Editorial
Über Nachhaltigkeit


von Karl Müller

12-2014

trend
onlinezeitung

Anläßlich des 25jährigen Bestehens der "Roten Flora" schrieb Andrej Holm in der Taz vom 7.11.2014 folgendes:

"Mit der faktischen Enteignung privaten Immobilienbesitzes wird die Logik der Ertragserwartung durch eine Ökonomie der Selbsthilfe ersetzt, die sich ausschließlich an den Bedürfnissen und den realen Kosten orientiert. Das Herauslösen aus der kapitalistischen Verwertungsorientierung weist über die begrenzte Zahl von besetzten Häusern hinaus. Eine Lösung der Wohnungsfrage wird es nur geben, wenn es gelingt, auf der Basis einer marktfernen Bewirtschaftung das Wohnen als soziale Infrastruktur zu organisieren. Hausbesetzungen und die aus ihnen entwickelten Rechtsformen wie das Mietshäusersyndikat können dabei als Orientierung verstanden werden."

Eine Lösung der Wohnungsfrage in der Lesart des Mietshäuser Syndikats (MhS) anzubieten, ist speziell gegenüber Stadtteilaktivist*innen (so sie überhaupt taz lesen) politisch mehr als fahrlässig - gerade auch dann, wenn man bedenkt, dass diese Zeilen fünf Tage vor der Kabinettsentscheidung der Bundesregierung über das "Kleinanlegerschutzgesetz" geschrieben wurden und das MhS seit Wochen eine intensive "politische Akkupunktur durch Lobbyarbeit" beim herrschenden Politpersonal zur Abwehr eben dieses Gesetzes betrieben hatte.

Nachdem das Bundeskabinett mit Blick (nicht nur) auf das MhS das Gesetz am 12.11.2014 ein wenig für Kleinprojekte entschärft hatte, räumte Stefan Rost, MhS - Urgestein, im Interview mit einem freien Radio ein, dass sich das Mietshäuser Syndikat durch dieses Gesetz  massiv bedroht gesehen habe, weil die wesentliche Säule ihres Finanzierungskonzepts, das Einwerben von zahllosen ungesicherten Kleinkrediten durch die Hausprojekte, einzustürzen drohte. Das neue Gesetz sah nämlich zunächst für jegliche Form der Schwarmfinanzierung ein Offenlegen der Betriebsliquidität in jährlich zu aktualisierender Prospektform zwingend vor.

Infolge der Kabinettsentscheidung vom 12.11.2014  muss nun das MhS anstelle des Prospekts nur noch ein "Vermögensinformationsblatt" an beworbene Kreditspender*innen ausgeben. Was nach Ansicht von Stefan Rost der MhS-Idee nicht gerecht  wird, da man sich eher als politisches und weniger als ökonomisches Projekt versteht. Besonders bedauerte er in diesem Interview, dass die Bundesregierung eine Kreditobergrenze für die Freistellung vom Prospektzwang in Höhe von einer Million Euro aufgerufen hat. Dadurch drohe nun dem "3HäuserProjekt" in Freiburg eine Umstrukturierung ihrer Kapitalausstattung, um die Eine-Million-Euro-Grenze unterlaufen zu können.

Freilich wäre es stark verkürzt, würde man die Tragfähigkeit des ökonomischen Konzepts des Mietshäuser Syndikats vom aktuellen Rechtsrahmen der Schwarmfinanzierung abhängig machen, nur weil man wie Andrej Holm glaubt, dass es grundsätzlich möglich sei, im Kapitalismus betriebswirtschaftlich "Verwertungsinteressen aus dem Rennen" nehmen zu können. Wie das Beispiel des gescheiterten MhS Projekts "Eilhardshof"  zeigt, nützt es leider im kapitalistischen Marktgeschehen wenig, wenn man "Lieber 1.000 Freunde im Rücken als eine Bank im Nacken" (MhS-Werbeslogan) hat - selbst dann nicht, wenn man nur für sich und sein soziales Milieu die persönliche Wohnungsfrage lösen will. Um solch ein Scheitern aufgrund  objektiver Bedingungen (Baupreise) und subjektiver Voraussetzungen (Klassenlage/Einkommen) transparent zu machen, hat Karl-Heinz Schubert in dieser Ausgabe in Verlängerung zu seiner Kritik am MhS-Konzept entsprechendes Material über den Eilhardshof zusammengetragen.

Dass sich dieses schwarmfinanzierte Hausprojekt als wenig nachhaltig erwies, lag nicht am subjektiven Unvermögen sondern am Konzept selber, von dem man glaubte, man könne im Meer des Kapitalismus Inseln selbstbestimmten Lebens als dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus dauerhaft installieren. Und eigentlich hätte man es auch wissen müssen! Besonders die Protagonist*innen eines solchen dritten Weges sollten die Niederlagen aus ihrer Projektegeschichte kennen. Dazu wollen wir in dieser Ausgabe mit der Geschichte der Kommune Barkenhof ein wenig Erinnerungsarbeit leisten.

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Zur nachhaltigen Lösung der Wohnungsfrage bedarf es eines gesamtgesellschaftlichen Weges und dieser heißt: Aufhebung des Kapitalismus. Dazu muss es das Primat der Politik gegenüber der Ökonomie geben und das ist wiederum eine Frage von Mehrheits- und Machtverhältnissen. Dass die Aufhebung des Kapitalismus nur erfolgen kann, wo dieser entwickelt ist, war Lenin bewußt, was ihn bekanntlich dazu veranlasste, nach dem Bürgerkrieg mithilfe der neuen ökonomischen Politik (NEP) die Entfaltung des Kapitalismus zu forcieren. Der russische Kommunist Jewgeni Alexejewitsch Preobraschenski nannte diese Phase verklärend "ursprüngliche sozialistische Akkumulation". Die daran anschließende Zeit der gewaltsamen Durchsetzung staatskapitalistischer Strukturen unter Stalin ist das Thema, dem sich Meinhard Creydt in seinem Artikel "Wovon Freunde der Sowjetunion absehen" widmet. Zweck seiner Beschäftigung mit der nun entstehenden Gesellschaftsformation "realexistierender Sozialismus" - von ihm etikettiert als Stalinismus - ist es, Linke davor zu warnen, heute ihren "Mangel an substanziellen Konzepten für eine nachkapitalistische Gesellschaft" durch Rückgriff auf diese Gesellschaftsformation zu kompensieren.

Dass die Aufhebung heutiger kapitalistischer Strukturen nicht nur genauer Kenntnis ihrer Funktionsweisen bedarf, sondern ihre Negation selber die Voraussetzung für diese andere nichtkapitalistische Gesellschaft ist, dürfte sich bereits denklogisch erschließen, sodass zwar der "Blick zurück" wichtig ist, um sich nicht als Linker aus der eigenen Geschichte stehlen zu können, aber für eine intervenierende politische Praxis "im Hier und Jetzt"  ziemlich bedeutungslos erscheint. Wenn Gegenwart bestimmende Geschichte für eine nachhaltige Praxis der Aufhebung zu Rate gezogen werden soll, dann sollten es solche Konzepte sein, die auf der Grundlage des entfalteten Kapitalismus entwickelt wurden. Sie tragen zumindest die Chance in sich, heute weiterentwickelt oder modifiziert werden zu können. Dazu zählt das Konzept "Arbeiterkontrolle". Zur Anregung einer strategischen Überprüfung dieses Konzepts veröffentlichen wir die Thesen des sozialistischen Politikers Raniero Panzieri.

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Neben diesen für strategische Überlegungen bedeutsamen Texten enthält die letzte TREND-Ausgabe des Jahres 2014 eine Reihe hochkarätiger Artikel zu aktuellen Problemen, wie zum Beispiel innenpolitisch "Polizei und Rassismus" oder außenpolitisch "Russisches Geld für den Front National".

Auch der Kommentar von Detlef Hensche "Koalitionsfreiheit unter Beschuss" dürfte anregen, sich mal etwas genauer mit der Frage der Perspektiven gewerkschaftlichen Organisierung unter heutigen kapitalistischen  Ausbeutungsbedingungen zu befassen. Dass gewerkschaftliche Praxis und Organisierung an vorgefundenen Ausbeutungsbedingungen zu orientieren ist, zeigt die Pressemitteilung der FAU "Mall of Shame – Wo ist das Geld der Arbeiter?". Schließlich ist die Zersplitterung der Arbeiter*innenklasse Ausdruck der modernen kapitalistischen Verwertungstrukturen. Ihre Einheit durch eine gemeinsame Praxis herzustellen, setzt wiederum die "Einheit der Klassenlinken"(Editorial 1/2014) voraus. Für die Lösung dieses Problems dürfte das kommende Jahr wieder nicht ausreichen.

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