Der Kapp-Putsch
und die Rote Ruhrarmee

Ein Rückblick ins Jahr 1920

von Karl-Heinz Schubert

03/2020

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13. März 1920

Der Kapp-Putsch beginnt. Am frühen Morgen rückt die konterrevolutionäre Marinebrigade Ehrhardt in Berlin ein und besetzt das Regierungsviertel. An der Spitze der Putschisten, die auch in anderen Teilen Deutschlands losschlagen, stehen der ostpreußische Generallandschaftsdirektor Kapp; der Befehlshaber des Reichswehrgruppen­kommandos I, General v. Lüttwitz; der ehem. kaiserliche Polizeipräsi­dent von Berlin, T. v. Jagow; General Ludendorff; Oberst Bauer sowie Hauptmann Pabst, ehem. Stabschef der Gardekavallerie-Schützendiv. Der Kapp-Putsch stellt den Versuch der reaktionärsten Kräfte des deut­schen Imperialismus und Militarismus dar, mit Waffengewalt die bür­gerlich-demokratische Republik zu beseitigen, die Errungenschaften der Novemberrevolution zu liquidieren, die Arbeiterklasse blutig nieder­zuwerfen und eine Militärdiktatur zu errichten. Außenpolitisch er­streben die Putschisten die Beteiligung Deutschlands an den imperia­listischen Interventionsfeldzügen gegen Sowjetrußland.

Die Vorbereitungen der Verschwörer haben im zweiten Halbj. 1919 begonnen. Sie sind von der Nationalen Vereinigung (Sommer 1919) ge­leitet worden, die auch in Verbindung zum sog. Nationalklub steht, dem u. a. die Großindustriellen E. v. Borsig, E. Kirdorf, H. Stinnes und A. Vogler, die reaktionären Politiker K. Helfferich und A. Hilgen­berg sowie Militaristen wie General Ludendorff angehören. Die Ver­schwörer, mit denen auch führende Kreise der DNVP und DVP in Ver­bindung stehen, stützen sich auf Teile der Reichswehr, auf Freikorps, Zeitfreiwillige und bürgerliche Einwohnerwehren. Die von der Entente verlangte Reduzierung der Reichswehr auf 100.000 Mann und die zum 30. März geforderte Auflösung der Einwohnerwehren und Freikorps beschleunigen die Auslösung des Putsches. Den unmittelbaren Anstoß gibt die am 29. Febr. vom Reichswehrminister Noske angeordnete Auf­lösung der Marinebrigaden Ehrhardt und Loewenfeld. Generalmajor v. Seeckt, Chef des Truppenamtes im Reichswehrmini­sterium, weigert sich, die Reichswehr gegen die Putschisten einzusetzen. Die Reichsregierung, die den Putschvorbereilungen monatelang tatenlos zugesehen hat, flüchtet nach Dresden und am 14. März nach Stuttgart, wo am 18. März die Nationalversammlung zusammentritt. Die Putschi­sten erklären die Reichsregierung für abgesetzt und die Nationalversammlung für aufgelöst. Sie bilden unter Kapp und v. Lüttwitz ein Ka­binett und gehen mit brutalem Terror gegen die Arbeiterklasse u. a. demokratische Kräfte vor.

Die deutsche Arbeiterklasse beantwortet den Putsch mit machtvollen Abwehraktionen. Die durch den Opportunismus gespaltene Arbeiter­klasse schließt sich angesichts der drohenden Gefahr zur Aktionseinheit zusammen. Die Führungen der SPD, der USPD, des ADGB und der Ar­beitsgemeinschaft freier Angestelltenyerbände (AfA) rufen zum Gene­ralstreik zur Verteidigung der bürgerlich-demokratischen Republik auf. Viele Organisationen der KPD, deren Mitgl. zusammen mit den revo­lutionären Kräften in der USPD in den vordersten Reihen der Kämp­fenden stehen, rufen bereits am 13. März zum Generalstreik auf, fordern die Bewaffnung der Arbeiterklasse und die Bildung von AR. In der Zentrale der KPD kommt es zu Meinungsverschiedenheiten. Die in Berlin anwesenden Mitgl. der Zentrale beschließen am 13. März einen Aufruf, der die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Militärdiktatur betont, den Kapp-Putsch aber lediglich als eine Auseinandersetzung innerhalb der herrschenden Klasse wertet. Die Arbeiterklasse sei infolge des Noske-Terrors in diesem Augenblick nicht aktionsfähig. Diese sek­tiererische Auffassung wird im Aufruf der Zentrale vom 14. März korri­giert, der den Generalstreik der Arbeiterklasse gegen die Putschisten unterstützt, den sofortigen Rücktritt der Kapp-Regierung, die Entwaff­nung und Auflösung der konterrevolutionären Truppen, die Bildung von Arbeiterwehren und die Wahl von AR fordert. Der Aufruf wendet sich richtig gegen die Wiederkehr der Regierung Bauer.

15. März 1920

Ausdehnung des Generalstreiks auf ganz Deutschland. Ins­gesamt beteiligen sich rd. zwölf Mill. Arbeiter und Angestellte. In einer Reihe von Orten vereinbaren Organisationen der KPD, der USPD und der SPD gegen den Willen der rechten sozialdemokratischen Führer gemeinsame Aufrufe. Mitglieder der KPD, USPD und SPD, christliche und parteilose Arbeiter bilden Einheitsorgane, wie Streikleitungen, Ak­tionsausschüsse und Vollzugsräte. Der Streik legt tagelang Industrie, Verkehr und Nachrichtenwesen fast überall in Deutschland still. Er isoliert die Putschisten von ihren Hauptstützpunkten, den agrarischen Gebieten. Dem Kampf schließen sich viele Angehörige des Mittelstan­des, der Intelligenz und des demokratischen Bürgertums an. Unter der Führung von Kommunisten und revolutionären Mitgl. der USPD gehen die Arbeiter in vielen Teilen Deutschlands zu bewaffneten Kämpfen über, so in Berlin, Leipzig, Mecklenburg, Mitteldeutschland, im Senf-tenberger Revier und in Thüringen.

Ihren Höhepunkt erreichen die be­waffneten Aktionen im Ruhrgebiet. Am 15. März beginnt der Kampf der Roten Ruhrarmee gegen Freikorps, Reichswehr- und Polizeitrup­pen. In wenigen Tagen bauen die Ruhrarbeiter eine Armee von rd. 100 000 Mann auf, die mit Gewehren, MGs und Artillerie ausgerüstet ist. Bis 23. März ist fast das ganze Ruhrgebiet von konterrevolutionären Truppen gesäubert.

17. März 1920

Rücktritt der Regierung Kapp. W. Kapp u. a. führende Put­schisten fliehen ins Ausland. Der Generalstreik und die bewaffneten Kämpfe der Arbeiterklasse haben zum Zusammenbruch des Putsches geführt. Vizekanzler Schiffer setzt am 17. März i. A. der Regierung Bauer Generalmajor v. Seeckt als Befehlshaber im Bereich des Reichs­wehrgruppenkommandos I ein. Unter der Losung des „Kampfes gegen den Bolschewismus" schließen sich die konterrevolutionären Kräfte zu­sammen, um die Einheitsfront der Arbeiterklasse zu sprengen. Die Re­gierung setzt außer Reichswehr und Zeitfreiwilligen auch Truppen der Putschisten, darunter die Brigade Ehrhardt, zur Niederschlagung der Arbeiterklasse ein. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion und die sozialdemokratischen Regierungsmitgl. fordern am 17./18. März zum Abbruch des Generalstreiks auf.

Der Vors. des ADGB, C. Legien, schlägt dem ZK der USPD vor, eine Regierung aus Vertretern der Gewerkschaften, der SPD und der USPD zu bilden. Unter dem Einfluß der scheinradikalen Argumentation von A. Crispien und E. Däumig lehnt die Führung der USPD den Vorschlag ab. Die Führung der SPD nimmt zu dem Vorschlag nicht offen Stellung und versucht, Zeit zu gewinnen. Sie erstrebt die Fortsetzung der bishe­rigen Koalitionspolitik.

18. März 1920

Die Forderungen der Arbeiter nach realen Garantien gegen die Wiederholung eines Militärputsches spiegeln sich in abgeschwächter Form in einem von ADGB, AfA und Deutschem Beamtenbund ausge­arbeiteten Neunpunkteprogramm wider, das u. a. verlangt: Mitwirkung der Gewerkschaften bei der Regierungsbildung; sofortige Entwaffnung und Bestrafung aller am Putsch beteiligten Truppen und Personen; sofortigen Rücktritt des Reichswehrministers Noske und der preußi­schen Minister Oeser und Heine; Demokratisierung der Verwaltung; Ausbau der Sozialgesetzgebung; Sozialisierung des Bergbaus und der Energieerzeugung; Enteignung des Großgrundbesitzes; Auflösung aller konterrevolutionären militärischen Formationen; Übernahme des Sicherheitsdienstes durch die organisierte Arbeiterschaft.

19. März 1920

Die Zentrale der KPD ruft die Arbeiterklasse auf, den Kampf bis zur endgültigen Niederringung der Militaristen zu führen. Sie wendet sich besonders an das Berliner Proletariat, die konterrevolu­tionären Truppen zu entwaffnen und die Waffen in die eigenen Hände zu nehmen. Die KPD versucht in vielen Orten, gemeinsam mit den lin­ken Kräften der USPD den Sieg zu festigen und die Machtpositionen der Arbeiterklasse zu erweitern. Durch die Veränderung im Kräftever­hältnis der Klassen nach der Niederschlagung des Putsches entsteht die reale Möglichkeit, eine Arbeiter- bzw. Gewerkschafts- oder Volksregie­rung zu erzwingen. Dadurch könnten die Arbeiterklasse und die ande­ren demokratischen Kräfte bessere Bedingungen für den Kampf um die endgültige Uberwindung des Imperialismus und Militarismus erlangen. Darüber kommt es auch in der Führung der KPD zu heftigen Ausein­andersetzungen. Am 23. März beschließt die Zentrale, besonders unter dem Einfluß von W. Pieck, A. Thalheimer und J. Walcher, eine Erklä­rung, in der sie sich für die Bildung einer Arbeiterregierung ausspricht. Diese in der „Roten Fahne" vom 26. März veröffentlichte Erklärung geht davon aus, daß die objektiven Grundlagen für die proletarische Diktatur nicht gegeben sind. Die KPD sichert einer solchen Regierung loyale Opposition zu, solange sie Garantien für die politische Betäti­gung der Arbeiterklasse gewährt und die bürgerliche Konterrevolution mit allen Mitteln bekämpft. W. I. Lenin bezeichnet diese Erklärung „sowohl ihrer Hauptvoraussetzung nach als auch ihrer praktischen Schlußfolgerung nach [als] vollkommen richtig". Die Erfahrungen und der Einfluß der KPD und der linken Kräfte in der USPD reichen jedoch noch nicht aus, um die Bildung einer solchen Arbeiterregierung zu er­zwingen.

20. 23. März 1920

Die Gewerkschaften fordern am 20. März, nach Ver­handlungen mit Vertretern der Regierungsparteien auf der Grundlage des Neunpunkteprogramms (18. März), zum Abbruch des General­streiks auf, ohne reale Garantien für die Sicherung der von der Arbeiter­klasse erkämpften Positionen zu haben. Lediglich der Rücktritt G. Nos-kes und W. Heines wird erzwungen. Am 22. März rufen die Gewerk­schaften gemeinsam mit SPD und USPD erneut zur Beendigung des Generalstreiks auf. Nachdem das ZK der USPD am 22. März und die Vollversammlung der revolutionären Betriebsräte Groß-Berlins am 23. März gegen eine starke Minderheit ebenfalls den Abbruch des Gene­ralstreiks beschließen, kommt dieser zum Erliegen. Reichswehreinhei­ten schlagen gemeinsam mit am Putsch beteiligten konterrevolutio­nären Verbänden in allen Teilen Deutschlands die revolutionäre Bewegung blutig nieder und errichten ein Terrorregime.

24. März 1920

Unterzeichnung des Bielefelder Abkommens. Der Reichs­und Staatskommissar Severing (SPD) hat für den 23. März Vertreter der Vollzugsausschüsse und Stadlverwaltungen der wichtigsten Städte des Industriegebiets sowie die zuständigen Regierungspräsidenten zu einer Konferenz nach Bielefeld geladen, an der auch Reichspostminister Giesberts (Zentrum) und der preußische Landwirtschaftsminister Braun (SPD) teilnehmen. Im Ergebnis der Verhandlungen wird neben dem Bielefelder Abkommen auch ein sofortiger Waffenstillstand abgeschlos­sen. Das Abkommen beruht im wesentlichen auf dem Neunpunktepro­gramm der Gewerkschaften (18. März). Es verlangt von den Arbeitern die Wiederaufnahme der Arbeit und die Ablieferung der Waffen an die Behörden. Es verspricht den Arbeitern die Auflösung der am Putsch beteiligten Truppen; die Bestrafung der Putschisten; die Bildung von Ortswehren aus den Kreisen der organisierten Arbeiterschaft u. a. repu­blikanischer Kräfte; sofortige Inangriffnahme der Sozialisierung und entscheidende Einflußnahme der Arbeiterorganisationen bei der Neu­regelung wirtschafts- und sozialpolitischer Fragen. Severing gelingt es mit diesem Abkommen, die bis dahin einheitliche Front des Ruhrprole­tariats zu spalten. Ein großer Teil der Arbeiterschaft legt im Vertrauen auf diese Versprechungen die Waffen nieder und beendet den Streik. Die Regierung gibt keine Zusage, sich an das Bielefelder Abkommen zu halten.

W. Pieck wird auf Beschluß der Zentrale der KPD nach Essen entsandt, um das Ruhrproletariat bei der Organisierung des Abwehrkampfes zu unterstützen.

25. März 1920

Vollversammlung der revolutionären Vollzugsräte des Ruhrgebiels in Essen, an der auch militärische Führer der Roten Armee teilnehmen. Es wird ein Zentralrat zur einheitlichen Leitung der Kämpfe gewählt, der die politische Linie der KPD vertritt, die auf die Wiederherstellung der Einheitsfront der Ruhrarbeiter gerichtet ist. Die KPD fordert Garantien der Regierung für die Einhaltung des Bielefel­der Abkommens besonders durch die Entwaffnung der konterrevolutio­nären Truppen und die Aufrechterhaltung der Bewaffnung der Arbeiter.

27. März 1920

Neubildung der Reichsregierung unter H. Müller (SPD) aus SPD, DDP und Zentrum, nachdem die Regierung Bauer am 26. März zurückgetreten ist. Von der SPD gehören ihr außerdem an: G. Bauer, E. David, A. Köster (ab 15. Apr.), A. Schlicke und R. Schmidt. Am gleichen Tage wird die preußische Regierung unter 0. Braun (SPD) neu gebildet.

Waffenstillstandsangebot des Essener Zentralrats. Die Reichsregierung antwortet am folgenden Tage ablehnend und stellt Bedingungen für die Beendigung des Kampfes. Generalleutnant v. Watter stellt auf dieser Grundlage ultimative Forderungen an die Arbeitertruppen, deren Er­füllung praktisch unmöglich ist. Damit soll der Vorwand für die Mili­taristen geschaffen werden, unter allen Umständen die Ruhrarbeiter­schaft blutig niederwerfen zu können. Daraufhin treten große Teile der Arbeiterschaft im Industriegebiet am 29. März erneut in den General­streik, zu dem die Zentrale der KPD und der Essener Zentralrat auf­gerufen haben. Der Zentralrat delegiert gleichzeitig W. Pieck und einen weiteren Vertreter zu Verhandlungen mit den Führern der Gewerk­schaften und der Arbeiterparteien nach Berlin. Unter dem Druck der Massenbewegung im Ruhrgebiet und der Proteste in anderen Teilen Deutschlands muß die Reichsregierung die Frist für die Auflösung und Entwaffnung der Arbeitertruppen bis zum 2. Apr. verlängern. Das ist auch der Inhalt der Vereinbarung von Münster am 31. März zwischen dem preußischen Innenminister Severing (SPD) und Ver­tretern der politischen Parteien sowie des Zentralrats. Da es den rechten Führern der SPD, der USPD und der Gewerkschaften gelingt, die von der KPD geforderte Ausdehnung des Generalstreiks auf ganz Deutsch­land zu verhindern, beschließt die Vollversammlung der Vollzugsräte Rheinland-Westfalens am 1. Apr., den Kampf im Ruhrgebiet abzu­brechen.

30. März 1920

3. Tagung des ZA der KPD. Sie nimmt die Berichte der Bezirksvertreter über den Verlauf der revolutionären Abwehrkämpfe gegen den Kapp-Putsch entgegen. Im Mittelpunkt der Tagung steht die Beratung der politischen Lage und der Taktik der Partei. Mit zwölf gegen acht Stimmen wird eine Resolution angenommen, die die Er­klärung der Zentrale der KPD vom 23. März zur Bildung einer Arbei­terregierung als fehlerhaft bezeichnet. In dieser wichtigen taktischen Frage dominieren sektiererische Auffassungen. Einige Mitgl. der Zen­trale, darunter W. Pieck, können ihre richtige taktische Linie nicht durchsetzen.

Anfang April 1920

Beginn des blutigen Rachefeldzuges konterrevolutionärer Truppen gegen das Ruhrproletariat unter dem Vorwand, die Ab­machungen (24. März) seien nicht eingehalten worden. Hunderte von Arbeitern, auch Frauen, Jugendliche und selbst Kinder, werden ermor­det. Die Klassenjustiz läßt Tausende von Arbeitern in die Gefängnisse werfen. Auch in den übrigen Teilen Deutschlands wüten die konter­revolutionären Truppen und arbeitet der Justizapparat auf Hochtouren. Dagegen gehen die Kapp-Putschisten straffrei aus, lediglich T. v. Jagow wird zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt.

Text: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Band 2, S. 82-87, Berlin 1966
Bilder: Zur Geschichte der Kommunistischen Partei, Eine Auswahl von Materialien und Dokumenten aus den Jahren 1914-1946, Rotfrontverlag, o.O., o.J.

Siehe dazu weitere bei TREND bisher erschienene Beiträge: