Berichte aus Brasilien
 Musik-Supermacht Brasilien (3)
Tropen-Punk  Supla  mit Nina Hagen Unter den Linden
Brasiliens Links-Rocker  drehte mit seiner Ex-Freundin den Hit-Videoclip „Garota do Berlin“
von Klaus Hart

7-8/02
 

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 Barhäuptig, wasserstoffblond, in Punkerklamotten, prescht Paradiesvogel Supla, 35,  mit der schweren Wehrmachts-Beiwagenmaschine zur russischen Botschaft, das Filmteam kurz hinter ihm – und bong, krachz – passiert es – Brasiliens Medienstar und Oberpunkrocker stößt ausgerechnet hier mit einem Bus zusammen. „Eine Riesenaufregung, sofort stürzten Russen aus dem Gebäude, umringten mich, hier dürfe ich auf keinen Fall drehen – dann kam  die deutsche Polizei angerannt, totales Durcheinander, hat mir gut gefallen.“ Auch am Potsdamer Platz, am Alex oder am Ku-Damm mimte er die Verfolgung des  Berlin-Girls, der „Garota de Berlin“, die ihn im Menschengetriebe nur einen Moment ziemlich lasziv, mit „Sexo, Sexo, Sexo“ in den Augen angeblinzelt hatte, dann spurlos verschwunden war. Supla stürzt aus der Metro, fragt atemlos eine Polizistin –  Nina Hagen mal in Uniform – nach der Garota, rennt weiter. Oder stoppt mit der Wehrmachtsmaschine vor einer Zigeunerin – natürlich wieder Nina – weiß die vielleicht was? Hausbesetzer, noble Figuren, alle Berlin-Milieus werden gestreift auf dieser Jagd, „Berlim oriental e ocidental“.  Aber die  Dame dort -  ist das nicht diese  famose deutsche Sängerin, die  ganz Brasilien  von Rockshows in Rio und Sao Paulo kennt? Diesmal Nina Hagen als Nina Hagen. „Ich filmte an Plätzen, wo Adolf Hitler langgegangen ist, zeige das alles im Clip – für mich, zum ersten Mal  in Berlin, war das direkt  schockierend, dieser Kontakt zur deutschen Vergangenheit“, bekennt Supla. „Ich hatte das Gefühl, hier hängt eine gewisse Schwere in der Luft – als ob die Stadt  nach so vielen Jahren immer noch vom Krieg psychisch geschädigt ist.“

SFB-Multikulti-Hörer haben  den Song zum MTV-Clip schon im Ohr, astreiner Brasil-Punkrock , mit George Sputnik aus Brooklyn an der Gitarre. Im tropischen  Sao Paulo drehen statt in Berlin, Nina Hagen einfliegen – wäre das nicht besser gewesen? Vor zwei Jahren vielleicht, heute ist Supla dafür viel zu berühmt. Er mit Nina Hagen irgendwo in der drittgrößten Stadt der Welt – das gäbe  enorme Menschenaufläufe, der ohnehin schon chaotische Verkehr bräche zusammen. Verglichen mit Sao Paulo, wirkt da Berlin verwaist bis kurstädtisch-ländlich, friedhofsstill – hat aber Nina Hagen aufzubieten. „Immer diese alte Geschichte, ich hätte sie rumgekriegt und dann mit ihr...- Genau andersrum liefs, ganz ihre Art, sie hat mich...“ Das war 1985, beide haben die selbe Plattenfirma, treffen sich nach Konzerten in Sao Paulo – Nina hat spontan Lust, mit Supla dieses „Garota de Berlin“ aufzunehmen. „Sie kommt ins Studio und blinzelt mich gleich so an – na, da habe ich eben zurückgeblinzelt – sie neunundzwanzig, ich grade achtzehn.“ Nina lädt ihn nach Los Angeles ein, er lebt  dort mit ihr ein paar Monate zusammen. „Das war wie ein Kindertraum, ich in Kalifornien, in Hollywood, mit der großen Nina Hagen, dieser köstlichen, wunderschönen Deutschen – eine tolle Zeit!“ Beide bleiben gute Freunde, verlieren sich nie aus den Augen. Supla denkt  anfangs den Videoclip mit Cosma Shiva zu drehen, doch dann hat die Mama selber Spaß an der Clip-Idee. Die Plattenfirma schielt natürlich auf Europa, den internationalen Musikmarkt -  das Filmchen von Berlin könnte Supla vielleicht Türen öffnen. 

Sao Paulo - Südamerikas Musikmetropole

Im kosmopolitischen  Teilstaat Sao Paulo ist Supla von Deutschen, deutschen Produkten umzingelt. Über eintausend Firmen aus Alemanha, mehr Industrien als in irgendeiner deutschen Stadt - darunter VW do Brasil, Lateinamerikas größtes Privatunternehmen. Doch Sao Paulo  ist auch Südamerikas Musikmetropole, hier bringt Supla, vor Jahren Anheizer der Ramones,  letztes Jahr seine neue, siebte CD heraus - Stadtsoziologie, teils getextet mit einem hohen Polizeifahnder, mit dem er mal in der Schulbank saß: Die Japanerin mit den grünen Haaren, die eitlen Businessleute von der Banken-Avenida Paulista, das Schweine-System, die italienische Mafia, echte und falsche egoistische Männer und Frauen, komplizierte Beziehungskisten im Hochhausdickicht, der Sex-Maniac – und der TV-Medienboß, den Supla in einem selbstironischen Liedchen durch den Kakao zieht. „Ich nutze dich aus, um mich zu verkaufen.“ Pure Autobiographie – denn so war es im  wirklichen Leben gleich nach dem  CD-Start: Sao Paulos Fernsehzar Silvio Santos will ihn trotz des Liedchens für fünfzig Tage, abgeschottet mit Künstlern, Schauspielern in Brasiliens Big-Brother-Container - Supla komponiert fleißig, singt.  Rieseneinschaltquoten in dem Riesenland, 24-mal größer als Deutschland – Supla mögen die Zuschauer bis hoch zum Amazonas am meisten, weil er durchweg echt, authentisch wirkt, sich in keine Billig-Intrigen hineinziehen läßt, keinen Stuß redet. Seitdem ist Supla eine Art Idol – jeden Tag in Talkshows, Pop-und Kindersendungen, in der Werbung.

Supla para Presidente

Bei den Oktoberwahlen 2002, so ergeben seriöse Umfragen, würden ihn die 16-bis 19-Jährigen zum Staatspräsidenten wählen, unter den möglichen Kandidaten rangierte er derzeit immerhin auf Platz vier. Ein Punkrocker als Staatschef? Supla, locker, sympathischer Typ durch und durch, mit eigentlichem Namen Eduardo Smith de Vasconcellos Suplicy,  ist eine komplexe Persönlichkeit, hat intellektuellen Background, Tiefgang, wurde geprägt von den  berühmten Eltern, beide aus großbürgerlichen Elite-Familien, Führungsmitglieder der linkssozialdemokratischen Arbeiterpartei PT: Mamae Marta ist Brasiliens bekannteste Feministin, angesehene Sexualwissenschaftlerin, dazu Therapeutin, derzeit Bürgermeisterin der lateinamerikanischen Industrielokomotive. Papai Eduardo ist progressiver Kongreßsenator, Doktor der Michigan-University, Säule der Ethik und Unbestechlichkeit im tiefkorrupten brasilianischen Politikbetrieb, joggt mit sechzig ohne Leibwächter fast jedes Wochenende in Sao Paulos Central Park – wer will, plaudert, redet, diskutiert mit ihm. Mama Marta tanzt bei der Love Parade oben auf den Trucks, Papa Eduardo eröffnet Vorträge mit einem Polit-Rap von der Slumperipherie, oder präsentiert , wie jüngst in den USA,  a capella erst mal Blowin`in the Wind.  Bei Supla-Open-Air-Konzerten durchquert der kräftig gebaute Ex-Boxer wagemutig den wilden Haufen der Pogotänzer, an der Bühne springt ihm der Sohn auf die Schultern, unterbricht die Show keine Minute. In Brasilien jedenfalls geht das alles, wird von niemandem, auch nicht von den Medien  bespöttelt. Solche mobilen, engagierten Alten zu haben, wie kein anderer Rockmusiker sonst auf dem Erdball – das sei schon „fucking crazy“. Wenn sich an der Slumperipherie, mit über achthundert Morden monatlich, Sozialprobleme zuspitzen, sprintet der Senator notfalls nachts um drei los, schlichtet, greift stets persönlich ein. Das hat Supla schon immer imponiert.

 „Ich bin nicht perfekt, bin widersprüchlich, sehe mich nicht  als Beispiel“, kommentiert Supla den Rummel um seine Person. Haßt beispielsweise den Sturzhelm-Zwang, räumt ein, öfters ohne „Capacete“ durch Sao Paulo  zu brausen, Verkehrsregeln der Präfektin, seiner Mutter, zu übertreten. Nutzt sämtliche Business-Tricks, um seine Musik, seine Band, die neue CD bekanntzumachen. Aber rät den jungen Leuten, sich politisch zu bilden, zu informieren,  nicht so viel in die Glotze zu gucken, dort nicht alles ernstzunehmen. „Wenn ich das sage, muß das wie Ironie klingen, denn ich bin ja täglich in den Medien präsent.“ In Brasilien ist der TV-Konsum weit höher als in Deutschland.

Glaubst Du an Gott, Supla? „Claro“. Dabei flog er bereits mit vierzehn vom angesehenen katholischen Privatkolleg an der noblen Avenida Paulista, Lateinamerikas Wallstreet, hatte Ärger mit den Padres im Sexualkundeunterricht. Wer vor der Hochzeit schon ein Mädchen küßt, kommt in die Hölle, hörte Supla, widersprach sofort. „Na wenn das so ist, bin ich schon drin!“  Mit der ersten Freundin hatte er noch ganz andere verbotene Sachen ausprobiert, danach mit einer Prostituierten. „Aber derzeit bin ich wohl der einzige Popstar weltweit, der mit niemandem schläft – soviele Projekte gleichzeitig, zum Verrücktwerden!“ Authentisch, wie er eben wirkt, nimmt mans ihm sogar ab – auch wenn sich Supla jetzt in einer Kulturzeitschrift, und  nicht etwa im Playboy, groß und doppelseitig zwischen den Beinen einer Frau ablichten ließ, beide splitternackt. Kein irgendwie negativer Kommentar von irgendwoher – wir sind im lasziven, sexuellen Brasilien, mit durchsexualisierter Alltagssprache schon im Kindergarten -  da geht schon lange, was bis auf weiteres in Deutschland undenkbar wäre. Aber Liberalität hat für Supla Grenzen: Marta und Eduardo gelten landesweit als bewundertes Traumpaar, die drei Söhne, noch einer davon Profimusiker, genießen das kuschelige Familienleben in vollen Zügen, möchten auch so eine stabile Beziehung, Kinder.

„Linke“ Mama mit bourgeoisen Allüren

 Supla kommt nach sieben aufregenden Jahren als Sänger, Bandleader im US-Punkrock-Underground extra zurück, um die  hübsche Mama im Bürgermeisterwahlkampf mit vielen Konzerten kräftig zu unterstützen. Sie gewinnt 2000 – und nimmt sich kurz darauf den internationalen Berater ihrer Arbeiterpartei, einen Französisch-Argentinier aus Paris, zum Geliebten, zieht aus und mit ihm zusammen. Supla ist darüber triste, hält zum Papai, beide wohnen  unterm selben Dach. „Ohne den wäre meine Mutter keine Präfektin geworden, nicht einmal Politikerin – wäre eine kleine Bourgeoisin, nichts weiter.“  Bourgeoise Allüren kreiden ihr die Stadtbewohner in der Tat zunehmend an – darunter die komplett fehlende Sensibilität für das tägliche Drama von Millionen im chaotischen öffentlichen Nahverkehr. Die PKW der Mittel-und Oberschicht sind auch unter Marta Suplicy privilegiert, Forderungen selbst von ausländischen Experten, in Sao Paulo doch endlich wie etwa in europäischen Städten  Fahrradwege einzurichten, und damit die am wenigsten Verdienenden der Unterschicht – immerhin die Mehrheit -  zu begünstigen, schmettert sie ab. An den Bushaltestellen weder Routenpläne noch Fahrzeiten –  wer im Zentrum arbeitet, aber an der Slumperipherie wohnt, wartet bis zu zwei Stunden auf den Bus. Doch obendrüber knattert die Privathubschrauberflotte  der Reichen - unter der „Linken“ Marta Suplicy ebenfalls privilegiert – in Deutschland schon aus Umweltschutz-und Sicherheitsgründen undenkbar. 

Indessen -  Stilmixer Supla hat mit Nina Hagen noch  viel  vor:“Ich hole sie zum Rock-in-Rio-Festival 2003 – da treten wir zusammen auf!“ Bei dem  Zehn-Tage-Großereignis, seit den Achtzigern alle zwei Jahre veranstaltet, stahl Nina allen Ernstes schon einmal internationalen Rockgrößen die Schau – der Rummel um sie in den Medien war unglaublich – beinahe so wie um Supla heute.  
 

Editorische Anmerkungen:

Der Autor schickte uns seinen Artikel am 29.7.2002 zur Veröffentlichung.

Er schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt.

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