Im Wartesaal Teil 8 
Die Solidarität der tschechischen Bevölkerung mit den deutschen Emigrant*innen nach Hitlers Machtergreifung

Leseauszug aus: Exil in der Tschecheslowakei

06/2016

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"Die verhängnisvollen Jahre, als Hitler-Deutschland unter allgemeiner Duldung heranwachsen durfte, hat der Staat des Präsident-Befreiers Masaryk uns die Arme geöffnet. Wir - das ganze verfolgte Deutschland, das intellektuelle, das freiheitliche, waren in dem einzigen Lande nicht nur teilnahmslos geduldet: Prag empfing uns als Verwandte..."

Heinrich Mann

 "
Ein Zeitalter wird besichtigt"
Berlin 1947, S. 467

Übereinstimmend kommt in allen Zeugnissen ehemaliger CSR-Emigranten zum Ausdruck, daß ihnen die fortschrittliche und demokratische Bevölkerung des Landes große Sympathien entgegenbrachte, die sich in unzähligen Beweisen der Solidarität und Verbundenheit zeigten. Der Opferbereitschaft dieser Kreise ist es in erster Linie zu danken, daß den Flüchtlingen die ärgste materielle Not erspart blieb. Unmittelbar nach der Machtübernahme Hitlers war unter den Werktätigen der Tschechoslowakei eine breite antifaschisti­sche Protest- und Solidaritätsbewegung entstanden, der sich auch zahlreiche Vertreter aus bürgerlichen Kreisen und der Intelligenz anschlössen. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht auf Kundgebungen und Meetings zu den Ereignissen in Deutschland Stellung genommen und die Verbundenheit des tschechoslowakischen Proletariats mit den heldenhaft kämpfenden deutschen Patrioten zum Ausdruck gebracht wurde.

Im Wartesaal / Teil 1
Refugees in Nachkriegsdeutschland 1945 - 1957
Zahlen und Daten zur Unterbringung jüdischer Displaced Persons
Im Wartesaal Teil 2

Refugees in der BRD 1951
Bericht des Bundesministeriums für Vertriebene
Im Wartesaal Teil 3
Refugees in der BRD 1953
Auszüge aus dem Bericht des Bundesministeriums für Vertriebene

Im Wartesaal / Teil 4

Der anhaltende Flüchtlingsstrom 1955
Auszüge aus dem Bericht des Bundesministeriums für Vertriebene
Im Wartesaal Teil 5
BRD-Lagerleben 1976-80
von Rolf Oerter und Helmut Stapf 

Im Wartesaal Teil 6
Deutsche antifaschistische Emigration in den USA nach 1933
von Jürgen Schebera
Im Wartesaal Teil 7
Die Flüchtlingspolitik der britischen Regierung nach 1933
Leseauszug aus: Asylland Großbritannien
 

Delegationen protestierten bei der deutschen Ge­sandtschaft und den konsularischen Zweigstellen gegen den Terror der Hitlerregierung; in Ortschaften und Betrieben entstanden Ausschüsse zur Rettung der eingekerkerten deut­schen Antifaschisten, vor allem Ernst Thälmanns, der zum Symbol des proletarischen Widerstands gegen das faschistische Regime wurde; es erschienen Flugzettel, Postkarten, Kle-bcmarken zur Befreiung Ernst Thälmanns, Edgar Andres und der des Reichstagsbrands beschuldigten Kommunisten. Funk­tionäre der KPTsch klärten in Versammlungen die Bevölke­rung über die Vorgänge in Deutschland auf und mobilisierten die Massen zum Kampf gegen den Faschismus. Die fort­schrittliche Presse, vor allem das „Rüde prävo" und seine deutschen Schwesterorgane, prangerte die braune Barbarei und Blutjustiz an; auch bürgerliche Blätter verurteilten die Greueltaten des Faschismus, ohne freilich dessen Klas­sencharakter aufzudecken.

In dieser antifaschistischen Massenbewegung spielten die linken tschechischen und deutschprager Intellektuellen eine hervorragende Rolle. Namhafte Vertreter des Geisteslebens, wie die Universitätsprofessoren Zdenek Nejedly, Frantisek X. Saida, Otakar Fiser, die Schriftsteller Vladislav Vancura, Ivan Olbracht, Karel Capek, Egon Erwin Kisch, Franz Carl Weis­kopf, die Juristen Dr. Rudolf Rabl und Dr. Ivan Sekanina, um nur einige zu nennen, manifestierten gegen die faschistische Kulturbarbarei und wiesen in Veranstaltungen auf die Gefahr hin, die der CSR von Hitlerdeutschland drohte.(24) Sie forderten auf Kundgebungen und in Resolutionen die Freilassung der inhaftierten deutschen Schriftsteller und unterstützten die Entstehung von Exilzeitschriften. Nach der Bücherverbren­nung errichteten sie in der Prager Stadtbibliothek eine Sam­melstelle für die in Deutschland verbotene Literatur. Sie gründeten ein Komitee zur Rettung Carl von Ossietzkys und arbeiteten in Ausschüssen zur Befreiung Dimitroffs, Thälmanns und anderer Arbeiterführer mit. Von ihnen kam auch der Vorschlag an den Präsidenten der Republik, zugun­sten Ossietzkys auf den Friedensnobelpreis (1935) zu ver­zichten. Gemeinsam mit den tschechoslowakischen Werk­tätigen organisierten sie Hilfsaktionen zur Unterstützung der Verfolgten des Naziregimes oder initiierten, wie der Kultur- , historiker Frantisek X. Saida, ein Flüchtlingskomitee.(25) So entstanden in den ersten Monaten 1933 durch Einzelpersonen, Vereinigungen oder Parteien mehrere Hilfswerke, die sich neben der materiellen Unterstützung der Flüchtlinge auch für die erforderlichen Aufenthaltsgenehmigungen einsetzten.(26)

Die Hilfeleistungen der Komitees reichten von Sach- und Kleiderspenden, Schuh- und sonstigen Reparaturen, von Pa-tronaten, eine von der Kommunistischen „Solidarität" be­vorzugte Form der Betreuung mit wechselnden Schlaf- und Essenstellen, über Tagegelder für Unterkunft, Verpflegung und Wäsche bis zur Gewährung finanzieller Mittel für Weiter­und Ausreise. Weiterhin mußten von den Komitees ausein-1 andergerissene Familien zusammengeführt, Verbindungen mit anderen Ländern hergestellt, medizinische Betreuung organi­siert, Großküchen geschaffen, Quartiere ausgemacht und ein­gerichtet werden. Daß die ohne staatliche Unterstützung arbeitenden Hilfswerke all diese Aufgaben meisterten, ist ein bewunderungswürdiges Beispiel internationaler Solidarität. Gaststätten gaben kostenlos Mittagessen an Emigranten ab, der Arbeiterkonsumverein „Vcela" half den Emigrantenkü­chen mit zusätzlichen Lebensmittellieferungen, Prager Be­triebe übernahmen Patenschaften, Ärzte behandelten die Flüchtlinge unentgeltlich. Geschäftsleute und Firmen lieferten Baumaterialien und Einrichtungsgegenstände für die Unter­künfte; der Dichter Viteslav Nezval stellte die mit seinem Staatspreis verbundene Dotierung den Emigranten zur Ver­fügung.(27) Verlagsanstalten spendeten Zeitungen und Bücher, Kinos und Theater gaben zu stark ermäßigten Preisen oder kostenlos Eintrittskarten ab, bekannte Intellektuelle hielten Vorträge, Vereine und Institutionen boten Möglichkeiten zur Erlernung der tschechischen Sprache. Tschechische und deut­sche Künstler der Hauptstadt sowie aus den Reihen der Emigranten traten in Veranstaltungen auf, die von den Flüchtlingskomitees organisiert wurden und deren Erlös der Emigrantenhilfe zufloß.(28) In teilweise illegal durchgeführten Solidaritätsaktionen erfolgten Geldsammlungen für die Exilierten.(29) Allein in den Jahren 1933 bis 1936 wurden aus privaten Mitteln ... in rund achttausend Unterstützungs­fällen rund acht Millionen Kronen aufgebracht"(30).

Ein großes Problem bedeutete für die Hilfskomitees die Unterbringung der Flüchtlinge. Bereits im Jahre 1933 waren in Häusern oder größeren Wohnungen Gruppenunterkünfte geschaffen worden. Um auf die Dauer den Anforderungen der Fürsorge gewachsen zu Sein, gingen ab 1934 verschiedene Komitees dazu über, Massenquartiere einzurichten. Auf diese Weise konnten Kosten für Miete, Beleuchtung und Heizung gespart werden. Auch waren die Heime besser geeignet, den politisch-moralischen Zusammenhalt der Flüchtlinge festigen zu helfen. Solche Unterkünfte wurden in Stodülky bei Prag, in Msec,(31) Kreis Slany, und im Stadtteil Prag-Straschnitz (Strasnice) geschaffen, wo sich eines der größten Quartiere in der CSR befand. Es gehörte der Kommunistischen „Ver­einigung zur Unterstützung deutscher antifaschistischer Emi­granten", beherbergte neben Arbeitern auch exilierte Schrift­steller und Künstler (Max Zimmering, Heinz Worner, Erwin Geschonneck wohnten zum Beispiel hier) und entwickelte sich in den Jahren 1935 bis 1938 zu einem Zentrum deutsch­tschechischer Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet. Die von den Emigranten mit Unterstützung weiter Kreise der Bevöl­kerung selbstgeschaffene Unterkunft in einem ausgedienten Fabrikgebäude bot Raum für etwa hundertzwanzig Personen, die in dreizehn Zimmern (zu fünf bis zwölf Personen) und einem Schlafsaal (für dreißig Personen) untergebracht waren.(32) Die Heimküche versorgte nicht nur sämtliche Bewohner mit je drei Tagesmahlzeitcn, sondern auch extern untergebrachte Emi­granten. Es gab im Heim einen Speise- und Aufenthaltsraum und eine Bibliothek. Die Insassen versahen Stuben- und Kü­chendienst und Eingangskontrolle, die um so notwendiger war, da die deutschen Faschisten immer wieder versuchten, Gestapo­agenten in die Emigration einzuschleusen.(33) Große Aufmerk­samkeit wurde der Weiterbildungs- und Schulungsarbeit ge­schenkt. Im Heim hing ein Plan aus, der auf Unterricht in Sprachen und Literaturgeschichte sowie auf Vorträge, die befreundete Intellektuelle hielten, hinwies. Diese Lehrveran­staltungen dienten nicht nur dem Erwerb und der Auffrischung von Kenntnissen, sie waren auch ein wirksames Mittel zur Bekämpfung von Demoralisationserscheinungen, die sich nicht zuletzt durch die Unmöglichkeit einer Arbeitsaufnahme einstellten.(34)

Die Solidarität der demokratischen Bevölkerung des Landes erstreckte sich aber nicht nur auf materielle und karitative Hilfeleistungen; nicht weniger wichtig war ihr Eintreten für Schutz und Sicherheit der antifaschistischen Flüchtlinge. Immer wieder kam es — trotz amtlicher Beteuerungen, den politischen Emigranten Asylrecht zu gewähren — zu Über­griffen durch die staatlichen Behörden, zu Verhaftungen, Ausweisungen und Auslieferungen. Und so entbrannte in der CSR bereits 1933 ein heftiger Kampf um das Asylrecht.

Für die uneingeschränkte Gewährung des Asylrechts

Als die ersten Ausweisungen von Emigranten bekannt wur­den, stellte sich die KPTsch rückhaltlos hinter die Betroffenen. In der Parteipresse, in Versammlungen wurde zur Behandlung der antifaschistischen Flüchtlinge durch die tschechoslowa­kischen Staatsorgane Stellung genommen und alle Fälle grober Verletzungen scharf angeprangert. Betriebsbelegschaften in­tervenierten beim Innenministerium gegen geplante Auswei­sungen, Hilfskomitees protestierten bei den Behörden gegen Verstöße, Unterschriftensammlungen fanden statt. Die Kommunisten benutzten auch die Parlamentstribüne, um den Kampf für das Asylrecht zu führen. Im Senat brachten sie im Juni 1934 einen Gesetzesvorschlag ein, der das Asylrecht garantieren, Ausweisungen unmöglich machen und den deut­schen Emigranten die gleichen Rechte wie den tschecho­slowakischen Staatsbürgern einräumen sollte.(35) Verwiesen wurde in dieser Vorlage- auf die Tatsache, daß die Regierung die nach dem ersten Weltkrieg ins Land gekommenen weiß­gardistischen Flüchtlinge bereitwillig aufnahm, sie finanziell mit erheblichen Mitteln unterstützte und ihnen Ausbildungs­möglichkeiten sowie Anstellungen im öffentlichen Dienst bot, obwohl sich bald zeigte, daß sich viele von diesen konter­revolutionären Kräften schwere Straftaten zuschulden kom­men ließen. Demgegenüber verfahre man mit den Verfolgten faschistischer Regime rücksichtslos, man weise sie aus, schiebe sie über die Grenze ab, was vielfach den sicheren Tod bedeute, oder erkenne sie als Emigranten gar nicht an. Zusammen­fassend kommt der Bericht zu der Feststellung: „Das Asylrecht ist in der Tschechoslowakei weder durch ein nationales noch internationales Gesetz geregelt."(36)

Die Regierung lehnte den eingebrachten Vorschlag ab, und die KPTsch verstärkte ihren Kampf für das Asylrecht, der schließlich weite Kreise der Bevölkerung erfaßte. Als es im September 1934 in Prag zur Verhaftung mehrerer Flüchtlinge wegen deren Tätigkeit gegen den Nazistaat kam und die reaktionäre Presse einen neuen Feldzug gegen die Emigranten startete, wandten sich namhafte tschechische und Deutsch-prager Schriftsteller, Künstler und Gelehrte in einem Manifest an die Öffentlichkeit und forderten die Bürger auf, „ihre Stimme ... zum Schütze des Lebens und der Sicherheit der Emigranten" zu erheben. In diesem von der „Liga für Men­schenrechte" verfaßten und dem „Schutzverband deutscher Schriftsteller in der CSR" signierten Aufruf wurde betont, „daß seit jeher die politische Tätigkeit der Emigration gegen die Macht, die sie verfolgte und zur Flucht zwang, als erlaubt und selbstverständlich angesehen wurde"(37). Zu den Unter­zeichnern dieses Manifestes gehörten u. a. Bozena Beneäovä, Max Brod, Oskar Baum, E. F. Burian, Josef Capek, Rudolf Fuchs, Alois Haba, Hugo Haas, Josef Hora, Jaroslav Jezek, Edmond Konräd, Frantisek Langer, Viteslav Nezval, Karel Novy, Otto Pick, Vladislav Vancura, Vaclav Vydra, Ludwig Winder. Angeschlossen hatten sich auch die Emigranten Paul Demel, Julius Gellner, Arnold Marie, Friedrich Richter und Anton Schmerzenreich.(38)

Durch das Eintreten der demokratischen Bevölkerung für die antifaschistischen Flüchtlinge mußte manche von den Staats­organen gegen die Emigranten geplante Aktion rückgängig gemacht werden, oder sie wurde durch das Verhalten der Polizeiangestellten paralysiert. Daß die jahrelangen Bemühun­gen um die Durchsetzung des Asylrechts in der CSR nicht ohne Erfolg blieben, zeigte sich im Falle Heinrich Manns und im Sommer 1937, als das Innenministerium einen neuen Anschlag auf die Emigranten vorbereitete.

1934 hatte der Dichter des „Untertan" in der nordböhmischen Stadt Reichenberg (Liberec) um den Erwerb des Heimatrechts nachgesucht, das als Voraussetzung für eine tschechoslowa­ische Einbürgerung galt, die ihm von Präsident Masaryk zugesichert worden war. Die Reichenberger Gemeindevertreter schleppten die Angelegenheit über viele Monate hin und scheuten sich nicht, Erkundigungen darüber einzuholen, weshalb Heinrich Mann durch die Hitlerregierung die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden war. Solcherart provoziert, zog er sein Gesuch zurück. Als der Vorfall bekannt wurde, kam es in der demokratischen Öffentlichkeit zu heftigen Protesten. Die „Rote Fahne" betrachtete das Reichenberger Vorgehen als eine „offene Demonstration gegen den Gegner der Hitlerbarbarei und gegen die deutsche Kultur überhaupt" und forderte alle antifaschistischen Gemeindevertreter auf, Heinrich Mann das Heimatrecht anzubieten.(39)

Zahlreiche Gemeinden aus allen Teilen des Landes solidarisierten sich in der Folgezeit mit dem aus Deutschland vertriebenen Dichter und bereiteten damit „der deutschen Kultur eineglänzende Ehrenrettung"(40). Als Heinrich Mann schließlich im Herbst 1935 von der kleinen Stadt Prosee (bei Pardubice) das Heimatrecht erhielt, war die Schande von Reichenberg wettgemacht, wenn auch nicht vergessen (später wurde von Prosec auch Thomas und Klaus Mann das Heimatrecht erteilt).(41) Den Charakter einer Massenbewegung nahm auch 1937 die Aktion gegen die Schaffung von Emigrantenreservationen an, die eine Zwangsumsiedlung aller Flüchtlinge aus den Grenzgebieten und den größeren Städten in verschiedene Bezirke der böhmisch-mährischen Hochebene vorsah.(42) Das Verfahren  begann in Brünn, wo den Emigranten die Aufenthaltsbewilligung nur unter der Bedingung verlängert wurde, daß sie ihren Aufenthalt in einen der dafür vorgesehenen Orte verlegten. (Unter den Betroffenen befand sich Oskar Maria Graf.) Auch in Prag und anderen Städten gingen die Behörden ähnlich vor. Widersetzte sich ein Emigrant dieser Maßnahme, drohte ihm Ausweisung. Eine Welle der Empörung erfaßte das ganze Land. Nicht nur die Arbeiterpresse, auch bürgerliche Blätter nahmen gegen die geplante Emigrantenkonfinierung Stellung.  Beschwerden der Hilfskomitees und Proteste aus allen Kreisen der Bevölkerung zwangen die Verantwortlichen schließlich  zum Rückzug. Unter dem Druck der demokratischen Öffentlichkeit mußte das Innenministerium auf die Durchführung dieser unwürdigen Maßnahme verzichten.

Doch der Kampf um das Asylrecht wurde nicht nur im Lande, sondern auch auf der internationalen Ebene geführt. Das auf der Staatenkonferenz vom 2. bis 4. Juli 1936 in Genf aus­gearbeitete Flüchtlingsstatut brachte nach jahrelangen er­gebnislosen Bemühungen für die deutschen Emigranten in­sofern ein erstes, wenn auch bescheidenes Ergebnis, als ihnen wenigstens ein für alle Staaten gültiger Interimsausweis zugestanden wurde, der Freizügigkeit garantierte, sofern das Asylland, in dem sich der Vertriebene aufhielt, das Genfer Statut anerkannte.(43) Die Regierung der Tschechoslowakei entschloß sich nicht zu diesem Schritt. Deshalb setzte sich die KPTsch in ihrem Kampf um das Asylrecht auch für die Ratifizierung des Genfer Flüchtlingsstatuts ein. Dank des konsequenten Eintretens der tschechoslowakischen Kommunisten und Demokraten für die Sicherheit der deut­schen Emigranten, dank der Unterstützung so hervorragender Persönlichkeiten wie Prof. Nejedly und des Rechtsanwalts Dr. Rabl gelang es vielfach, die wegen ihrer antifaschistischen Arbeit nach Deutschland Verhafteten freizubekommen. Daß ab 1936 Ausweisungen von Emigranten weitgehendst unter­blieben, konnte als ein großer Erfolg im Kampf um das Asyl­recht betrachtet werden.

Anmerkungen

24) Eine bedeutungsvolle Veranstaltung unter dem Motto „Wie wehrt man sich gegen den Faschismus" fand am 12. Mai 1933 in der Prager Produktenbörse statt. Unter den Rednern befanden sich die Schriftsteller Vladislav Vancura, F. C. Weiskopf, Ivan Olbracht, Egon Erwin Kisch, der Komponist Alois Haba sowie Prof. Nejedly und Adolf Hoffmeister (Vorwärts, Reichenberg, vom 14. Mai 1933). „Von der Versammlung ging die Initiative zur Schaffung eines antifaschistischen Ausschusses auf breitester Grundlage aus" (AIZ Nr. 20/1933). Eine weitere Großkund­gebung zum gleichen Thema und unter Teilnahme von Friedrich Kassowitz, Egon Erwin Kisch, Ivan Sekanina, Karl Kneschke und Karl Kreibisch fand Ende Mai 1933 in Reichenberg statt (Vorwärts, Reichenberg, vom 28. Mai 1933).

25) Prager Presse vom 10. Mai 1933 und 6. Dezember 1934; Die Rote Fahne vom 24. August 1934 und 20. Juli 1935; Der Gegen-Angriff vom 27. Juli 1935.

26) Das erste dieser Hilfswerke — die „Demokratische Flüchtlings­fürsorge" (Demokratickä pece pro pomoc uprchliküm z Nemecka) — wurde von der „Liga für Menschenrechte" im März 1933 gegründet. Ihm folgte das von Universitätsprofessor Saida ins Leben gerufene und von fortschrittlichen tschechischen Kultut-schaffenden unterstützte „Hilfskomitee für Emigranten aus Deutschland" (Komitet pro pomoc emigrantüm z Nemecka, zakladatel F. X. Saida), das Saida-Komitee, wie es kurz genannt wurde, in dem Vertreter der „Roten Hilfe" (Rudä pomoc) mit­arbeiteten und das vorzugsweise linke Intellektuelle und progres­sive bürgerliche Demokraten betreute. Daneben bestanden die „Sozialdemokratische Flüchtlingsfürsorge", die von der Deut­schen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der CSR (DSAP) getragen wurde und in Kontakt mit der in Prag ansässigen SPD-Zentrale stand, das „Jüdische Hilfskomitee", das die aus ras­sischen Gründen Vertriebenen versorgte, und der „Einheitsver­band der Angestellten". — Die Unterstützung der kommunisti­schen Emigranten erfolgte in erster Linie durch die „Vereinigung zur Unterstützung deutscher antifaschistischer Emigranten" (Sdruzeni pro podporu nemeckych antifasistickych emigrantü). An ihre Seite trat ab 1936 die „Solidarität. Vereinigung zur Unterstützung der Rechte und für soziale Hilfe" (Solidarita, sdruzeni na obranu präv a pro sociälni pomoc), eine Nachfolge­organisation der 1932 verbotenen und Ende 1935 wieder zugelas­senen „Roten Hilfe", die in vielen Teilen des Landes Zweigstellen unterhielt. Kommunistische Emigranten waren ferner beim Sai­da-Komitee erfaßt, während andererseits die „Vereinigung zur Unterstützung deutscher antifaschistischer Emigranten" partei­losen Antifaschisten Unterstützung gewährte. — Obwohl die einzelnen Flüchtlingskomitees zunächst unabhängig voneinander arbeiteten, gab es doch allgemeine Probleme, die eine Zusammen­arbeit und Abstimmung notwendig machten. Das betraf die Vermeidung von Doppelunterstützungen, vor allem aber die Interessenvertretung der Emigranten gegenüber den Behörden des Asyllands und auf der internationalen Ebene. Aus dieser Not­wendigkeit heraus entstand Ende 1933 eine Dachorganisation, das „Nationalkomitee für die Flüchtlinge aus Deutschland" (Comite National pour les Refugies provenant d'Allemagne), über das der Kontakt zu dem vom Völkerbund errichteten „Hohen Kommis­sariats für deutsche Flüchtlinge" hergestellt wurde. (Diese An­gaben stützen sich auf: Gerhard Fuchs, Gegen Hitler und Hen­lein, a. a. O., S. 67f. — Kurt R. Grossmann, Die Exilsituation in det Tschechoslowakei; in: Die deutsche Exilliteratur 1933—1945, Stuttgart 1973. — Gertruda Albrechtova, Die Tschechoslowakei als Asyl der deutschen antifaschistischen Li­teratur, Bratislava [o. J.], S. 72ff. — Menschen auf der Flucht. Drei Jahre Fürsorgearbeit für die deutschen Flüchtlinge. Hrsg. von der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge, Prag I [o. J.], S. 9.)

27) Gerhard Fuchs, Gegen Hitler und Henlein, a. a. O., S. 86; Die Rote Fahne vom 21. November 1934 und 6. November 1935.

28) Prager Mittag vom 8. November 1934; Die Neue Weltbühne, Nr. 10/1937 vom 4. März; Menschen auf der Flucht, a. a. O., S. 13. Veranstaltungen gab es durch das Saida-Komitee, die „Vereinigung zur Unterstützung deutscher antifaschistischer Emigranten", die „Demokratische Flüchtlingsfürsorge". Auch die Emigrantenkollektive STUDIO 1934 und „Die Pfeffer­mühle" spielten für die Hilfswerke. Fürnbergs Spieltruppe „Echo von links" sammelte bei ihren Vorstellungen in den Gemeinden des deutschen Gebiets für die Emigrantenhilfe.

29) Gerhard Fuchs, Gegen Hitler und Henlein, a. a. O., S. 85.

30) Hugo Gräf, Internationale Konferenz für Asylrecht; in: Die Neue Weltbühne, 24/1936 vom 11. Juni.

31) Siehe dazu: Ein Jahr Emigration, a. a. O., S. 6ff; Die Rote Fahne vom 11. Juli 1936 und 17. September 1937.

32) Diese und die folgenden Angaben stützen sich auf Beiträge in: AIZ, 47/1935 (Dem III. Reich entronnen), und: Die Neue Welt­bühne, Nr. 10/1937 (Emigrantenheim in Prag).

33) Siehe dazu: Gerhard Fuchs, Gegen Hitler und Henlein, a. a. O., S. 76.

34) Es existierte in der Tschechoslowakei ein Gesetz (Nr. 39 vom 13. März 1928) über den Schutz des heimischen Arbeitsmarktes. Danach wurde die „Beschäftigung von fremden Staatsangehöri­gen ... während der Dauer der ungünstigen Lage des heimischen Arbeitsmarktes" nur dann gestattet, wenn wichtige persönliche oder familiäre Gründe dafür sprachen, wenn es die Lage auf dem Arbeitsmarkt zuließ „oder wichtige Interessen der Volkswirt­schaft es erheischen" und schließlich „wenn es sich um eine solche besondere Art der Beschäftigung oder Leistung handelt, für welche eine heimische Kraft nicht gewonnen werden kann ..." (Sammlung der Gesetze und Verordnungen des cechoslowakischen Staates. Jahrgang 1928, Prag 1928, 14. Stück, ausgegeben am 26. März 1928). Die Anwendung dieser Bestimmung war durch­aus unterschiedlich: Vertreter fteier Berufe benötigten in der Regel keine Arbeitserlaubnis (Ausnahme: Schauspieler), pro­letarische Emigranten erhielten sie nicht.

35) Dieses Dokument bringt Gertruda Albrechtovä im Materialan­hang (Nr. 32) ihrer Arbeit: Die Tschechoslowakei als Asyl der deutschen antifaschistischen Literatur, a. a. O.

36) Ebenda (Ubersetzung: Bohdana Lommatzsch).

37) Die Rote Fahne vom 30. September 1934.

38) Ebenda.

39)  Die Rote Fahne vom 8. Juni (Zitat) und 6. Juli 1935.

40) Die Rote Fahne vom 7. August 1935.

41) Prager Tagblatt vom 13. Jänner 1937; Volks-Illustrierte Nr. 5/1937.

42) Siehe: Die Rote Fahne vom 18. und 21. Juli, 11. August und 17. Oktober 1937; Prager Tagblatt vom 24. Oktober 1937.

43) Siehe dazu: Die Neue Weltbühne, Nr. 29/1936 und 13/1938.

Editorische Hinweise

Der Leseauszug wurden entnommen aus: Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und Palästina, Hrg von: Ludwig Hoffmann u.a., Band 5 der Reihe: Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil. Leipzig,  (1980), S. 29 - 36