Editorial
Kommunistische Debatte


von
Karl Mueller

03/08

trend
onlinezeitung

In der letzten Ausgabe hatten wir die Ansicht vertreten, dass mit der Gründung der Partei DIE LINKE als Appendix der SPD die Organisationsfrage als Richtungsfrage für das linksradikale Spektrum zur Diskussion und Beantwortung aufgerufen sei. Nun hat die Interventionistische Linke begonnen, für eine so genannte offene Arbeitskonferenz zu mobilisieren. Im April will man in Marburg "eine strategische Bündnisorientierung" ausloten, die "Voraussetzung für die Schaffung gesellschaftlicher Gegenmacht" werden könnte. Das Abschlußplenum wird  folglich unter dem Motto "Die Organisierung interventionistischer Politik" stehen.

Gleichsam parallel zu den Organisationsversuchen der Bewegungslinken stehen die Bemühungen kommunistischer bzw. revolutionärer Theoriezirkel, miteinander in die Diskussion zu kommen, um die (theoretische) "Sackgasse" zu überwinden, die durch die jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen Anti-Deutschen und Antiimps im linksradikalen Spektrum entstanden ist. So jedenfalls gewichten zwei ehemalige Mitglieder der antideutschen Kommunisten Berlin in der PHASE 2 die Aktivitäten der FreundInnen der Klassenlosen Gesellschaft, die mit ihren "28 Thesen zur Klassengesellschaft" in etlichen Theoriezirkeln eine Diskussion über kommunistische Politik und Programmatik befördert haben.

Nicht nur um den gegenwärtigen Stand dieser Diskussion zu dokumentieren, haben wir die "28 Thesen zur Klassengesellschaft"  und zwei weitere, sich darauf beziehende Papiere  von den Enfants perdu und Karl Rauschenbach & Kristian Majakowski in unsere Märzausgabe aufgenommen, sondern weil wir die theoretische Beschäftigung mit dem Kommunismus, darin eingeschlossen die Analyse und Kritik der Politischen Ökonomie und der Klassenverhältnisse, als unabdingbare Voraussetzung für die Entfaltung einer revolutionären Praxis ansehen. Damit ist aber auch sogleich ein zentrales Kriterium zur Bewertung der "28 Thesen" und ihrer Kritiker aufgerufen, denn was nützt eine radikale Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse, die nur sich selber genügt?

Der von den "FreundInnen" verwendete Begriff der "Klassenlosen Klassengesellschaft" ist tatsächlich mehr als nur ein Wortspiel, mit dem die bedauerliche Leerstelle in ihren Thesen, nämlich die fehlende Klassenanalyse, überspielt werden soll. Mit ihrer Adaption der strategischen Zentralaussage der Kritischen Theorie von der Transformation des Klassenwiderspruchs zwischen Lohnarbeit und Kapital in den Widerspruch zwischen bürgerlichen Monaden und spätkapitalistischen Staat entledigen sie sich  zugleich eines eindeutigen Praxisbezugs für ihre theoretischen Bemühungen. Aus Gründen der Plausibilität wird dieser Winkelzug mit Hilfe empirisch gewonnener Erkenntnisse aus der bürgerlichen Soziologie quasi aus der Anschauung legitimiert. Ulrich Beck´s Risikogesellschaft lässt grüßen: "Klassenlose Klassengesellschaft" nichts weiter als das Plagiat von "Phänomen des Kapitalismus ohne Klassen" (Beck)?

Die programmatische Leugnung des Proletariats als historisches Subjekt des revolutionären Prozesses ist auch unter auf Marx bezogen arbeitende TheoretikerInnen nicht neu, sie wurde bereits von den WertkritikerInnen vor 20 Jahren als theoretische  Neuentdeckung gefeiert. Nun geschieht dies bei den "FreundInnen" nicht wertkritisch, sondern es wird soziologisch im Sinne von Beck argumentiert. Ähnlich verhält es sich auch mit ihrer denunziatorischen Behandlung der ArbeiterInnenbewegung in den "28 Thesen" und der dümmlichen Bewertung der Versuche revolutionärer Kräfte der Jugend- und Studentenbewegung, sich infolge der Erfahrungen von 1968 auf die ArbeiterInnenbewegung zu beziehen.

Dass der Begriff der Klasse nicht durch eine Analyse der Verhältnisse erarbeitet wird, ja dass nicht einmal diese Aufgabenstellung als notwendig für die Begründung revolutionärer Politik anerkannt wird, resultiert m. E. aus ihren erkenntnistheoretischen Positionen, die jenseits des dialektischen und historischen Materialismus angesiedelt sind. Logisches und Historisches steht bei den "FreundInnen" schön nebeneinander. In diesem Sinne werden das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital, welches die Klassen objektiv konstituiert, und das Klassenverhältnis, wie es in den jeweiligen historischen Prozessen in Erscheinung tritt, völlig unvermittelt behandelt. Die damit einhergehenden Widersprüche bleiben auf der Strecke und Geschichte erscheint nur noch als eine Aneinanderreihung von Strukturen und Systemen, in der der dialektische Zusammenhang von materieller Basis und ideologischem Überbau, wenn überhaupt, nur noch gespürt werden kann. 

Die Ignorierung des Proletariats als historisches Subjekt bildet zusammen mit der Ablehnung der Diktatur des Proletariat nach Eroberung der Staates und dessen Zerschlagung in einer Übergangsphase bis zur Aufhebung aller Klassen die entscheidende Revision der "FreundInnen" an bisheriger kommunistischer Programmatik.

Nur zur Erinnerung: In Marxens Kritik am Gothaer Programm heißt:

"Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats."

Und zur Bestätigung dessen bei Lenin in Staat und Revolution:

"Wer NUR den Klassenkampf anerkennt, ist noch kein Marxist, er kann noch in den Grenzen bürgerlichen Denkens und bürgerlicher Politik geblieben sein. Den Marxismus auf die Lehre vom Klassenkampf beschränken heißt den Marxismus stutzen, ihn entstellen, ihn auf das reduzieren, was für die Bourgeoisie annehmbar ist. Ein Marxist ist nur, wer die Anerkennung des Klassenkampfes auf die Anerkennung der DIKTATUR DES PROLETARIATS ERSTRECKT. Hierin besteht der tiefste Unterschied des Marxisten vom durchschnittlichen Klein- (und auch Groß-) Bourgeois. Das muß der Prüfstein für das WIRKLICHE Verstehen und Anerkennen des Marxismus sein."

Ideengeschichtlich betrachtet sind die "FreundInnen"  in Bezug auf ihre "28 Thesen", jedenfalls wenn es um die politische Konsequenz aus ihrer kritischen Soziologie geht, eher bei Kautsky, der vom friedlichen Übergang mittels allgemeinem Wahlrecht träumte, bzw. seinen heutigen Epigonen (Die Linke) anzudocken. Nicht ohne Grund kommentieren daher Karl Rauschenbach & Kristian Majakowski die "28 Thesen" auch unter dem Aspekt, dass Revolutionen angeblich durch Reformen vorbereitet werden. Darüber täuscht auch nicht hinweg, wenn die "FreundInnen" nur bornierte Kritik für die heutigen Bewegungslinken (Mayday & Co.) übrig haben.

Natürlich wird die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise nicht mehr durch den Sturm auf ein Winterpalais eingeleitet werden. Doch auch die im Vergleich dazu heute eher notwendige Besetzung und Inbesitznahme der Datenautobahnen würden einen gewaltsamen Akt darstellen. Mit entsprechenden Reaktionen wäre zu rechnen, was wiederum nur durch gut organisierte Kräfte abzuwehren ist. Von daher kommt es letztlich aber gar nicht darauf an, wo die "28 Thesen"  ideologisch einzuordnen sind. Denn schließlich geht es in einer kommunistischen Debatte immer um Fragen wie: Werden die heutigen Klassenverhältnisse adäquat analysiert und abgebildet?  Wie verbinden wir unsere theoretischen Einsichten mit den Kämpfen der Klasse? Wie befähigen wir sie zur Selbstorganisation und zur Aneignung des wissenschaftlichen Kommunismus? Denn für KommunistInnen sind die Kritik der politischen Ökonomie und ihr dialektischer und historischer Materialismus nicht nur Weltanschauung, sondern vor allem Wissenschaft, deren Erkenntnisse der revolutionären Praxis des Proletariats dienen. Dass sie darüber hinaus dem einen oder anderen zu einem Doktorgrad verhelfen, steht auf einem anderen Blatt.

Wenn auch ideologiekritisch betrachtet die "28 Thesen" unserer "FreundInnen" mit erheblichen Mängeln behaftet sind - Enfants Perdu" kritisieren zurecht die oberflächliche Behandlung des modernen Antisemitismus - dann heißt dies nicht, dass diese Thesen keine nützlichen Einsichten transportieren. Welche dies sind, stellen wir ins Benehmen unserer LeserInnenschaft und fordern diese ausdrücklich auf, Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge zu den "28 Thesen zur Klassengesellschaft"  zu formulieren, um sich dadurch an einer kommunistischen Debatte bzw. an einer unter KommunistInnen zu beteiligen.

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Dass die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in kommunistischen Zirkeln derzeit nicht hoch im Kurs steht, ist ja eine bekannte Tatsache und, wie zuvor dargelegt, steht dies auch in einem inneren Zusammenhang zu dem eigenen Abschied vom Proletariat. Wir haben uns daher entschieden, wieder verstärkter Texte zu publizieren, die die Kämpfe der Klasse und die Bedingungen wiedergeben, unter denen diese Kämpfe stattfanden.

Für das Verständnis des organisierten Kommunismus, der in Folge des ersten imperialistischen Weltkriegs entstand, sind die Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale ein Schlüsseltext. Aber auch die anderen in dieser Ausgabe publizierten Texte sind wichtig, widerspiegeln sie doch die Geschichte jeweils aus der Sicht einer Fraktion dieser kommunistischen Bewegung. Uns geht es hier besonders darum, den ideologischen Facettenreichtum dieser revolutionären Arbeiterbewegung in seiner Widersprüchlichkeit aufzuzeigen, um ihn einer Diskussion unter der Fragestellung "Womit brechen und was auf neuer Stufe aufheben" zu zuführen.

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Auch das aktuelle Geschehen soll freilich nicht zu kurz kommen. Harry Waibel tritt dem Renegatentum entschieden entgegen, welches sich in Sachen "68" im bürgerlichen Mainstream breitmacht und damit seinen Beitrag zur Delegitimierung linker Politik leistet. DetlevK ließ sich von Robert Schlosser Zanon Artikel zu einem Song über aktuelle ArbeiterInnenkämpfe motivieren. Bernard Schmid berichtet wieder umfassend, detailreich und gut recherchiert aus Frankreich.

In der Januarausgabe 2008 hatte die Berichterstattung aus Betrieb und Gewerkschaft einen Anteil von 20 % an den veröffentlichten Texten. In der Februarausgabe stieg der Anteil auf mehr als ein Drittel an. Auch in dieser Ausgabe scheint sich dieser Trend fortsetzen. Hervorheben möchten wir den Artikel von Dieter Wegner über den Bahnstreik. Der Autor von der Hamburger Gewerkschaftslinken zeigt schlüssig auf, wie die "potentielle Macht der Arbeiterbewegung" durch den GDL-Streik  sichtbar wurde.

Sozusagen eher im Überbau angesiedelt besprechen Hans-Peter Büttner und Hanno Pahl zentrale Fragen der Kapital- und Geldtheorie entlang gängiger linken Positionen. Hier gibt es richtig was zu lernen!!! Und auch zu streiten, nämlich wenn Hanno Pahl in seinem Schlußwort sagt:

 "Mögliche postkapitalistische Vergesellschaftungsformen müssen diskursiv ausgemalt werden, auch wenn man sich bei dem Ganzen darüber klar sein muss, dass heutige Utopien in ihrem konkreten Gehalt immer durch jene Erfahrungen affiziert sind, die wir im "Hier und Jetzt" machen, also als "bürgerliche Subjekte".

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Aufmerksamen LeserInnen dürfte nicht entgangen sein, dass im Februar 2008 keine Januar-Statistik veröffentlicht wurde. Wir werden sie hier nachholen und dafür die Februarstatistik zusammen mit der Märzstatistik im April 2008 veröffentlichen.

TREND(s) im Netz - hier die jüngsten Zahlen:

Die BesucherInnenzahlen vom Januar 2008, in Klammern 2007, 2006

  • Infopartisan gesamt: 148.061    ( 137.284, 85.600 )
  • davon TREND: 103.826 ( 90.099, 53.036 )

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Zur geschichtlichen Entwicklung der Menschenrechte

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Verabschiedung des Pali-Tuchs