Kraushaars Enthüllungen
Die Verschwörung des Blocks der Haschrebellen und anderen Antisemiten gegen Israel (Teil 3)

von Karl-Heinz Schubert

11/05

trend onlinezeitung
“Wer hat die Bombe gelegt und was ist aus dem Attentäter geworden? Diese Fragen können nun, 35 Jahre danach, endlich beantwortet werden.“ Mit diesem Sprüchlein labelt der „Reemtsma-Verlag“, die Hamburger Edition, im hinteren Umschlagtext das „Bombenbuch“ seines Mitarbeiters als Produkt eines soliden Journalismus. Doch entgegen der Selbstreferenz im Klappentext, will Kraushaar eigentlich keine „historischen Hintergründe“ und „politischen Zusammenhänge“ entziffern, sondern vornehmlich „beteiligte Personen“ portraitieren. Widersprüche, die dabei auftreten, werden zu Nebensächlichkeiten, wie Markus Mohr und und Hartmut Rübner zutreffend in ihrer kritischen Würdigung des "Bombenbuches" in der Jungen Welt feststellen.

So belegen sie in ihrem Artikel, dass die proletarische Ikone des „Zentralrats der umherschweifenden Haschrebellen“, Bodo Saggel,  kurze Zeit nach dem Anschlag aus freien Stücken zur Polizei ging, um dort Albert Fichter, Georg von Rauch und Dieter Kunzelmann als Täter für den Sprengstoffanschlag auf das jüdische Gemeindehaus zu denunzieren, weil er „etwas für die Juden übrig habe“.   

Solche Tatsachen kümmern Kraushaar wenig. „Mündlich erfragte Geschichte", wie sie Kraushaar zu Topsellern formt, bedarf keiner besonderen Logik. Kraushaars Oberzeitzeuge der Haschrebell Michael (Bommi) Baumann gilt zwar unter seinen Ex-Genossen als „halbseidene Figur“, dennoch behauptet Kraushaar, dass es bislang keine „ernstzunehmende  zeithistorisch analysierende Literatur“ zur Frage des Übergangs der „Haschrebellen“ zu „bewaffneten Gruppierungen“ gibt.  „Am genauesten“ ließe sich der Übergang – so Kraushaar – nur in Baumanns Buch „Wie alles anfing“ nachverfolgen. Er empfiehlt für diesen Zweck insbesondere die Seiten 44-83, d.h. Kraushaar geht offensichtlich davon aus, dass Baumanns Einlassungen die historischen Abläufe dieses „Übergangs“ in etwa richtig wiedergeben. Dies löst gewisse Irritationen aus, denn auf der anderen Seite präsentiert er den Baumann, als das was er in linken Zusammenhängen war: Fixer, Dealer, Denunziant. 

Maulhelden, fliegende Händler und Singvögel

Es fällt auf, dass wenn sich Leute aus dem "Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen" über ihre Ex-Genossen äußern, sie immer eine Reihe von Gemeinheiten zwar nicht über sich wohl aber über die anderen zu erzählen wissen.

So schreibt "Knofo" (Norbert Knofo Kröcher) über Bommi Baumann: "Ein Junkie, der sich bereits Anfang der 70er - bevor alles anfing - mit Geldern der Bewegung nach Asien absetzte. Ein ebenso großmäuliger wie ängstlicher Zeitgenosse, dessen Aussagen über die Mitglieder der "Bewegung 2. Juni" dutzende von Seiten in unseren Stasiakten (und nicht nur dort...) füllen."

Dieter Kunzelmann, Namensgeber des Kiffer-Zusammenschlusses,  beschwert sich über  Rainer Langhans, 1969 beide zeitweilig in Berlin-Moabit, inhaftiert: "Niemals hätte ich Rainer L. zugetraut, hinter meinem Rücken eine gemeinsame Verteidigungslinie zu sabotieren, um letztlich auf meine Kosten früher aus dem Knast zu kommen." ( Kunzelmann, Dieter, Leisten Sie keinen Widerstand! S.111)

Albert Fichter über Dieter Kunzelmann: "Der hat immer wieder ganz zielstrebig versucht, die wunden Punkte seiner Mitkommunarden herauszufinden, um sie dann unter Drogeneinfluss zu bestimmten Aktionen erpressen zu können." ("Bombenbuch", S. 240)

Baumann über seine "Mit"-GenossInnen: "Georg ist verhaftet worden, Tommy (Thomas Weisbecker) saß denn, Zupp, Knoll, Reiche, alles saß, waren alle im Knast und haben Prozesse gekriegt. Ich habe in der Zeit, in der ich im Knast saß, immer noch versucht, den Leuten zu sagen, das ist falsch die Taktik, die ihr da macht. Diese vollkommen sinnlose Bomberei jede Nacht irgendwo." (Wie alles anfing, S. 94)

Was war das nun für ein Zusammenschluss, der noch heute linke Leute veranlasst, ihnen verherrlichende Websites zu widmen?

Zweifellos hat Michael (Bommi) Baumanns  1975 erschienene Lebensbeichte "Wie alles anfing" dazu beigetragen, den Mythos von der kiffenden und kämpfenden Spaßguerilla zu installieren. Der BRD-Staat tat sein übriges. Er verbot dieses Buch und sorgte gewollt für eine breite Solibewegung, damit dieses Buch wieder legal erscheinen konnte. Damit war der Inhalt im linken Spektrum tabuisiert. Baumanns Lügen wurden seitdem für bare Münze genommen.

„Ganz bestimmte Dealertypen haben wir nicht gerne gesehen, die einfach nur Kohle gemacht haben oder so. Aber wir haben auch selber gedealt, von irgendetwas mußt du ja leben; wir haben zig Leute gekannt, an die wir Shit verkauft haben, das war ja das einzige, was wir überhaupt noch hatten. Du hast richtig mit und von der Droge gelebt.“ So Bommi Baumann, in seinem Buch „Wie alles anfing“ (S.57) über die „gute Zeit“ vom Sommer 1969 bis Anfang 1970.

Richtig der "Zentralrat" war eine Dealerorganisation. Doch so beschönigend, wie Baumann dies darstellt: „Da hat sich dann die 883, diese Undergroundzeitung gebildet und wir sind denn sofort da mit eingestiegen und haben jede Woche  mit Artikel drin veröffentlicht.“ (Baumann S. 55, Text wie im Original). verhielt es sich damals - 1969 - nicht. Der Firmenname sollte zwar ein Verächtlichmachen der überwiegend studentischen Versuche eine proletarisch-revolutionäre Politik zu entfalten darstellen, aber die 1969 als fliegende Händler durchgezogenen zwei drei spektakulären Aktionen (Smoke-In., Knastcamp Ebrach, Steine auf die Bullen), brachten den Baumann und Co. nur den Vorwurf ein, "konterrevolutionäre schwarze Ratten" zu sein. Die "Haschrebellen" konterkarierten den Vorwurf, in den sie nun als "Schwarze Ratten Tupamaros Westberlin (TW)" auftraten.

In der Agit 883, die Baumann bewußt irreführend wie das Zentralorgan der Haschrebellen behandelt, erschienen zwischen Juli 1969 bis Dezember 1969 etliche Artikel, die aus unterschiedlichen Richtungen den "Zentralrat" als kleinbürgerliche Dealertruppe angriffen. In der Nr. 41 der 883 vom 20.11.1969 teilte schließlich die Redaktion gerade auch wegen des irren Anschlags auf das jüdische Gemeindehaus mit,  sie werde keine Texte von dieser Gruppierung mehr veröffentlichen.

Der "Zentralrat" war freilich auch mehr als nur eine Dealerorganisation. Politisch-ideologisch betrachtet war er eine anarchistische Gruppierung, die dem gewöhnlichen Terror aufklärende Wirkung ("Propaganda der Tat") beimaß  (Siehe dazu die entsprechenden Dokumente in der Serie "Aufruhr & Revolte"). Sie zog solche Leute an, die sich im tiefen Widerspruch zu den gesellschaftlichen Verhältnissen empfanden, doch gleichzeitig verbindliche Formen der politischen Organisierung vehement ablehnten. Alles, was mit proletarischen Lebensbedingungen im Kontext von Lohnarbeit und Klassenkampf zu tun hatte, war ihnen in ihrer individuellen Eskapade zutiefst zuwider.

"Beim Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen ging's vor allem darum, die Studenten zu ärgern. Weil die doch damals schon anfingen, Parteien zu gründen und lauter so hochtrabende Bezeichnungen erfanden. Es war eine Verkackeierung. Eine Antwort darauf gab's dann auch mit dem Zentralrat der umherschweifenden Wermutbrüder." erinnert sich Ralf Reinders 1992 und fügt hinzu: "Wir haben die Leute, die das gemacht haben, dann näher kennengelernt. Wir saßen dann einige Male zusammen und haben gequatscht, was wir machen können, wenn die Bullen kommen."

"Wir", das waren Ralf Reinders und seine Genossen aus Reinickendorf. Sie waren eher die Randfiguren dieses Zusammenschlusses, der von der "Wielandkommune" ausgehend mit Resten der K1 um Kunzelmann und Langhans einige junge Leute aus dem Kiffer- und Fixermilieu ab 1968/69 gewinnen konnte.

Diese Gemengelage aus Fixen, Kiffen, Dealen und Militanz drapierte sich nach außen zwar  besonders wortradikal: "High sein, frei sein Terror muss dabei sein!", doch im krassen Gegensatz zu ihrem Maulheldentum, verbrachten die Leute aber die meiste Zeit abgedreht auf der Matte. Dieter Kunzelmann liefert uns in seinem Buch (Leisten Sie keinen Widerstand!, S. 106) ein Foto mit einem anschaulichen Bericht aus der Gründungsphase der Haschrebellen:

"Am 24. Januar 1969 gab Jimi Hendrix ein Konzert in West-Berlin. Niemand brauchte — wie auf dem Photo Ina Siepmann — am Joint zu ziehen, um high zu sein: Musilk und von Hasch und Gras gesättigte Luft reichten völlig aus, um im Sportpalast an der Potsdamer Straße in Berlin andere Sphären zu erreichen. Die deutlich sichtbar lange Aschenglut am Joint geht auf eines der zahlreichen psycho-terroristischen K1-Gesetze zurück: wem die Asche herunterfiel war dazu verurteilt, den nächsten Joint zu drehen...Es war ein wahnsinniges Konzert mit einer außergewöhnlichen Kommunikation zwischen Publikum und Hendrix, zwischen Hendrix und Publikum.... Für uns ging es tatsächlich weiter, denn Ina und Uschi, große Verehrerinnen nicht nur seiner Musik, holten Hendrix im Hotel Kempinski ab und kamen mit ihm in unser Moabiter Kommune Matratzenlager. Beide wollten mit ihm ins Bett, überließen jedoch in feministischer Souveränität dem Angebeteten die freie Wahl. ... Ich war so vollgekifft, daß mich Ina erst danach aufklärte: sie hatten beide die Hoffnung, daß Jimi, durch uns animiert, endlich loslegen würde. Doch alle sexuellen Hilfestellungen halfen nichts, Jimi war die Situation zu fremd. Ein Taxi wurde bestellt, Uschi und Jimi rauschten in sein Hotel, Rainer theoretisierte bis in die Morgenstunden, und irgendwann am späten Morgen tauchte eine strahlende Uschi vor unserer Matratze auf. Dem folgenden stundenlangen Beziehungsgespräch zwischen ihr und Rainer entflohen wir, indem wir mit der S-Bahn zum Schliddern auf dem zugefrorenen Schlachtensee fuhren."

Rückblickend schlussfolgert Kunzelmannr:

"Doch Gefängnis und später der gemeinsame Opium-Konsum haben zum traurigen Ende der K1 sicherlich mehr beigetragen als das wahrlich nicht unattraktive Körperprogramm von Uschi. Außerdem wollte niemand von uns wahrhaben, daß die antiautoritäre Bewegung sich ihrem Ende zuneigte. Sowohl Rainers Vorstellung eines Rock-Pop-Konzerns als auch die meinigen von den umherschweifenden Haschrebellen - beides waren krampfhafte Versuche, die Realität der Auflösung, des Zerfalls, der Trennungen, der Niederlagen zu negieren oder zu verdrängen." (ebd. S. 112)

So blieb es nicht aus, dass in diesem Milieu die Spitzel (Urbach, Lieferant für Stoff und Waffen) bzw. die politische Polizei (Kotsch, dem Georg von Rauch seit 68/69 in diversen WG´s ein "väterlich-verständnisvoller Freund") und sogar die bürgerliche Klatschpresse (Quick-Reporter Rieck) ein- und ausgingen. Bzw. wenn es eine/r von ihnen mit der Polizei zu tun bekam, sich vor den grässlichen Entzugserscheinungen nur durch Denunziation zu retten vermochte. Dies belastete die gesamte  linksradikale Szene erheblich. Siehe dazu die 883 Nr. 28, Seite 2 über die Verhaftung von Caspary, Jansen und Parkasofski.

Als schließlich 1970 Annekatrin Bruhn und Hella Maher im Entzug auspackten, kam die 883 nicht umhin, sich diesem Problem zu widmen. Sie veröffentlichte am 4.12.1970 in der Nr. 72, S.7 den faksimilierten Wortlaut der Erklärung der Staatsanwaltschaft vom 30.11.1970 betreffend die Aussagen von Bruhn und Maher, worin diese über 22 Anschläge preisgaben.

Auszug:

Haschrebell-Chronist Michael (Bommi) Baumann ist der wohl bekannteste Singvogel. Und auf diesem Gebiet vermutlich unschlagbar. Ihm widmet deshalb Kraushaar ein ganzes Kapitel seines Buch (S. 224-233). Dort ist zu lesen, dass Bommis Stasi-Akten 944 Seiten Aussageprotokoll über die linksradikale Szene der BRD und Westberlin, zuzüglich 94 persönlich abgezeichneter Einzelportraits von GenossInnen enthalten. Dieses Material entstand in nur 43 Tagen. Baumann muss damals 1973 wie ein Berserker für die Staatsicherheit gearbeitet haben, um als Fixer dem Entzug zu entkommen. Und er ist noch heute ausgesprochen kooperativ im Umgang mit Geheimdiensten. Die Berliner Zeitung meldet 1996. "Was ihn heute beschäftigt, sind die Gegenspieler von damals. Seine Fahnder vom Bundeskriminalamt. Wie haben diese Leute gelebt, wie sind sie mit ihrer Angst umgegangen? Baumann hat Kontakte geknüpft. Am Stammtisch unterhalten sie sich über die Terroranschläge von einst." Und auch Kraushaar lobt ihn diesbezüglich ausdrücklich: "Als ich im Sommer 2004 Michael Baumann aufsuche, um ihn um eine Stellungnahme zu seinen Äußerungen gegenüber der Stasi zu bitten, reagiert er entgegenkommend. Auf Anhieb bestätigt er die aus den Akten der Gauck-Behörde zitierten Feststellungen und ergänzt sie aus seiner Erinnerung." ("Bombenbuch", S.232)

Nachdem der "Zentralrat" bzw. die "TW" ihre Veröffentlichungsplattform 883 Ende November 1969 verloren hatten, geriet diese Gruppierung noch weiter in die politische Isolierung. Unter dem Phantasienamen "VAMPIRVOLLZUGKOMITEE" erklärte der "Zentralrat" in der 883 Nr. 50 (Seite 8) im Februar 1970 gleichsam seine Auflösung:

"Die Bullen jagen den Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen. Er stellt sich für sie als ein unfaßbares Phantom dar, das urplötzlich auftaucht, zuschlägt und ebenso blitzschnell wieder verschwindet. Sie glauben, der Zentralrat, die Schwarze Front und -TW- wären alle miteinander identisch. Wenn sie aber nicht glauben, meinen sie wenigstens dem Zentralrat alles in die Schuhe schieben zu können. Solange sie die Leiche des Zentralrats nicht gefunden haben, behaupten sie einfach, er lebt. Doch wie könnte ihnen entgangen sein, daß er schon im letzten Herbst offiziell begraben worden ist?"

Schließlich verabschiedete sich der "Zentralrat" in der Nr.60, (S. 4) Mitte Mai 1970 endgültig aus der linksradikalen Öffentlichkeit mit dem wohl dämlichsten Artikel, der je von ihm verfasst wurde.

Wolfgang Kraushaar hat mit seinem "Bombenbuch" ganz offensichtlich den "Bock zum Gärtner gemacht", als er versuchte entlang der Geschichte des "Zentralrats der Maulhelden, fliegenden Händler und Singvögel", das Entstehen des bewaffneten Kampfes mit dem Antisemitismus zusammenzubringen. Statt Einblicke in historische Konstellationen und Widersprüche lieferte er Einblicke in eine politische Geisterbahn.

Editorische Anmerkungen

Der Teil 1 erschien in der Septemberausgabe, Teil 2 in der Oktoberausgabe und der 4. Teil wird sich mit dem "antiimperialistischen Blick auf Nahost" und dem Vorwurf des Antisemitismus befassen.

Dieser Artikel wird ergänzt durch die Aufsatzsammlung:


High sein, frei sein,
Terror muss dabei sein!!