Editorial
Akademisches Proletariat oder proletarisierte Akademiker_innen?


von Karl-Heinz Schubert

08-2014

trend
onlinezeitung

Der AKKA - Herausgeber des TREND - hat uns empfohlen in dieser Ausgabe zwei Schriften aus den 1970er Jahren zur Frage "Mittelschichten ODER  Mittelklasse bzw. Mittelschicht?" zu veröffentlichen. Diese werden nun auch in der TREND-Redaktion genauer diskutiert werden; denn wir haben weiterhin noch unsere Veranstaltungsreihe "Let's talk about Class" im Auge, die wir im Herbst/Winter 2014 fortsetzen wollen.

Auffallend an dem Aufsatz des ISMF zur Mittelschichtenbestimmung ist - neben der sowie strittigen Vorstellung vom Stamokap - die Auffassung,  bei der "Intelligenz" handele es sich um eine gesonderte "soziale Schicht". Wir denken, dass dies nach der Entwicklung der Produktivkräfte in den letzten Jahrzehnten so nicht mehr aufrecht zu erhalten ist, da diese Entwicklung nicht nur zu einer Erosion schroffer Trennungen zwischen körperlicher und geistiger Arbeit sondern sogar zur Integration geführt hat. Diese Entwicklung konnte offensichtlich damals nur in Ansätzen zur Kenntnis genommen werden.

Im Vergleich dazu erscheint die Position der ungarischen Marxisten als ein interessanter Fokuswechsel, die damals aus der besonderen Situation immer unattraktiver werdender realsozialistischer Staaten resultierte. Nämlich die Annahme, die Intelligenz strebe generell zu einer gesellschaftlichen Vormachtstellung, die im Sozialismus dazuführe, dass sie sich (nur) dort aus einer Schicht in eine Klasse transformiere. Um dies plausibel zu machen, unterschieden sie zwischen technokratisch und ideologisch agierenden Intellektuellen. Dabei trafen sie für den entwickelten Kapitalismus - sie nennen ihn auch Stamokap - folgende Feststellung:

"Jene Intellektuellen, die lediglich ihre qualifizierte Arbeitskraft auf dem Markt verwerten, müssen sich geistig uniformieren lassen, sie erscheinen in der Öffentlichkeit als Angehörige eines unpersönlichen Apparats. Jene dagegen, die von Verwertung ihrer Produkte leben - allen voran die Künstler -, sind gezwungen, mit Hilfe von wirksamen Reklametricks sich ein individualisiertes Image zu verschaffen."?

Wenn wir uns den Bericht anschauen, den uns Matze Schmid zu zwei Ausstellungen in Berlin zur Veröffentlichung  überlassen hat, dann kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass die ungarischen Genossen eine gewisse Weitsicht in der Intellektuellenfrage entwickelt hatten. Wenn Matze Schmidt  schreibt:

"Die Vermittlung prototypischer Aktivitäten der "We-Traders", zu lesen als Leuchtturm-Beispiele demokratischer Mitbestimmung und anti-kommerzieller (nicht antikapitalistischer!) Potentiale der Produktivkräfte, können unter den Vorzeichen des guten Kleinkapitals dann auch als Selbstorganisation progressiver Kräfte gezeigt werden und didaktisch zum "Markt der Möglichkeiten" für neue Standards aufgebaut werden, die sich aber nur biotopisch außerhalb der Profitlogik stellen können."

haben wir es dann nicht wirklich nur mit schlichten Reklametricks von Intellektuellen zu tun, deren Ware Arbeitskraft gegenwärtig leider nur einen Gebrauchswert besitzt, der wenig an Tauschwert realisieren kann?

Und was ist dann dran an der Annahme der ungarischen Genossen, jene Teile der Intelligenz würden sich nur deswegen politisch links verorten, weil ihnen heute die Tore zu technokratischen Funktionen (und entsprechend gutem Einkommen) verschlossen bleiben? Matze Schmid merkt dazu an:

"Wo die Kuratorinnen des Goethe-Instituts nett-freundliches, halb-refelektiertes Machen veranschaulichen und Besucher-Pseudo-Polls <Umfragen ohne statistischen Wert> für das Mitmachgefühl hinstellen, stellten die Leute vom MdK ("Museum des Kapitalismus") sich Fragen und versuchen Antworten zum Warentausch, zur Entwicklung des Kapitalismus, zum Mehrwert, zum Kapitalbegriff."

Diese Art von verkürzter Kapitalismuskritik, die ohne die Arbeiter_innenklasse als historisches Subjekt auskommt, entspricht in etwa lebensweltlichen Erfahrungen, wo - wie es Ivo Bozic süffisant in der Jungle World vom 17. Juli 2014  formuliert - der Kommunismus von der Straße weg in die Küche geholt wurde. Zur Illustration zitiert er aus 1.800 WG-Gesuchen. Mein Favorit ist folgende Anzeige. Hier nur der Anfang:

"Wir verorten uns anarchistisch/linksradikal/(pro) queer-feministisch/anti-patriarchal und leben vegan. Auf struktureller Ebene sind wir alle unterschiedlich positioniert, d. h. wir profitieren bzw. sind negativ von verschiedenen MachtStrukturen betroffen: Hier wohnen sowohl weiblich als auch männlich erstsozialisierte Personen, einige haben einen Mittelklassebackground und andere haben Klassenwechsel erlebt. Eine Person ist negativ von Rassismus betroffen und die anderen drei sind weiß positioniert."

Die Stärke des ISMF-Texte liegt wiederum in seiner stringenten Ableitung von Klassenlagen aus den Produktions- und Reproduktionsbedingungen des Kapitalismus, wobei der Kapitalismus konsequent als Krisenprozess gesehen wird, wo die Verwertung des Wert nie richtig aufgeht. Was wiederum für die Intelligenz 1970 bedeutete:

"Nicht übersehen werden kann vor allem in der BRD — trotz einer insgesamt steigenden Nachfrage — eine zunehmende Tendenz der „Produktion" eines „akademischen Proletariats", vor allem in geisteswissenschaftlichen Berufsgruppen, womit einzelne Schichten der Deklassierung ausgeliefert werden."

Haben wir es heute, wo 45%  eines Jahrgangs ein Studium beginnen,  1970  waren es 12% (Quelle Wikipedia), mit einem kompletten Umbau der proletarischen Klasse zu tun oder bilden sich nur an den Rändern der Klasse dickere Auspolsterungen aus, die sowohl den Aufstieg in die Bourgeoisie ermöglichen als auch das lebenslange Verbleiben in der Arbeiter_innenklasse zur Folge haben. Haben wir es heute mit "proletarisierten Akademiker_innen" oder mit einem "akademischen Proletariat" zu tun?

Eine Antwort darauf zu finden, dürfte für die weitere Beschäftigung mit der Klassenfrage von zentraler Bedeutung sein. Die TREND-Redaktion hat daher beschlossen, diesem Thema im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe "Let's talk about Class!" eine eigene Veranstaltung (oder mehr) zu widmen.

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Es ist an sich nichts Neues, dass historische Ereignisse aus der deutschen Geschichte nach dem Beitritt der DDR zur BRD dazu dienen Geschichte zu klittern oder - wie es dekonstruktivistisch formuliert besser klingt - neu zu denken. In diesem Jahr gehören drei Ereignisse ganz vorne dazu: 1. und 2. Weltkrieg sowie die "friedliche Revolution" von 1989.

Beim 1. Weltkrieg muss die Kriegsschuldfrage neu gedacht werden, damit die Hitler-Diktatur als ein Betriebsunfall erscheinen kann, womit das bisherige unzulängliche, von der Zeit nach dem 2. Weltkrieg geprägte antifaschistische Denken über Krieg führen im allgemeinen und speziell in Deutschland dekonstruiert und neu zusammengesetzt werden kann. Damit verliert sich die letzte Spur ökonomischer Zusammenhänge als bestimmender Grund für Kriege, übrig bleibt der Mensch als solcher in seinem selbstverschuldeten Sosein.

Diesem Mainstream, der dank zahlloser organisch mit der Bourgeoisie verbundener intellektueller Ideologen täglich über die Kanäle ihrer Meinungsproduktion ausgesendet wird, ist inhaltlich schwer mit einem Bonsaimarxismus entgegen zu wirken, wie ihn die von Matze Schmidt beschriebene Milieulinke zu Selbstvermarktungszwecken formuliert. Als TREND-Redaktion erkennen wir zwar diese Unzulänglichkeiten, aber Realanalytisches dagegen zu setzen ist nicht einfach und unsere Kapazitäten und Kompetenzen sind zudem begrenzt. So konnten wir uns bei der Behandlung des 1. Weltkriegs auch nur einer Konstruktion bedienen, um zumindest dadurch Spuren für die Erkenntnis zu legen, dass Imperialismus grundsätzlich Krieg bedeutet.

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Aus der großen Anzahl lesenswerter Artikel, die wir mit dieser Ausgabe veröffentlichen, sollen zwei hervorgehoben werden. Gerade auch deswegen, weil sie quasi stellvertretend für die ideologische und theroretische Spannbreite von TREND stehen.

TREND hat sich von seiner ersten Ausgabe an auch immer als Chronist gesehen. Um diesem Zweck erfüllen zu können, ist es bisweilen unverzichtbar, Dokumente zu veröffentlichen, deren Inhalt durchaus problematisch ist, der aber bekannt sein muss, um entsprechende Debatten zu verstehen bzw. an ihnen teilnehmen zu können. Gemeint sind:

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Am 15.9.2014 wird es in der Lunte, Weisestr. 53 in 12049 Berlin eine Veranstaltung mit der INKW zur Frage des  kommunalen Wohnungsbaus geben. Bitte unbedingt vormerken. Nähere Informationen folgen.

Wir sehen uns!

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