Editorial
Das dünne Brett des Reformismus


von Karl Mueller

03/07

trend
onlinezeitung

Der Brief des Christian Klar war kurz, wie es Grußadressen so an sich haben. Er wurde anlässlich der Rosa-Luxemburg-Konferenz der Jungen Welt im Januar 2007 dort vorgelesen als Teil eines Vortrags des abgewickelten Humboldt-Uni-Rektors und evangelischen Theologen Heinrich Fink, der sich für Christian Klars Freilassung engagiert und persönliche Kontakte zu Klar unterhält.

Finks Engagement für Klar resultiert quasi aus reiner Christenpflicht. So vermittelte er es jedenfalls den anwesenden KonferenzteilnehmerInnen:

"Vielleicht noch eine kurze Erklärung von mir. Ich werde immer wieder gefragt, warum ich Christian Klar besuche. Es geht darauf zurück, daß seine Mutter Christa Klar sehr aktiv in unserer antifaschistischen Bewegung mitarbeitet, wir uns im Workcamp in Buchenwald kennen gelernt haben und sie mich gebeten hat, Christian zu besuchen. Es gibt für mich dafür keine Rechtfertigung als die: In meiner Bibel steht, man soll Gefangene besuchen."

Kurz und und gut ein normaler Vorgang der Nächstenliebe in einer  bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, die ihre zivilisatorischen Grundlagen im Christentum verortet. Oder doch nicht gut? Denn der eine war mal Mitglied der RAF und der andere bei der Stasi. Diese Konstellationen eignen sich freilich hervorragend, um wieder einmal am Geschichtsbild der neudeutschen Nationalgeschichte zu schnitzen - entsprechende Diffamierungen mit eingeschlossen.

Der Spezialist für solche Aufgaben ließ auch nicht lange auf sich warten:  Wolfgang Kraushaars fachmännische Diagnose lautete kurz und knapp: RAF-Stasi-Connection. Da eine inhaltliche Beschäftigung mit der Klarschen Grußadresse und den Finkschen Einlassungen für Kraushaar eh nicht angesagt war, reichte es ihm stattdessen aus, von einem Sound schwafeln, "der in den 80er Jahren nach den Mordanschlägen auf Beckurts, von Braunmühl und Herrhausen zu hören war". Wichtig war ihm offensichtlich, die Stichworte in die Debatte einzustellen, die es nahe legen, sich mit seinem neuesten Konvolut zum Thema RAF zu beschäftigen, wofür immerhin 74 Euro abzudrücken wären.

Die antideutschen Gilde (gemäßigte Fraktion, Zentralorgan Jungle World) blies ins gleiche Horn. Stefan Wirner meinte, bei Klars Grußadresse handele es sich um "den üblichen Antiimp-Quatsch, vorgetragen in einem Stilmix aus Botho Strauß und Robert Kurz".

Doch es hätte für sich Wirner und Co. schon gelohnt, den Text von Christian Klar mal kurz unter die Lupe zu nehmen, statt die schwachsinnigen Argumente des politischen Personals - vornehmlich aus den Reihen der CDU/CSU - noch durch eigenen Schwachsinn überbieten zu wollen. Dann wäre dem Jungle World Schreiberling allerdings aufgefallen, dass der Christian Klar mit seinem Brief nur das dünne Brett des politischen Reformismus bohrt und mehr nicht. Jedenfalls Elmar Altvater, Chefdenker bei ATTAC DEUTSCHLAND, ließ im Hinblick auf Klars Grußworte  keinen Zweifel aufkommen - schließlich sei es legitim, kommentierte er, "ja sogar notwendig, den Kapitalismus zu kritisieren".

+++

Wie heißt so prägnant falsch in Klars Gruß an die Freunde des politischen Reformismus in, um und bei der PDS: Vor allem ginge es heute darum, schreibt er, "die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen".

"Die Pläne des Kapitals"? Hoppla - seit wann hat denn ein Produktionsverhältnis seinen Plan? Für Marx jedenfalls war das Kapital keine Person und kein Ding, "sondern ein bestimmtes, gesellschaftliches, einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation angehörendes Produktionsverhältnis, das sich an einem Ding darstellt und diesem Ding einen spezifischen gesellschaftlichen Charakter gibt." (MEW 25, S. 822)

Die sozialen bzw. politischen Charaktermasken - also die Agenten dieses Produktionsverhältnisses - sind selbstverständlich Personen und sie haben sehr wohl Pläne, nämlich, wie die Verwertung des Werts möglichst gewinnbringend zu organisieren ist und Krisen zu vermeiden sind. In Verteilungskämpfen zwischen den Klassen werden diese Pläne und andere Pläne durchgesetzt oder Zufall gebracht. Nur - das gehört  zum normalen Geschäftsgang des Kapitalismus und macht keine "Tür für eine andere Zukunft"  auf.

Andererseits - wer behauptet, Christian Klar verträte revolutionäre oder antiimperialistische Positionen, der weiß es nicht besser oder nutzt Klars zu kurz geratene Gedanken - wie die bürgerlichen Kreise - für antikommunistische Hetze. Letzteres scheint nützlich, wenn mensch weiß, dass die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie derzeit öffentlich nur noch als tragikomische Inszenierung in bürgerlichen Schauspielhäusern Geltung erlangt.

+++

Christian Klar verdient unsere uneingeschränkte Solidarität. Diese kann aber keine politische sein, sondern wie Jürgen Seifert in seinem  Plädoyer gegen die Ächtung des politischen Gegners schlüssig darlegt,  sondern muss eine uneingeschränkt sachliche sein. Nur so wird es möglich, in einem solidarischen Diskurs Christian Klars heutige und damalige politische Ansichten zu diskutieren und zu kritisieren.

Aus diesen und anderen Gründen hat die letzte Beiratssitzung der TREND-Redaktion empfohlen, im laufenden Jahr zum Thema RAF und "Deutscher Herbst" Texte in loser Folge zu veröffentlichen, um dem bürgerlichen Geschichtsrevisionismus in Sachen Klassenkämpfe in Deutschland entgegen zu treten. Ist es doch auffällig - Stichwort Obermeier - dass in einem Prozess der ideologischen Kondensation die klassenbedingten Ereignisse, Konflikte und Widersprüche zum Verschwinden gebracht werden, um schließlich bei bizarren Einzelpersönlichkeiten hängen zu bleiben. Gegen diesen Ikonisierungsprozess wollen wir versuchen, zumindest für den Mikrokosmos des linken Teils des Internets Zahlen, Daten und Fakten zu liefern, die an einem dialektisch-materialistischem Geschichtsbild orientiert als Barrieren wirken.

Wir eröffnen diese lose Artikelreihe "Stichwort RAF" mit meinem Kommentar "Der Polizeistaat in Aktion" und lassen Ilse Schwipper gleichsam als Zeitzeugin zu Wort kommen. In Abgrenzung dazu stellvertretend für die nicht-PDS-sozialisierte Bewegungslinke das Statement von FelS "Alles klar oder schleyerhaft". Und schließlich gehört nicht nur als Zeitdokument - sondern gerade aufgrund der aktuellen Ereignisse in Sachen RAF - der Artikel von Jürgen Seifert von 1973 (!) dazu.

+++

Letztlich ist die "RAF-Diskussion" keine vorwärts weisende, denn das RAF-Konzept taugte weder damals noch heute dazu auf dem Weg in eine freie Gesellschaft freier ProduzentInnen voranzukommen. Voran geht es nur, wenn der strategische Fokus auf die Sphäre der Produktion und der dort stattfindenden Klassenauseinandersetzungen gerichtet bleibt. 

In diesem Sinne:

Wir sehen uns am 6. März im BAIZ zu der Veranstaltung
Die Fabrik brennt