Editorial
Old School Marxismus


von Karl Mueller

12-2012

trend
onlinezeitung

Über dreißig Leute saßen am Montagabend, den 19.11. 2012 dicht gedrängt in dem kleinen Stadtteilladen Lunte, um sich über Heinz Buschkowsky rassistische Hetzschrift  "Neukölln ist überall" zu informieren. In knapp zwei Stunden stellten Anne Seeck und Karl-Heinz Schubert das Buch vor, wobei sie den Schwerpunkt auf die ideologische und politische Funktion des Buches in der gegenwärtigen ökonomischen Krisenphase legten. Anne Seeck illustrierte die mit der Krise zusammenhängenden sozialen Verwerfungen anhand des neuen Armuts- und Rechtumsbericht der Bundesregierung. Karl-Heinz Schubert schilderte, welche Vorschläge Buschkowsky in seinem Buch unterbreitet, um die Interventionsfähigkeit des Staates angesichts "leerer" Haushaltkassen durch Verdichtung von Repression und Überwachung auf kommunaler Ebene zu optimieren. Er vertrat dabei die Ansicht, dass Buschkowskys Rassismus die Funktion eines argumentativen "Schmierstoffes" habe, um eigentlich unpopuläre Maßnahmen populär zu machen. Den Nutzen aus  seinem  kommunalpolitischen Engagement zöge vor allem das Kapital, das nach Nordneukölln neu einströmen wolle, für das Buschkowsky nun quasi als Quartiermacher tätig sei. [Siehe dazu das Konspekt zum Buch]

06.12.2012 | 20 Uhr | Scherer Str.8 | 13347 Berlin
Überwachen und Bestrafen
Stadtpolitik in den Zeiten der Krise

Heinz Buschkowskys Buch „Neukölln ist überall“  
vorgestellt Anne Seeck und Karl-Heinz Schubert

In der anschließenden Diskussion, die weitere 1 1/2 Stunden intensiv und sachlich geführt wurde, ging es im Kern um die Frage, warum es gegen diese Entwicklung keinen breiten Widerstand gäbe - zumal die rassistischen Angriffe auf die Neuköllner Communities seitens Buschkowsky, Sarrazin, Heisig und Co. schon seit Jahren liefen. Als ein zentraler Grund wurde die Zerstrittenheit der linken Kräfte genannt. Worin diese besteht, kam auch in dieser Diskussion zum tragen, als Karl-Heinz Schubert vorgehalten wurde, er betreibe Old School Marxismus, wenn er Buschkowsky als einen "Quartiermacher des Kapitals" bezeichne. Dies habe nämlich keine aufklärende Funktion, da die Tatsache, dass wir im Kapitalismus leben, allgemein bekannt und (leider)  akzeptiert sei. Würde mensch sich dagegen auf die Dekonstruktion und Kritik des Rassismus konzentrieren, würde mensch an dem ansetzen, wodurch viele Leute tatsächlich betroffen sind. Ob die Dekonstruktion ideologischer Phänomene mittels poststrukturalistischer Denke als Zuschreibungen tatsächlich mehr bewegen würde als ein klassenpolitischer Ansatz, der die Aufhebung des Kapitalismus in den Mittelpunkt stellt, konnte an diesem Abend natürlich nicht geklärt werden, weil die Klärung selber keine reine Theorieproduktion sondern eine theorievermittelte Angelegenheit der politischen Praxis ist.

 17.12.2012 um 19.30 | 19.30 | Lunte - Weisestr. 53
Kämpfen - untersuchen - organisieren
Trend-Gespräch zur Geschichte
militanter Untersuchungen
in Betrieb & Stadtteil

Genau um dieses Theorie/Praxisverhältnis wird es beim nächsten TREND-Gespräch in der Lunte gehen, wenn die Untersuchungs- und Mobilisierungkonzepte von MaoistInnen und OperaistInnen in ihrem historischen Kontext vorgestellt werden, um darüber zu reden, ob diese Konzepte noch Tragfähiges für den heutigen Organisierungsprozess antikapitalistischer und revolutionärer Kräfte enthalten.

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Dass der Old School Marxismus auch in anderen linken Spektren und deren Kämpfen keine Rolle spielt, wo er aber noch viel dringender als Theorie-"Werkzeugkasten" gebraucht wird, zeigte sich bei der so genannten wohnungspolitischen Konferenz von "Kotti & Co.".

Bereits ein Blick in die Eröffnungsrede spricht Bände. Kein Wort über den Vermieter von Kotti & Co., die GSW, die das Leihkapital "Wohnung" (siehe dazu den Aufsatz F. Bleicher: Wohnen als Geschäft) kräftig Mietzins abwerfend, verwertet. Selbst der öffentliche Druck, den Kotti & Co. mit ihren wöchentlichen Lärmdemos erzeugt, störte die Verwertung des Immobilienkapitals in keiner Weise.  Der Preis einer GSW-Aktie stieg von November 2011 bis November 2012 um 50 % und sogar eine 10% Dividendenzahlung konnte ausgeschüttet werden. Statt hier gesellschaftliche Kontrolle und Umverteilung zugunsten der MieterInnen zu fordern,  konzentrierte sich die Konferenz auf sozialpartnerschaftliche Politikberatung

"Wir bringen hier den Volksvertreterinnen und –Vertretern Expertise, Ideen, und die Chance, gemeinsam nach Lösungen zu suchen"

für eine Stadtregierung, die das mietenpolitische Desaster über Jahrzehnte sehenden Auges zu gunsten einer stetigen risikoarmen Kapitalverwertung auf dem Rücken der MieterInnen herbeigeführt hat:

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Auch im so genannten NaO-Prozess steht der Old School Marxismus nicht besonders hoch im Kurs. Obgleich das Ziel nach wie vor hoch gehängt ist - im Januar/Februar  2012 wollen SiB und Co. ein Manifest als programmatische Leitplanken des gemeinsamen Wieweiter herausbringen - entfernt sich der entsprechende Diskurs, wie er sich auf dem NaO-Blog widerspiegelt, immer weiter von einer klassenpolitischen Orientierung im Sinne des wissenschaftlichen Sozialismus. Aus akademischen Diskursen entliehene  Kategorisierungen befördern bruchstückhafte und zusammenhangslose Spekulationen über reale gesellschaftliche Klassenverhältnisse und Unterdrückungszusammenhänge, die von daher nur noch als rhizomartige interpersonale Strukturen gedacht werden können. In diesem Diskurs bilden die Beiträge von GAM und Dieter Elken echte Highlights des Gegensteuern gegen den politisch-ideologischen Niedergang des NaO-Prozesses, die wir unseren LeserInnen nicht vorenthalten wollen.

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Zunächst galt der Aufruf des "Bündnisses Rosa & Karl" zu einer eigenen LL-Demo plus Aktionswoche als Fake, um die "reguläre" LL-Demo, die schon seit langem regelmäßig jedes Jahr am Start ist, zu desavouieren. Fake oder nicht - wir dokumentieren diesen Aufruf zusammen mit dem Aufruf der bisherigen Demo-MacherInnen. Mögen sich unsere LeserInnen ein eigenes Bild von dieser Initiative machen, wenn das Bündnis unter FAQs zum Aufruf schreibt:

"Die Verfasser*innen (des "regulären" Aufrufs - kamue) zeichnen ein apokalyptisches Szenario vom bevorstehenden Untergang der ganzen Menschheit, gegen das wir uns heute stemmen müssten. Dafür wird der germanisch-mythologische Begriff „Weltenbrand“ benutzt. Es wird impliziert dass die EU, NATO und USA schlimmer seien als der Nationalsozialismus und im Begriff sind etwas zu tun – augenscheinlich mit einem Angriff auf Iran und Syrien – dass die Shoa in den Schatten stellen würde."

Im Vergleich dazu ist natürlich auch der "reguläre" Aufruf kein theoretischer Leckerbissen, wenn man den Old School Marxismus als Kriterium anlegt.

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Aus den über 30 Texten der Nr. 12/2012 (version A) ragt zweifellos der von Neil Davidson heraus, der eine kluge Würdigung des theoretischen Werks am 1. Oktober 2012 verstorbenen Eric John Ernest Hobsbawm verfasst hat. So empfiehlt er z.B. darin:

"Beim Lesen seiner Bücher und Essays lässt sich kaum bestimmen, an welcher Stelle der Historiker zum Anthropologen (Sozialrebellen. Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert), Sozialhistoriker (Europäische Revolutionen. 1789 bis 1848), Sozialgeographen (Labour in the Great City) oder zum Kulturkritiker (Behind the Times) wird... Der Genuss, das Quartett der Reihe nach zu lesen, besteht unter anderem in der Art und Weise, in der der Leser mitverfolgen kann, wie sich von Das Zeitalter der Revolutionen bis zu Das Zeitalter der Extreme nach und nach die geographischen Grenzen des Kapitalismus von der im Wesentlichen europäischen Szenerie bis hin zu seinen heutigen globalen Ausmaßen ausdehnen."

Dankenswerterweise haben wir eine äußerst fähige Übersetzerin in der TREND-Redaktion, die sich sofort nach Erscheinen des Textes an dessen Übersetzung gemacht hat.

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