Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Im „sanitären Ausnahmezustand“

Bericht
vom 11. Mai 2020
 

05/2020

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Infolge der gerichtlichen Schließung eines Standorts bei Renault: CFDT-Chef fällt über die Position der CGT her – Heftiger Streit um ein Plakat der CGT Info’Com dazu, das auch in der Linken vielen Beobachter/inne/n problematisch erscheint – Urteilsschelte von Wirtschaftsminister Bruno Le Maire

Nun ist also die Periode des confinement, d.h. der seit dem 17. März d.J. geltenden (und erheblich strenger als in der BRD ausfallenden) Ausgangsbeschränkungen, seit heute vorüber. Einmal noch führten die Nachbar/inne/n in der Seitenstraße am Vorabend ihre Balkonparty durch, drehten den Seuchen-Song I will survive (unter dieser Hymne holte die französische Fußball-Auswahl unter Zinedine Zidane im Juli 1998 souverän den Weltmeistertitel) und andere Musikstücke in voller Lautstärke auf und schufen dadurch einen Aufmerksamkeitspunkt im halben Wohnviertel.

Am Montag früh ging es für viele Lohnabhängige zurück zur Arbeit, auch wenn es für viele andere vorläufig bei der Telearbeit (Arbeit im Home Office) blieb. In den öffentlichen Verkehrsmitteln wurden zahlreiche Vorkehrungsregelungen getroffen – polizeiliche Kontrolle der Arbeitgeberbescheinigung bei einer Fahrt zu Stoßzeiten zwischen 06.30 und 09.30 Uhr, ansonsten sind ab heute jedoch Passierscheine nicht länger obligatorisch, Maskenverteilung an manchen Métroeingängen, Aufforderung zum Abstandhalten -; dennoch verhindert dies Bilder von überfüllten Waggons nicht. Vgl.: http://www.letribunaldunet.fr - Um Leute davon abzuhalten, nun in Noch-Seuchen-Zeiten öffentliche Transportmittel zu nutzen, bleibt deren Angebot absichtlich verknappt. Dabei sorgt die Verknappung jedoch wiederum dafür, dass weniger Platz pro Fahrgast im Inneren vorhanden ist…

Auch auf anderer Ebene dauern die Konflikte um gesellschaftliche Folgen der Covid-19-Epidemie fort. Wie wir in unserem Beitrag vom 08./09. Mai 20 (vgl. nebenstehenden Artikel) bereits berichteten, hatte ein Gericht in Le Havre den Renault-Konzern zur neuerlichen Schließung des Standorts Sandouville in der Normandie verurteilt. Konkret hatte die Justiz bemängelt, dass die gewählte Personalvertretung in Gestalt des CSE („Sozial- und Wirtschaftsausschuss“, sehr sehr vergröbernd mit einem ungefähren Pendant zu deutschen Betriebsräten vergleichbar – jedoch mit anderen Aufgaben und anderer Zusammensetzung) nicht ausreichend einbezogen worden sei, weshalb die rechteren Gewerkschaften behaupten es handele sich „lediglich um formale Mängel“, während die Wiederöffnung auf der inhaltlichen Ebene (d.h. den Gesundheitsschutz an den Arbeitsplätzen betreffend) angeblich gut vorbereitet worden sei. Dem widerspricht die CGT inhaltlich jedoch energisch; Letztere hatte in ihrer Zivilklage auch kritisiert, dass etwa die Fortbildung zum Thema Schutz vor sanitären Risiken in der Corona-Krise lediglich darin bestanden habe, Videos mit allgemeinen Ausführungen zum Abstandhalten und social distancing zu zeigen, aber nicht in konkreten Risikoanalysen und Schutzmaßnahmen an den einzelnen Arbeitsplätzen, wo u.U. Arbeitsabläufe und insbesondere die Gruppenarbeit räumliche Nähe unter den Lohnnbhängigen erforderlich machen.

Vgl. dazu auch übrigens ein ausführliches Interview:
https://www.youtube.com/watch?v=tOma2WS0ePU

NACHTRÄGLICH EINGEFÜGT - Vgl. sonst noch zu Renault in Sandouville:

(Keine Wiederöffnung des Renault-Werks am Standort Sandouville vor dem 22.05.20 :) https://www.lefigaro.fr/societes/renault-sandouville-pas-de-reouverture-avant-le-22-mai-selon-les-syndicats-20200512

Darüber hinaus ist dasselbe Renault-Werk nun auch noch, nachträglich, im Visier der Justiz wegen rechtsmissbräuchlicher Praktiken bei der Leiharbeit: https://www.lefigaro.fr/flash-eco/renault-sandouville-une-enquete-en-cours-pour-recours-abusif-a-l-interim-20200515

Und ferner (mit Blick ebenfalls auf den ebenfalls verurteilten Amazon-Konzern und andere Unternehmen): https://www.humanite.fr/apres-renault-et-amazon-la-justice-demande-au-coursier-de-lyon-de-revenir-dans-les-clous-689079

CFDT versus CGT

Dazu kam nun heftige Kritik an der CGT – welche das Urteil erzielt hatte – von Seiten des Generalsekretärs der, an ihrer Spitze rechtssozialdemokratisch-neoliberal geführten – CFDT. (Landesweit ist die CGT der mitglieder-, die CFDT jedoch seit 2017 der bei Personalvertretungswahlen stimmenstärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich. Bei Renault in Frankreich ist allerdings, jedenfalls auf Konzernebene, die CFE-CGC, d.h. die Gewerkschaftsvereinigung der höheren und leitenden Angestellten, mit 24 % Stimmenanteil derzeit die stärkste Einzelgewerkschaft. Dies erklärt sich aus dem mittlerweile hohen Anteil an Ingenieuren und Ingenieurinnen an den französischen Standorten, da die materielle Produktion vielfach etwa nach Marokko und Rumänien ausgelagert worden ist.)

Laurent Berger, seines Zeichens Boss der CFDT, erdreistete sich infolge der Gerichtsentscheidung, nunmehr öffentlich die CGT als „unverantwortlich und grundlos handelnd“ hinzustellen. Der Öffnung des Standorts Sandouville für die Produktion bei Renault sei ein „exemplarischer sozialer Dialog“ vorausgegangen (…das zuständige Gericht sah dies freilich anders). Er predige „den sozialen Dialog statt fruchtlose Kraftproben“.

Vgl. dazu:

In Reaktion darauf publizierte die gewerkschaftliche Struktur CGT Info’Com (eine frühere Druckergewerkschaft, die aufgrund der ökonomischen Umstrukturierung ihre ursprüngliche Basis z.T. eingebüßt hat und in den letzten Jahren durch PR-Kampagnen viel Aufmerksamkeit hervorrief) unmittelbar danach ein Plakat, das Laurent Berger und den Chef des Arbeitgeberverbands MEDEF - d.i. derzeit Geoffroy Roux de Bézieux- in Lederkluft zeigte und worauf beide als praktizierende Sado-Masochisten dargestellt wurden. Laurent Berger von der CFDT natürlich in der Rolle des Masochisten. Diese Illustration rief jedoch nicht nur innerhalb der CGT (der Dachverband distanzierte sich schnell) und darüber hinaus, sondern auch u.a. in der radikalen Linken heftige Kritik hervor, weil die Darstellung als homophob aufgefasst und attackiert wurde.

Vgl. bspw.:

Innerhalb der Linken:

Über die Linke hinaus:

Kurz darauf schwenkte die Struktur CGT Info’Com um und publizierte als Ersatz ein neues Plakat. Laurent Berger firmiert daraufhin immer noch in Lederklamotten als Masochist, dieses Mal in Begleitung von Arbeitsministerin Muriel Pénicaud in einer Position als SM-Domina. Auch daran stieß sich aber alsbald die Kritik, die auch innerhalb der radikalen Linken scharf ausfiel: Warum habe man eine homophobe durch eine sexistische Illustration austauschen müssen? (Weitergefasst, warum musste die Kritik überhaupt im sexuellen Bereich angesiedelt werden?)

Einfacher fällt die (linke) Positionierung wohl demgegenüber bei Wirtschaftsminister Bruno Le Maire. Dieser übte inzwischen offene Richterschelte angesichts des „schlechten Urteils“ zu Renault Sandouville; und seine Ministerkollegin „für Arbeit & Soziales“ Muriel Pénicaud attackiert aufgrund des Urteils die CGT, die ursprünglich geklagt hatte - vgl.: https://www.lefigaro.fr/ - Juristisch betrachtet, ist eine offene Einmischung in Justizangelegenheiten in Gestalt der „Diskreditierung einer richterlichen Entscheidung durch öffentliche Handlungen, Aussprüche, Schriften oder Bilder“, sofern diese dazu geeignet ist, Druck auf die Gerichtsbarkeit auszuüben, im Prinzip gesetzlich verboten… (Artikel 434-25 des französischen Strafgesetzbuchs Code pénal!)

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.

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