreiben zur Unterstützung . Zahlreiche Solidaritätserklärungen und Be­schlüsse zur Unterstützung von Angelo wurden auf Gewerkschaftskonferenzen verabschiedet, ohne jedoch die notwendige Solidarität der ver.di-Landesleitung zu erreichen. 

Weitere Naziaktivitäten

Die Thüringer Nazis waren stattdessen unverändert aktiv. Zwar konnte ein geplanter Nazi-Auf­marsch von rund 1.400 Neonazis am 1. Mai erfolgreich verhindert wer­den, aber die Angriffe gegen MigrantInnen und AntifaschistInnen in der Stadt gingen weiter. Die Scheiben des PDS-Jugendbüros wurden zerstört, die NPD Erfurt veröffentlichte ein Foto, bevor die MitarbeiterInnen des Büros selbst den Schaden entdeckt hatten. Rechtsextreme waren bei Kundgebungen des Erfurter Sozialbündnisses präsent und auch Angelo wurde erneut von Neonazis angegriffen. 

Scheinbare Ruhe

Ebenso umtriebig war auch die Erfurter Staatsanwaltschaft.Statt konsequent gegen Rechtsex­treme zu ermitteln, beschäftigte man sich lieber mit den Vorwürfen gegen Angelo Lucifero. Am 9. August erließ das Amtsgericht Erfurt schließlich wegen des 15. März’ und einem anderen Vorwurf einen Strafbefehl gegen Angelo über ein Jahr Freiheits­entzug auf Bewährung sowie insgesamt 120 Tagessätzen. Nicht nur dieser Strafbefehl ist skandalös, sondern auch die Tatsache, dass das Amts­gericht in diesem politi­schen Fall eine Hauptverhandlung sowie die Anhörung des Beschuldigten für verzichtbar hielt. Damit folgten Staatsanwaltschaft und Richter den Aussagen bekannter Neona­zis , ohne dass die Aussagen vor dem Hintergrund dessen beurteilt werden, wer sie macht: Organi­sierte Rechtsextremisten, die hier die Gelegenheit wittern, einem ihrer erklärten Gegner so zu scha­den, vielleicht sogar seine berufliche Existenz zu vernichten. Teile der lokalen Presse wirkte dabei kräftig mit. So schrieb die Ostthü­ringer Zeitung: „In Gewerkschaftskreisen ist man längst nicht mehr glücklich mit dem Dauer-Demonstranten und verdi-Hauptberufler Lucifero. Der aus Italien stammende Organisator zahlloser Demos gegen Rechts fühlt sich sofort als Ausländer stigmatisiert und von den Behörden kriminalisiert, sobald er auf die Spiel­regeln des Rechtsstaats verwiesen wird.” 

Solidarität gefragt

Gegen den Strafbefehl hat Angelo Lucifero in allen Punkten Einspruch eingelegt, so dass es nun zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Erfurt kommen wird. Als Termine sind der 16. und der 23. Januar 2008 festgelegt. Alle, die nicht wollen, dass die öffentliche Diskussion von Staatsanwalt­schaft und Lokalpresse bestimmt und der Gerichtssaal von feixenden Neonazis besetzt sein wird, sind aufgefordert, sich einzumischen und nach Erfurt zu kommen.

Editorische Anmerkungen

Dieser Artikel wurde uns von den "GewerkschafterInnen gegen Rechts" zur Veröffentlichung am 6.11.07  gegeben.

Kontakt zu den GewerkschafterInnen gegen Rechts:
g-g-r@web.de

Wir veröffentlichten zu diesem skandalösen Fall: