Vor einem neuen Irak Krieg?

von Dietmar Kesten
GELSENKIRCHEN zum Jahreswechsel 2002/3
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Die allgemeine Erkenntnis des 11. September 2001 muss wohl in der Aussage gipfeln, dass es im Zeitalter der Globalisierung keiner grossen Kriege mehr bedarf, um die Menschheit ins Unglück zu stürzen und sie zu vernichten. Das Zeitalter der zwischenstaatlichen Konflikte dürfte mit dem 2. Weltkrieg, dem Korea-Krieg, dem Vietnam-Krieg, den  Auseinandersetzungen zwischen China und Vietnam, dem Irak und Iran, zwischen Äthiopien und Eritrea, doch spätestens, und hier in  abgewandelter Form, mit dem 1. Golfkrieg aus dem Januar 1991 beendet sein, damit auch der klassische Staatenkrieg.

Aber: was ist Krieg, was ist als Krieg zu bezeichnen und  was nicht, und wodurch zeichnen sich neue, oder andere als die uns bisher bekannten aus?

Ist der Krieg, die Geissel der Menschheit schlechthin, gar verschwunden? Sind die Militärs etwa friedlich geworden, die diktatorischer Machthaber und machtbesessener Kämpfer aus internationalen Netzwerken und verzweigten Terrororganisationen?

Diese Fragen drängen sich auf, wenn man sich in der Retrospektive mit den fürchterlichen Attentaten des 11. September, und der damit auch sicherlich einsetzenden veränderten Form der Gewalt in der Kriegsgeschichte beschäftigt. Zwar ist dieses Datum nicht der historische Wendepunkt schlechthin, und schon gar nicht der Anlass für das kontinuierliche Aufrüsten  der US-Militärmaschinerie. Doch die Vernichtung des World Trade Center ist die Botschaft der Globalisierung, dass die Welt nicht gut ist, und die Menschen nicht lieb sind. Der Blick richtet sich dabei auf Nordirland, das Basken-Land, Algerien, Schwarzafrika, Kaschmir, die Philippinen, auf den Nahen-Osten, auf den Balkan und auf einen neuen Konfliktherd, den es erneut um den Irak geben könnte.

Der Krieg hat von der Öffentlichkeit lange Zeit unbemerkt, seine  Erscheinungsform verändert. Das auf spektakuläre Art und Weise begangene Verbrechen in den USA verdeutliche nur, dass heute Warlords, Terroristen und gedungene Söldner das Bild bestimmen, und ihre Gewalt, die sie für ihre todbringenden Ideologien ausüben, sich heute gegen die Zivilbevölkerung, gegen Hochhäuser, gegen Eisenbahnverbindungen, gegen Verkehrsknotenpunkte, gegen  U-Bahnen und Menschenansammlungen richten. Das sind die neuen Schlachtfelder, und die Medien transportieren sie wohlgefällig ins heile Heim, Fernsehbilder, die wir seit Peter Arnett aus dem 1.Golfkrieg kennen, werden so zur Waffe der Dauerberieselung. Selbst die Unterscheidung von Krieg und Frieden ist brüchiger denn je. Was heute als Friedensschluss gilt, ist schon morgen wieder Makulatur, und was morgen als Friedensprozess verkauft wird, endet übermorgen  in neue kriegerische Auseinandersetzungen. Dort, wo die modernen Staaten nicht mehr die Monopolisierung der militärischen Gewalt besitzen, tritt an die Stelle der Friedensschlüsse ein stets vom Scheitern bedrohter Friedensprozess. Das alleine zeigt die Dimensionen von Krieg und Frieden im 21. Jahrhundert auf, und es stellt sich mit Berechtigung die Frage:  wohin treiben wir? Seit den Terrorangriffen auf das World Trade Center und das  Pentagon ist die ursprüngliche Aussage Bushs, dass wir nun  ein ‚Kreuzzug gegen das Böse’ führen werden, der eigentliche Hinweis darauf, worum es geht: um lange innergesellschaftliche Konflikte, die in sich wiederum der Auftakt zu einer ganzen Serie von Straf- und Vernichtungsfeldzügen werden könnten, in grauenvolle Stammeskriege enden, wie etwa in der westafrikanischen Republik Sierra Leone und in Zentralafrika, wo mindestens, ohne dass diesen Völkermord die breite Weltöffentlichkeit zur Kenntnis  genommen hat, mindestens zwei Millionen Menschen eines  gewaltsamen Todes gestorben sind, oder in ‚Strafexpeditionen’ des fundamentalistischen Terrorismus.

Krieg ist nach der Definition des Militärstrategen CLAUSEWITZ ein ‚Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen’. In diesem Sinne dürften die neuen Kriege heute nicht eine einfache geografische Umverteilung sein, Ausplünderung der nationalen Ressourcen eines Landes, Eroberung von Gebieten, sondern sie sind eine neue Qualität, die im Schosse der Marktwirtschaft heranreiften und jetzt zum Ausbruch kommen.

Der ‚Akt der Gewalt’ ist daher nicht nur einfach physische Gewaltanwendung,  etwa mit dem Ziel hoher materiellen Schäden, dem Ausmass von Zerstörungen, der Anzahl von Toten oder Verwundeten, dem Zusammenbruch eines Versorgungssystems, die von Anschlägen verursacht werden, sondern psychische Destabilisierung, die Verbreitung von Schrecken, Angst, Verletzbarkeit und der Entwertung jeglicher Hoffnungen.

Krieg als Kommunikationsstrategie der Netzwerke, mit dem  Einsatz minimaler Gewaltpotenzen, um die moralischen Potenzen der Gegenseite zu unterminieren- wären etwa die Umrisse, die sich aus einer Situation kräftemässiger Unterlegenheit von Warlords, El Qaida, religiöse Fundamentalisten oder Untergrundsoldaten ergeben würden.

Kein Land der Welt ist vor ihnen sicher, und wie einst Mao Tsetung  mit seiner Formel, dass der Krieg die ‚wechselseitige Anwendung von Verteidigung und Angriff ist’, die Guerillataktik im chinesischen Bürgerkrieg begründete, so führen sie sie ad absurdum: der Krieg ernährt den Krieg, auch mit dem Ziel, ‚Selbstachtung’ und ‚Ehre’ zurückzugewinnen, die ihnen angeblich der Westen nicht geben würde. Der Krieg als dauerhaftes Betätigungsfeld, der Einkommen garantiert, einen Job, den man über die weltweit operierenden Söldnerfirmen bekommen kann, der religiös, ideologisch, nationalistisch, oder einfach verbrecherisch motiviert ist- das ist das Kriegsgeschehen  jener Globalisierung, die mit der rasanten Kommunikations- und Informationstechnik alle Überwartungen übertraf.

Die internationalen Netzwerkorganisationen sind in der Zwischenzeit  dazu in der Lage, Kriege durch die veränderten und stets im Umbruch begriffenen Finanzierungsformen oftmals über Jahre und Jahrzehnte auf Dauer als Krisenherd ‚stabil’ zu halten. Sie kaufen und verkaufen, besitzen Bohr- und Schürfrechte für die von ihnen in Abhängigkeit gehaltenen Gebiete (ökonomische Plünderungen), betreiben Drogenhandel, Menschenschmuggel, kontrollieren in einigen  Ländern sogar die Ölvorräte, erpressen im grossen Stil über wiederum in sich verzweigte Netzwerke, Lösegelder, betreiben organisierte Kriminalität in den Rotlichtbezirken aller grossen Städte dieser Welt, und haben vor allem in den afrikanischen Gebieten auch direkte oder indirekte Zugänge zu den Flüchtlingslagern, die besonders anfällig für religiöse oder ideologisch motivierte Terroristen sind.

Somit verliert der Krieg, der einst ‚politischer Zweck’ und ‚wahres ‚politisches Element’ (Clausewitz) war, viel von seiner ursprünglichen Definition. Er verlässt mehr und mehr seine alten Konturen: kriegerische Gewalt kann  heute von jedermann durchgeführt werden, der nicht vor Gewaltanwendung zurückschreckt, sich ideologisch, national oder religiös motivieren kann, sich mit Gleichgesinnten zusammenschliesst, ein Netzwerk aufbaut, und sich mit der Frage der Geldbeschaffung im grossen Stil beschäftigt. Jede Armee verliert bei diesen Akteuren die Kontrolle über sie. Operieren sie zusätzlich noch in schwer zugänglichen Gebieten, wie El Qaida in Afghanistan, dann haben selbst die USA enorme Schwierigkeiten ihren High-Tech-Krieg gegen sie zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund schwelt der Konflikt zwischen den USA und dem Irak. Die patriotische Entschlossenheit der Bush-Regierung, diesen Netzwerken das Handwerk zu legen, die Rolle der imperialen Hegemonie bis in den letzten Winkel der Welt zu tragen, lässt zwar die Entschlossenheit nicht vermissen, und offenbar fühlen sich die USA in der Rolle des Welt-Sheriffs wieder wohl, doch was auf sie zukommt, und die übrige westliche Welt, wissen wir nicht. ‚no dead’ - keine eigenen Toten, das gilt nicht mehr, für niemanden, für keine Seite. Und der ‚Schurkenstaat’, Irak, ist Bush schon lange ein Dorn im Auge. Nicht nur wegen seiner möglichen Unterstützung dieser weltweit operierenden Terror-Netzwerke, sondern auch, um sich ungehinderten  Zugang zur gesamten Golfregion zu verschaffen, Kontrolle über die  Ölfelder zu erlangen, der wichtigen Hafenstadt Basra. Über kurz oder lang wird dieser ‚Abwehrkampf’ der USA gegen ‚das Böse’, vorbei an allen UN-Resolutionen und allen Berichten derUN-Waffenkontrolleure vielleicht zu einem schicksalhaften Konflikt mutieren.

Selbst die Vernichtung des Diktators Saddam Hussein, oder Osama Bin Ladens und seiner Organisation El Qaida böten keine Gewähr dafür, dass aus der Masse von vielleicht 2 Milliarden Muslimen nicht immer neue Scharen von Gewalttätern und ‚heiligen Märtyrern’ hervorgehen könnten.

Schon kommt die Furcht auf, der irakische Diktator besitzt tatsächlich Massenvernichtungswaffen, und er könnte sie mit der Unterstützung  der terroristischen Netzwerkorganisationen gegen die verhassten Industrie-Nationen des Westens einsetzen. Ob der globale Zivilisationsanspruch Amerikas einem etwaigen konspirativen Aufbäumen dieser unberechenbaren Kräfteverschiebungen standhalten könnte?

"Alle Kriege sind nur Raubzüge". (Voltaire)

Editorische Anmerkungen

Der Autor schickte uns seinen Artikel  mit der Bitte um Veröffentlichung. In den letzten trend-Ausgaben schrieb er über

The One - Im Banne der Paralleluniversen
Der Staat, (D)ein unbekanntes Wesen
Intoleranz und den alltäglichen Rassismus
Songwriter zum 11. September 2001
When We Were Kings Hollywood und der Krieg

Dietmar Kesten schrieb früher regelmäßig für den trend und Partisan.net. Hier eine Auswahl aus seinen bisherigen Veröffentlichungen:

ASPEKTE DER ENDZEITLICHEN KRISENPHILOSOPHIE

Das "Bündnis für Arbeit" Eine auf dem Kopf stehende Pyramide

Kommentare & Exkurse zum Kosovo-Krieg 1999