Führer EX
Eine gescheiterte Aufarbeitung der DDR Vergangenheit

von Dietmar Kesten
GELSENKIRCHEN DEZEMBER 2002.
12/02
 
 
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Der Film erzählt die Geschichte der beiden Freunde Heiko (Christian BLÜMEL) und Tommy (Aaron HILDEBRAND), die Mitte der 80er Jahre in der DDR IHRE Revolte planen, vor allem keine Lust mehr auf die DDR haben. Nach einer durchzechten Nacht klettern sie in ein Fussballstadion und verbrennen die DDR Flagge. Tommy wird geschnappt und kommt in den DDR Knast. Heiko lernt Beate kennen, verliebt sich in sie. Als Tommy entlassen wird, betrügt  Beate ihn mit Tommy; schliesslich lassen sie den alten Plan aufleben und beschliessen die Flucht. Beide werden geschnappt, verhaftet und landen schliesslich in einer Vollzugsanstalt, wo beide dem grauen Knastalltag begegnen: es wird gedealt, vergewaltigt und gemordet. Heiko muss nach einer Attacke auf einen Vergewaltiger in Isolationshaft, zerbricht fast daran, und schliesst sich Tommys Bekannten, einer Gruppe von Altnazis an, während Tommy langsam das Interesse an diesen Radikalfaschisten verliert. Ihm gelingt die Flucht, während Heiko zurückbleiben muss.

Kurz darauf fällt die Mauer, und einige Zeit später besucht Tommy Heiko, der nun einer der Führer der Faschisten ist. Tommy beginnt sich gänzlich von dieser Szene zu lösen, doch Heiko, der ‚gefährliche’ Agitator dieser Gruppe will ihn ganz für deren Ziele einspannen, was ihm nicht gelingt. Er träumt noch immer davon mit Heiko nach Australien zu gehen, um dort ein neues Leben zu beginnen. Bei einem Überfall auf ein von Autonomen bewohntes Haus, kommt ein  Mädchen zu Tode. Tommy ahnt wohl dass dieser Terror weiter eskalieren wird, und sucht das  Weite. Noch einmal kommt er mit Heiko zusammen, der erfahren hat, dass Tommy ihn im Gefängnis bei der Staatssicherheit denunziert hat. Heiko, jetzt total fanatisiert, trachtet ihm nach dem Leben, lässt aber letztlich davon ab. Als beide noch einmal ihre Pläne besprechen, wird Tommy als ‚Verräter’ von einer prügelnden Nazihorde erschlagen.

Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit, die der Autor des Buches, Ingo HASSELBACH (ehemaliger Parteivorsitzender der Nationalen Alternative) in den autobiografischen Notizen: ‚Die Abrechnung - Ein Neonazi steigt aus’, veröffentlicht hatte. BONENGEL, der Regie führte und durch den Film: ‚Beruf Neonazi’, den er mit HASSELBACH zusammen machte, bekannt  wurde, (1) fühlt sich nun verpflichtet, die Aufarbeitung der DDR Vergangenheit in einer fiktiven Geschichte über Nazis, Wahrheit und Moral, Isolationshaft, Fanatismus, Gewaltdarstellungen, Ausländerfeindlichkeit, Zucht und Ordnung, Abrechnung, Demütigungen des Strafvollzuges, Denunziationen, ja letztlich einen Beitrag über die Nazi-Szene in der ehemaligen DDR,  zu erzählen.

Herausgekommen ist dabei ein gescheiterter Versuch, zu erklären, warum  sich in der DDR eine rechtsradikale Szene entwickeln konnte, und heute versucht, sich zu etablieren. Der ‚Links’radikalismus des Marxismus, so wie er in der KPD aufgetreten war, konnte ebenso einen rechten Rand besitzen, wie man es an der berühmten ‚SCHLAGETER’-Geschichte verfolgen konnte, als Karl RADEK, Vertreter der Kommunistischen Internationale, den Faschisten  SCHLAGETER im Juni 1923 als ‚Märtyrer des deutschen Nationalismus’ und  ‚mutigen Soldaten der Konterrevolution’ bezeichnet hatte.  Und in diesem politisch-ideologischen Spektrum von Organisation, Disziplin, Ideologie und Phraseologie, waberte stets latent ein Stimmungs- und
Meinungsumschwung, der in der Geschichte des deutschen Marxismus  oftmals nur noch eines Anstosses bedurfte, um rassistisches und/oder  nationalsozialistisches Gedankengut auf einmal an die Oberfläche zu bringen. Deutschland sei ein ‚klassisches Land der Sozialfaschisten’, behauptete einst Heinz NEUMANN 1929, und schuf damit einen nationalistischen Strategierahmen, der die KPD im Streit der rechten  und linken Gruppierungen selbst noch auch auf dem VII. Weltkongress  der Komintern (1935) theoretisch und ideologisch ins Abseits stellte.
Und in der Tat war das katastrophale Gesamtergebnis des Marxismus später auch in der DDR ein modernisierter Nationalbegriff, der übernommen die Auswechselbarkeit verdeutlichte. Diese, im Schosse des etablierten Marxismus vorhandenen nationalen, nationalistischen und vielleicht sogar
chauvinistischen und rassistischen Elemente einer Lehre, faszinierte nicht  nur grosse Teile der Jugendbewegung des frühen KJVD, seiner  Unterorganisationen, Komitees, Sympathisanten und Mitläufer, sondern ebenso die faschistische Jugendbewegung.

Die bürgerlichen Lebenspläne von Heiko und Tommy passen sich dann auch den Stimmungslagen und der Lebensangst eines solchen Entwicklungsprozesses an. Dumpfe nationale und nationalistische Zurichtung, ökonomisches Konkurrenzdenken, Ausgrenzungshass und Deklassierung, all das ist Deformation im Denken und abstrakter Selbstbehauptungstrieb in einem
System, das einen sozialen Nährboden übernommen und aufgebaut hatte,  das nur die alten Verhältnisse reproduzierte. So verwundert es nicht, dass Heiko und Tommy in einem nationalistischen  Vokabular sprechen, das zwar Sprache und Stimmung widerspiegelt, die  eigentlichen Ursachen der ‚nationalen Besinnung’ bleiben jedoch im Dunkeln. BONENGELs Erklärungsmuster für die Herausbildung einer rechtsradikalen Szene erscheint mir so mehr eine Mischung aus Tabu, Exotik und drangsaliertem Einzelkämpfertum zu sein. Die Gewaltexzesse der Nazis kommen als drapiertes Rowdytum daher, nicht aber, was es eigentlich sein sollte, als ein politisches Weltbild, das sich anschickt, die hässliche Fratze der Weimarer Zeit wiederholen zu wollen.

Christian BLÜMEL(als Heiko) muss als totale Fehlbesetzung bezeichnet werden. Es mangelt ihm nicht nur an Gestik und Mimik, um jemanden darzustellen, der die Fronten wechselt und auf einmal zum glühenden Naziideologen mutiert, sondern auch an der Umsetzung dieser Rolle; weg von einer Haudrauf-Mentalität zu einem ‚geläuterten’ Faschisten. Gerade hier, und an seinen wenigen Dialogen, die er als Rechtsradikaler führt (etwa mit seiner Freundin Beate), zeigt sich, dass seine Aussagen furchtbar dumpf, gestanzt, runtergeleiert und simpel sind. Überzeugend agitieren kann er ebenso wenig wie die Nazischergen, die sich in Führer Ex ein Stelldichein geben. Alle erscheinen irgendwie als ‚Hakenkreuzschmierer’ mit Gewaltpotential. Diese Charaktere reproduziert der Film beständig. Und nur die neurechten Ausgrenzungsinstinkte sind ein Beleg dafür, dass auch sie sich in ihren politischen Schulungen mit theoretischen Erörterungen  beschäftigt haben.

Statt eine spannende Geschichte zu einem Fanal gegen das rechte  Ende der Politik zu machen, geht BONENGEL einen Weg der Findung und der Identität. Heiko und Tommy wechseln die Rollen. Der eine, geläutert, hasst noch immer alles, was nach Zwang und Kasernierung aussieht, der andere geht in das nationale genuine Phänomen des neuen Rechtsradikalismus auf. Ein Wechselspiel der Provokation beginnt, unterlegt mit Dialogen aus dem Lexikon einer Jugendsprache, den ‚stolzen’ Deutschen, die brav applaudieren, wenn die selbsternannten Führer reden, einen türkischen Würstchenverkäufer aus der Reserve locken und seinen Wagen in Brand stecken, Irritationen und mit faschistischen Accessoires spielenden Glatzköpfen zeigen bestenfalls gutgemeinte pädagogische Absichten, aber inhaltlich kaum gefüllte  tieferreichende Wurzeln über das nazistische Credo. Der Film hat etwas Willkürliches und Zufälliges an sich. Er hätte ebenso den ‚Blutmai 1929’ zur Vorlage haben können. Der Form der unmittelbaren Annäherung an die Naziideologie gilt dann auch meine hauptsächliche Kritik: BONENGEL produziert Trivialhelden, die zu jeder Zeit in jedem Freizeitheim auftreten können. (Politische) Gleichgültig und Rambomentalität entschleiern die Charaktermaske der Nazis nicht. Warum setzte der ‚erste sozialistische Staat auf deutschem Boden’ nationale und neonazistische Potentiale frei? Hätte BONENGEL sich damit auseinandergesetzt, dann hätte der Film  ansatzweise den neuen ostdeutschen Neonazismus zumindest beschreiben  können.

So bleiben die Schattenseiten der deutschen Geschichte im wesentlichen  unberührt. Im Windschatten der SED gab es nicht nur Mitläufer und Altnazis, sondern auch das reproduzierte reaktionäre und nationale Bewusstsein, das durchaus zur ehemaligen Weimarer Zeit als kompatibel bezeichnet werden kann. Wenn beides sich zu einem reaktionärem Gebräu vermischt, dann ist der Anachronismus nicht mehr fern. Und das realsozialistische System  ist dann die Installation der westlichen Variante. Nach Australien wollten sie: der einzige Fluchtpunkt aus der östlichen Modernisierungsdiktatur. Die Selbstauflösung endet mit dem Tod Tommys: Kälte, Kriminalität, Unordnung. Vom Regen in die Traufe. Wenn das die westlich ausstaffierten Träume waren, dann haben sie sich als Alpträume entpuppt.

Anmerkungen:

(1) BONENGEL drehte 1993 ‚Beruf Neonazi’.

Führer Ex läuft seit dem 5. 12. 2002 in den Kinos.
Regie: W. BONENGEL.
Drehbuch: BONENGEL/HASSELBACH.

Darsteller: Christian BLÜMEL als Heiko;
Aaron HILDEBRAND als Tommy;
Jule FLIERL als Beate; Jürgen LINGMANN als Hagen;
Harry BEAR als Friedhelm, Dieter LASER als Eduard.

Lesenswerte Literatur zu dem Thema:

Rosemaries Babies. Die Demokratie und ihre Rechtsradikalen, Bad Honnef 1993.

Editorische Anmerkungen

Der Autor schickte uns seinen Artikel  mit der Bitte um Veröffentlichung. In den letzten trend-Ausgaben schrieb er über

The One - Im Banne der Paralleluniversen
Der Staat, (D)ein unbekanntes Wesen
Intoleranz und den alltäglichen Rassismus
Songwriter zum 11. September 2001
When We Were Kings
Hollywood und der Krieg

Dietmar Kesten schrieb früher regelmäßig für den trend und Partisan.net. Hier eine Auswahl aus seinen bisherigen Veröffentlichungen:

ASPEKTE DER ENDZEITLICHEN KRISENPHILOSOPHIE

Das "Bündnis für Arbeit"
Eine auf dem Kopf stehende Pyramide

Kommentare & Exkurse zum Kosovo-Krieg 1999