Editorial
Der Berg kreiste und gebar eine Maus

von Karl Mueller

5/6-12

trend
onlinezeitung

Über 30 Leute - vornehmlich aus dem Spektrum der Stadtteil- bzw. MieterInnen-Initiativen - kamen am 10.04. um 19 Uhr ins Café Commune zum TREND Gespräch Nr. 6 über Programm und Organisation zum Thema "Wie den Krieg gegen die Paläste führen?". Das Eingangsreferat von Peter - einem Zeitzeugen des westberliner Häuserkampfes - machte recht gut deutlich, dass die objektiven Ausgangsbedingungen der 80er Jahre keinesfalls mit den heutigen Bedingungen eines "Krieges gegen die Paläste" zu vergleichen seien. Eine Frau aus dem Schillerkiez formulierte den Unterschied so:

"Wir haben heute keine leerstehenden Häuser, die wir einfach in Besitz nehmen könnten, wenn wir  Prekären aus der Wohnung geschmissen werden. Deshalb müssen wir die Wohnungen, in denen wir noch einigermaßen günstig  wohnen, als bereits von uns besetzt betrachten."

Die Diskussion drehte sich sodann überwiegend um diese Einschätzung der gegenwärtige Lage in Berlin. Dazu gab es weitere Informationen von Martin und Hanna aus dem MieterInnenspektrum. Woran es jedoch in der Diskussion haperte, war die Umsetzung solcher Einsichten in praktisch-politisches Handeln, das über reine Aufklärung durch von Bündnissen getragenen Manifestationen hinausgeht. Detlev K., der das Gespräch ansonsten souverän moderierte, versuchte einige Male vergeblich, die Organisationsfrage als Schlüsselfrage dieses Praxisproblems in das Gespräch einzubringen. Die AktivistInnen aus dem Stadtteil- und MieterInnen-Inis ließen diese Frage nur insoweit an sich herankommen, als sie deren grundsätzliche Bedeutung für Stadtteilarbeit nicht bestritten. Dennoch waren sie jedoch nicht in der Lage, entwickelt aus ihren praktischen Erfahrungen weiterreichende organisatorische Schlüsse als Bündniskampagnenpolitik zu ziehen. Als TREND-Onlinezeitung unterstützen wir dennoch deren Politik, weil wir der berechtigten Hoffnung anhängen, dass sich die Organisationsfrage aus den Inhalten des Miet- und Stadtteilkampfes sozusagen organisch entwickeln wird, je mehr er denn antikapitalistisch grundiert wird.

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"Heiß erseht oft erwähnt" wegen ihrer  positiven Nennung im na-endlich-Papier der SIB-GenossInnen die nun nach einem Jahr erschienene Stellungnahme der Gruppe AVANTI. Sie verdient das Prädikat: Der Berg kreiste  und gebar eine Maus. Alles wesentliche dazu ist in der Kritik von Frank Braun nachzulesen: Irgendwie revolutionär mit Selbstermächtigung. Bleibt von meiner Seite nur noch nachzutragen, dass einer Gruppe, die auf eine 23jährige Praxis - wie eben Avanti - zurückblicken kann und dies als Monstranz ("mir san mir") vor sich herträgt und schlussendlich keine Silbe der Selbstkritik über Ihr selbstverschuldetes Zirkeldasein formuliert, mit ein wenig Argwohn begegnet werden sollte. Nämlich gerade auch dann, wenn AVANTI die eigene Organisationserfahrungen quasi als Königsweg zur Überwindung des Zirkelwesens anpreist:

"Wir haben gegenüber der IL bekannt, dass wir bereit sind, uns in eine „neue IL“ aufzulösen. Wir verstehen uns als Projekt mit dem Hauptziel des Aufbaus einer bundesweiten revolutionären Organisation. Für den Fall, dass sich diese Hoffnungen an die IL nicht erfüllen, haben wir dargelegt, dass wir auch weiter an einem Ausbau unserer Avanti-Strukturen arbeiten. ...  Das bedeutet, wir lassen uns vollständig auf das Projekt der gemeinsamen Organisierung mit allen anderen an der IL Beteiligten ein und bauen gleichzeitig unsere eigenen Strukturen weiter auf und aus." (zitiert aus der Stellungnahme)

Nun ist es ja nicht so, dass AVANTI  im Umkehrschluss die Alleinschuld am bundesdeutschen Zirkel- und Sektenwesen hätte. Vielmehr handelt es sich bei AVANTI um einen exemplarischen Fall für den seit Jahren anhaltenden ideologischen Mainstream der linksradikalen Milieus zwischen Linkspartei und ml-Zirkeln (siehe dazu: Prinzipien- oder Aktionsprogramm?)

Wir haben in der oben erwähnten TREND Veranstaltung ja erlebt, wie AktivistInnen aus dem Mietkampfspektrum sich gegen die Organisationsfrage praktisch sperrten, und das nicht etwa, weil sie irgendwie sektiererisch drauf wären, sondern weil in ihrer Gruppe diese noch nicht (abschließend) diskutiert worden war, d.h. in  ihrem politischen Milieu ist der Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis so bestimmt ist, wie es exemplarisch AVANTI  folgendermaßen anlässlich des SIB-Papiers formuliert:

"Wir kommen aus verschiedenen sozialen Bewegungen und haben gelernt, dass wir unsere Theorie immer eng an unsere Praxis geknüpft entwickeln müssen. Nur so können wir unsere Theorie und Praxis unter tatsächlicher Einbeziehung der Basisaktivist_innen und der praktischen Erfahrungen fortentwickeln. Nur so können wir im Übrigen authentischer Teil der kämpfenden sozialen Bewegungen bleiben." (ebd.)

Und weiter:

"Wir haben bei Avanti immer wieder, insbesondere aber im IL-Prozess gemerkt, wie gefährlich es sein kann, diese Diskussionen zwar auf einem höheren Niveau, aber im Wesentlichen durch Einzelpersonen geführt, laufen zu lassen, und wie schwierig es war, danach wieder die gesamte Gruppe einzubeziehen bzw. die postulierten Inhalte wirklich in der gesamten Gruppe zu verankern." (ebd.)

Das heißt auf den Begriff gebracht: Theorie nicht als (wissenschaftlich richtige) Widerspiegelung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu betreiben, die es umzuwälzen gilt, sondern als kommunikatives Gruppenmeinungsprodukt zu evaluieren. Diese Pädagogisierung der Politik mit den didaktischen Ritualen der Staatsschule ("Bilden wir ein Stuhlkreis und reden mal da drüber") ist ein im Grunde genommen theoriefeindlicher Ansatz, da nicht das Was analysiert wird, es also Ausgangspunkt und Leitfaden der Erkenntnis bildet, sondern das Wie nämlich: die Erkenntnismethode, die zu allem Überfluss noch dem Diktat einer atmosphärischen Gruppenharmonie unterworfen wird.

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Um die hundert Interessierte versammelten sich am 26. April 2012 im Kreuzberger Festsaal zu einer Podiumsdiskussion  über das anspruchsvolle Thema "Charakter der Krise, Formen der Kapitalherrschaft und Perspektiven ihrer Überwindung". Gemäß dieser Dreiteilung gab es dreimal Thesen der Referenten von ARAB, DKP und SIB zu hören, mehr schlecht als recht von der Vertreterin der ALB moderiert, die, noch freundlich ausgedrückt,  die jeweiligen Themen nur in Ansätzen beherrschte.

Zur Krise ließ uns der ARAB-Genosse wissen, dass es bei Marx und Lenin wichtige Einsichten zum Charakter der Krise und über die Kapitalherrschaft nachzulesen gäbe, jedoch das mit dem tendenziellen Fall der Profitrate eine Sache sei, der er nicht folge. Der DKP-Genosse legte dagegen Wert darauf zu betonen, dass die aktuelle Krise eine komplizierte Angelegenheit sei, die er in "fünf Minuten" nicht analysieren könne. Ersatzweise zeigte er dafür anhand der Geschichte der letzten 200 Jahre, dass die Krise nicht nur zum Kapitalismus dazugehöre, sondern auch zyklisch sei und vor allem jede Krise anders. Der Genosse von der SIB mühte sich redlich auf die aktuelle Krise einzugehen und dabei den Fokus auf die Rolle des Finanzkapitals zu legen. Dabei streifte er auch Aspekte der Verlagerung nationalstaatlicher Funktionen in transnationale Strukturen. So war es auch nicht verwunderlich, dass die wenigen Publikumsbeiträge zur Krise sich auf seinen Beitrag bezogen.

Der politisch brisante Teil - nämlich die Perspektiven der Überwindung der Kapitalherrschaft -  wurde letztlich durch den DKP-Genossen konturiert, der als einziger in der Lage war, ein wenn auch historisch falsches, so doch schlüssiges Konzept (antimilitaristische, antifaschistische Aktionseinheitspolitik und verbunden damit, Stärkung der zentralistischen DKP als Avantgarde der Klasse)  schlagwortartig vorzustellen, während der ARAB-Genosse über die gegenwärtige (?!) Isolierung der linksradikalen Kräfte in der BRD raisonierte und meinte, diese befänden sich in einer "ähnlichen Lage wie die Tupamaros". Dem SIB-Genossen gelang es leider nicht, obwohl er durch einen entsprechenden Redebeitrag aus dem Publikum unterstützt wurde, die Organisationsfrage im Sinne des Na-endlich-Papiers in der Debatte zu verankern.

Nach 1 1/2 Stunden trat die Moderatorin wieder auf den Plan und erklärte die Veranstaltung für beendet. Summa Summarum: Für diese Veranstaltung erscheint leider auch das geflügelte Wort vom kreisenden Berg als zutreffend.

Am 6. Mai 2012 wird die SIB erneut Gelegenheit erhalten, ihre organisatorischen Vorstellungen zur Überwindung des Zirkelwesens zu erläutern und zwar bei  Dr. Seltsams Wochenschau im Brauhaus Südstern, Hasenheide 69, 10967 Berlin um 13 Uhr unter dem  Thema

Eine neue Organisation für subjektive Revolutionär_innen!
Notwendig oder überflüssig?

Seit einigen Monaten wird kräftig am Aufbau einer neuen  antikapitalistischen Organisation gearbeitet. Das ist wichtig und kann die politische Wirklichkeit erheblich verändern. Wir wollen hinter die  Kulissen gucken. Detlev K. wird sich mit einigen Vertretern und Skeptikern dieser  Bewegung unterhalten.
Dabei sind: Michael (SIB),  Karl (trend online) und  N.N. (avanti). Detlev K. macht nicht nur Musik zum Thema, sondern führt auch das Gespräch.

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Aufmerksame LeserInnen werden bemerkt haben, dass die vorliegende Ausgabe eine Doppelnummer ist. Dies ist insofern außergewöhnlich als TREND-Doppelnummern bisher immer nur zur Hochsommerzeit herausgegeben wurden. Der Grund ist schlicht der, dass sich die Redaktion berufsbedingt veranlasst sieht, ihren Jahresurlaub im Mai/Juni zu nehmen. So wird es zwischen dem 10. Mai und dem 10. Juni 2012 keine Updates geben.

Wer daher bezüglich der Debatte über Programm & Organisation auf dem Laufenden bleiben will, der/m empfehlen wir, verstärkter den

Diskussionsblog für eine neue antikapitalistische Organisation
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