Vor einem neuen Irak Krieg?
von Dietmar Kesten
GELSENKIRCHEN zum Jahreswechsel 2002/3
12/02 trend onlinezeitung Briefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin Die allgemeine Erkenntnis des 11. September 2001 muss wohl in der Aussage gipfeln, dass es im Zeitalter der Globalisierung keiner grossen Kriege mehr bedarf, um die Menschheit ins Unglück zu stürzen und sie zu vernichten. Das Zeitalter der zwischenstaatlichen Konflikte dürfte mit dem 2. Weltkrieg, dem Korea-Krieg, dem Vietnam-Krieg, den Auseinandersetzungen zwischen China und Vietnam, dem Irak und Iran, zwischen Äthiopien und Eritrea, doch spätestens, und hier in abgewandelter Form, mit dem 1. Golfkrieg aus dem Januar 1991 beendet sein, damit auch der klassische Staatenkrieg. Aber: was ist Krieg, was ist als Krieg zu bezeichnen und was nicht, und wodurch zeichnen sich neue, oder andere als die uns bisher bekannten aus?
Ist der Krieg, die Geissel der Menschheit schlechthin, gar verschwunden? Sind die Militärs etwa friedlich geworden, die diktatorischer Machthaber und machtbesessener Kämpfer aus internationalen Netzwerken und verzweigten Terrororganisationen?
Diese Fragen drängen sich auf, wenn man sich in der Retrospektive mit den fürchterlichen Attentaten des 11. September, und der damit auch sicherlich einsetzenden veränderten Form der Gewalt in der Kriegsgeschichte beschäftigt. Zwar ist dieses Datum nicht der historische Wendepunkt schlechthin, und schon gar nicht der Anlass für das kontinuierliche Aufrüsten der US-Militärmaschinerie. Doch die Vernichtung des World Trade Center ist die Botschaft der Globalisierung, dass die Welt nicht gut ist, und die Menschen nicht lieb sind. Der Blick richtet sich dabei auf Nordirland, das Basken-Land, Algerien, Schwarzafrika, Kaschmir, die Philippinen, auf den Nahen-Osten, auf den Balkan und auf einen neuen Konfliktherd, den es erneut um den Irak geben könnte.
Der Krieg hat von der Öffentlichkeit lange Zeit unbemerkt, seine Erscheinungsform verändert. Das auf spektakuläre Art und Weise begangene Verbrechen in den USA verdeutliche nur, dass heute Warlords, Terroristen und gedungene Söldner das Bild bestimmen, und ihre Gewalt, die sie für ihre todbringenden Ideologien ausüben, sich heute gegen die Zivilbevölkerung, gegen Hochhäuser, gegen Eisenbahnverbindungen, gegen Verkehrsknotenpunkte, gegen U-Bahnen und Menschenansammlungen richten. Das sind die neuen Schlachtfelder, und die Medien transportieren sie wohlgefällig ins heile Heim, Fernsehbilder, die wir seit Peter Arnett aus dem 1.Golfkrieg kennen, werden so zur Waffe der Dauerberieselung. Selbst die Unterscheidung von Krieg und Frieden ist brüchiger denn je. Was heute als Friedensschluss gilt, ist schon morgen wieder Makulatur, und was morgen als Friedensprozess verkauft wird, endet übermorgen in neue kriegerische Auseinandersetzungen. Dort, wo die modernen Staaten nicht mehr die Monopolisierung der militärischen Gewalt besitzen, tritt an die Stelle der Friedensschlüsse ein stets vom Scheitern bedrohter Friedensprozess. Das alleine zeigt die Dimensionen von Krieg und Frieden im 21. Jahrhundert auf, und es stellt sich mit Berechtigung die Frage: wohin treiben wir? Seit den Terrorangriffen auf das World Trade Center und das Pentagon ist die ursprüngliche Aussage Bushs, dass wir nun ein ‚Kreuzzug gegen das Böse’ führen werden, der eigentliche Hinweis darauf, worum es geht: um lange innergesellschaftliche Konflikte, die in sich wiederum der Auftakt zu einer ganzen Serie von Straf- und Vernichtungsfeldzügen werden könnten, in grauenvolle Stammeskriege enden, wie etwa in der westafrikanischen Republik Sierra Leone und in Zentralafrika, wo mindestens, ohne dass diesen Völkermord die breite Weltöffentlichkeit zur Kenntnis genommen hat, mindestens zwei Millionen Menschen eines gewaltsamen Todes gestorben sind, oder in ‚Strafexpeditionen’ des fundamentalistischen Terrorismus.
Krieg ist nach der Definition des Militärstrategen CLAUSEWITZ ein ‚Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen’. In diesem Sinne dürften die neuen Kriege heute nicht eine einfache geografische Umverteilung sein, Ausplünderung der nationalen Ressourcen eines Landes, Eroberung von Gebieten, sondern sie sind eine neue Qualität, die im Schosse der Marktwirtschaft heranreiften und jetzt zum Ausbruch kommen.
Der ‚Akt der Gewalt’ ist daher nicht nur einfach physische Gewaltanwendung, etwa mit dem Ziel hoher materiellen Schäden, dem Ausmass von Zerstörungen, der Anzahl von Toten oder Verwundeten, dem Zusammenbruch eines Versorgungssystems, die von Anschlägen verursacht werden, sondern psychische Destabilisierung, die Verbreitung von Schrecken, Angst, Verletzbarkeit und der Entwertung jeglicher Hoffnungen.
Krieg als Kommunikationsstrategie der Netzwerke, mit dem Einsatz minimaler Gewaltpotenzen, um die moralischen Potenzen der Gegenseite zu unterminieren- wären etwa die Umrisse, die sich aus einer Situation kräftemässiger Unterlegenheit von Warlords, El Qaida, religiöse Fundamentalisten oder Untergrundsoldaten ergeben würden.
Kein Land der Welt ist vor ihnen sicher, und wie einst Mao Tsetung mit seiner Formel, dass der Krieg die ‚wechselseitige Anwendung von Verteidigung und Angriff ist’, die Guerillataktik im chinesischen Bürgerkrieg begründete, so führen sie sie ad absurdum: der Krieg ernährt den Krieg, auch mit dem Ziel, ‚Selbstachtung’ und ‚Ehre’ zurückzugewinnen, die ihnen angeblich der Westen nicht geben würde. Der Krieg als dauerhaftes Betätigungsfeld, der Einkommen garantiert, einen Job, den man über die weltweit operierenden Söldnerfirmen bekommen kann, der religiös, ideologisch, nationalistisch, oder einfach verbrecherisch motiviert ist- das ist das Kriegsgeschehen jener Globalisierung, die mit der rasanten Kommunikations- und Informationstechnik alle Überwartungen übertraf.
Die internationalen Netzwerkorganisationen sind in der Zwischenzeit dazu in der Lage, Kriege durch die veränderten und stets im Umbruch begriffenen Finanzierungsformen oftmals über Jahre und Jahrzehnte auf Dauer als Krisenherd ‚stabil’ zu halten. Sie kaufen und verkaufen, besitzen Bohr- und Schürfrechte für die von ihnen in Abhängigkeit gehaltenen Gebiete (ökonomische Plünderungen), betreiben Drogenhandel, Menschenschmuggel, kontrollieren in einigen Ländern sogar die Ölvorräte, erpressen im grossen Stil über wiederum in sich verzweigte Netzwerke, Lösegelder, betreiben organisierte Kriminalität in den Rotlichtbezirken aller grossen Städte dieser Welt, und haben vor allem in den afrikanischen Gebieten auch direkte oder indirekte Zugänge zu den Flüchtlingslagern, die besonders anfällig für religiöse oder ideologisch motivierte Terroristen sind.
Somit verliert der Krieg, der einst ‚politischer Zweck’ und ‚wahres ‚politisches Element’ (Clausewitz) war, viel von seiner ursprünglichen Definition. Er verlässt mehr und mehr seine alten Konturen: kriegerische Gewalt kann heute von jedermann durchgeführt werden, der nicht vor Gewaltanwendung zurückschreckt, sich ideologisch, national oder religiös motivieren kann, sich mit Gleichgesinnten zusammenschliesst, ein Netzwerk aufbaut, und sich mit der Frage der Geldbeschaffung im grossen Stil beschäftigt. Jede Armee verliert bei diesen Akteuren die Kontrolle über sie. Operieren sie zusätzlich noch in schwer zugänglichen Gebieten, wie El Qaida in Afghanistan, dann haben selbst die USA enorme Schwierigkeiten ihren High-Tech-Krieg gegen sie zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund schwelt der Konflikt zwischen den USA und dem Irak. Die patriotische Entschlossenheit der Bush-Regierung, diesen Netzwerken das Handwerk zu legen, die Rolle der imperialen Hegemonie bis in den letzten Winkel der Welt zu tragen, lässt zwar die Entschlossenheit nicht vermissen, und offenbar fühlen sich die USA in der Rolle des Welt-Sheriffs wieder wohl, doch was auf sie zukommt, und die übrige westliche Welt, wissen wir nicht. ‚no dead’ - keine eigenen Toten, das gilt nicht mehr, für niemanden, für keine Seite. Und der ‚Schurkenstaat’, Irak, ist Bush schon lange ein Dorn im Auge. Nicht nur wegen seiner möglichen Unterstützung dieser weltweit operierenden Terror-Netzwerke, sondern auch, um sich ungehinderten Zugang zur gesamten Golfregion zu verschaffen, Kontrolle über die Ölfelder zu erlangen, der wichtigen Hafenstadt Basra. Über kurz oder lang wird dieser ‚Abwehrkampf’ der USA gegen ‚das Böse’, vorbei an allen UN-Resolutionen und allen Berichten derUN-Waffenkontrolleure vielleicht zu einem schicksalhaften Konflikt mutieren.
Selbst die Vernichtung des Diktators Saddam Hussein, oder Osama Bin Ladens und seiner Organisation El Qaida böten keine Gewähr dafür, dass aus der Masse von vielleicht 2 Milliarden Muslimen nicht immer neue Scharen von Gewalttätern und ‚heiligen Märtyrern’ hervorgehen könnten.
Schon kommt die Furcht auf, der irakische Diktator besitzt tatsächlich Massenvernichtungswaffen, und er könnte sie mit der Unterstützung der terroristischen Netzwerkorganisationen gegen die verhassten Industrie-Nationen des Westens einsetzen. Ob der globale Zivilisationsanspruch Amerikas einem etwaigen konspirativen Aufbäumen dieser unberechenbaren Kräfteverschiebungen standhalten könnte?
"Alle Kriege sind nur Raubzüge". (Voltaire)
Editorische Anmerkungen
Der Autor schickte uns seinen Artikel mit der Bitte um Veröffentlichung. In den letzten trend-Ausgaben schrieb er über
The One - Im Banne der Paralleluniversen
Der Staat, (D)ein unbekanntes Wesen
Intoleranz und den alltäglichen Rassismus
Songwriter zum 11. September 2001
When We Were Kings Hollywood und der KriegDietmar Kesten schrieb früher regelmäßig für den trend und Partisan.net. Hier eine Auswahl aus seinen bisherigen Veröffentlichungen:
- KAPITALFONDS IN NOT
- THE TRUMAN SHOW
- ROT - ROT- GRÜN SIND ALLE MEINE FARBEN
- IGNATZ BUBIS UND MARTIN WALSER DER GEIST AUS DER FLASCHE
- STERBLICHES UND UNSTERBLICHES VERGESSEN
- ZUM TOD VON NIKLAS LUHMANN
- OTTO SCHILY UND DER "RECHTSSTAAT"
- ÜBER STEVEN WEINBERG BIS ZU MARTIN REES
- AUFSTEIGENDE ANGST DIE RAUHE SEITE DER GELDDINGE
- Wenn die Brandglocken läuten
- Der Kosovo brennt - Über das Vergessen
- DIE IRRFAHRTEN DES HERRN SCHRÖDER
- ERSCHLÄGT HITLER DIE GESCHICHTE?
- SCHARPING AUF DEN SPUREN SCHRÖDERs
- Die Option der NATO
- DER SCHMALE GRAT - KRIEG IST DAS ENDE
- Die Trugbilder der Medien
- DER KRIEG IN DEN KÖPFEN
- Deutsche Innenpolitik und vergessene Kriege
- Anatomie der Kriege
- Aus einem fernen Land Mediale Welten auf Abwegen
- DENK" ICH AN BERLIN IN DER NACHT, BIN ICH UM MEINEN SCHLAF ...
- HEIMSUCHUNG ODER ERLÖSUNG?
- THE MATRIX WAS IST REALITÄT?
ASPEKTE DER ENDZEITLICHEN KRISENPHILOSOPHIE
- Teil I: Die Dekonstruktion des bürgerlichen Fortschrittsbegriffs
- Teil II: Das "Ganzheits"-Denken und der Anti-Intelektualismus
- Teil IIIa Die Paranoia des "Ufo"-Papstes Johannes von Buttlar
- Teil IIIb Johannes von Buttlar (Fortsetzung & Schluß)
- Teil IVa Von Star Trek bis Independence Day
- Teil IVb Eschatologie und Geschichte
- Teil V Der Irrationalismus hat viele Gesichter
- Teil VI a Uri Geller
- Teil VI b Uriella
- Teil VII a Space Tours und Flugstunden
- Teil VII b Space Tours und Flugstunden
- Teil VIII THE LOST PARADISE - BIS ALLES ZERFLIEßT
Das "Bündnis für Arbeit" Eine auf dem Kopf stehende Pyramide
- Ein historischer Rückblick (Teil I)
- Auf der Suche nach dem verlorenenen Bündnis (Teil II)
- Trugbilder (Teil lII)
- Der Neubeginn (Teil IV)
- Geschichten im Wahljahr (Teil V)
Kommentare & Exkurse zum Kosovo-Krieg 1999
- Mitten in die Dinge hinein
- Irgendwo ist immer Kosovo
- Die grosse Armut der Friedenserziehung
- Der Krieg ist der König des Geistes - jeder Friedensplan ist trügerisch
- Fetisch Kosovo-Krieg / Teil A: Krieg bleibt populär
- Fetisch Kosovo-Krieg / Teil B: Wenn die Marktmechanismen greifen
- Kollateralschäden - Bomben töten immer Menschen
- Mythos Amselfeld
- Das Fernsehen - Die Megamaschine des Krieges
- Der Untertan - Proklamation eines zeitgemäßen Dogmas
- Die NATO und der Luftkrieg - Douhet hält Einzug
- Deutsche Misere
- Was geschieht mit den Flüchtlingen?
- Wessen Schuld? Krieg im Kosovo - Jenseits aller Illusionen
- Der Krieg und die öffentlichen Räume
- Die Barbarei des Krieges