Editorial
Paradigmenwechsel

von Karl Müller

5-6/2015

trend
onlinezeitung

"Hört lieber jetzt auf uns, bevor die Radikalen/Gewaltbereiten in der Sache das Ruder übernehmen! Sozialer Wohnungsbau muss neu definiert werden, sonst kocht es bald über!"  Facebookseite des Mietenvolksentscheids vom 13.3.2015

Als autonome Kräfte am 1. Mai 2015 in Berlin Neukölln wie angekündigt versuchten, ein leerstehendes Kaufhaus zu besetzen, konnte nach dem Scheitern der Polizeipräsident Kandt mit Genugtuung verkünden: "Es wurden Böller und Bengalos gezündet. Aber die Gewaltbereiten blieben isoliert." (Berl. Zeitung, 4.5.15; S. 15)

Die inhaltliche Nähe zwischen dem Motto der Facebookseite und den Einlassungen des Polizeipräsidenten ist kein Zufall, sondern illustriert nur, worauf eine stabile Herrschaft in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft basiert: auf einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Zustimmung und Gewalt.

Für mächtig Zustimmung zum "Hier und Jetzt" und seinem kapitalistischen Erhalt sorgt zur Zeit besonders der Verein "Mietenvolksentscheid" mit seinem "Gesetzentwurf über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin". Karl-Heinz Schubert hat sich in dieser Ausgabe deren kapitalaffines Elaborat ein zweites mal kritisch vorgenommen und festgestellt, dass es sich dabei nur um einen gewöhnlichen Vorschlag für die Profitmacherei mit Wohnraum handelt. Nun müsste mensch meinen, dass zu dieser Erkenntnis auch andere marxistisch grundierte Linke gelangen könnten, gerade dann,  wenn sie sich auf ihre Fahnen heften, dass sie revolutionäre Antikapitalist*innen seien.

Im NaO-Manifest steht beispielsweise zu lesen: "Wir argumentieren und kämpfen gegen eine Mitverwaltung der kapitalistischen Krise in jeder  Form und auf jeder Ebene. Von der Ablehnung von "Bürger"-Haushalten auf kommunaler Ebene (bei denen am Ende des Tages nur entschieden wird, ob das Seniorenheim oder die Kindertagesstätte dicht gemacht wird) bis zur Kritik am Eintritt in bürgerliche Regierungen (in denen die "Linken" schon immer die "Drecksarbeit" machen durften)."

Solch eine prinzipielle Aussage hinderte gleichwohl den NaO-Aktivisten Michael Prütz nicht, seine Funktion bei der Vorbereitung der Berliner revolutionären 1.Mai-Demo dazu zu benutzen, via Email für den Mietenvolksentscheid zu werben. Eine Anfrage der Redaktion bei ihm, den Widersspruch zum NaO-Programm aufzuhellen, blieb bis heute leider unbeantwortet.

In gewisserweise lieferte nun Martin Suchanek von der NaO-Mitgliedsorganisation, Arbeitermacht,  mit seinem Artikel "Ein Tag mit zwei Gesichtern" die Antwort darauf durch einen Rundumschlag gegen die sozialrevolutionären Kräfte vom „Wir sind überall“-Block. Sie hatten der NaO das Anführen der revolutionären 1.Mai-Demo weggenommen, um aus der Demo heraus die Kaufhaus-Besetzung anzuzetteln. Statt endlich mal vor der eigenen reformistischen Tür zu kehren, hielt Suchanek ihnen stattdessen vor, der „Wir sind überall“-Block sei nur das "pseudo-radikale Alter Ego" des DGB.

In diesem Kontext rechtfertigt Genosse Suchanek die NaO-Unterstützung des Mietenvolksentscheids sozusagen von hintenrum, indem er es als Erfolg ausgibt, dass die trotzkistischen Freund*innen von der SAV, die ständig nur entristisch-reformistisch in der Linkspartei rumwursteln, nun auch noch auf der revolutionären 1.Mai-Demo auftauchen. Und zwar offensichtlich um ihren Auftritt nutzen, so wie beim beim jüngsten Warnstreik an der Berliner Charité, um an ihrem Stand offensiv für den Mietenvolksentscheid Unterschriften zu sammeln.

Auf den ersten Blick erscheint das sich Engagieren für den Mietenvolksentscheid gegenüber dem sonst üblichen Herunterbeten von sogenannten klassenkämpferischen "Übergangsforderungen" als ein opportunistischer Paradigmenwechsel. Doch weit gefehlt. Der Schlüssel für diesen Opportunismus liegt schlicht in einer Trotzkismusinterpretation - derer es ja bekanntlich viele gibt - , die davon lebt, dass sozialdemokratische Parteien und Gewerkschaften per se der richtige Ort im Klassenkampf seien, um dem sozialistischen Ziel ein stückweit näher zu kommen. Schließlich pfeifen es ja bereits die Spatzen von den Dächern, dass die eigentlichen Stichwortgeber*innen der ökonomischen Kernaussagen des Gesetzesentwurf des Mietenvolksentscheids (Sozialwohnungen lieber kaufen als kommunal bauen, private Investoren fördern usw.)  in der Linkspartei zu Hause sind. In einer Linkspartei nämlich, die sich in dieser Stadt auf das thüringer Rot-Rot-Grün Modell vorbereitet und dafür die Wutwelle über Wohnungsnot und Mietpreistreiberei benutzt, um auf ihr 2016 zu einem Wahlsieg zu surfen.

Durch dieses parteipolitische Agieren, larviert durch Kotti & Co., andere Mieter*inneninis und dem Mieterverein, ist - befördert durch eine wohlwollende bürgerliche Presse - ein wohnungspolitischer Mainstream in der Stadt entstanden, an den sich nun auch Grüne und Piraten ranhängen. Die einen bedingt durch innerparteiliche Fraktionskämpfe gegen ein schwarz-grünes Regierungsbündnis in Berlin 2016, die anderen wegen des Überlebens der Partei überhaupt.

Da bleibt für die DKP als am parlamentarischen Mitgestalten interessierte Partei nicht mehr viel Spielraum, denn so wie der Gesetzentwurf des Mietenvolksentscheids inhaltlich ausgerichtet ist, kann es ein "Jein" dazu nicht geben.  Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen haben wir nun erfahren, dass die DKP den Gesetzesentwurf immer noch "prüft", um eine "kommunistische" Haltung zum Mietenvolksentscheid zu finden. Zum tieferen Verstehen dieses Attentismus können wir den DKP-kritischen Aufsatz von Frank Braun empfehlen, der sich mit der antimonopolistischen Strategie der DKP befasst, einer "Kopfgeburt", die in ihrer Konsequenz zu einer Politik führt, die sich nur noch graduell von der Linkspartei unterscheidet.

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Neben der aktuellen Berichterstattung zum 1. Mai und der stadtpolitisch wichtigen Beschäftigung mit dem "Mietenvolksentscheid" enthält diese Ausgabe - übrigens eine Doppelnummer, weil die Redaktion zwischen dem 15.5. und dem 15.6. nicht im Lande weilen wird - weitere äußerst lesenswerte Texte, wovon wir folgende besonders hervorheben wollen.

Da wäre zum einen die etwas andere Buchbesprechung mit einem Leseauszug aus Georg Klaudas Aufsatz. Zum anderen die außergewöhnliche Behandlung der "subordinierten Uni" durch eine Art begriffliches Brainstorming seitens Yelena Simc und Matze Schmidt.

Oder auch die straighte exemplarische Zurückweisung von Sahra Wagenknechts bereits 2011 erschienenen Buches Freiheit statt Kapitalismus durch Horst Schulz. Und last not least: Bernard Schmids detaillierte Veranschaulichung der schrecklichen Umstände aus Afrika und Syrien über Libyen in Richtung EU-Europa zu flüchten.

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