Editorial
Über die Mühen mit der Theorie

von Karl Müller

12-2013

trend
onlinezeitung

Wenn wir als Redaktion ins nächste Jahr blicken, dann sehen wir, daß die Linke vor der inhaltschweren Aufgabe steht, sowohl anläßlich des 100. Jahrestages über den  Ersten Weltkrieg als auch über den Zweiten Weltkrieg, dessen Ausbruch sich dann zum 75zigsten Mal jährt, parteilich antikapitalistisch zu berichten. Den Anfang wird die XIX. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz machen, die am Sonnabend, dem 11. Januar 2014 in der Berliner Urania stattfinden wird. Dort wird gezeigt werden, dass die Beschäftigung mit diesen beiden imperialistischen Kriegen  nach wie vor von brennender  Aktualität bestimmt ist.

Eine solche Aufarbeitung darf vor einer Behandlung der schweren Fehler und Versäumnisse nicht Halt machen, die die deutsche Sozialdemokratie historisch begangen hat und die heute nach wie vor ihre "Friedens"politik bestimmen. Dabei sollte jedoch eine Metadebatte vermieden werden, wie sie in Teilen des linken Spektrums leider gepflegt wird, statt die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen.

Ein abschreckendes Beispiel für solche umherirrlichternden Deutungen bietet  die Konferenz "History is unwritten. Linke Geschichtspolitik und kritische Wissenschaft: Gestern, Heute und Morgen" am 06. bis 08. Dezember 2013, die sich damit ideologisch gegen die XIX. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz und die  LL-Demo am 12.4.2014 positioniert - um, dass scheint beabsichtigt, wieder zu einer Spalterdemo am 12.4.2014 zu mobilisieren. Solche politischen Implikationen verleiten selbstredend dazu, Geschichte neu zu schreiben, damit sie zum imperialistisch dominierten Weltgeschehen an der Seite des BRD-Kapitals und seinem politischen Personal passt.

Wir dagegen wollen nicht Geschichte neu schreiben, sondern an verdrängte oder vergessene Ereignisse erinnern, um Entwicklungslinien, die noch heute die herrschende Politik bestimmen, sichtbar zu machen. Da unsere personellen und materiellen Kapazitäten gering sind, konzentrieren wir uns aufs Exemplarische und hoffen, dass bildlich gesprochen der ins Wasser geworfene kleine Stein dennoch ausreichend sichtbare Wellen produziert. In diesem Sinne stellen wir in dieser Ausgabe  die Haltung der SPD  zur Kolonialfrage vor dem Ersten Weltkrieg vor, um zu zeigen, dass 1914 die Zustimmung  der SPD zu den Kriegskrediten eine langwährende Vorgeschichte hatte, wo sich proimperialistische SPD-Denke quasi als sachzwangvernünftiges Alltagsdenken herausbilden musste.

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Dass eine Untersuchung und Einordnung solcher weltgeschichtlichen Ereignisse nicht ohne eine adäquate Theorie zu leisten ist, nämlich eine, die ausgehend von der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie den Imperialismus zum Gegenstand hat, dürfte allgemein unter Linken, die die Aufhebung des Kapitalismus anstreben, anerkannt sein. Hier bietet uns die neuere Entwicklung der DKP interessantes Anschauungsmaterial, was es heißt diesen Theoriewerkzeugkasten in Anwendung zu bringen.

Vom 8. bis 10. November 2013  fand in Lissabon das 15. Internationale Treffen von Kommunistischen und Arbeiterparteien statt. Der KKE-Bericht rief auf Seiten der DKP-Opposition, die es  entgegen der neuen Parteivorstandslinie zur "Europäischen Linken (EL) " zieht, Kritik hervor:

"Denn eine solche Fülle von schematisch-dogmatischen, wirklichkeitsfernen und alle Erfahrungen der kommunistischen Bewegung der Erde ignorierenden Thesen ist sonst nur extrem sektiererischen Organisationen zu eigen."

Von dort ging es sogleich frontal gegen ein Mitglied des Parteivorstands, H.P. Brenner, dem vorgehalten wurde, dass er Lenins Imperialismustheorie für eine Widerspiegelung des "letzten" Stadiums des Kapitalismus hält, was dieser seinerseits gar nicht gemeint habe, sondern was erst durch stalinistische Rezeption später in die Leninsche Imperialismustheorie hineininterpretiert worden sei.

Mögen diese ideologischen Wortklaubereien ein wenig absurd anmuten, so transportieren sie doch  interessante Fragestellungen, die für die Strategie und Taktik der Aufhebung des Kapitalismus wichtig sind. So heißt es in der DKP-Oppo-Kritik dazu:

"Die Herausbildung von übernationalen gigantischen Unternehmen des Kapitalismus, die  eine neue Art und Schicht imperialistischer Kräfte darstellen. Diese transnationalen Konzerne gibt es in der Produktion der Realwirtschaft, wie auch im Bereich des Finanzkapitals. Ihre Existenz hebt weder ihre Konkurrenz untereinander auf, noch Verelendung und Hegemonie oder mehr oder minder umfangreiche lokale Kriege auf. Allerdings agieren diese Konzerne gegenüber den Nationalstaaten (je nach Größe und 'Gewicht') und deren herrschenden Bourgeoisien wie Befehlshaber." 
                                               UND


"Unzweifelhaft jedoch ist es, dass eine auf der Strukturanalyse des Imperialismus vor 100 Jahren stehen gebliebene Strategie national-beschränkter "Übergänge zum Sozialismus" scheitern und erfolglos bleiben wird."

So Recht die DKP-Oppos haben, so falsch ist die politische Konsequenz, die sie daraus ziehen, wenn sie nämlich meinen, sich in und mit der  "EL" zu organisieren, ohne über programmatische Antworten auf diese so richtig selbst aufgeworfenen Fragen zu verfügen. Sie sind halt Bewegungssozialisten, für die immer und ewig die Praxis Hauptseite gegenüber der Theorie bleiben wird.

Georg Fülberth ist ein bei der DKP beliebter Theoretiker, der solch ein mechanistisches Theorie/Praxis-Verständnis  ideologisch affirmiert, wenn er darüber lamentiert, dass es heute keine revolutionäre Theorie gäbe, weil wir - nationalborniert betrachtet - in nicht revolutionärer Zeit leben. Karl-Heinz Schubert  hat sich mit Fülberths Revisionismus etwas näher befasst und dabei betont, dass AntikapitalistInnen ihr Gesicht der proletarischen Klasse zuzuwenden haben, wenn es ihnen mit revolutionärer Theorie und Praxis ernst ist.

Eine weitere, besonders prekäre ideologische Baustelle gibt es bei der DKP, und nicht nur dort, sondern auch bei anderen kommunistischen und sozialrevolutionären Organisation. Frank Braun und Jürgen Suttner nehmen sich diese Baustelle bei der DKP mit ihrem Aufsatz  "Das globale ökologische Desaster und die KommunistInnen" genauer unter die Lupe. und stellen fest, "daß in den Dokumenten der DKP die dialektische Beziehung von Naturproduktivität und Arbeitsproduktivität nicht verstanden wird." Deshalb werben sie mit ihrem Aufsatz dafür, dass sich KommunistInnen theoretisch zu qualifizieren haben, damit die ökologische Frage nicht bloß zur "Zugabe für programmatische Texte im Sinne der politischen Bewerbung des Umweltklientels" verkommt, sonders als das behandelt wird, was angesichts des ökologischen Desasters historisch notwendig ist, nämlich als "positive Vision bezüglich des Mensch-Natur-Verhältnis".

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In dieser Ausgabe dokumentieren wir zwei Papiere aus dem Umfeld von Kotti & Co, die darauf ausgerichtet sind, dem herrschenden politischen Personal Vorschläge zu unterbreiten, wie sogenannte "ek-schwache Haushalte" (?!! - was ist das für eine Sprache ?) mit für sie passendem Wohnraum im Rahmen der bis 2013 zu errichtenden 100.000 Wohnungen versorgt werden könnten. Da sich nach Meinung der Papierschreiber der Berliner Senat in dieser Frage nicht bewegt, fiele ihnen als "bürgerschaftliche Akteure" die Aufgabe zu "in Berlin ein Handlungskonzept dieser Größenordnung durchzusetzen".

Sie favorisieren haushaltstechnisch ein Sondervermögen als "Revolvierender Fonds" nach Salzburger Lesart (d.h. für NormalbürgerInnen völlig undurchsichtig), da sie davon ausgehen, dass "Mithilfe von Schlüsselzahlen" sich "der Aufwand für Wohnungsneubau annähernd berechnen" und durch so einen Fonds finanzieren ließe. Und genau hier liegt der Pferdefuß solcher staatsaffirmativen Bemühungen begraben. Dieser Ansatz des Berechnens des "Aufwands für Wohnungsneubau" - Stichwort Kostenmiete - akzeptiert nämlich die Profitmacherei der Baukapitalisten ohne in diesen Mechanismus regulierend einzugreifen. Es wird quasi vom Standpunkt des Bestellers argumentiert, den nur der Endpreis interessiert und nicht, dass Baukapitalisten zur Finanzierung ihres Auftrags bis zu 97 % Fremdkapital aufnehmen müssen, deren Zinskosten sie dann auf die Baupreise abwälzen, weil sie ihren Unternehmergewinn nicht schmälern wollen. Der Staat als Besteller fungiert zudem kameralistisch und achtet deshalb nur darauf, dass die Alimentierung der Profite der Baukapitalisten und die Zinsen der sie finanzierenden Banken auf die lohnabhängigen Massen so abgewälzt werden, dass die Haushaltsbilanz sich nicht verschlechtert. Für solche  Bärendienste bürgerschaftlicher Akteure ist der Berliner Senat zweifelsfrei ein gute Adresse. Besonders dann, wenn - wie im zweiten Papier - Hilfestellung bei der haushaltstechnischen Umsetzung geleistet wird.

Ansonsten überlassen wir es unseren LeserInnen, weitere gravierende Pferdefüße in diesem beiden Papieren ausfindig zu machen. Gleichwohl sind wir davon  überzeugt, dass es kein politisches Vorankommen in der Wohnungsfrage für die proletarische Klasse geben geben wird, wenn sie nicht mit den Bemühungen marxistischer Theorie angegangen wird, die darauf abzielen, bereits in nichtrevolutionären Zeiten das Wertgesetz - d..h. die Profitmacherei - zu desavouieren.

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Gewöhnlich dient ein Editorial der letzten Ausgabe eines Jahres immer zu einem Jahresrückblick, dem wir uns hier nicht verschließen wollen. Zuvorderst geht deshalb hier ein dickes Dankeschön an die vielen AutorInnen, die mit Ihren Beiträgen das Profil von TREND auch 2013  als einem linken und strömungsübergreifenden Theorieorgan prägten. Stellvertretend  für alle möchten wir hier einmal Bernard Schmid nennen, der seit  März 2003 - also seit über 10 Jahren - regelmäßig für TREND schreibt.  Darunter solche relevanten Artikel wie z.B. Die französischen Trabantenstädte oder Die Ethnisierung des Sozialen, geschrieben im Dezember 2004, und allein in den letzten drei Jahren 23.597 Mal gelesen.

Aus der Fülle der Aktivitäten und Ereignisse des Jahres 2013 ragen folgende Highlights hervor:

1) Die Veröffentlichung des Essays von von Antonín Dick: Rose des Exilgeborenen in der TREND-Ausgabe  3/2013

2) Das TREND-Gespräch Nr.9  „Löhne rauf - Mieten runter“ Geht das überhaupt im Kapitalismus?  am 25. April 2013  mit Klaus Linder ( Mietenpolitischer Sprecher der  DKP Berlin).

3) Der TREND-Vortrag von Helmut Dunkhase (DKP Berlin) am  27. September 2013 zum Thema Planwirtschaft im 21. Jahrhundert

4) Die Buchvorstellung David Harvey "Rebellische Städte" durch Karl-Heinz Schubert (AKKA) am  21. Oktober 2013

5) Der Vortrag mit  Diskussion am 30. Oktober 2013 und am 12. November 2013  zum Thema
"Lohnarbeit & Kapital" - Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie als Grundlage der Klassentheorie
mit Karl-Heinz Schubert (AKKA)

6) Die Teilnahme unseres presserechtlich Verantwortlichen Karl-Heinz Schubert am Piratentalk Nr. 13 über Marxismus-Anarchismus am 10. November  2013.

TREND(s) im Netz - hier die jüngsten Zahlen:

Die BesucherInnenzahlen vom November 2013, in Klammern 2012, 2011

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