Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Der Mietenvolksentscheid - Chance vertan?
Eine Veranstaltung der North-East Antifascists und der TREND Onlinezeitung am 15.10.2015 im Bandito Rosso Vortragsmaterial von Karl-Heinz Schubert
11/2015
trend
onlinezeitungVorbemerkung der Redaktion: Diese Veranstaltung war die dritte, zu der Karl-Heinz Schubert eingeladen wurde. Am 8.8. und 25.8.2015 fanden die ersten zwei wohnungspolitischen Veranstaltungen mit Karl-Heinz Schubert zum Gesetzentwurf über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung der Berliner Initiative Mietenvolksentscheid (MVE) in Berlin statt. Bereits zwischen diesen beiden Terminen wurde am 18.8.2015 bekannt, dass die Geheimverhandlungen, die die MVE-Initiatoren mit dem Senat vor und während des Volksbegehrens geführt hatten, zu einem "Kompromiss" geführt hatten. Deswegen erstellte er eine überarbeitete Version seines Vortrages. Am
22.09.2015 wurde dieser "Kompromiss" nun als abstimmungsreifes Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung des Senats zur ersten Lesung am 24.9.2015 im Berliner Angeordnetenhaus veröffentlicht. Für die Veranstaltung am 15.10.2015 entschied sich Karl-Heinz Schubert daher zu einer kompletten Überarbeitung seines Vortrages, gerade auch weil in der stadtpolitischen Linken eine Debatte über Sinn und Unsinn des Volksbegehrens in Gang kam.
Für ihn waren die Gesetzesinhalte des Mietenvolksentscheids im wesentlichen nur Forderungen, die Kapital und Staat nutzten und insofern stellt für ihn das Senatsgesetz keine Richtungsänderung sondern nur eine Lightversion des Gesetzentwurfs des Mietenvolkentscheids dar. Eine Chance wurde also nicht vertan, weil sie sachlich gar nicht gesucht sondern nur propagandistisch behauptet wurde. Dies wollte er mit seinem Vortrag zeigen, den wir hier zur Verfügung stellen.
Die Vortragsfolien laden (1,3 Mb)
Oben: Das Titelbild als Metapher für den gescheiterten Volksentscheid. Der Bau kann vollendet werden, wenn die Profitinteressen der Banken und nicht die sozialreformerischen Absichten der "Genossen" gesichert sind.
Rechts: Die Vortragsstruktur zeigt an, dass die Kritik an der Kampagne sich aus der Kritik der wohnungspolitischen Ziele der Kampagne ableitet und nicht umgekehrt - also keine Bewegungskritik sein will. (siehe auch den methodischen Hinweis auf Folie 4)Folie 01
Eine in Ansätzen antikapitalistische Bewegung gegen Mietpreistreiberei und Wohnungsnot transformiert sich zwischen September 2011 und März 2015 in Gestalt des Volksbegehrens unter der ideologischen Hegemonie von Kotti & Co. zu einer Politikberatung für die Verbesserung der dissonanten neoliberalen Wohnungspolitik des Berliner Senats..
Das Ergebnis ist ein Senatsgesetz, dass den Gesetzentwurf von Kotti & Co in eine Lightversion umformt.
Folie 02
Die Rathausparteien und auch die Opposition im Abgeordnetenhaus begrüßen die Einigung zwischen der von Kotti & Co. repräsentierten Mieter*innenbewegung und dem Berliner Senat. Jedoch kündigen die Oppositionsparteien noch Verschlimmbesserungen am Senatsgesetz an.
Folie 03
Die mediale Rezeption des Senatsgesetzes lenkt von der rasanten Verschlechterung der Wohnraumversorgung ab. Auf der einen Seite fehlen aktuell mindestens 24.000 "Wohnplätze" für Refugees in Berlin, auf der anderen Seite schreitet die privatkapitalistische Monopolisierung von Wohnraum weiter voran.
Folie 04
Eine antikapitalistische Wohnungspolitik muss ihren Ausgangspunkt der Kritik bei der Verwertung der Wohnung als Leihkapital in Warenform und der Generierung von Extraprofit durch die Grundrente nehmen. Daraus ist zu schlussfolgern, dass eine dauerhafte Beseitung der Wohnungsnot nur durch Vergesellschaftung jenseits des Kapitalismus und durch Selbstorganisation der Bewohner*innen möglich ist. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet, erweist sich der MVE-Gesetzentwurf als ein Plan, die Wohnungnot auf kapitalistischer Grundlage zu mildern. Der Staat wird als Subjekt dieses marktbezogenen Regulationsvorhabens gestärkt.
Folie 05
Der MVE Gesetzentwurf war so aufgebaut, dass nur solche Gesetzesänderungen verlangt wurden, die sich in den Paragrafenwald der anderen Gesetze (z.B. ASOG, SGB) einpassen. Folgerichtig wurden in den Gesetzesentwurf des Mietenvolksentscheids politisch ungenießbare Kröten implementiert und Subventionierungswege ersonnen, die das Immokapital weiterhin unangefochten seine Profite machen lässt.
Folie 06
Das Senatsgesetz - in Geheimverhandlungen - mit den MVE-Expert*innen ausgehandelt, stellt eine juristische Lightversion des MVE-Gesetzentwurfs dar.
Der ökonomische Kern ist identisch: Wohnraumförderung finanziert durch einen revolvierenden Fonds.
Folie 07
Sollte das Gesetz wirksam werden, werden alle 21.600 Haushalte, die in Berlin in Sozialbauwohnungen wohnen, Zuschüsse nach den geltenden
Regeln des Mietenbündnisses (der städ. Gesellschaften) erhalten. Die übergroße Mehrheit der Berliner MIeter*innenhaushalte wird durch das Gesetz nicht entlastet.
Desweiteren werden die Kapitalverwertungsprozesse der städtischen Gesellschaften betriebswirtschaftlich neu reguliert. (siehe Folie 10) Folie 08
Die Subjektförderung deckelt die "Kostenmiete, damit die Mietprofite der Immobilienkapitalisten weiterlaufen können, ohne ihre Mieter*innenschaft gegen eine zahlungskräftigere austauschen zu müssen. Die Kostenmiete errechnet sich aus den Kosten des Vermieters für Fremdkapital- und Eigenkapitalverzinsung, sowie den Bewirtschaftungskosten und der Abschreibung.
Folie 09
Betriebswirtschaftliche Veränderungen in den städtischen Wohnungsbaugesellschaften sollen u.a. greifen:
- Erhöhung des Eigenkapitals durch Umverteilung im Landeshaushalt
Begrenzung der Gewinnausschüttung - Sitz für einen Mieter*innenvertreter im Aussichtsrat
- Regelung der Wohnungsvergabe gem. Gesetz
- Abstimmung der Kündigungspraxis mit dem SBG
(Beratung und Mitwirkung der Mieter*innen)Folie 10
Errichtung einer
Anstalt öffentlichen Rechts als Dachgesellschaft der sechs Städt. Wohnungsgesellschaften mit Coaching und Überwachungsfunktion - ohne eigene Wirtschaftstätigkeit; jedoch mit Vetorecht bei Verkäufen von Liegenschaften. Im Verwaltungsrat sind Mieter*innen nicht vertreten. Die Zahl der Belegschaftvertreter ist geringer als in den Aufsichtsräten nach dem Berliner Betriebegesetz.
Folie 11
Der Wohnraumförderfonds ist nur die Umwandlung des
am 1.4.2014 bei der IBB eingerichteten Wohnungsneubaufonds in einen revolvierenden Fonds, der nun auch für Zukauf von Wohnungen und Belegungsrechten sowie zur Finanzierung von Modernisierungen und Instandhaltungen für das "Immokapital" zu dessen Profitmaximierung zur Verfügung steht. Der Fonds bleibt der demokratischen Kontrolle (durch das Parlament) entzogen.
Folie 12
Die durch das Gesetz hervorgerufenen Rechtsfolgen benötigen Anpassungen bei:
- Allgemeines Zuständigkeitsgesetz
- Investitionsbankgesetz
- Überprüfung der Verwendung
von Fördermitteln alle fünf(!) JahreFolie 13
Meine Eckpunkte bilden einen Kriterienrahmen, der eine Bewertung der MVE-Kampagne über das Niveau einer reinen Bewegungskritik hinausführen will. Es basiert auf den grundsätzlichen Überlegungen, wie sie anhand Folie 5 ausgeführt wurden.
Damit wird angestrebt, dass eine antikapitalistische Wohnungspolitik auf der Grundlage ihres Anspruch ausgewertet und verbessert werden kann.
Folie 14
Dies ist ein Debattenvorschlag an die politischen Kräfte, die nach ihren negativen Erfahrungen mit dem Staats- und Kapitalaffirmativen Volkbegehren ihre Wohnungspolitik mit einem gesellschaftstransformativen Anspruch praktizieren und die Selbstorganisierung der Mieter*innen vorantreiben wollen. Folie 15
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Die knappen Anmerkungen zu einzelnen Folien ersetzen nicht den einstündigen freien Vortrag vom 15. Oktober 2015. Zur Vertiefung empfehlen wir daher die Nachbetrachtungen zu seinem Vortrag und die folgenden Artikel von Karl-Heinz Schubert zu lesen:
Verwertung und Realisierung von Kapital in der Immobilienwirtschaft
Eine schematische Darstellung
von Karl-Heinz SchubertDen kommunalen Wohnungsbau als Klassenfrage behandeln
Ergänzende Vorschläge zur INKW-Erklärung(*)
von Karl-Heinz Schubert
Diese Kröten sind nicht zu schlucken!
Den Gesetzentwurf über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin kann mensch nur ablehnen!
Der revolvierende Fonds
Ein gewöhnlicher Vorschlag für die Profitmacherei mit Wohnraum
Der "gläserne Sozialbaumieter"
Objekt der kapitalistischen Kostenstruktur