Aufgehübschter Linkskommunismus
Kosmoprolet Nr. 2 ist erschienen

von Karl Mueller

10/09

trend
onlinezeitung

Nach rund zwei Jahren wurde sie nun fertig die Nr. 2 der linken Zeitschrift "Kosmoprolet". Auf 205 Seiten versammeln sich mehrere Artikel, die von einem neuen, d.h. erweiterten Herausgeberkreis redigiert und herausgegeben wurden.

Neben eher feuilletonistischem Material bilden in dieser Ausgabe zwei Artikel zur Krise die  theoretischen Herzstücke . Der eine stammt von den "FreundInnen" und der andere von Sander (Internationalist Perspective). Während letzterer als Debattenbeitrag angekündigt wird, bilden die von den "FreundInnen" verfassten "Thesen zur Krise" eine Ergänzung zu ihren "28 Thesen zur Klassengesellschaft".

Nun haben Thesen bekanntlich immer etwas Unfertiges und Vorläufiges an sich, geben also eigentlich nur an, wohin der zukünftige Erkenntnisprozess sich entwickeln soll. Gemäß editoralem Bekunden geht es in den Thesen der "FreundInnen" um die "Dynamik der gegenwärtigen Krise, ihre politischen Folgen" und um die "falschen Versprechungen der Linken". Nach diesem Warmup ist mensch dann auch nicht enttäuscht, eine Krisenbeschreibung zu lesen, die überwiegend aus Informationen gepatcht ist, die jede aufmerksame ZeitungsleserIn ohnehin schon kennt. Was darin über die "Linken" geäußert wird, ist auch nicht mehr ganz frisch, wird es mit jenem Impetus vorgetragen, wie ihn die Nestoren der "FreundInnen" bereits pflegten, als sie vor knapp 40 Jahren einer Theorie- und Zeitschriftengruppe angehörten, die aus dem SDS hervorgegangen war und die Zeitschrift "Soziale Revolution ist keine Parteisache" herausgab, denen die "Schwarzen Protokolle" ab 1972 bis 1977 bis nachfolgten.

Mit einem Schuß Kritischer Theorie und situationistischer Rhetorik versehen, Rätekommunismus und Operaismus kritisch hinterfragend, handelt es sich heute bei den Krisen-Thesen der "FreundInnen" - ideologiekritisch betrachtet-  um eine Art von aufgehübschtem Linkskommunismus, der schlussendlich wenig Neues bietet.

Neu daran erscheint auf den ersten Blick, dass die "FreundInnen" und die neu dazugewonnenen MitherausgeberInnen die Krise nutzen wollen, um einen "sozialrevolutionären Pol" zu bilden. So werben sie ausdrücklich für eine kontinuierliche Diskussion zwischen "verstreuten Zirkeln und Grüppchen, Betriebsaktivistinnen und sonstigen Individuen, die sich unter der guten alten Losung von der Selbstabschaffung des Proletariats aufgehoben fühlen". Mit diesem Ansinnen werden allerdings die Mängel ihrer "28 Thesen", die ideengeschichtlich betrachtet politisch-praktisch am Konzept des so genannten friedlichen Übergangs andocken (siehe dazu meine Anmerkungen in TREND 3/08) nicht überwunden.

Die Krise als Geburthelfer antikapitalistischer Zusammenschlüsse ist an sich auch ein alter Hut und im vorliegenden Fall die Schnittstelle zum Debattenbeitrag "Eine Krise des Werts" in diesem Heft. Sander behandelt jene Frage ganz klassisch:

"Falls die Zeit kommt, in der sich diese Antwort (gemeint sind die aktuelle  Krise und die Klassenauseinandersetzungen in Griechenland, Frankreich und China - kamue) zu massenhafter Kämpfen ausweitet, wird es einer starken pro-revolutionärer politischen Bewegung bedürfen, die deutlich ausspricht, was dann intuitiv gespürt werden wird, und die durch ihre Klarheit den Staub der Zeit und des Vergessens und alle ideologischen Spinnweben vom Spiegel fegen hilft, so dass der Gesamtarbeiter seiner selbst inne werden kann...  Sie (die Revolutionäre - kamue) haben nur die Hoffnung anzubieten, dass die Arbeiterklasse sich selbst durch diesen Widerstand in eine Klasse für sich verwandelt und damit die Menschheit befreit; dass in ihrer Selbstorganisation die nachkapitalistische Gesellschaft Gestalt annimmt." (Kosmoprolet S. 52)

Krisentheoretisch ist Sander ein Anhänger von Rosa Luxemburg. In seinen Worten klingt dies so:

"Wenn die Welt bereits auf der Basis des Wertgesetzes operiert, gibt es keine unberührten Gebiete mehr, die vom Kapital geplündert und vom Wertgesetz durchdrungen werden könnten, um jenen Stoffwechsel in Gang zu setzen, der den Widersprüchen des Kapitalismus entgegenwirkt.
Gegen dieses vierte Hindernis kann der Kapitalismus letztlich nichts ausrichten."
 (Kosmoprolet S. 78)

Rosa Luxemburgs Krisentheorie ist wahrlich nicht unumstritten und das aus gutem Grund.  Marx hatte entwickelt, wie das Kapital auf seiner eigenen Grundlage funktioniert, also akkumuliert ohne ein Dazutun nichtkapitalistischer Sphären:

"Um den Gegenstand der Untersuchung in seiner Reinheit, frei von störenden Nebenumstanden aufzufassen, müssen wir hier ... voraussetzen, daß die kapitalistische Produktion sich überall festgesetzt und sich aller Industriezweige„ bemächtigt hat." (MEW 23, S. 607, Fußnote 21a)

Luxemburg ging hingegen durch fehlerhafte Behandlung der Reproduktionsschemata im II. Band des Marxschen Kapitals davon aus, dass die Akkumulation auf eigenen rein kapitalistischen Grundlagen nicht funktionieren kann, weil Arbeiter und Kapitalisten "unzureichende Konsumentenklassen" sind.

Eine den Debattenanspruch ernstnehmende LeserInnenschaft wird hier allerdings - und das bei einer immerhin zweijährigen Produktionszeit der Ausgabe - eine Stellungnahme aus dem HerausgeberInnenkreis zu der Sanderschen Krisenauffassung vermissen.

Überhaupt was den Debattenanspruch anbelangt, der zu dem oben erwähnten Zusammenschluss führen soll, hege ich nicht unberechtigt meine Zweifel. Allzu offensichtlich wollen die Kosmoproleten nur eine Debatte in der von ihnen abgesteckten Spur. Das zeigen sie offen, indem sie sowohl die Diffamierung als eine Methode der Abgrenzung ebenso einsetzen (siehe dazu das TREND- Editorial), wie sie eine platte Polemik gegen den Leninismus ("Ein Schritt in die falsche Richtung", beziehungweise gegen das, was sie darunter verstanden haben, in Anschlag bringen. Diesbezüglich wären die "Eiszeit-GenossInnen" übrigens gut beraten gewesen, sich vor Entfaltung ihrer Kritik den großen Fundus linkskommunistischer Kritik an Lenin zu Gemüte zu führen, dessen historischer Bogen von der Kontroverse Gorter-Lenin über Rudi Dutschkes Doktorarbeit ("Versuch, Lenin auf die Füße stellen") bis in die Gegenwart reicht, statt folgenden Blödsinn zu Papier zu bringen:

"Der organisierte Leninismus ist eine Erscheinung, welche seit den Revolten der Achtundsechziger immer dann Auftrieb erhält, wenn gesellschaftliche Auseinandersetzungen oder politische Bewegungen abflauen und die Teilnehmenden betroffen feststellen, dass ihr - bloß im besten Falle revolutionärer - Vorwärtsdrang auf dem Boden der Realität angelangt ist....Die Kritik dieser Vorstellungen durch dissidente kommunistische Strömungen ist heute immer noch marginal und kann hier leider auch nicht aufgerollt werden." (Kosmoprolet S. 167)

Die anschaulichen Artikel über Iran, Griechenland, Mexiko und Venezuela sollen schließlich wohl Hoffnung stiften, dass in solchen Kämpfen antikapitalistische Zusammenschlüsse entstehen, denen demnächst durch "sozialrevolutionäre Pole" nur noch die "ideologischen Spinnweben vom Spiegel" gefegt werden müssen. Bitter dagegen ist, feststellen zu müssen, dass  trotz des langen Berichtszeitraums von zwei Jahren -  abgesehen von einem witzigen Flugblatt die Kosmoproleten nichts Vergleichbares über hießige Kämpfe - zu berichten wissen.

Ersatzweise gibt es daher einen Bericht vom "Club für sich" (siehe Kosmoprolet S. 188ff), der sich aus "kommunistischen Individuen" zusammensetzt, die dem " Milieu des poststudentischen Proletariats" angehören. Sie treffen sich zwanglos in der Kneipe. Jedoch: "Von theoretischer Lektüre wurde im Rahmen der Club-Abende abgesehen."

Nach zwei Nummern Kosmoprolet stelt sich dieses Projekt als eines dar, worin die Suche nach elastischen, selbstreferenziellen Positionen die bestimmende ist, nachdem die alten anarchistisch-syndikalistischen, links- und rätekommunistischen Theorien von der Klassenwirklichkeit zur Partikeln zerschlissen erscheinen. Die angewandte Methode ist offensichtlich die des diskursiven Sammelns gemäß des Horkheimerschen Diktums:

"Um wahr zu sein, müßte sich die Wissenschaft kritisch zu sich selber verhalten und auch zu der Gesellschaft, die sie produziert." (Horkheimer, Max, Gesellschaft im Übergang, FfM 1981, S. 183)

Ausgeschlossen dagegen erscheinen interventionistische Konzepte, die auf den dialektischen Zusammenhang  von "Kämpfen - Untersuchen - Organisieren" abstellen und von dort aus ein spezifisches Theorie-Praxis-Verhältnis definieren.

Inhalt der KOSMOPROLET Nr. 2

  • Editorial
  • Fragmente über die Tage, die Teheran erschüttern
  • Thesen zur Krise
  • Eine Krise des Werts
  • Das Ende der Lähmung
  • Kommuniques aus der griechischen Sozialrevolte
  • Barrikaden - Der Aufstand von Oaxaca - Eine Vorbemerkung Barrikaden - Der Aufstand von Oaxaca
  • Ein Schritt in die falsche Richtung
  • Reaktionen auf die 28 Thesen zur Klassengesellschaft
  • Neues aus dem Reich des Caudillos
  • Ein Club für sich
  • Flugblatt
KOSMOPROLET Nr. 2

Herausgegeben von:
Freundinnen und Freunden der klassenlosen Gesellschaft (Berlin),
Eiszeit (Zürich), Gruppe K-21 (Frankfurt/M.), La Banda Vaga (Freiburg)

205 Seiten, 4 Euro

EINZELHEFTE
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