Kraushaars Enthüllungen
Die Verschwörung des Blocks der Haschrebellen und anderen Antisemiten gegen Israel (Teil 4)

von Karl-Heinz Schubert

12/05

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Die Subkultur der westberliner Jugend- und Studentenbewegung war vor allem im maroden Kneipenmilieu der Halbstadt zuhause. Heruntergekommene Kneipen – wie der Schotte oder Hertha, Leydecke oder die Meisengeige - bildeten gleichsam das verlängerte Wohnzimmer ihrer jugendlichen Gäste. Schließlich wohnte damals nur ein Bruchteil der revoltierenden Jugend in WG´s. Damit verbunden gab es die verschiedensten Versuche, an den Rändern der Alltagskultur Bereiche von linker Gegenkultur zu etablieren: Buch-, Kinder- und Schülerläden, ein Rotes Studenten- und Arbeiterkino (RoStA), Zeitungen wie die Agit 883, Klamotten-, Poster-, Plattenläden usw. In der Vielfalt dieser Unternehmungen gab es freilich ein verbindendes Element: Die spätkapitalistische Gesellschaft sollte in eine freie kommunistische transformiert werden.(siehe dazu: Aufbruch zum Proletariat)

Dieser Transformationsprozess konnte nur als "organisierte Verweigerungsrevolution" gelingen, so der Konsens – wie ihn Rudi Dutschke in der Denktradition der Kritischen Theorie formuliert hatte, wenn die revoltierende Jugend, die aus verschiedenen Klassen und Schichten entstammte, das Proletariat von seiner historische Mission überzeugen könnte.

Die proletarischen Massenstreiks im September 1969 in NRW, Bremen und Westberlin desavouierten dieses Konzept endgültig. Die Lohnabhängigen brauchten für die Formulierung und Durchsetzung ihrer Interessen keine Geburtshelfer. Damit war die Revolte endgültig mit ihren Konzepten gescheitert. Angesichts der neu gegründeten DKP und KPD/ML, sowie der trotzkistischen Jugendorganisation Spartacus entdeckten nun ihre Protagonisten, gestützt durch den Rückgriff in die Geschichte, die Kommunistische Partei. Jetzt hießen die Parolen: Den Parteiaufbau vorantreiben und dem Volke dienen! Ideologisch gewendet: Revolutionäre Politik ist am Grundwiderspruch von Lohnarbeit und Kapital zu orientieren. Die vormals internationalistische Orientierung, wie sie durch den Vietnamkongress im Frühjahr 1968 bestimmt worden war, wurde zweitrangig.

Signale aus der Subkultur

Kraushaar stellt nun in seinem „Bombenbuch“ die Lage so dar, als wäre die ideologische und politisch praktische Entwicklungsgeschichte der handvoll Junkies aus der „Wielandkommune“ hin zu einem „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen“ in jenen Auf- und Umbrüchen des Jahres 1969 quasi exemplarisch für diesen Zeitabschnitt. Dieses kurzweilige Bild erscheint plausibel; ist es doch eingängig, kommt dem Alltagsbewußtsein entgegen (Personen machen Geschichte) und ist schon gar nicht das schwer verdauliche komplizierte Ergebnis eines Versuchs, in der Fülle des historischen Materials – ausgehend von den materiellen Verhältnissen - die inneren und bestimmenden Strukturen des Untersuchungsgegenstandes aufzudecken.

Bleiben wir mit Kraushaar auf der Erscheinungsebene, so ist festzustellen, dass die "Haschrebellen" nicht die einzige Gruppierung waren, die von sich behauptete, auf diese Subkultur politisch einwirken zu wollen. Ebenfalls 1969, aber bereits vor den Haschrebellen trat - vergleichbar mafiotisch organisiert - in der Halbstadt eine Gruppe in Erscheinung, die von sich behauptete, für den Aufbau eines Sozialistischen Zentrums zu kämpfen. Diese informelle Gruppierung, die über den Republikanischen Club erreichbar war, setzte die Wirte der Szenekneipen mit militanten Sprüchen, die über die Agit 883 verbreitet wurden, und gezielten Aktionen unter Druck, damit diese einen Teil von ihrem Gewinn für ein Sozialistische Zentrum spendeten.


Anonymer Beitrag aus der Agit883, Nr. 11, S. 2 vom 24.4.1969

Die Idee, ein sozialistisches Zentrum zu schaffen, resultierte aus dem Hinwendungsprozess zum Proletariat, wie er sich in Westberlin bei der  Schaffung einer Reihe von so genannten universitären Ad-hoc-Gruppen herausgebildet hatte. Das sozialistische Zentrum sollte einem ZK gleich der Kopf jener Sozialistischen Massenorganisation sein.


Agit883, Nr. 19, Titelseite vom 19.6.1969

In diesen Prozessen spielte der Eskapismus der Kommune 1 und ihrer Lightversion namens "Wielandkommune" keine Rolle. Die Umetikettierung in "Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen" war lediglich ein formaler Akt. Auf dem Höhepunkt ihrer politischen Bedeutungslosigkeit nach dem Ebrach-Camp entdeckte schließlich ein verlorenes Häuflein (Ina Siepmann, Lena Conradt, Georg von Rauch und Albert Fichter)  um Dieter Kunzelmann im selbst gewählten Exil sozusagen aus dem Bauch heraus den Anti-Imperialismus. "In einer endlosen Nachtdiskussion in einer eleganten Wohnung zu Roma wurde die Idee geboren, statt zu den Erdbebenopfern nach Sizilien zur AL Fatah nach Palästina zu fahren." ( D. Kunzelmann, Leisten Sie keinen Widerstand! S. 120)

Leider wussten Kunzelmann & Co. rein gar nichts über die politische Situation in Nahost. So klauten die "Haschrebellen" während der Anreise alle Bücher zum Thema aus der Bibliothek des Goethe-Instituts in Ankara (Kunzelmann, ebd. S.121), welche in einem 14tägigen Selbststudium an der türkischen Mittelmeerküste zur Kenntnis genommen wurden. (Ebd.) Drogen waren nun strengstens verboten (sic!), erinnert sich Albert Fichter (Kraushaar, ebd. S.244). Bei der Al Fatah wurden die westberliner Polit-Touristen dann "gründlichst" politisch geschult und "solide" an Waffen ausgebildet (Kunzelmann, ebd. S. 123).

Dies waren in etwa die theoretische Fundamente (also keine), vom dem aus eine antiimperialistische Praxis in Westberlin durch die "Haschrebellen" als Propaganda der Tat entfaltet wurde. Der damals seitens der "Haschrebellen" alias SCHWARZE RATTEN TW  anlässlich des Anschlages auf das jüdische Gemeindehaus verbreitete Text widerspiegelt nicht nur das politische Abseits, sondern auch die ganze theoretisch-inhaltliche Hohlheit dieser Gruppe. Danach erst (!!) setzte eine theoretische Beschäftigung mit dem Imperialismus und politischen Gegenstrategien ein. Kunzelmann schreibt dazu: "Ich zog mich in meine konspirative Wohnung zurück, studierte die zwischenzeitlich erschienenen Raubdrucke über die Taktik der südamerikanischen Guerillagruppen, über die Weatherman in den USA und die Black Panther Party, um mich auf den Stand der einschlägigen Berliner Diskussion zu bringen." (ebd. S. 126). Doch was fand er außer Politberichten an theoretischen Positionen vor?

Der antiimperialistische Blick

Der Vietnamkongress vom 17. und 18. Februar 1968 hatte zwar den Bruch mit der kontemplativen Seite der Kritischen Theorie vollzogen, indem er sich für die internationale Organisierung einer anti-imperialistischen Praxis aller linksradikalen Kräfte aussprach, doch gleichzeitig endete er, ohne ein Ergebnis in Sachen theoretischer Durchdringung der imperialistischen Verhältnisse erzielt zu haben. Die HerausgeberInnen des Kongressreaders - Wolfgang Dreßen, Sibylle Plogstedt, Gerhart Rott beschreiben im Vorwort diese Situation:

"Eine Wiederbelebung des sozialistischen Internationalismus in Europa war auf diesem Kongreß über die vietnamesische Revolution möglich, weil die Solidarität mit der vietnamesischen Revolution zu einer wichtigen politischen Aufgabe für alle sozialistischen, linkssozialistischen und kommunistischen Organisationen geworden ist. Gerade die vietnamesische Revolution zeigt uns, wie man Sektierismus und falsche Widersprüche überwindet. Zwar konnte auf der Konferenz noch keine grundlegende theoretische Diskussion geführt werden, die Referate hatten zum Teil einen in diesem Stadium notwendigen agitatorischen Charakter, aber es zeigten sich die Ähnlichkeiten im antiimperialistischen Kampf, die Notwendigkeit einer Koordination und als Perspektive die Möglichkeit eines Internationalismus neuen Typs, der aus diesem gemeinsamen antiimperialistischen Kampf resultieren könnte. Diesem Internationalismus entspräche eine weiterzuentwickelnde Theorie und Praxis, die die falschen Alternativen "Vietnam" oder "Arbeiterpolitik" überwinden und aufweisen, daß die Krisenmomente innerhalb des Gesamtsystems des amerikanischen Imperialismus zu begreifen sind."

Dieses - der theoretischen Not gehorchende Prinzip - "Erst Einheit, dann Klarheit" - sollte sich wie ein Roter Faden durch die kommenden eineinhalb Jahre der Hinwendung zum Proletariat als das theoretisch bestimmte historische Subjekt ziehen.

Im Grunde genommen konkurrierten beständig zwei theoretische Grundpositionen miteinander. Auf der einen Seite eine spezifische Variante der Kritischen Theorie, ausformuliert in etlichen schriftlichen und mündlichen Darlegungen von Rudi Dutschke.

Anschließend an Horkheimer und Marcuse betrachtete er den Klassenwiderspruch zwischen Proletariat und Bourgeoisie in den Metropolen als aufgehoben in den Widerspruch zwischen Individuum und Staat, wobei der Staat sich selber zum "autoritären Staat" transformiert, der seine Herrschaft auf Manipulation und Konsumterror stützt.

"In den Metropolen ist die Lage nämlich gegenwärtig prinzipiell verschieden: unsere Herren an der Spitze sind völlig fungibel, jederzeit durch neue bürokratische Charaktermasken ersetzbar. Wir können sie nicht einmal hassen, sie sind Gefangene und Opfer der repressiven Maschinerie. Unsere Gewalt gegen die unmenschliche Staatsmaschinerie, gegen die Manipulationsinstrumente ist die organisierte Verweigerung. Wir stellen uns mit unseren unbewaffneten Leibern, mit unserem ausgebildeten Verstand den unmenschlichsten Teilen der Maschinerie entgegen, machen die Spielregeln nicht mehr mit, greifen vielmehr bewußt und direkt in unsere eigene Geschichte ein Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist, daß die .politische Machtergreifung" einer Gruppe, Clique oder auch spezifischen Klasse für die gegenwärtige Phase der gesellschaftlichen Entwicklung keine Möglichkeit mehr zu sein scheint. Der Prozeß der organisierten Verweigerungs-Revolution ist ein für die Menschen sichtbarer und von ihnen verursachter tendenzieller Zusammenbruch der etablierten Apparate. Die selbsttätigen Menschen werden ihre eigenen Kräfte dann endlich als die gesellschaftlich mächtigen erkennen, werden ihre erlittene Unmündigkeit und Apolitizität im Verlaufe ihres immer bewußter werdenden Kampfes verlieren."  (Gaston Salvatore & Rudi Dutschke, Einleitung zu CHE GUEVARA: Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam, 1967, S.5)

Diese Vorstellung schlägt ungebrochen durch bis Ende 1969, wo das Argumentheft 51 sich ausschließlich der "Politischen Ökonomie des gegenwärtigen Imperialismus" widmet. Darin behauptet Hans-Georg-Isenberg, dass der Imperialismus nicht aus der inneren ökonomischen Logik der Kapitalverwertung resultiert, sondern seine Ursachen in "machtpolitisch-ideologischen" Herrschaftsmotiven hat, wie sie sich aus dem Überbau, dem Staatsapparat ableiten. (Argument 51, S.50-65)

Auf der anderen Seite gab es in der Jugend- und Studentenbewegung die so genannten Traditionalisten, die,  ideologisch und politisch orientiert an der KPD/DKP oder am Trotzkismus, an den Essentials der Leninschen Imperialismustheorie festhielten. In der 1967 im SDS-Verlag "neue kritik"  herausgegebenen Schulungsbroschüre von E. Mandel "Einführung in die Marxistische Wirtschaftstheorie" heißt es dazu:

"Der Kapitalismus beginnt, sich in der ganzen Welt mittels des Kapitalexports auszubreiten. Dies gestattet es, in allen Ländern oder Wirtschaftszweigen, kapitalistische Unternehmen zu errichten, in den es noch keine Monopole gibt. Die Folge dieser Monopolisierung bestimmter Industriezweige und der Ausbreitung des Monopolkapitalismus in gewissen Ländern ist die Reproduktion der kapitalistischen Produktionsweise in Industriezweigen, die bisher nicht monopolisiert waren, und in Ländern, die bisher noch nicht kapitalistisch waren....Jedes Land der Welt wurde so zum Einflußgebiet des Kapitalismus und in Feld für Kapitalinvestitionen verwandelt." (S.42f)

Erkenntnistheoretisch betrachtet konkurrierten hier also Idealismus und Materialismus bis Ende 1969 innerhalb der Jugend- und Studentenbewegung miteinander, ohne dass der Widerspruch offensichtlich und damit antagonistisch wurde. Zu dieser Koexistenz trug zweifellos der Maoismus bei, der seit 1966 eher folkloristisch Eingang (Die "Rote Garde" von Berlin) in der Jugend- und Studentenbewegung gefunden hatte.

1965 hatte Lin Biao zum 20. Jahrestag des "Sieges des chinesischen Volkes im Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression" einen Artikel mit dem Titel "Es lebe der Sieg im Volkskrieg" veröffentlicht. Hierin vertrat er die Ansicht, dass sich der aktuelle Hauptwiderspruch in der Welt folgendermaßen darstelle:

"Seit Ende des zweiten Weltkriegs ist die proletarische revolutionäre Bewegung in den nordamerikanischen und westeuropäischen kapitalistischen Ländern aus verschiedenen Gründen vorübergehend verzögert worden, während die revolutionäre Bewegung der Völker in Asien, Afrika und Lateinamerika sich kraftvoll entwickelt hat. In einem gewissen Sinn befindet sich die gegenwärtige Weltrevolution auch in einer Lage, bei der die Städte durch ländliche Gebiete eingekreist sind. Die ganze Sache der Weltrevolution hängt in letzter Analyse von den revolutionären Kämpfen der asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Völker ab, welche die überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung sind." (S.53f)

Damit war eine Kompatibilität mit der Kritischen Theorie hergestellt, für die der Klassenkampf in den Metropolen ebenfalls  - allerdings aus völlig anderen Überlegungen - nicht mehr existierte.

Editorische Anmerkungen:

Der Teil 1 erschien in der Septemberausgabe, Teil 2 in der Oktoberausgabe und der 3. Teil in der Novemberausgabe. Der fünfte Teil wird sich damit befassen, wie das damalige Kaleidoskop der Imperialismustheorien auf die Lage im Nahen Osten angewandt wurde. Kurzum wie der Philosemitismus sich in einen Antizionismus verwandelte.

Dieser Artikel wird ergänzt durch die Aufsatzsammlung:


High sein, frei sein,
Terror muss dabei sein!!