Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nach dem ersten Durchgang der französischen Präsidentschaftswahl (22. 4. 12)

Teil A: Linke und Mitte-Links-Spektrum.
Von Philippe Poutou bis François Hollande

5/6-12

trend
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Es wird insgesamt erheblich knapper für die Stichwahl um das französische Präsidentenamt, als ursprünglich erwartet worden wäre. Von vielen Beobachtern wird zwar weiterhin damit gerechnet, dass Amtsinhaber Nicolas Sarkozy beim zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahl am 06. Mai 2012 durch seinen Herausforderer François Hollande besiegt wird.

Eine Umfrage vom Abend des ersten Wahlsonntags (22. April) prognostiziert dem sozialdemokratischen Kandidaten Hollande etwa 54 Prozent, gegenüber 46 Prozent für den konservativ-wirtschaftsliberalen Amtsinhaber. Spätere Umfragen gingen im Laufe der Woche mitunter auch mit 55 zu 45 Prozent zugunsten François Hollandes aus. Am Montag, den 30. April schlagen die Zeiger des Umfrageinstituts Ipsos hingegen für ein Resultat von 53 : 47 Prozent (zugunsten François Hollandes) aus.

Dennoch ist der Ausgang erstaunlich offen. Trotz weit verbreiteten Unmuts über die Amtsführung Sarkozys in den letzten fünf Jahren beträgt der Abstand zwischen den beiden, für die Stichwahl qualifizierten Bewerbern letztendlich nur anderthalb Prozent: 28,63 % im ersten Wahlgang für den Mitte-Links-Politiker François Hollande und 27,18 % für Nicolas Sarkozy trotz scharfen Gegenwinds.

Vor allem jedoch verfügt Hollande kaum noch über größere „Stimmenreserven“, nachdem der linkssozialistische Kandidat Jean-Luc Mélenchon schwächer abschnitt als zuvor vielfach erwartet. Nicolas Sarkozy könnte es dagegen gelingen, die Stimmenpotenziale der rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen und des Mitte-Rechts-Bewerbers François Bayrou anzuzapfen. Beides gleichzeitig dürfte jedoch schwierig werden... (Vgl. dazu Teil B:  Extreme Rechte auf historischem Höchstniveau )

François Hollande dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit das nächste französische Staatsoberhaupt werden. Neben anderen Faktoren (nämlich den nunmehrigen politischen Kräfteverhältnissen zwischen Links und Rechts) könnte aber auch seine allzu sehr auf Ausgleich, Konsens und inhaltliche Schwammigkeit ausgerichtete Wahlkampfführung zum Hemmnis für ihn werden.

Hollande erklärte am 29. Februar 12 anlässlich eines Besuchs in der City of London, dem Finanzdistrikt der britischen Hauptstadt, gegenüber der britischen Presse: I’m not dangerous. Gemeint war damit, dass Schwerreiche, Finanzanleger und sonstige Investoren nichts von ihm zu befürchten hätten. Kurz darauf setzten ihn jedoch die steigenden Umfragewerte für eine Bündniskandidatur zu seiner Linken – wo Jean-Luc Mélenchon für eine Allianz aus abgespalteten linken Sozialdemokraten und Kommunistischer Partei, vergleichbar ungefähr mit dem Zusammenschluss von WASG und PDS zur Partei Die Linke, antrat (siehe unten) – unter Druck.

Daraufhin verkündete Hollande, zur Überraschung seiner eigenen Berater wie Ex-Premier- und Ex-Finanzminister Laurent Fabius und Steuerpolitiker Jérôme Cahuzec, einen Beschluss zur Einführung einer „Millionärssteuer“. Ab einem Jahreseinkommen von einer Million Mark pro Haushalt soll auf die oberste Einkommenstranche ein Spitzensteuersatz von 75 Prozent angewendet werden. Diese Ankündigung überraschte seitens des, ansonsten oft puddingweich auftretenden, sozialdemokratischen Kandidaten Hollande. Seine Berater schienen dadurch zeitweilig so verwirrt, dass sie den Beschluss zu relativieren oder herunterzuspielen versuchten; Fabius behauptete etwa, es handele sich nur um eine „befristete, einmalige Maßnahme“ auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise. Nachdem die Linke aufschrie und die Rechte über „diesen Hühnerstall“ zu spotten anfing, musste François Hollande jedoch ein Machtwort sprechen: Der Programmpunkt blieb stehen, und es wurde klargestellt, dass die Steuer nicht nur für ein einziges Haushaltsjahr gedacht sei. Es handelte sich um den einzigen halbwegs spektakulären Schritt in seinem Wahlkampf.

Chirac-Clan pro Hollande

Wie stark Hollande ansonsten als Kandidat des Minimalkonsenses nahe der politischen Mitte betrachtet wird, belegt etwa das angekündigte Wahlverhalten vieler Spitzenprotagonisten aus dem bürgerlichen Lager. Nahezu der gesamte Familienclan des früheren Präsidenten Jacques Chiracs, also von Sarkozys bürgerlichem Amtsvorgänger, stellte eine Stimmabgabe zugunsten François Hollandes in Aussicht. Einzige Ausnahme: Die Gattin des Ex-Präsidenten, Bernadette Chirac, eine glühende Anhängerin Sarkozys. Doch die Tochter Claude Chirac, die früher Strategien für Jacques Chirac zu seinen Zeiten als aktiver Politiker ausarbeitete, kündigte ebenso eine Wahl François Hollandes an wie andere Familienangehörige oder frühere Mitarbeiter Chiracs. Oder auch ehemalige Minister wie Azouz Begag. In ihren Augen wäre ein Präsident Hollande nicht so extrem polarisierend wie Sarkozy, dessen persönliche Exzesse – sein vor allem in den ersten Amtsjahren praktiziertes Parvenu-Verhalten durch Zurschaustellung seines Reichtums, sein oft autoritärer Führungsstil – als Hindernis bei einer Befriedung zur Umsetzung „notwendiger Reformen“ betrachtet werden.

Dass auch frühere eigene Minister Sarkozys (wie Fadela Amara und Martin Hirsch oder auch mit einigem Hin-und-Her Ex-Umweltministerin Chantal Jouanno) erklärten, für den sozialdemokratischen Bewerber zu stimmen, rundet das Bild ab. Bei ihnen kommt allerdings zum Teil hinzu, dass sie sich am Kabinettstisch notorisch zu kurz gekommen oder übergangen fühlten.

Linksbündnis unter Mélenchon

Nun wird Hollande allerdings auch weiter links die nötigen Stimmen gewinnen müssen, auch wenn Linkssozialist Mélenchon mit 11,1 Prozent nicht so gut abschnitt, wie Umfragen mehrere Wochen lang erkennen ließen. (In ihnen lag er mehreren Wochen hindurch zwischen 14 und 17 %.)

Jean-Luc Mélenchon steht trotz seines Doppel-Vornamens, der auf zwei der vier „Evangelisten“ der Bibel verweist (Johannes & Lukas), für eine klar säkularistische, republikanisch-staatstragende und linkssozialistische Tradition. Er selbst kam 1951 als Sohn von Kolonialfranzosen im marokkanischen Tanger zur Welt. Er stand lange Jahre auf dem linken Flügel der französischen Sozialdemokratie, welcher er in den späten 1970er Jahren beigetreten war. Zuvor hatte er Anfang der siebziger Jahre als Student für kurze Zeit – für eine Dauer von circa drei Jahren – bei den Lambertisten, einer sehr speziellen Variante des französischen Trotzkismus, hospiziert. Ihnen kehrte er jedoch anlässlich des Übergangs vom Universitäts- zum Berufsleben den Rücken. Auch, weil er mit den autoritären Strukturen und dem Sektierertum, die den Lambertisten eigen sind, aneinander geriet.

Im Jahr 2008 wandte er nach dreißig Jahren von der Sozialdemokratie, die definitiv im Wirtschaftsliberalismus gefangen sei, ab und machte sich mit einer eigenen Partei selbstständig: dem Parti de gauche (PG, „Linkspartei“); vgl. dazu "Die französische Linke sortiert sich um." (trend 3/2009) Seit dem Wahlkampf zu den Europaparlamentswahlen im Juni 2009 tritt diese neue beide Partei in einem Wahlbündnis mit der französischen KP unter dem Namen Front de gauche, ungefährLinksfront“, an.

DieseLinke Front ist inzwischen um einige weitere Organisationen gewachsen, darunter zwei Abspaltungen von der vorläufig mit ihrem Gründungsprojekt gescheitertenNeuen Antikapitalistischen Partei (vgl. "Präsidentschafts-Vorwahlkampf (Teil 1 - trend 11/2011)  unter den Namen Gauche Unitaire (unter Christian Picquet) und Convergences & Alternances. Aber auch die aus dem Linksnationalismus hervorgegangene Gruppe République et socialisme, die bislang maoistische Kleinpartei PCOF und eine reformistisch-demokratische Abspaltung von der französischen KP unter dem Namen FASE (la Fédération pour une Alternative Sociale et Ecologique).

Die gemeinsameLinksfront bleibt jedoch nach wie vor ein Organisationskartell, d.h. man kann ihr nicht direkt als Mitglied beitreten, sondern muss einem/r der ihr angehörenden Parteien/Verbände angehören. Und die französische KP (oder der PCF, d.h. le Parti communiste français), deren Apparat nach wie vor mächtige Eigen- und Selbsterhaltinteressen bürokratischer Natur verfolgt, wird den Teufel tun und ihrer Selbstauflösung in dieLinksfront hinein zustimmen ganz bestimmt nicht. Jedoch hat die französische KP, die sich spätestens seit ihrem katastrophalen Ergebnis bei der Präsidentschaftswahl 2007 (nur noch 01,93 % für die damalige Kandidatin des PCF) im allmählichen Absterben zu befinden schien, seit 2009 durch das Bündnis mehrere Schübe von Frischluftzufuhr erfuhren. Im laufenden Jahr verzeichnet sie sogar Neuzugänge mündlichen Informationen zufolge ist von 2.500 seit dem Einsetzen des Wahlkampfs die Rede -, und vor allem, die Hälfte unter ihnen sollen unter 30 Jahre alt sein; vgl. auch http://www.liberation.fr

Bislang litt die französische KP unter einem massiven Überalterungsproblem. Offiziell hatte die Partei im vergangenen Jahr noch 69.227 Mitglieder (dereinst ging ihre Zahl in die mehreren Hunderttausend), von ihnen nahmen 48.361 an der dreitägigen innerparteilichen Urabstimmung im Juni 2011 statt. Dabei ging es um die Frage einer Unterstützung für die damals bereits erklärte Präsidentschaftskandidatur Mélechons – d afür stimmten 59,12 % - oder aber eine Eigenkandidatur der Partei. (Zur Auswahl standen der Senator André Chassaigne als gemeinsamer Alternativbewerber für das Linksbündnis, 36,82 % stimmten dafür, und Emmanuel Dang Tran für eine sektiererische Eigenkandidatur mit 04,07 % der Mitgliederstimmen.) Unter uns gesagt: Wer bei einer solch wichtigen Abstimmung nicht teilnahm, dürfte wohl eher als Karteileichen gelten, was Rückschlüsse auf die tatsächliche Größenordnung der Mitgliederzahl zulässt... - Mélenchons eigene Partei, die „Linkspartei“ (le Parti de gauche), zählte laut eigenen Angaben vor der Wahl rund 10.000 Mitglieder.

Mélenchon als Präsidentschaftskandidat dieser „Linksfront“ besetzt eine ähnliche Position im politischen Spektrum wie in Deutschland Oskar Lafontaine. Im Gegensatz zu jenem sind von Mélenchon allerdings keine rassistischen Sprüche über „Fremdarbeiter“ (wie Lafontaine in Chemnitz im Juni 2005) und keine Folterbefürwortung (wie Lafontaine im Falle des Frankfurter Kindesentführers von 2003) bekannt. Sondern – trotz eines Ausrutschers gegen osteuropäische Beitrittsländer im Abstimmungskampf um den EU-Verfassungsvertrag 2005 („Litauer? Mit denen habe ich nix am Hut // die sollen mich am Arsch lecken. Haben Sie schon mal einen getroffen?, ich nicht.“) – insgesamt ein klar antirassistisches Profil. So tritt er für die vollständige „Legalisierung“ der Sans papiers, also der illegalisierten Einwanderer, ein.

Er warb mit einem Programm, das im Kern auf Keynesianismus basiert, also auf der Vorstellung, dass die Erhöhung des Konsums durch Anhebung von Löhnen und Kaufkraft einen Schritt zur Überwindung der Wirtschaftskrise darstellen könne. Auch wenn Mélenchon sich zumindest auf der Ebene der Wahlkampfrhetorik auch revolutionärer Symbole – vor allem aus den Jahren um 1793 – sowie mitunter eines marxistisch klingenden Klassenkampfvokabulars bediente („Résistance, résistance“, riefen immer wieder Sprechchöre bei seinen Veranstaltungen wie zuletzt am 19. April in den Pariser Messehallen), so ist sein Programm doch ein keynesianistisches. Der gesetzliche Mindestlohn soll um rund 300 Euro angehoben werden, der Umstieg von Atomenergie und fossilen Brennstoffen auf neue Energiequellen soll ökologisch verträgliches Wachstum und Arbeitsplätze schaffen, 600.000 erschwingliche Wohnungen sollen gebaut werden. Die Europäische Zentralbank (EZB, französische BCE abgekürzt) soll den Mitgliedsländern der Eurozone direkt Geld leihen können, um ihren Kreditbedarf zu finanzieren, statt nur an die Privatbanken. Dass der Kandidat Mélenchon den Keynesianismus in seinem Programm so stark betonte, hob allerdings nur umso deutlicher hervor, dass jenes des Sozialdemokraten Hollande nicht einmal in nennenswerten Ansätzen keynesianisch ist – was man historisch von der Sozialdemokratie stets erwartet hätte.

Mélenchon unternahm bisweilen auch starke rhetorische Anleihen beim Patriotismus. So rief er bei seiner Abschlusskundgebung im Wahlkampf, am 19. April in den Pariser Messehallen an der Porte de Versailles, die französische Jugend zur Entdeckung der Meere(s-gründe) als neue Herausforderung des Planeten auf: „Frankreich ist die zweitstärkste maritime Macht der Welt“, „Frankreich war immer eine universalistische Macht“ – wenn es stark sei, dann, um für die Welt einzutreten – und habe nach wie vor eine „universelle Mission“. Eine Dosis an Patriotismus, ja Nationalismus zählt aus historischen Gründen -- von den Abwehrkriegen der jungen Republik ab 1792 gegen die europäischen Monarchien unter Führung Preußens und Österreich-Ungarns bis zur Résistance -- jedoch unbestreitbar zum Erbe der etablierten französischen Linken. Erst die „Neue Linke“ nach 1968 streifte ihn in ihrem Ideengut tendenziell ab.

Dass Mélenchon letztendlich nicht so gut abschnitt, wie in vieen Umfragen in den fünf Wochen zuvor prognostiziert – 11,1 % und 3,984 Millionen Stimmen (statt 14 % bis 17 % laut diversen Umfragen) – dürfte stark mit dem „Kleineres Übel“-Reflex zusammenhängen. Bei vielen WählerInnen sitzt das historische Trauma des 21. April 2002, jenes Wahltags, an dem statt des Sozialdemokraten Lionel Jospin nur noch der bürgerliche Rechte Jacques Chirac und der Neofaschist Jean-Marine Le Pen in die Stichwahl einzogen, noch tief. Ihnen ging es darum, in Umfragen den durch Mélenchon ausgedrückten Ideen & Positionen ihre Sympathie zu bekunden, aber in der Wahlkabine dafür zu sorgen, dass die (etablierte) Linke überhaupt mit Siegeschancen in die zweite Runde ziehen kann.
 

Hinzu kamen jedoch noch weitere Faktoren. In den anderthalb Wochen vor dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl wurde u.a. bekannt, dass Mélenchon im September 2007 als geladener Gast an der Verleihung einer Auszeichnung der Ehrenmedaille Légion dHonneur für Sarkozys Chefideologen Patrick Buisson teilgenommen hatte; vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com/ und http://tempsreel.nouvelobs.com/election-presidentielle - Gleichzeitig wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, dass Mélenchon zu seinen Zeiten als Senator eine Art politischer Männerfreundschaft mit seinem früheren Senatskollegen Serge Dassault, Abgeordneter der rechten Regierungspartei UMP und Rüstungsproduzent sowie Pressemogul, pflegte.

Dazu trug sicherlich Mélenchons Faszination für das Studium des politischen Gegners bei (wobei eine Feier wie die genannte Medaillenverleihung vielleicht nicht den allerbesten Moment für das inhaltliche Gegnerstudium bildet). Aber nicht nur: Mélenchon bleibt ein eingefleischter „Staatsmann“ und „Vollblutpolitiker“ im bürgerlichen Sinne, der – trotz eines geradezu doktrinären Festhaltens an bestimmten sozialdemokratischen Grundsätzen, die er auch in neoliberalen Zeiten nicht über Bord zu werfen bereit ist, und einiger echter Überzeugungen – gleichzeitig auch den inhaltlichen Zynismus eines Apparatepolitikers und Verfechters der „Staatsräson“ besitzt. Den Macciavellismus hat er zu Amtszeiten des von ihm nach wie vor bewunderten François Mitterand (Neubegründer der zuvor marginalisierten französischen Sozialdemokratie auf dem Kongress von Epinay im Juni 1971, Staatspräsident von Mai 1981 bis Mai 1995) im Detail einstudieren können. Insofern dürfte Mélenchon auch in manchen Strategen der Rechten, den Leuten von „gegenüber“, irgendwo noch Seinesgleichen erkennen. Nun ist besagter Patrick Buisson jedoch ein ganz besonders übler Knochen: Im Jahr 1984 verfasste er ein apologetisches Buch über die OAS (rechte Terrororganisation während des Algerienkriegs), und in den Jahren 1986/87 war er Chefredakteur der rechtsextremen Wochenzeitung Minute; damals bemühte er sich intensiv um eine Annäherung zwischen der bürgerlichen Rechten und dem Front National. Heute berät er Sarkozy dahingehend, dass und wie er die Wählerschaft des FN ansprechen solle. Mélenchon kritisiert diese ausgeprägten Signale Sarkozys an die extreme Rechte heute heftig. Aber es bleibt die Frage, warum er an der Ehrung eben dieses nämlichen Patrick Buisson teilnahm…

Zudem erklären seine Biographen Lilian Alemagna und Stéphane Alliès (Autoren des Buchs ,Mélenchon le plébéien’, Paris 2012) auf Seite 172, dass Mélenchon eine gewisse Schwäche gegenüber einem französischen Industriekapitän wie Dassault besitze: Seine scharfe Kritik gelte vor allem den Banken und dem Finanzkapital, während das Industriekapital in seinen Augen „viel akzeptabler“ ausfalle.

(Kritikwürdig ist ansonsten insbesondere auch Mélenchons relativ deutliche Faszination für das aktuelle Funktionieren der VR China. Frankreich und China hätten historisch miteinander „die starke Rolle des Staates, des Gesetzes“ gemeinsam, erklärte Mélenchon den oben zitierten Autoren Alemagna und Alliès zufolge. Auch wenn er ferner eingesteht, dass „der Kapitalismus in China wütet“. Im Streit um die Konflikte in Tibet 2008 konnte Mélenchon ausschließlich „einen reaktionären Mönchsaufstand“ und tibetanische Feudalherren als Alternative zum chinesischen Regime erkennen, und schlug sich folglich auf dessen Seite. Zumal Mélenchon stark die Kritik und Abgrenzung zur internationalen Rolle der USA betont, weshalb er eine Annäherung des französischen Staats an China als Mittel zur Errichtung eines „Gegengewichts“ betrachtet.)

Die o.g. Enthüllungen über Mélenchons vergangene Kontakte zu markanten Figuren der Rechten, wie Buisson und Dassault, trugen dazu bei, seine Reputation in den Augen mancher linker Wähler/innen zu ramponieren. Jean-Luc Mélenchon reagierte darauf, indem er pampig anmerkte, seine früheren sozialdemokratischen Parteifreunde hätten ihn bösartig verpetzt. Was die bürgerliche Rechte betrifft, so spart sie ihrerseits nicht mit vordergründigem Lob für Mélenchon, der immerhin prinzipienfest und ein guter Wahlkämpfer sei. Nicolas Sarkozy persönlich attestierte Mélenchon Temperament undTalent“; vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com- Und Mélenchon selbst sucht lieber die Auseinandersetzung mit demKämpfer Sarkozy als mit dem schlappen Tretbootkapitän“ (capitaine de pédalo), wie er den sozialdemokratischen Wackelpuddingpolitiker François Hollande titulierte. Beide Seiten verfolgen dabei eine gewisse politische Polarisierungsstrategie. Und die konservative Rechte kalkulierte zeitweilig, ein Anstieg derLinksfront komme ihr zunutze, da sie den sozialdemokratischen Kandidaten als Hauptgegner schwäche. Gleichzeitig dient das laute Hinausposaunen eines vergifteten Lobs für ihre linken Gegner auch dazu, die Konservativen in eine vermeintliche Stärkeposition zu rücken: Letztere geben sich selbst den Anscheinen, als kontrollierten sie die Verschiebungen im gegnerischen Lager und als seien bestimmte Protagonisten der Linken nur Spielfiguren in ihrem strategischen Plan. Schon im Wahlkampf 2006/07 hatte Nicolas Sarkozy mitunter mit kalkuliertem Lob für den damals erfolgreichen Kandidaten der radikalen Linken, Olivier Besancenot, mitunter nicht gespart. Dies sollte zugleich einen Keil zwischen unterschiedliche Linkskräfte treiben, aber zugleich den radikalen Linken in den Augen der Öffentlichkeit auch tendenziell diskreditieren und ihn als Marionette erscheinen lassen. Die Sozialdemokratie wiederum griff und greift diesen Eindruck gerne als Argument gegen denSpalter Besancenot gestern, und Mélenchon heute auf

Weitere Aussichten auf der (etablierten) Linken

Und wie geht es mit dem Linksbündnis nun weiter? Am Wahlabend erklärte Mélenchon bereits, dass er dazu aufrufe, „ohne jegliche Gegenleistung“ am 06. Mai 12 „gegen Nicolas Sarkozy“ zu stimmen. Es wird also voraussichtlich keine Verhandlungen zwischen ihm und Hollande geben. Am Montag früh (23. April) dementierte Mélenchons Mitarbeiterin Clémentine Autin auch bei Radio France Inter, dass ein Treffen zwischen beiden Kandidaten für Absprachen geplant sein. Am Freitag, den 27. April wurde zudem bekannt, dass Mélenchon das Angebot ausschlug, auf einer Wahlkampf-Großveranstaltung François Hollandes am Sonntag in der Konzerthalle von Paris-Bercy gemeinsam mit ihm aufzutreten.

Mélenchons Aufruf, „ohne Wenn und Aber“ für Hollande zu stimmen, fügt sich aber deutlich in seine Strategie ein, die drauf hinausläuft, unter den jetzigen Bedingungen nicht oder zumindest nicht sofort eine Regierungsbeteiligung anzustreben. Die letzten Koalitionsbeteiligungen von linken Parteien, besonders der französischen KP zwischen 1981 und 84 und zuletzt zwischen 1997 und 2002, zeitigten aus deren Sicht meist unbefriedigende Ergebnisse. Hernach wurde die KP jeweils scharf – und zu Recht - durch ihre Wähler abgestraft. Unter den Bedingungen der derzeitigen Krisenverwaltung rechnet das Linksbündnis offenbar mit noch weniger Spielräumen für politische Intervention auch gegen den „Druck der Märkte“ oder für Umverteilung. Deswegen strebt sie derzeit eher eine Tolerierung sozialdemokratischer Regierungen im Parlament, denn eine Kabinettsbeteiligung an.

Sonstige linke Kandidaturen

Dass die revolutionäre Linke in diesem Jahr keine Stiche würde machen können, sondern durch den (relativen) Erfolg der Mélenchon-Kandidatur marginalisiert wurde, war von vornherein bekannt. Noch bei der Präsidentschaftswahl im April 2002 erhielten ihre Vorläuferkandidaturen, Arlette Laguiller für Lutte Ouvrière (LO, „Arbeiterkampf“) und Olivier Besanencot für die damalige LCR (Vorläuferin der „Neuen Antikapitalistischen Partei“, des NPA), im ersten Durchgang über 10 % der Stimmen. Besancenot erholte seinen damaligen Wahlerfolg nochmals im April 2007 mit über 4 Prozent, während das Ergebnis Arlette Laguiller damals innerhalb von fünf Jahren stark zurückging. Doch in diesem Jahr erhielt die radikale Linke insgesamt, mit ihren beiden Kandidaturen, unter zwei Prozent.

Beiden KandidatInnen, dem 45jährigen Automobilarbeiter Philippe Poutou vom NPA (le Nouveau Parti Anticapitaliste, d.h. der „Neuen Antikapitalistischen Partei“) mit 1,15 % und der etwas jüngeren Berufsschullehrerin Nathalie Arthaud für LO mit 0,56 %, waren zuvor Ergebnisse in solcher Höhe prognostiziert worden. Poutou zeitweilig sogar noch weniger (bei den führenden Instituten hieß es: ,in den Umfragen statistisch nicht messbar, unter einem halben Prozent’), da er vor seiner Nominierung im Juni 2011 sogar unter Mitgliedern der eigenen Partei völlig unbekannt war. Unterdessen war die Partei über ihr Verhältnis zur „Linksfront“ – an welche eine starke Minderheit in ihren Reihen die Annäherung suchte – tief gespalten, und von ursprünglich bis zu 9.000 Mitgliedern nach der NPA-Gründung sind derzeit vielleicht noch 1.500 aktiv.

Im Laufe des 14jährigen offiziellen Wahlkampfs, während dessen Dauer allen Kandidat/inn/en ein gleicher Medienzugang und gleich lange Redezeiten im Fernsehen garantiert werden, konnte der Kandidat des NPA jedoch durch sein Auftreten – oft unvorbereitet, aber allgemein als couragiert betrachtet - manche Sympathien anziehen. Am Ende seiner, mit einiger sichtlichen Mühe absolvierten, Teilnahme an einer Debattensendung mit allen zehn KandidatInnen zur Präsidentschaftswahl applaudierte das Publikum sogar Poutou (was eigentlich nicht vorgesehen war, bei der Sendung soll es normalerweise keinen Beifall geben). Nicht unbedingt für seine Inhalte, wohl mehrheitlich nicht; aber für die Courage, mit welcher er die „Elefantenrunde“ durchgestanden hatte.

Auch sorgte der besonders chaotische Wahlkampfspot von Philippe Poutous NPA für Aufsehen. Einer seiner beiden TV-Spots ahmte eine Quizsendung nach, in welcher die beiden RatekandidatInnen den Namen eines unidentifizierten Präsidentschaftsbewerbers erraten müssen: „Welcher Kandidat ist Arbeiter in der Automobilindustrie, tritt für die 32-Stunden-Woche ein, ...?“ Nach einigen missratenen Versuchen, auf den Namen zu kommen („Charles de Gaulle?“, „Michael Schumacher?“, nochmals kommt „Charles de Gaulle“ vom ersichtlich unfähigen Ratekandidaten) rufen am Schluss beide TeilnehmerInnen im Chor aus: „Philippe Poutou! Philippe Poutou!“ Alles in allem eher ein bizarrer Sketch, welcher aber in der um-jeden-Preis-seriös-wirken-wollenden Atmosphäre des französischen Wahlkampfs einiges Aufsehen erregte. Insgesamt wirkte der Wahlkampf des NPA erheblich, ja betont improvisiert. Während ihr Kandidat ein gesetzlich garantiertes Anrecht auf die Rückzahlung von 800.000 Euro Wahlkampfkosten hatte, wurden davon nur 600.000 Euro ausgegeben – „Wir haben dem Staat ein Geschenk gegeben“, erklärte Poutou dazu am Ende der vergangenen Woche ironisch.

Alles in allem rechnet der NPA es sich als Verdienst an, „einen Unbekannten, einen der Unseren als Kandidaten aufgestellt“ und dadurch das quasi-monarchische System der Fünften Republik unterlaufen zu haben. Allerdings stellte er Philippe Poutou erst dann – im Juni 2011 – als Kandidaten auf (und kam dieser überhaupt erst zu dem Zeitpunkt in Betracht), nachdem der in den Medien gut ankommende Postgewerkschafter und Präsidentschaftskandidat 2002 und 2007 Olivier Besancenot ihm zuvor eine Absage erteilt hatte. Besancenot verspürte keine Lust, nochmals im dritten Anlauf als Kandidat anzutreten, auf die Gefahr hin, dass die öffentliche Wahrnehmung des NPA noch stärker personifiziert werde. Zumindest diese Gefahr konnte die Partei nun vermeiden. Vielleicht hat sie danach nun die Not zur Tugend erhoben.

Im Juli 2012 ist jedoch mit der wahrscheinlichen Abspaltung einer stärkeren Minderheit des NPA, unter dem Namen Gauche Anticapitaliste (GA, „Antikapitalistische Linke“), und ihrer Annäherung oder Angliederung an die „Linksfront“ zu rechnen. Es würde sich bereits um die dritte Abspaltung vom NPA zugunsten des Linksbündnisses unter Mélenchon handeln, vgl. oben. Teile der GA unterstützten schon im zurückliegenden Wahlkampf die Kandidatur Mélenchons offen.

Unterdessen hat Olivier Besancenot im Namen der Führung des NPA bereits vor dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl sowohl die „Linksfront“ als auch Lutte Ouvrière (LO) dazu aufgefordert, ab dem 07. Mai dieses Jahres – dem Tag nach der Stichwahl - ein gemeinsamen Treffen abzuhalten. Um sich konkret über eine Strategie der „Linksopposition“ unter François Hollande zu verständigen. Bislang ist von Reaktionen auf diesen nichts Vorstoß bekannt.

Die trotzkistisch-dogmatische Kleinpartei LO („Arbeiterkampf“) bleibt unterdessen bei ihrer Position der eher sektiererischen Alleingänge, und einer leicht missioniarisch wirkenden Propagierung „antikapitalistischer Position“. Ihre Kandidatin, die 42jährige Nathalie Arthaud, lief in den TV-Debatten mitunter zu Hochform auf, wenn es darum ging, die Machenschaften des Großkapitals ging, wirkte dabei jedoch mitunter monothematisch festgelegt. Unpolitischere ZeitgenossInnen erlebten sie als angeblich „hasserfüllt“. Eines der Hauptprobleme im LO-Wahlkampf war die weitgehende Unfähigkeit, auf spezifische Themen – jenseits der Anprangerung des Großkapitals – konkret zu antworten. Mensch denke nur an ihre Position zur Atomkraft („private Wirtschaftsinteressen müssen aus der Energiewirtschaft herausgedrängt werden“, gut, und dann: etwa fürs „AKW in Volkes Händen“?!).

Vorläufiges Fazit

Da sowohl die Grünen (mit 2,31 % für ihre Präsidentschaftskandidat Eva Joly) als auch die überwiegend aus dem Trotzkismus kommende radikale Linke mit unter 2 Prozent keine stärkeren „Stimmenreserven“ mehr bieten, wird Hollande sich in den nächsten zwei Wochen dennoch anstrengen müssen. Denn Sarkozy liegt zwar anderthalb Prozent hinter ihm, hat aber zumindest potenziell wesentlich größere Reserven auf der Rechten.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.