Editorial
Im Mittelpunkt: Der Mehrwert

von Karl Müller

06/04

trend
onlinezeitung
Am Mittwoch, 9. Juni 2004 werden in der Berliner Humboldt-Universität Moishe Postone und Michael Heinrich die "Kritische Theorie von Marx" diskutieren. Dieser Abend ist Teil einer Veranstaltungsreihe, für die wir im trend auf der Titelseite werben, weil wir alle Aktivitäten unterstützen, die zu einer Aneignung der Marxschen Theorie beitragen. Dies tun wir auch um den Preis, fehlerhaften oder unzulänglichen Marx Rezeptionen Raum zugeben. Denn wir meinen, dass gerade aus Fehlern gelernt werden kann. Ein anschauliches Beispiel dazu liefert in der jetzigen Ausgabe Franz Schandls Behandlung des Mehrwerts.

Robert Schlosser hat für diejenigen, die eine wenig kritisch munitioniert zur Postone-Veranstaltung gehen wollen, erste Skizzen einer Kritik an dessen und Heinrichs Positionen formuliert (Über Ontologie und Kritik der Politischen Ökonomie).

Überhaupt steht die Beschäftigung mit der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer zentralen Kategorie "Mehrwert" im Mittelpunkt dieser Ausgabe. Dazu haben wir nicht nur Anschauungsmaterial und Quellen bereitgestellt, sondern auch einen Auszug aus einem Schulungstext der Weimarer KPD zum Thema "Kapital und Mehrwert" virtuell neu aufgelegt. Mit diesem Dokument wollen wir nicht nur eine richtige Sachdarstellung verbreiten helfen, sondern vor allem auch geschichtsklitternden Argumentationen, wie sie etwa auch bei Schandl und anderen selbsternannten WertkritikerInnen im Hinblick auf die theoretischen Grundlagen des "Arbeiterbewegungsmarxismus" zu finden sind, entgegen wirken.

Für die eher an aktuellen Ereignissen interessierten LeserInnen gibt es wie gewohnt Artikel von Bernhard Schmid (Abschiebung(sversuche) von Islamisten und Frankreichs Rechtsextreme vor den Europaparlamentswahlen) und Max Brym. Neu hinzu gekommen ist als Autor Peter Nowak, der unsere Sympathie genießt, weil er gegen die geistige Kollaboration von Teilen der Linken mit dem Staatsapparat polemisiert.

Als besonderes Dokument ragt Winfried Wolfs Abschied von der PDS heraus, vermittelt es doch nicht nur einen Einblick in das dröge Innenleben einer sozialdemokratischen Partei sondern widerspiegelt auch den Masochismus jener Linken, die sich den gruseligen Zumutungen jener Partei aussetzen.

Für die geschichtlich Interessierten setzen wir unsere Reprints zur Geschichte Israels und zu den "Englischen Utopien" fort.

Geht es um Israel, dann wirkt die Losung Gremlizas aus dem Jahre 2002 noch heute wie Mehltau. Jener "antideutsche" Sinnstifter forderte damals zusammen mit dem ISF, jeglichen Versuch einer "Klassenanalyse Israels" zu unterlassen. Davon setzt sich erfrischend der Versuch der Gruppe "Aufheben" ab, das Israel/Palästina-Problem klassentheoretisch zu untersuchen, um Widersprüche und Unterdrückungszusammenhänge in dieser Region jenseits völkischer Zuweisungen und Konstrukte aufzuzeigen. Wir sehen hier in gewisser Weise ein Fortsetzung der Arbeit von Nathan Weinstock und dokumentieren diesen Text durch Spiegelung.

Nicht fertig geworden ist ein Artikel von K.-Heinz Schubert zum Thema Cyberhilfe, in welchem versucht wird, die Erfahrungen des trend mit Zensur, Providerwillkür und Angriffen durch politische Gegner auszuwerten, um Grundzüge einer Plattform für eine virtuelles strömungsübergreifendes Soli-Projekt zu formulieren.