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UND JEDER WEISS WIE"S RICHTIG IST UND WIE MAN"S MACHEN SOLL! 

Das "Bündnis für Arbeit"
Eine auf dem Kopf stehende Pyramide

von DIETMAR KESTEN, Gelsenkirchen, Teil IV

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Ein historischer Rückblick (Teil I)
Auf der Suche nach dem verlorenenen Bündnis (Teil II)
Trugbilder (TeilII)

4. Der Neubeginn

Inzwischen hatten die Gewerkschaften noch einmal einen Versuch gestartet, das "Bündnis" aus seiner Erstarrung herauszuholen. In der "Sozialcharta" des DGB" vom Mai 1996 "Die Krise des Sozialstaates", (56) war es neben vielen anderen Programmpunkten derjenige, dem eine Vermittlerrolle zufallen sollte. Galt es doch, die Arbeitsgesellschaft zu retten. Das im "Bündnis" tief verinnerlichte Arbeitsethos, die Ausrichtung auf Arbeit und Leistung, bekam den Zusatz einer nachträglichen "idealistischen" Rechtfertigungsposition. Neben der Senkung von Steuerlasten, Lohnnebenkosten, der Beseitigung von Investionshemmnissen, Abbau von Überstunden, Verbesserung der Ausbil- dung, usw., sollte die "Demokratie und das Grundgesetz" mit allen Mitteln verteidigt, alle Kräfte auf "ihre Verteidigung" (57) ausgerichtet werden. Wer jedoch glauben machen will, daß der Mangel an Arbeit auf Dauer gemildert oder (überhaupt) beseitigt werden kann, und daß die Etablierung des Systems Lebensperspektive ist, schafft Illusionen, denen das Erwachen zur radikalen Wirklichkeit um so grausamer folgt.

Wenn man will, war dieser Erklärungsansatz eingebettet in den Selbstzweck, den Versuchen, dem Faktor Arbeit Rettungsringe zuzuwerfen. Beim "Sozialgipfel" des DGB vom 8. Mai 1996 (Köln) kündigte ZWICKEL die "Erneuerung des Bündnis" an. Das scheinbar unbeirrbare Selbstbewußtheit, mit dem er auftrat und zu Wer- ke ging, übertrumpfte selbst den abgedroschenen Vers " Wenn Du glaubst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtschein her"! Damit übertraf er seine eigene Kostümierung und verpaßte von nun an keine Gelegenheit mehr, jene "gemeinschaftlichen Bedürfnisse" zu wecken, die wie ein Vermächtnis wirkten: Zu einem "gemeinschaftlichen Handeln" aufzurufen, daß im berühmten "Recht auf Arbeit" gipfelte. Mit anderen Worten: Das "Bündnis" wurde weiter stillschweigend vorausge- setzt, es war und blieb das berühmte Erbe der IG Metall, daß nur ein paar Bösewichte als verknöchert ansahen.

Ein weiteres einschneidendes Datum für den Dogmatismus der Gewerkschaften, dürfte die "Düsseldorfer Erklärung" (58) vom Juni 1996 gewesen sein, als DGB/IG Metall unter der Parole "Für Arbeit und soziale Gerechtigkeit" auf jene gewerkschaftliche Einheit setzten, die sich als Lebenslüge erwiesen hatte: Die Menschen "draußen im Lande" reagierten nicht auf ihr Konsensge- rede. Deshalb klangen ihre Appelle zunehmend hohl, kurzfristig bequem, konnten auf der untersten Stufe nicht mehr unterboten werden. In Sachen Konservatismus und Organisationsfetischismus gab es niemanden mehr, der sie übertreffen konnte. Als Symptom war es die Verrenkung zwischen Politik und "Alltagsbewußtsein"; denn es ging zum wiederholten male darum, den erneuten Zerfall des "Bündnis" aufzuhalten. Das konnte auch diesesmal nicht gelingen! Naturgemäß mußte sich die doppelseitige Lähmung, an der die Gewerkschaf- ten litten, fatal auswirken: Die marktwirtschaftliche Moderne war abermals nicht dazu bereit, aus dem Schatten der Vergangenheit herauszutreten: Die Weichenstellung, die heimliche Koalition mit ihrem "runden Tisch" , beschleunigte seinen Zerfall.  

Kaum zufällig war es, daß alle Reden und Ratschläge darauf abzielten, die Arbeitsgeselllschaft wieder funktionstüchtig zu machen. In einer Vielzahl der politischen Debatten ging es um die Erneuerug des "Gemeinsinns", um die verlorengegangenen Werte, um das Aufhaltens des "Niedergangs" . Doch sie läßt sich nicht mehr retten. Um mit TOCQUEVILLE zu reden: "Eine völlig neue politische Welt bedarf einer neuen politischen Wissenschaft. Doch daran denken wir nicht; von einem reißenden Strom dahingetrieben, heften wir die Augen hartnäckig auf ein paar Trümmer, die man noch am Ufer wahrnimmt, während die Strömung uns mit sich reißt und rücklings den Abgründen zuträgt." (59) Global betrachtet, hatte sich das "Bündnis" als Augenwischerei erwiesen, denn selbst die Gewerkschaftsführung wußte genau, daß auf den nächsten Ab- schwung der Konjunktur ein weiterer erfolgt, und daß früher oder später der "Sockel" der Arbeitslosigkeit weiter steigen wird. Der moderne Markt vernichtet Arbeitsplätze durch Technik, genau darauf zielte der Kapitalismus seit Anbeginn der Industriellen Revolution ab. Unerbittlich führt der Weg die Nationen zum Niedergang, der sich mit der allgemeinen Entwicklung womöglich zum Absturz beschleunigt. 

Um die Wahrheit ging es den Deutschen Gewerkschaften nicht. Würden sie sie herausposaunen, müßten sie ohne Zweifel den Gedanken zu Ende denken: Es lohnt sich nicht mehr, die Arbeitsgesellschaft, so wie wir sie kennen, zu verteidigen, sie obsolet zu machen. Sendungsbewußtsein war gefragt, und da taten sie sich hervor, als ginge es um ihr Leben. Auf der Großdemonstration in Bonn am 15. 6. 1996, gegen das "Sparpaket der KOHL-Regierung" (60) sollte die großangelegte Offensive des DGB und seiner Einzelgewerkschaften zur "endgültigen Ablösung der Bundesregierung" eingeläutet werden. Zwei Jahre vor der Bundestagswahl hatte das "Bündnis von unten" zum gemein- samen Ziel "die Vollbeschäftigung". Die Katze war aus dem Sack: Ideologische Verheißungen und Illusionen, Selbstbetrug, ökonomischer und sozialer Zusammenbruch, alles in die "Modelle" der kapitalistischen Reformen gepackt. Dies zeigt, mit welcher Dynamik die Deutschen Gewerkschaften dem Abgrund entgegensteuerten: In Aktionsprogrammen sollten die Lohnabhängigen um ein System geschart werden, das unbeachtet jeder kommenden Entwicklung zu erhalten ist, selbst dann, wenn das Grauen vor der Tür steht und anklopft.

Wie sollte man der zentralen Herausforderung begegnen, daß die kapitalistische Fabrik ( 61) Arbeit abschafft und immer mehr Menschen gerade das verweigert, was einst ihre historische Verheißung ausmachte, und echte Alternativen nicht zu erkennen sind? Darauf gab der DGB-"Programmkongreß" vom November 1996 die Antwort: Der "Sozialstaat" müssen verteidigt werden, es gehe um "Recht auf Arbeit", um "Vollbeschäftigung". Auf der abschließenden Debatte in Dresden am 17. 11. 1996 stand das im erklärten Zusammenhang mit dem "Bekenntnis zur sozial regulierten Marktwirtschaft" . (62) Es gab nicht einen einzigen Verweis auf die die Krise der Gesamtverhält- nisse des Kapitals, darauf, was den Kapitalismus eigentlich ausmacht, wie er in die unmittelbare Realität umschlägt. Stattdessen hielt die Gewerkschaftsbürokratie an den bürgerlichen Leitwerten: Demokratie, Marktwirtschaft, Gleichheit, Sozialstaat fest, an einer gewissen "neutralen" Politk, die emanzipatorische Ziele verkörpern könn- te, eben über das "Bündnis für Arbeit". Die ganze Debatte um die "Gegenmacht", die teilweise im Vorfeld des Kongresses zu einigen Kontroversen geführt hatte, reduzierte sich letzten Endes auf die alten Wahrzeichen und Glaubenskräfte der "Freiheitlich demokratischen Grundordnung". 

Von solchen kurzschlüssigen Zukunftshoffnungen getragen, gingen ZWICKEL, SCHULTE und Co. daran, die Bundestagswahlen 1998 vorzubereiten, bei der das "Bündnis" als Ausgangspunkt gedacht, in den "neue" Politik- und Demokratie-Diskurs einfließen sollte. Auch FISCHER von den Bündnis-Grünen erklärte sich dazu bereit, eine "Neuauflage des "Bündnis für Arbeit" durchzusetzen. Wichtig sei ein "nationaler Beschäftigungspakt", dieser sei das "wichtigste Ziel einer rot-grünen Koaltionsregierung" .(63) Politik als probates Mittel, um die Wiederbelebung einer Leiche vorzubereiten, so sollte man m. E. den Drang, die Warenwirtschaft unter allen Umständen zu erhalten, beschreiben. "Soziale" Bewegungen, und das ist sehr interessant, waren nicht mehr gefragt; denn wer sich mit den "Gesetzen der Marktwirtschaft" in Übereinkunft befindet, der braucht keine Systemkrititk/er. Die Konsequenz daraus konnte nur die Selbstauflösung der Deutschen Gewerkschaften sein, das Aufgehen in die Politik der "Sozial"konsensus. 

Gestützt auf diesen Sozialdemokratismus, hob ZWICKEL hervor, daß seine Organisation für den "Fall eines Regierungswechsels" (64) das "Bündnis"anbieten" würde. Die Bürokratie, endgültig wehrlos geworden, befand sich in einer hoffnungslosen Defensive; das "Bündnis" eilte von Niederlage zu Niederlage, wurde von den Mitstreitern ausgebremst, gnadenlos in die Enge getrieben. Der Staat war siegreicher als je zuvor auf der Gewinnerstraße angelangt, hatte sich einen Vorteil durch die Absprachen der sozialdemokratisch/grünen Poli- tiker und der gewerkschaftlichen Führungsriege erkämpft, und begann nun, seine eigenen Interessen wahrzunehmen: Die Kapialverhältnisse auf die Kon- kurrenzbedingungen des Weltmarktes anzupassen. Das "soziale" Aufbegehren der Deutschen Gewerkschaften fand nicht statt, es war eingeordnet in jene "Politik", die moderates Mittel sein sollte, seine Adressaten wieder in materielle Produktion einzufügen. So durfte es nicht verwundern, daß das "gemeinsame" Bezugssystem eine offene Form annahm, bei dem alle Beteiligten zwar ihre Vorstellungen einbrin- gen durften, sie aber letztlich von der Krisenwirklichkeit der Moderne beständig auf ihre Realisierbarkeit hin abgeklopft wurden. 

Der IG Metall Kongreß in Hannover (6. 11. 1997) "Visionen lohnen" , versuchte im obigen Sinne Zielbestimmung und "soziale" Bewegung miteinander zu vermengen. Was ohnehin schon nicht mehr möglich war, strategisch zu bestimmen, was die kommende Konfliktlinie auszumachen hätten, konnte selbst ein windiger "taktischer" Plan nicht weiter entwickeln. ZWICKELs Rede, getragen von Pathos einer sozialökonomischen Reformstrategie, brachte es fertig, da weiterzumachen, wo er im Herbst 1995 aufgehört hatte: Das "Bündnis für Arbeit" habe jetzt den zentralen Stellenwert eines überrgreifenden Anspruchs; denn gelänge es, die KOHL-Regierung ab- zulösen, lassen sich die "sozialen Rahmenbedingungen" (65) für die Menschen schlaglichtartig verändern. Da verwunderte es nicht mehr, wenn nebenbei eine alte, totgelaufene Forderung im neuen Gewand wieder auftrat: Eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit, hier auf 32 Stunden. Durchaus raffiniert vorgetragen, war es trotzdem der soziale Rückzug: In den Genuß einer Arbeitszeitverkürzung sollten wieder einmal Arbeitsplatzbesitzer kommen, die unter den Bedingungen der sozialen Reproduktion schon in der Vergangenheit weitgehende Sonderinteressen bekommen hatten. Das Emanzipationsgerede, die Solidaritätsfloskel, entpuppte sich als groß angelegte Heuchelei, die Outlaws wurden mit unverbindlichen, moralisierenden Phrasen abgespeist, und zum passenden "Sozial"konflikt gehörte es auch, daß die politischen Gegner an dieser Konzeption partizipieren konnten. 

Bürstet man den Kontext gegen den Strich, dann bleibt nicht viel übrig.von der gesetzten "gesellschaftspolitischen Perspektiven" der Deutschen Gewerkschaften. Obige Vorleistungen, die in diesem Tenor bereits das alte "Bündnis" von 95/96 auf seine Fahnen geschrieben hatte, die der Kapitalismus zu erbringen hätte, waren insgesamt in der einen oder anderen Form erhalten geblieben; angefangen von den Reformillusionen bis zur "fortschrittlichen" antikapitalistischen Idee: Alter Wein in neue Schläuche. Was neu war, war die politische Flucht nach vorne, die Verwandlung der eigenen Politik in jene des Staates, des Marktsystems. Der gesellschaftliche Anspruch, der hinter dem neuen Aufguß steckte, hatte nun endgültig und und für alle Zeiten den Nimbus einer Systemgegnerschaft verloren. Er wirkte nur noch als Katalysator oder "Mittler". Der grundlegende Wandel: Die Politk des DGB und seiner Einzelgewerkschaften reduzierte sich auf Null. Sie erreicht nur eines: Die Grundstrukturen der Marktwirtschaft zu festigen, zu erhalten, das endgültige Ende der Gewerkschaften einzuläuten. 

Anmerkungen: 

(56) Vgl. Sozialcharta des DGB, Anfang Mai 1996, Datenbank TAZ-Archiv, 8. 05. 1996. 

(57) Datenbank TAZ-Archiv, 8. 05. 1996. 

(58) Vgl. Düsseldorfer Erklärung des DGB, Anfang Juni 1996. 

(59) ALEXIS DE TOCQUVILLE: "Über die Demokratie in Amerika", Band I, Stuttgart 1959, S.9. 

(60) Datenbank TAZ-Archiv, 15./16. 6. 1996. 

(61) Die kapitalistische Fabrik hat MARX als "das Haus des Schreckens", als "riesiges Arbeitshaus" bezeichnet, vgl. KARL MARX: "Das Kapital", Erster Band, S, 293, besonders den Abschnitt Kapitel 6: Der Kampf um den Normalarbeitstag (ab S. 294ff), Frankfurt/M. 1968. 

(62) Datenbank TAZ-Archiv, 18. 11. 1996. 

(63) Datenbank TAZ-Archiv, 18. 8. 1997. 

(64) Datenbank TAZ.-Archiv, 8. 10. 1997 

(65) Datenbank TAZ.-Archiv, 6. 11. 1997

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