Die Organisationsdebatte geht weiter

Psychologisch erklärlich, aber politisch schädlich
Eine Replik auf Frank Brauns Leserbrief

von
Karl-Heinz Schubert

7-8/11

trend
onlinezeitung

In seiner bekannten Schrift Lohn, Preis, Profit empfahl Marx der ArbeiterInnenbewegung: „Sie sollte begreifen, daß das gegenwärtige System bei all dem Elend, das es über sie verhängt, zugleich schwanger geht mit den materiellen Bedingungen und den gesellschaftlichen Formen, die für eine ökonomische Umgestaltung der Gesellschaft notwendig sind. Statt des konservativen Mottos: "Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!", sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: "Nieder mit dem Lohnsystem!"

Es dürfte selbst unter jenen mit minimalen Kenntnissen der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung Ausgestatteten unstrittig sein, dass eine politische Organisation des Proletariats, die das Lohnsystem abschaffen will, Kenntnisse über eben diese ökonomischen und sozialen Strukturen haben muss, um so ein Programm zur Aufhebung des Kapitalismus formulieren und eine entsprechende Organisation  für den politischen Umsturz schaffen zu können.

Redaktionelle Hinweise

Wir veröffentlichten in der Märzausgabe einen Beitrag der
„Sozialistische Initiative Berlin-Schöneberg“ zur Gründung einer antikapitalistischen Organisation. Darüber entwickelte sich eine Debatte, die durch das TREND TEACH IN seinen ersten Bilanzpunkt erfuhr. Die Statements wurden in der Juniausgabe des TREND veröffentlicht.

Es scheint so, als dass die Debatte weitergehen würde. In unserer Sommerausgabe 7-8/11 werden wir weitere Texte zu dieser Frage
publizieren.

Die "SchönebergerInnen" haben mittlerweile einen Blog eröffnet, der ebenfalls  die Debatte begleitet.

In diesem Sinne kann man bei Lenin studieren, was es heißt eine Klassenstruktur zu untersuchen und sowohl Programm als auch Partei auf dieser Grundlage zu begründen. Man kann auch durch diese Beschäftigung lernen, dass solch eine Untersuchung der Klassenverhältnisse unzutreffend  bzw. nicht hinreichend sein kann, wie Rosa Luxemburg im Hinblick auf die Behandlung der Agrarfrage bei Lenin bemerkt.

Wer sich nun trotz jener fundamentalen Einsichten jemand die Mühe macht, um via Internet zu verkünden, dass die Fragen, die ich zum Parteibildungsprozess und zur Klassenanalyse in Bezug auf das Verhältnis von Theorie und Praxis und im Hinblick auf die Schaffung einer revolutionären Organisation zur Überwindung des heutigen Zirkel- und Sektenwesens an die „SchönebergerInnen“ gestellt habe, ein rabulistisches Eindreschen(*) auf selbige darstellen würde, und dann noch - wie Frank Braun - an unserem TREND teach-in die ganze Zeit über teilgenommen hat, der kann nicht ganz bei Trost sein. 

Doch so leicht möchte ich es mir mit Brauns Polemik nicht machen, denn es handelt sich bei ihm nämlich um das bewusste Unterdrücken oder zumindest gezielte Ablenken von einer tiefen Kontroverse. 

Solche Tricks versuchte bereits der „Schöneberger“ Michael Schilwa, auf dem TREND teach-in mit mir abzuziehen. Er polemisierte dort gebetsmühlenartig gegen meinen  „Ableitungsfetischismus“, und zwar einzig und allein deshalb, um nicht auf meine Thesen über den Zustand der revolutionären Theorie und der reformistischen Praxis der so genannten revolutionären Linken in der BRD eingehen zu müssen.  

Schilwa gehört nämlich zu den SAVlern, die entgegen seiner Parteiführung (Redler und Co – siehe dazu den Veranstaltungsbericht  der Jungen Welt)  keine Chance mehr sehen, in der Linkspartei die eigene politische Basis personell zu verbreitern. Aus dieser Sackgasse möchte er so schnell wie möglich rauskommen, ohne gleichzeitig die GenossInnen zu verprellen, die das immer noch anders sehen und in  der Linkspartei verbleiben wollen. Personelle Verstärkung  sucht er zusammen mit seinen „SchönebergerInnen“ nun jenseits der Linkspartei, in dem er unter dem Label „Neue Antikapitalistische Organisation“ das so genannte autonome Spektrum abgrast. 

Bei  Frank Braun klingt das so:  „Die Hoffnung vieler, das Projekt Partei ‚Die Linke.’ (PDL) möge für die antikapitalistische und revolutionäre Linke einen Sprung nach vorne bedeuten, dürfte wohl inzwischen längst in der parlamentarischen Orientierung des Projekts zerstoben sein.“  

Das aber ist nicht anderes als die Feststellung eines Scheiterns – nämlich das Scheitern des trotzkistischen Entrismuskonzepts im Hinblick auf die Unterwanderung der Linkspartei. 

Vielleicht war ich ja zu naiv, als ich annahm, dass GenossInnen aus dem trotzkistischen Spektrum endlich bereit wären, aus ihren unzähligen gescheiterten  bzw. noch immer vor sich hin hindümpelnden Projekten zu lernen und als Ergebnis davon einen Diskussionsprozess in Gang zu bringen, an dem sich das gesamte revolutionäre Spektrum hätte beteiligen können. Mit dem Impetus, eine breite Diskussion - ausdrücklich über Strömungsgrenzen hinweg - zur Organisationsfrage mit anschieben zu helfen, bin ich deshalb in den Diskurs mit den „SchönebergerInnen“ hineingegangen. Einen strömungsübergreifenden Diskurs habe ich sowohl mit meinem Referat als auch durch meine Redebeiträge auf dem TREND teach-In eingefordert. Die „SchönebergerInnen“ wollen diese Öffnung nicht. Sie wollen nicht außerhalb ihrer "Leitplanken" diskutieren und jenseits selbiger Lernprozesse anschieben und auch dazulernen. 

Dito Frank Braun. Er will auch nicht raus aus dem selbstverschuldeten Sekten- und Zirkelwesen. Daher schreibt er in seinem Leserbrief: „Das Berliner Papier ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung und scheint geeignet, eine Dynamik der Aufhebung der politischen Defensive zu begünstigen.“ 

Doch die Zeichen deuten eher auf Unerfreuliches für so ein Schmalspurprojekt, weil die Richtung eben nicht die „richtige“ ist.

Aufmerksame ZeitgenossInnen werden nämlich  alsbald feststellen, dass markige Worte, man wolle die „subjektiven RevolutionärInnnen“  zusammenbringen, um einmal später der Führung der Linkspartei „Einheitsfrontangebote" machen zu können, lediglich dazu ausreichen, um an trotzkistischen Stammtischen die ideologische Lufthoheit zu behaupten. Aufgrund der deshalb zu erwartenden geringen Resonanz auf das „Schöneberger Papier“ steht im reziproken Verhältnis  das Gebölk von Frank Braun gegen Meinhard Creydt und mich  – psychologisch erklärlich aber politisch schädlich.  

Ein mit mir befreundeter Genosse charakterisierte das „Schöneberger Papier“ überspitzt  als linke Stellenbeschreibung, die so abgefasst ist, dass für diese Stellen allein nur ihre AutorInnen in Frage kommen. Bleibt also zu hoffen, dass die in den verschiedensten praktisch arbeitenden Gruppen derzeit aufkommende Hoffnung auf organisatorische Vernetzung durch die Verallgemeinerung ihrer eigenen politischen Erfahrungen mit dieser „Schöneberger“ Initiative nicht konterkariert wird. Einen Hinweis solches zu verhindern, lese ich dankenswerterweise aktuell bei  Wal Buchenberg, wenn er schreibt: "Diese Debatte ( um das Schöneberger Papier - khs) wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn sich nicht Robert Schlosser aus Bochum zu Wort gemeldet und versucht hätte aus der unsäglichen Organisationsdebatte eine sinnvolle Programmdebatte zu machen."

Anmerkungen

*) Braun schreibt: "Creydt und Schubert dreschen mit so erheblicher Verve auf den Berliner Text, daß man meinen könnte, ihnen reiche die eigene bloße Rabulistik für eine gedeihliche linksradikale Existenz."

„Rabulistik“ benennt eine Methode, um in einer Diskussion unabhängig von der Richtigkeit der eigenen Position Recht zu behalten. Erreicht wird dies durch rhetorische Tricks, Sophismen und verdeckte Fehlschlüsse wie das Einbringen diskussionsferner Aspekte, semantische Verschiebungen, etc. Die Grenzen zur Täuschung, Irreführung und Lüge sind dabei fließend.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor.