Der Budenzauber der Astrologie
Wenn die Sterne lügen

von Dietmar Kesten
GELSENKIRCHEN DEZEMBER 2002.
12/02
 
 
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Seit es Menschen mit der Fähigkeit, sprechen, hören und sehen zu können, gibt, betrachtete man die Gestirne als Götter der Dämonen, die Kraft ihres Willens in das irdische Geschehen und das Schicksal eines Königs, Herrschers, später auch jedes anderen Menschen, eingreifen sollten.
Daraus entstand zunächst ein primitiver Sternenglauben, von dessen Bedeutung heute noch zahlreiche Tempel, Pyramiden usw. in Ägypten, in Mittelamerika, dem alten  Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, aber auch an anderen Stellen der Erde zeugen.

Aus den Regeln des sog. Astralkults entwickelte sich  auch die Meinung, dass bestimmte Gestirnstellungen mit Vorgängen auf unserer Erde zusammenhängen würden.

Tatsächlich existieren z. B. aus frühbabylonischer Zeit  Keilinschrifttafeln, die Himmelsvorgänge (u.a. zählten damals auffallende meteorologische Ereignisse dazu) mit gleichzeitig stattfindenden irdischen Ereignissen im Zusammenhang sahen. Diese Tafeln wurden etwa zur Aufstellung von ‘Omina’ (1) benutzt. Später wurde die Bedeutung der Planeten, der Tierkreissternbilder  usw. in ziemlich naiver, teilweise auch schematischer Form festgelegt.

So wurde beispielsweise die Bedeutung der Planeten an ihrer  Helligkeit, Farbe und ihrem Bewegungsverhalten abgelesen. Der rote Planet Mars etwa sollte ein tatkräftiger, aber auch  zerstörerischer Gott sein, während die hellleuchtende Venus  als Planetengottheit der Liebe und der Künste galt. Unter den Tierkreiszeichen galt der Widder als jähzornig; die  Waage als ausgleichend, schlichtend, der Löwe als aufbrausend.

Bereits zur Zeit des Hellenismus (2) verkrustete das astrologische System zu einem Schema, das kaum noch etwas mit der Realität, ja sogar selbst mit der Götterwelt, zu tun hatte. Während die Astrologie zuvor nur recht allgemein gehaltene Vorhersagen für ein Land, Königshaus, einzelner ausgewählter Personen aufstellte, entstand nun auch das Bedürfnis, Einzelhoroskope für Menschen aufzustellen. Dabei sollte der Stand der Gestirne zum Zeitpunkt der Geburt eines Menschen massgebend sein. Dazu wurden zunächst Horoskope aufgestellt.

Die eigentliche Astrologie beginnt vermutlich erst mit der Ausdeutung dieser Horoskope und der darin enthaltenen Gestirnstellungen. Einen geschichtlichen Zeitpunkt für diese Deutung zu benennen, dürfte äusserst schwierig sein. Vermutlich liegt er irgendwo im Mittelalter. Weitere wichtige Elemente bei der Ausdeutung eines Horoskops ist der sog. Aszendent (3), seine Lage im Tierkreis und bezüglich der Planeten, sowie das System der Häuser. (4) Dazu wird der gesamte Himmel in 12 Abschnitte eingeteilt, die verschiedenen Lebensbereichen zugeordnet werden. So drückt sich im Haus Nummer 1, das vom Osthorizont bzw. dem Aszendent an nach unten gerechnet wird, der ‘Grundcharakter’ eines Menschen aus. Das nahe der höchsten Stelle des Tierkreises über dem Horizont gelegene 9. Haus, soll die ‘geistige Entwicklung’, die ‘religiösen’ und ‘weltanschaulichen’ Bestrebungen des Neugeborenen ausdrücken, während die ‘Erbmasse’ in dem tief im Norden liegenden 4. Haus verankert sein soll. Unschwer lässt sich hier erkennen, dass die Bedeutung der  einzelnen Häuser nach einfachen Analogiebildungen festgelegt wurde.

Der astrologische Boom der Moderne hat vor diesem Hintergrund eine nicht zu unterschätzende gesellschaftspolitische Seite; denn die Astrologie beansprucht die ‘kosmische Einbettung’ des Menschen in eine symbolische Welt- und zielt damit fatal  an der Realität vorbei. Dieses vorweggenommene Ergebnis des Irrationalismus der Astrologie kann als Relikt aus einer mythischen Gedankenwelt und ihren Variationen und Verwandtschaften zu vielerlei  Fehlentwicklungen der Menschen in modernen Staat bezeichnet  werden. Dazu zählen alle Arten von Aberglaube, gezielte Desinformationen der Medien, die Entfremdung der Öffentlichkeit und die
Negierung jeglicher naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Drogenhändler und Astrologen dürften sich im übrigen sehr ähnlich sein: Profitstreben auf dem Rücken derjenigen, die sowieso schon
zu den Outlaws dieser Gesellschaft gehören, das ist ihr oberstes Ziel. Astrologie meint Abhängigkeit von Lug und Trug, und tatsächlich hat sie kaum etwas mit Sternen zu schaffen, als vielmehr mit überlieferten (s. o.) und relativierten Kraftfeldern unter der Voraussetzung eines gedanklichen Kurzschlusses.

Auch in Anbetracht der Esoteriker, die meinen, in lauterer  Gesinnung zu handeln, weil sie von ihrem Glauben überzeugt sind, muss die Abqualifikation der Sterndeuter so deutlich ausfallen; denn einen Kompromiss zwischen Unsinn und Mensch-Sein gibt es nicht. Der Glaube, dass die Stellung der Gestirne bei der Geburt eines Menschen seine Lebenswege beeinflusse, dass man sich in privaten und öffentlichen Dingen bei den Sternen Rat holen könne, hat seine geistige Heimat in dem astrologischen Weltbild, dass die Erde mit dem Menschen im Mittelpunkt in das kosmische eschehen eingebettet ist. Dieses Weltbild ist längst versunken. Was heute als Astrologie auftritt, ist nichts anderes, als eine Mischung aus Aberglaube, Scharlatanerie und Geschäftemacherei. Astrologie ist lediglich ein irrational-zeremonielles selbsttranszendentes und tyrannisches System, das nicht den Anspruch erheben kann, wissenschaftlich begründet zu sein.
Die ganze astrologische Erbärmlichkeit tritt zutage, wenn  man sich ihre ‘Treffsicherheit’ näher betrachtet. Selbsternannte Propheten und Astrologen haben seit 1984  regelmässig den Weltuntergang prophezeit. Nämlich 1984, 1986, 1988, 1993, 1998, 2000, 2008. Da bis heute nichts entscheidendes passiert ist, wird man sich jetzt wieder ganz auf das Jahr 2008 konzentrieren dürfen. Ob das Jahr dann tragische Formen zeigen wird, bleibt abzuwarten.

Begreiflicherweise ist es nahezu unmöglich, hinter die  Kulissen der Esoteriker zu schauen, weil Horoskope ‘vertraulich’ behandelt werden und kaum ein Klient seine astrologische Ratsuche einem Dritten gegenüber zugibt. Jedoch gibt es Horoskope in fast allen Illustrierten, in Zeitungen
und Zeitschriften der Szene, in Magazinen etc. (5) Es gibt Werbung, Telefonauskünfte, Internetanbietung, das persönliche Gespräch, Fernsehhoroskope mit eigenen Astrologen, Jahrmarktshoroskope, es gibt die ‘Astronomische Gesellschaft’, die von Computern ausgeworfene
Zufallssequenz, die das Zusammenwirken der Sternenbilder  mit den Planetenkräften verdeutlichen sollen, was aber allenfalls in die esoterische Unheilsprophetie einmündet. Und es gibt die hohe Dunkelziffer derjenigen Menschen, die fast täglich in die Horoskope schauen, um daraus für ihr alltägliches Leben etwas positives ‚herauszulesen’.

Warum wenden sich Menschen seit jeher der Astrologie zu?

Nachdem sie sich gegen ihre religiösen Kritiker und religiöse  Kritik immunisiert hatte, musste die Sterndeutung in späteren Jahrhunderten gegen die neuzeitliche Wissenschaft  antreten. Diese bedrohte zusehendst die astrologischen  Glaubenssätze. Und wieder bewies die Astrologie ihre einmalige  Anpassungsfähigkeit. Mit dem Hinweis darauf, dass die Sternenbilder in Wirklichkeit kein zusammenhängendes System darstellen, sondern nur blosse gedachte Linien, die sich zwischen den Sternen im gestaffelten Raum befinden, umging sie den  kritischen Fragestellungen, zog sich auf ein Vokabular zurück, das im wesentlichen der Psychologie  entlehnt war. Die Astrologie besteht immer noch darauf, den Menschen als willenloses Subjekt mit einer zerstörten Einheit von ‘Leib und Seele’ zu betrachten, der in einer kulturellen  Wüste degeneriert, in einer denaturierten Umwelt lebt, und erst seine esoterische ‘Erleuchtung’ würde die Anhäufung
glücklicher Momente oder trauriger Ereignisse hervorbringen. Hier würde er sich ‚selbst begegnen’, seine Wünsche und Ängste kennen lernen, seine Träume und Hoffnungen und seine Gefühle ausdrücken.

Inzwischen hat die Moderne ihr System der tausendfachen  Abhängigkeit von ihr skrupellos erweitert, gefördert, verfeinert, gestreut und gut leitfähig gemacht. Besonders viele Pseudowissenschaften gehören dazu, die eine Form des philosophischen Idealismus verbreiten, die von den sogenannten ‘inneren Verfassungen’ ausgehen, um daraus  auf eine Voraussagbarkeit des individuellen Verhaltens zu schliessen.  Die Astrologie ist der Pionier in dieser Tabuzone;
sie liegt irgendwo zwischen Telepathie und Hellsehen, weil sie sich ähnlich fanatisch - fast schon fatal - der unkritischen Leichtgläubigkeit vieler unserer Zeitgenossen verschrieben  hat, und sie deshalb zur bequemen Beute für reine betrügerische Absichten werden. Das Stichwort heißt: Manipulation. Aus historischen Untersuchungen wissen wir eindeutig, dass es keine Epoche in der Entwicklung früher Kulturen gab, in der astrologische Beziehungen und Regeln aus der Natur abgelesen oder gar einer statistischen  Überprüfung unterzogen worden wären. Da andererseits der Astrologie vor allem durch das heliozentrische  Weltsystem (6) und durch eine Fülle von astronomischen Entdeckungen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, spielte sie mit Sicherheit seit dem 17. Jahrhundert in der Naturwissenschaft keine Rolle mehr.

Und genau deswegen, war sie wissenschaftlich nicht mehr  ernst zu nehmen und muss mit Hokuspokus und Humbug belegt werden. Sie bedient sich dabei der Desillusionierung und der Langeweile des menschlichen Lebens in der Moderne; denn alles deutet  darauf hin, dass der Mensch des 21. Jahrhunderts sich gegenüber seinem totalitären Gegner - dem Staat - in der Defensive befindet - und Totalitaristen und Astrologen haben eine  wesentliche Gemeinsamkeit: sie haben von Anfang an begriffen, dass ihre Kräfte, die sie entfalten, chaotisch sind. Während die einen die Politik ‚entzaubern’, gehen andere a priori von irgendeiner Annahme aus. Doch die ‘Entzauberung’ steht beiden endgültig noch bevor. Denn dass die Astrologie in gewisser Weise auf die Politik einwirkt, zeigt allein die Tatsache, das sie selbst politische Entwicklungen  einfach in die Zukunft extrapoliert, und ihre Zukunftseinschätzungen nur auf einem geschickten Mischmasch von millionenfachem Schwachsinn und ungerechtfertigtem Anspruch auf  Wissenschaftlichkeit aufbaut. Die Astrologen können es drehen, wie sie wollen: aus der  Naturwissenschaft erfahren sie keinerlei Bestätigung.  EINSTEINs Relativitätstheorie ist der schlagendende Beweis gegen den astrologischen ‘seit Jahrtausenden feststehenden’  Tierkreis.

Dem allgemeine Wunsch des warenproduzierenden Systems, künftige charakteristische Bewegungen des Kapitals  ‘vorauszuahnen’ und sich mit der Zwangsläufigkeit der  weiterschwelenden Schuldenkrisen ‘in Zukunft’ zu arrangieren,  oder bessern, arrangieren zu müssen, kommt der Astrologie sehr entgegen. Auch ihr geht es um Zukunft, um den Blick in die Zukunft. Es ist nicht zu übersehen, dass sie Ersatzhimmelreiche anbietet,  neben einer Fülle von persönlichen und gesellschaftlichen Querverbindungen auch die Handlungen von vielen Menschen mit politischen Neigungen zu bestimmen versucht. Es ist bekannt, dass viele hochrangige Politiker - von HITLER bis KOHL - sich regelmäßig ein Horoskop erstellen liessen. Womöglich sollte damit ein evtl. geistiger Prozess eingeschaltet werden, der dann zukunftsträchtige Handlungsweisen hervorrufen sollte. Vernunftgründe allein können gegen solche Zwangsvorstellungen  nichts ausrichten. Es gehört zur Natur dieser Art von Glaubensrichtungen, dass sie ihren Anhängern eine emotionale Zukunftserfüllung verschaffen mögen, ein vollständiges Erlebnis, den eigenen ungelösten Konflikt mit dem Martyrium der Zukunft zu schlagen

Die eigentliche Bedeutung der Astrologie heute liegt nicht unbedingt  in dieser irrationalen Ideologie selbst, sondern darin, dass sich in immer höherem Ausmasse auch als intelligent angesehene Menschen dieser reinen Irrationalität verschreiben. Moderne Massenmedien haben diesen Quark bis zum erbrechen breit getreten, haben dafür gesorgt, dass die Glaubensbereitwilligkeit für symbolische Weltbilder enorm gestiegen ist. Dieser Schicksalsfanatismus, die Abhängigkeit von den Sternen,  oder alte überlieferte kosmische Sinnbilder, lassen erahnen, dass dieser Treibsand gefährlich ist, auf einem reinen Zufallsgebilde  basiert, wenn er meint, die Gefühlssphäre der Menschen ‘entkoppeln’  zu müssen.

‘Ausstrahlende Kräfte’ gibt es nicht, weder bei den Tierkreiszeichen  noch anderswo. Die Astrologie erweist sich im Grunde als das Ergebnis einer glücklichen - oder unglücklichen Verschachtelung der ‘aufgespiessten Atome’ des Denkens ohne Anzeichen eines  echten Ziels; oder um EINSTEIN zu paraphrasieren - nicht existierende Sinnbilder würfeln blind mit der Welt. Selbst die physikalische Kausalität, der Fels, auf dem das Universum errichtet wurde, ist  bei den Sterndeutern durch den Treibstand unberechtigter Inanspruchnahme von statistischen Erhebungen ersetzt worden.

Es liegt nahe, dass die Glaubensbereitwilligkeit der Menschen  für allerlei Horoskope, Kalender, Tierkreise und Häuser in der Moderne sicher mit der total verwissenschaftlichen Epoche des
20. Jahrhunderts zusammenhängt. Der Mensch erscheint vielleicht nur noch als austauschbarer
Computer-Bit. Das macht ihn für die Astrologie sehr empfänglich Und so kann sorglos eine Welt fabriziert werden, die den Lebensraum mehr und mehr einengt, und die zur latenten Gefahr heranwächst. Natürlich hat das warenproduzierende System diese Misere  zu verantworten. Aber: der astrologische Boom wird begünstigt durch stoische Gelassenheit der ‘Erhabenheit’ der Wissenschaft gegenüber diesen esoterischen Umtrieben. Fürwahr, man  kann es sich einfach machen, wenn sie nicht widerlegt wird. Eine deutliche Abgrenzung gegenüber ihr würde bedeuten
müssen, dass man vielen Menschen den ‘stützenden Glauben’  wegnehmen würde.  Und ähnlich wie die öffentliche Kritik an der biblischen Schöpfungsgeschichte durch die moderne Kosmologie, würde man eine grosse Anzahl von Menschen in ihrem christlichen  Glauben wankend machen, ohne ihnen dafür einen Ersatz anbieten zu können.

In seinem Buch ‘Wir sind nicht nur von dieser Welt’ wird  HOIMAR VON DITFURTH sehr deutlich:
‘Jahrhundertlang hat sich die Kirche vehement gegen naturwissenschaftliche Erkenntnisse gewehrt, in der Überzeugung, dass diese dem Glauben widersprächen. Nachdem die Gültigkeit dieser Erkenntnisse sich durchgesetzt und die Wissenschaft bewiesen hat, dass sie ausgezeichnet auch ohne den ‘lieben Gott’ funktionierte, gingen Kirche und Naturwissenschaft
zu einer Art ‘friedliche Koexistenz’ über: jeder pflegte und verteidigte  seine Wahrheit.’ (7) Daraus resultiert nur ein einziger Schluss: der praktizierte religiöse Glaube baut, wie die Astrologie, auf Sand, und hier berühren sich beide. Glaube und Aberglaube haben eine wesentliche Wurzel: sie gründen sich auf Verdummung, und diese muss ins Bewusstsein einfliessen, in das Weltbild der Menschen. Wie das passiert, ist verschieden gewählt, beide waren eigentlich nur immer ein Molekül in einer Flüssigkeit kurz vor dem Siedepunkt – und sind auch immer Produkte jenes Zeitgeistes gewesen, die die Krisis des Homo Erektus heraufbeschwor. Sie hungern einfach nach dem Sinn, den ihre Lehrer ihnen nicht zu vermitteln vermochten. Sie fühlten, dass sie nur Kaninchen aus leeren Hüten hervorzaubern konnten, mehr nicht. Bis zu einem gewissen Grad ist es der modernen Gesellschaft gelungen, dieses Bewusstsein für apokalyptische und eschatologische Erwartungen wach zu halten

Der Warenmensch verfängt nun nicht nur dem religiösen Glauben, Horoskopanzeigen, Wahrsageofferten, Magnetheilern, asiatischen  Wunderheilen, Kartenlegern, Pendelschwingern, Rutenfreaks, UFO-Glauben, kurzum esoterischem Wahn, (8) er liebt auch die  geistigen Inhalte, die auf angeblich soliden Plattformen stehen: im Konglomerat aus platten Attitüden und den
Koordinatensystemen der Tierkreiszeichen entdeckt er die religiösen  Moralvorstellungen und denkbaren kulturellen Zusammenhängen wieder: ‘Gott schuf die Welt nach Maß und Zahl’ - die Bibel als Voraussetzung des ‘symbolischen Weltbildes’, aufgebaut aus der Analogie von Mensch und Kosmos. ‘Und alles dreht sich im Kreise, nirgends ist Rast oder Ruh’ - hiess es in  einem alten Schlager. Derartige skurille Zusammenhänge entsprechen der weit  unterschätzten Verunsicherung eines Grossteils der Bevölkerungen; eigentlich sind Parlamentarier bis zu
Wirtschaftsbossen und Hochschullehrern dem Okkult-Magischen  ebenso geöffnet wie der Angestellte oder Arbeiter. Die Kombination mit vielen esoterischer Spielarten ist dabei  gang und gäbe.

Die heutige Astrologie stellt eine unheimliche Ansammlung  voneinander abweichender Deutungskünste dar, die wie Diktaturen in die intimen Bereiche der Gläubigen hineinwirken. Mit der Postmoderne erleben wir eine Vielzahl dämonischer Erscheinungen, die wie eine Sturmflut wirkt, die alle Dämme sprengt und sich verderbenbringend über das Land wälzt. Die Zeit erlebt eine Verdichtung des Okkulten, der Wünschelrutengänger, des globalen Wassermannszeitalters,
der Nullsumme des Weltuhrzeigers, der Gravitationswellen usw. Eine Eskalation des Satanischen, die den Eindruck verstärkt, als müsse diese Welt zum letzten Mal thematisiert werden- hin zu einem warengesellschaftlichen Gesamt-Krisenszenario. Allerdings rückt die warenförmige Vergesellschaftung, die Weltmarktbewegung und die kapitalistische
Durchsetzungsgeschichte die inneren Bewegungsgründe für  ein mögliches kommendes Warendesaster mehr und mehr in den Mittelpunkt, von der die Katastrophenstimmung der
Mantik, der Astrologie und okkulter Praktiken bezeichnenderweise  nichts treffliches zu resümieren weiss. Es ist ein seltsames Widerspiel, dass Vernunft und Aberglaube  ein ‘harmonisches’ Hand-in-Hand-Spiel eingehen. Menschen, die einerseits in der technisierten und maschinisierten Welt der Apparate und Computer leben und handeln, hausen  andererseits heimlich im Dämmerschein der Geheimwissenschaftler, Esoteriker und Anthroposophen.
Im Kraftfeld der krisenhaften postmodernen Staaten entlarven  sich die Gestirne als Träger der Arroganz und Gleichgültigkeit, der Glaubensbekenntnisse und der katastrophalen orakelnden
Mythen von alleine. Die Apokalypse indes hat immer Bilder aus der  hellenistischen Astrologie benutz, die christliche Gnosis baute sie in ihr System ein.

Die heutige Astrologie ist ein enormer Profitzweig, der die  allgemeine gesellschaftliche Unsicherheit mit wertlosen Angaben ausnützt. Sie ist törichter und zu verurteilender  Aberglaube.
Dass sie, oder besser, ihr babylonisch-hellenistische Ansatz in der Anthroposophie der STEINER-Freaks fortwirkt, ist nur eine Schattenseite der alten Spekulationen über die  kosmische Verbundenheit des Menschen. Das säkularisierte Abendland ist durch eine merkwürdige
Bewusstseinsspaltung zu charakterisieren; einerseits stützt es sich auf vielfältige Erscheinungsformen der christlich-abendländischen Kultur, andererseits bekämpft  es nicht entschlossen die Astrologen, Zauberer und Vertreter  der okkulten Wissenschaften. Darauf basierend gewinnt speziell die Astrologie ein dramatisches Schwergewicht im Hinblick auf die brennenden Probleme des Warensubjektes, da ihre primitive Ideologie (wenn sie als solche bezeichnet werden sollte!) mit dem Mittelalter verbunden ist und sich ihre Modernität allenfalls
aus dem Missbrauch neuer Technologien ableiten lässt. In einer Zeit, in der es darauf ankäme, der Illusion und Manipulation zu begegnen, tritt sie uns mit unverminderter Engstirnigkeit entgegen. Welche weitreichenden Folgen ihre Dämonisierung des Menschen  im 21. Jahrhundert bringen wird, ist auch eine Frage danach, wie wir dem ‚Geworfensein’ (M. Heidegger) begegnen werden. (9)


Anmerkungen

(1) Omina (Plural von Omen). Sind Gegenstände oder Sachverhalte, die im Hinblick auf ein künftiges Ereignis positiv oder negativ gedeutet werden können. Die Deutungsgründe können ‚magisch’ verstandene Entsprechungen, empirische Beobachtungen oder  missverstandene historische Überlieferungen sein. Begegnet ein Mensch einem fliegenden Raben, so
kann man das als ein gutes oder böses Omen  halten, da der Rabe nach dieser Deutung gleich mehrfach determiniert ist.

(2) Mit Hellenismus bezeichnet man das Zeitalter zwischen  den Eroberungszügen Alexanders des Grossen (ab 334 vor Chr. mit dem Krieg gegen Persien) und  bis zum Untergang des ägyptischen Ptolemäerreiches  (30 v. Chr.), in der das Griechentum Weltgeltung errang. Ziel des Hellenismus war es, dem Reich mit seiner Vielfalt an Völkerschaften und Kulturen ein einheitliches kulturelles Gepräge zu geben, um seinen inneren Zusammenhalt zu stärken. Es konnte dabei auf den kulturellen Reichtum der Klassik zurück greifen; auf die Geisteswelt eines Homer und des Hesiod, der Sappho und des Pindar. Nachdem die Römer die Nachfolgestaaten des Alexanderreiches erobert hatten, griffen sie den Gedanken des Hellenismus auf und verschmolzen ihre Götterwelt weitestgehend mit dem griechischen Mythos, der seinerseits von orientalischem Gedankengut durchdrungen wurde.

(3) Der Aszendent: Der Aszendent (AC) gehört zu den wichtigsten  Horoskopfaktoren und geht in jede ‚gute’ astrologische Deutung ein. Der Aszendent entspricht dem Tierkreiszeichen,  das zum Zeitpunkt und am Ort der Geburt am östlichen Horizont aufsteigt. Das Wort Aszendent ist mit dem italienischen ascendere = aufsteigen verwandt. Durch die tägliche Drehung der Erde  um die eigene Achse steigen in 24 Stunden alle Tierkreiszeichen einmal auf. Dementsprechend erscheint durchschnittlich alle zwei Stunden ein neues Tierkreiszeichen am Osthorizont. D.h. durchschnittlich alle zwei Stunden wechselt das Horoskop den Aszendenten. Dieser relativ rasche
Wechsel ist einer von mehreren Gründen, warum für eine ‚gute’ astrologische Interpretation ein präzise berechnetes Horoskop mit genauer Angabe von Geburtszeit und –Ort so wichtig ist. Wegen des raschen Wechsels des Aszendenten haben zwei Menschen, selbst wenn sie am  selben Ort und Tag geboren sind, nur in den seltensten Fällen das gleiche Horoskop. Der Aszendent - das Tierkreiszeichen, das am Osthorizont  aufsteigt, befindet sich auf der linken Seite des Horoskops in ‚9 Uhr-Stellung’ und ist mit AC (=Aszendent) gekennzeichnet.

(4) Häusersystem: Die Häuser korrespondieren mit den  Zeichenprinzipien.  Wo aber die Zeichen die ‚Einfärbung’ oder die Eigenschaften der Planeten anzeigen, stehen die Häuser für deren Wirkungsfeld. Sie stehen auch für den Bezug der Planeten zu dem Geburtsort  Hier einige Beispiele:
1. Haus: Die Beschäftigung mit sich selbst. Das Wirken des Selbst auf andere, oft auch das Aussehen
2. Haus: Der materielle Bereich. Die Sicherheiten und ”Eigentümer”  in Ihrem Leben.
3. Haus: Der intellektuelle Bereich. Auch Denken, Bewegung,  Wechsel, Kontakte.
4. Haus: Ihre ”Heimat”. Die Familie, Schutz, Verwurzelung. Die Nähe zu sich selbst und dadurch zu den anderen.
5. Haus: Spiel, Kreativität, Unbekümmertheit und Identität. Sexualität als Selbstausdruck.
6. Haus: Die Form. Die innere Ordnung, die Gesundheit, Arbeitsplatz, Gebrauch von Ihren Fähigkeiten.
7. Haus: Partnerschaft, Beziehung, (nicht nur Liebesbeziehung!).  Austausch zwischen dir und anderen.
8. Haus: Besagt, inwieweit das Selbst ”sterben” kann, um neu geboren zu werden. Dazu  gehört auch Liebe und Sexualität.
9. Haus: Hier geht es um die Fähigkeit, Überblick und Klarheit zu bekommen. Auch Bildung und Horizonterweiterung geschieht hier.
10. Haus: Die Bestimmung des Selbst. Früher war es oft der Beruf.  Hier realisieren und verwirklichen Sie sich. Aber es geht langsam (Saturn!) voran
11. Haus: Die Anwendung von dem, was Sie realisiert haben. Ihr Wirken und Ihr Freundeskreis.
12. Haus: Die Auflösung. Die Meditation, die Suche, Sehnsucht  nach dem Höheren, noch nicht Erlebten usw.
Der Aszendent hat einen Gegenspieler: den Deszendenten. Für jedes  Tierkreiszeichen, das im Osten aufsteigt, geht das gegenüberliegende Tierkreiszeichen im Westen unter. Dieses Zeichen ist der Deszendent und symbolisiert die Mitmenschen und insbesondere den Partner. Der höchste Punkt im Tierkreis (Schnittpunkt der Ekliptik mit dem Meridian) wird als MC (Medium Coeli oder Himmelsmitte) bezeichnet. Er steht für berufliche und gesellschaftliche Ziele.
Astrologische Bedeutung des Aszendenten Der Aszendent hat eine ähnlich zentrale Bedeutung wie das Sonnenzeichen. Er symbolisiert das "Schaufenster" oder die "Maske" einer Persönlichkeit, das heißt alle Eigenschaften, die man primär nach außen zeigt und die ein anderer zuerst an einem sieht. Damit sind nicht nur Aussehen und Körperbau gemeint,  sondern auch Verhaltensweisen, die mehr einer Rolle oder Gewohnheit entspringen, als einem tieferen Bedürfnis. Der Aszendent ist die Schnittstelle zur Aussenwelt oder die äussere „Verkleidung". Man zeigt die Eigenschaften des Aszendenten-Zeichens. Ein Widder-Aszendent geht  spontan und tatkräftig auf die Umwelt zu, ein Zwillings-Aszendent informiert sich und ein Steinbock-Aszendent geht nach einem Plan vor. Das Zeichen am Aszendenten wirkt auch in umgekehrter
Richtung. Bildlich gesprochen ist es so, als ob man eine mit den Aszendenten-Eigenschaften eingefärbte Brille  tragen würde. In der Umwelt nimmt man bevorzugt die Eigenschaften des Aszendenten wahr und interpretiert Situationen aus der Sicht des eigenen Aszendenten. Ein Widder-Aszendent sieht die Herausforderungen,  ein Zwillings-Aszendent die neuen und interessanten Dinge und ein Steinbock-Aszendent die Verantwortung

(5) Vgl. etwa Astrowoche (Horoskopmagazin); Meridian (Fachzeitschrift für Astrologie); Sternwelten (Online Magazin für Laien und Profis).

(6) Heliozentrisches Weltsystem: Schon seit dem Beginn der Menschheit machte man sich  Gedanken über das Weltbild bzw. über die Astronomie.  Die ersten Erkenntnisse, von denen man heute noch weiß, stammen von den Babyloniern im 1. Jahrtausend v. Chr. Sie beschäftigten sich aber strenggenommen nicht mit dem Weltbild, sondern mit der Bedeutung der Planeten, die man
für Götter hielt. Die Babylonier beobachteten diese und versuchten so ihre Zukunft vorauszusagen.
Den ersten Versuch, die Himmelserscheinungen rational  zu erklären, machten die Griechen. Sie stützten sich auf die Beobachtungen der Babylonier und entwarfen das erste geozentrische Weltbild, d.h. ein Weltbild, bei dem die Erde das Zentrum ist und sich alle Himmelskörper um sie drehen. Man versuchte auch schon über die damals radförmig gedachten Bahnen der Planeten Aussagen zu machen. Daran angelehnt bestimmten Ende des 5. Jahrhunderts die Pythagoreer spekulativ die Abstände der Kreisbahnen voneinander. Sie nahmen auch schon an, ohne dafür Beweise finden zu können, dass die Erde rund ist. Um 150 n. Chr. machte sich Ptolemäus noch genauere Vorstellungen über das geozentrische Weltbild der Griechen und verfeinerte dieses. Bei seinem Weltbild drehten sich Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn in dieser Reihenfolge um die feste Erde. Er versuchte durch eine Ausgleichsbewegung die Bewegungen der Planeten so zu erklären, dass sie den Forderungen nach Gleich- und Kreisförmigkeit Aristoteles gerecht wurden. An dieses ptolemäische Weltsystem glaubte man bis fast an das Ende
des Mittelalters, weil es auch gut mit der Bibel zu vereinbaren war. Nikolaus Kopernikus (1473-1543) stellte  dieses Weltsystem in Frage. Er bemerkte, dass das geozentrische Weltsystem nicht mit den Beobachtungsdaten übereinstimmte. Deshalb entwickelte er ein heliozentrisches Weltbild, bei  dem sich alle Himmelskörper um die Sonne drehten. Kopernikus rüttelte aber nicht an den Forderungen Aristoteles, d.h. die Umlaufbahnen sollten weiterhin kreisförmig sein. Wenn dieses neue System stimmen sollte, müssten die Deutungen der Bibel falsch sein, und man konnte sich auch nicht erklären, wie es möglich ist, dass die Erde sich dreht. Aus diesem Grund glaubten nur wenige an die Vorstellungen von Kopernikus. Dieser Mangel an Beweisen veranlasste Tycho Brahe (1546-1601) dazu. diese Ideen zu verwerfen  und ein neues Weltbild zu entwerfen, das zwischen heliozentrischem und geozentrischem System liegt:  Das tychonische Weltsystem sah zwar immer noch die Erde als festes Zentrum vor, um die sich Sonne und
Mond drehten, aber alle anderen Planeten sollten sich um die Sonne drehen. Galileo Galilei (1691-1736) setzte sich sehr für das Weltbild von Kopernikus ein. Er machte mit einem selbst  gebauten Fernrohr viele Entdeckungen, die das bis jetzt geltende geozentrische Weltbild widerlegten, konnte aber nicht die Probleme lösen, die Kopernikus mit  seinem Weltsystem hatte. Etwa zur gleichen Zeit erkannte Johannes Kepler (1571-1630), der ein Assistent von Brahe war, schließlich nach dem Tod seines Vorgesetzten aus dessen Aufzeichnungen, dass die Planeten sich nur in Ellipsenbahnen bewegen können. Er bewies das heliozentrische Weltsystem und so löste dieses
endgültig das geozentrische ab. Dieses Weltbild Keplers wurde bis heute kaum verändert, nur erweitert. Man begnügt sich jetzt nicht mehr mit dem lediglich auf unser Sonnensystem bezogenen Bild.  Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes machten eine aufsehenerregende Entdeckung über unsere Galaxie. Sie stellten mit ziemlicher Sicherheit fest,  dass im Zentrum der Milchstraße ein Schwarzes Loch existiert, das die Größe von 2,5 Millionen Sonnenmassen auf einem Raum von weniger als 10 Lichttagen hat. Wegen dieser großen Masse drehen  sich alle Sterne unserer Galaxie, also auch die Sonne und mit der Sonne unsere Erde um dieses Schwarze Loch. Wenn man diese verwirrende Geschichte der Erforschung des Weltbildes betrachtet und berücksichtigt dass ein menschliches Gehirn noch nicht einmal die Unendlichkeit
des Weltraums begreifen kann, stellt sich die Frage: Werden die Menschen jemals das Geheimnis um das Weltbild lüften? (Artikel aus Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden 19. Auflage)

(7) Hoimar von DITTFURTH: Wir sind nicht nur von dieser Welt. Naturwissenschaft, Religion und die Zukunft des Menschen, Hamburg 1981, S. 1.

(8) Vgl. meine Artikel in ‚trend’: 3/99: Die Paranoia des ‚Ufo’-Papstes Johannes von Buttlar;
5/99: Der Irrationalismus hat viele Gesichter. In wem steckt die böse Seele? Die unerklärlichen Phänomene der Akte-X und anderer mystischer Fernsehwelten; 6/99: Uri Geller und Uriella – Spieglein, Spieglein an der Wand. Wer bringt uns ins gelobte Land? 7/8 99: Space Tours und Flugstunden. Von Überfliegern und Superwelten. Ebenda: The Lost Paradise. Bis alles zerfliesst.
Von Fanatikern und Niedergangsprovokateuren. (Links dazu siehe weiter unten)

(9) Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 1984. Unter ‚Geworfensein’ versteht Heidegger die Tatsache, ‚dass wir da sind’. Das Bild vom ‚Geworfensein’ soll vermutlich ausdrücken, dass man sich unangemeldet und unbestellt auf dieser Welt vorfindet. Und vermutlich beschreibt der Begriff auch nur eine bestimmte geschichtliche Situation –die Beschreibung  für menschlicher Existenz überhaupt. Innerhalb seiner Existenzphilosophie dürfte das  wohl als das ‚Dasein schlechthin’ zu interpretieren sein.

  • Natürlich konnten hier nicht alle Zweige der Astrologie und deren Fülle berücksichtigt werden. Es ging darum, einige Tendenzen herauszuarbeiten, und diese vehement zu kritisieren.
     

Editorische Anmerkungen

Der Autor schickte uns seinen Artikel  mit der Bitte um Veröffentlichung. In den letzten trend-Ausgaben schrieb er über

The One - Im Banne der Paralleluniversen
Der Staat, (D)ein unbekanntes Wesen
Intoleranz und den alltäglichen Rassismus
Songwriter zum 11. September 2001
When We Were Kings
Hollywood und der Krieg

Dietmar Kesten schrieb früher regelmäßig für den trend und Partisan.net. Hier eine Auswahl aus seinen bisherigen Veröffentlichungen:

ASPEKTE DER ENDZEITLICHEN KRISENPHILOSOPHIE

Das "Bündnis für Arbeit"
Eine auf dem Kopf stehende Pyramide

Kommentare & Exkurse zum Kosovo-Krieg 1999