Editorial
Stadtpolitik

von Karl Mueller

08-2013

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onlinezeitung

Unter dem Titel "Rebellische Städte" erschien im April 2013 eines neues Buch von David Harvey. In diesem finden sich auch Positionen wieder, die Harvey bereits in den 1970er Jahren in Sachen Stadtpolitik vertreten hat. Wer sich davon überzeugen und Harveys Grundannahmen zur Einstimmung in sein neues Buch lesen will, für den reprinten wir in dieser Ausgabe einen Aufsatz aus dem Jahre 1974. Obgleich Harvey als "Marxist" unter den "Stadttheoretikern" gilt, sind seine Ausführungen über Rente und Profit im Hinblick auf die Marxsche Begrifflichkeit und Ableitung nur bedingt gewöhnungs als vielmehr revisionsbedürftig. Nun schmälert dies freilich nicht das politische Verdienst von Harvey, der mit dem Anspruch Henri Lefèbvres "Recht auf Stadt" zu substantiieren, Stadtpolitik streng als Klassenkampf behandelt. Ob Harvey wirklich über Lefèbvre  inhaltlich hinauskommt, diese Frage zu beantworten, setzt natürlich die Kenntnis von  Lefèbvres Schlüsselwerk "Die Revolution der Städte" voraus. Wir bieten mit dem Leseauszug "Auf dem Weg zu einer urbanen Strategie" einen ersten Einstieg in die Antwort.

In Harveys neuem Buch findet sich auch die Behauptung, MarxistInnen hätten sich in den zurückliegenden Jahrzehnten strategisch auf die Fabrik fixiert und ständen nunmehr - bedingt durch den kapitalistischen Umbau des Produktions- und Reproduktionsapparat - vor dem Dilemma mit den Stadtkämpfen politisch-strategisch nicht zurecht zukommen, da ihnen das theoretische Rüstzeug und die dafür nötigen praktischen Erfahrungen fehlten. Dieser Legendenbildung muss allerdings energisch entgegen getreten werden. Wer sich unsere Veröffentlichungen in der Rubrik Stadtumbau und Stadtkämpfe, die seit der Nr.6/2010 relativ  regelmäßig erscheint, zu Gemüte geführt hat, dürfte bereits dadurch Harveys Behauptung als widerlegt betrachten, obgleich wir nur einen Mini-Mini-Auschnitt aus der immensen Fülle des historischen Materials wieder ausgegraben haben. Es ist einfach so, dass Harvey zu kurzschlüssig argumentiert und damit die so wichtige Fragestellung, warum der "Arbeiterbewegungsmarxismus" seine hegemoniale Funktion in der Linken eingebüßt hat, desavouiert.

In dieser Ausgabe sollen nun wieder zwei historische Texte zeigen, welche zentrale Bedeutung die Stadt als Ort des Klassenkampfes in der marxistischen Theorie und Praxis eingenommen hat. Wir berichten über eine Hausbesetzung in Mailand 1971, um zu zeigen, wie durch die praktischen Kämpfe jenseits des engen Legalitätsrahmens die zersplitterte radikale Linke sich bündelte und zusammenschloss. Da könnten sich heute einige selbsternannte StadtteilfürstInnen in Sachen Überwindung des selbstverschuldeten politischen Autismus eine Scheibe abschneiden. Der zweite Text, zur Strategie der Stadtteilarbeit im Berliner Märkischen Viertel, von 1970 sollte auf dem Hintergrund der sich in K-Gruppen transformierenden Jugend- und Studentenbewegung gelesen werden. Er macht nicht nur deutlich, welchen Stellenwert die theoretische Durchdringung der Klassenwidersprüche eines sozialen Raumes, in den interveniert werden soll, hat, sondern wie hoch im Verhältnis zu heute die Rolle der Theorie für den alltäglichen Kampf angesiedelt war.

Der in der letzten Ausgabe veröffentlichte Bericht von Benny Härlin Szenen aus der westberliner BesetzerInnenbewegung bildet gleichsam einen Kontrast zu den klassenorientieren Ansätzen von Stadtteilarbeit in den frühen 1970er Jahren. Paul will als ehemaliger Hausbesetzer-Aktivist der 1980er Jahre das von Härlin gezeichnete Bild nicht stehen lassen. Er schickte uns seine herbe Kritik (Die „Märchenprinzen“ und die „Verhandlervotzen“), die wir gern veröffentlichen, denn wir wollten uns nicht anmaßen, mit Härlins Text die damalige Szene-Wirklichkeit eins zu eins eingefangen zu haben. Jedoch halten wir an dem Statement fest,  dass die "Szenen" auch als Warnung gelesen werden sollten, dass eine "Politik der ersten Person" nicht zum städtischen Klassenkampf sondern schlimmstenfalls zur Politikberatung für die herrschende Klasse führt.

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AktivistInnen der Stadtteilkämpfe wählen gewöhnlich  ihre Aktionsformen nach den vorgefundenen Kräfteverhältnissen, den anvisierten Zielgruppen und nach den vermuteten medialen Reaktionen. Kurzum es gibt nicht die Aktionsform schlechthin, sondern es geht zuvorderst um die eigenen Inhalte und Ziele des städtischen Klassenkampfes, die ihrerseits die Aktionsform nach den zuvor genannten allgemeinen Gesichtspunkten bestimmen.

Anne Seeck hat sich die Mühe gemacht eine Art Enzyklopädie der zeitgenössischen Widerstands- und Aktionsformen zu erstellen. Wir veröffentlichen diese zur Gedankenanregung, müssen jedoch darauf zu verweisen, dass ihre Auflistung für sich genommen für eine politische Praxis einfach wertlos ist, da sie - das ist das Wesen der Enzyklopädie - ihren Gegenstand aus dem historischen Kontext isoliert, um ihn formal vergleichbar zu machen. Daher wird man auch nichts über die konkreten ökonomischen und Klassenbedingungen der jeweiligen Handlungsformen bei Anne Seeck lesen. Ein wesentlicher erkennistheoretischer Mangel  besteht bei Seeck vor allem darin, dass sie sich die Wirklichkeit rein deutend aus der Literatur erschließt, um sich in dieser Deutung wiederzuerkennen. Solch eine psychologische Art der Deutung des eignen Ichs mag individuell zweckvoll sein, mit der Organisierung einer kollektiven Praxis, die auf die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise zielt,  hat dieser Ansatz dagegen wenig gemein.

Den ideologisch-politischen Überbau zu Seecks individualpsychologischen Deutungsversuchen liefert Wolfgang Ratzel. Er organisierte zusammen mit Anne Seeck die Veranstaltung "Neue Widerstandsformen braucht das Land?!", aus der beider Referate stammen. Ratzel lässt seine Thesen entlang an Foucaults und Nietzsches Betrachtungen über das Verhältnis von Macht und Herrschaft mäandern, um dann über so das so eingerichtete Weltganze zu räsonnieren: "Aber selbst im Erfolgsfall ( von Widerstand - kamue) wird man auf diese Weise niemals über die technisch-kapitalistischen Verhältnisse hinauskommen – man wird die Modernisierung der Macht bewirken. Man sitzt in der Falle der Macht.!"

Hier spricht die bürgerliche Monade, der es nicht gelingt die Fetischierungen der kapitalistischen Produktionsweise gedanklich antizipierend zu durchbrechen, weil es keinen Zugang zu seiner eigenen Vergesellschaftung findet, deren Einzigartigkeit durch diese Vergesellschaftung geformt wird, die sich zugleich als Schranke der sozialen Emanzipationen setzt. Tatsächliche Macht- und Herrschaftsfragen haben hier ihren Ursprung - hier wo das Privateigentum an Produktionmitteln ihre Basis bildet. Betrachten wir daher mit Harvey kapitalistische Urbanität als Klassenrealität und folgern, dass das Recht auf Stadt denen gehört, die sie produzieren. Beginnen wir mit der Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln des urbanen Raum und zersetzen so Macht und Herrschaft.

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