Kommentare zum Zeitgeschehen
Die "Enteignen-Kampagne" ein Protestprojekt in der strategischen Sackgasse

von Karl-Heinz Schubert

5-6/2019

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"Ist die Ausbeutung des Arbeiters durch den Fabrikanten so weit beendigt, daß er seinen Arbeitslohn bar ausgezahlt erhält, so fallen die anderen Teile der Bourgeoisie über ihn her, der Hausbesitzer, der Krämer, der Pfandleiher  usw."
Kommunistisches Manifest MEW 4 /469

Rouzbeh Taheri (Betreiber einer Internetfirma) und Michael Prütz (selbständiger Versicherungskaufmann), zwei Berliner Kampagnenorganizer, mittlerweile einschlägig bekannt aus Presse, Funk und Fernsehen, saßen an "einem grauen Oktoberabend 2017 in einer Kneipe" beieinander und teilten dem "Spiegel" vom 5. April 2019 in einem Interview mit, dass ihnen bei diesem Zusammensein eine Idee gekommen sei, wie die "Mietenexplosion gestoppt werden könnte" - nämlich durch eine Kampagne für einen Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co. enteignen".

Fortan schlossen sich für diese Idee laut Kampagnenseite Aktive vom Mietenvolksentscheid 2015, der Initiative Kotti & Co., dem Mieter*innenprotest Deutsche Wohnen, der Akelius Vernetzung sowie weitere Mieter*inneninitiativen und Leute von der Interventionistischen Linken plus Mitglieder verschiedener Parteien zusammen. Auf der von 29 Gruppen organisierten "Mietenwahnsinn-Demo" am 6. April 2019 in Berlin, wo mehr als 30.000 Menschen teilnahmen, begann die Unterschriftensammlung für die "Enteignen-Kampagne" (Volksbegehren für ein Gesetz zur Vergesellschaftung von Grund und Boden). Mehr als 15.000 Menschen unterschrieben bereits. Es dürfte nicht schwerfallen, die noch fehlenden  5.000 Stimmen für die Einleitung des Volksbegehrens zusammenzubringen, denn die „Enteignen-Kampagne“ trifft den Nerv der Zeit. Die städtischen Mieten schießen seit Jahren in die Höhe. Bezahlbarer Wohnraum ist für breite Teile der Arbeiter*innenklasse nicht mehr vorhanden. Die Schere zwischen Arm und Reich geht mittlerweile so weit auseinander, dass sogar Teile der sogenannten Mittelschichten sich im Hinblick auf das urbane Wohnen existenziell bedroht fühlen.

Auch wenn sich nun sogar der Juso-Chef Kevin Kühnert für eine Sozialisierung von Wohnraum stark macht, täuscht dieses wohnungspolitisches Protestprojekt nicht darüber hinweg, dass sich die wohnungspolitische Bewegung in Berlin weiterhin inhaltlich in einer strategischen Sackgasse befindet, in die sie sich durch das Mietenvolksbegehren von 2014 hineinmanövriert hat.

Im September 2011 schlossen sich etliche Berliner Mieter*innen-Inis zu einer wohnungspolitischen Demo mit rund 6.000 Teilnehmer*innen zusammen, die unter dem Motto: "Mieten runter - Löhne hoch" stattfand. Diese Losung widerspiegelte den ökonomischen Zusammenhang von Arbeiten und Wohnen, ein Zusammenhang der durch die kapitalistische Verwertung rundum bestimmt wird. Doch bereits ein Jahr später wurde auf der von Kotti & Co. initiierten mietenpolitischen Konferenz dieser Zusammenhang zerrissen und der politische Forderungsfokus in der Mieten- und Wohnungsfrage auf eine Umverteilung durch staatliche Regulative gelegt. Hieran schloss sich 2014 eine breite Mobilisierung mit Rouzbeh Taheri an der Spitze für ein  Volksbegehren zur "Neuausrichtung des sozialen Wohnens in Berlin" an. Heraus kam bekanntlich ein Kompromiss zwischen  Taheri & Co. und dem Berliner Senat, der nicht einmal eine Lightversion dessen war, was mit dem Volksbegehren gefordert worden war.

Wenn heute Berliner Mieter*innen-Inis die "Enteignung" von Immobilienkonzernen fordern und dies durch ein Gesetz geregelt haben wollen, das von den im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien ausgearbeitet und beschlossen wird, dann ist dieses Konzept nicht aus ihren unmittelbaren Erfahrungen abgeleitet, sondern von den Kampagne-Macher*innen von außen an die Bewegung herangetragen worden, um diese politisch zu homogenisieren. D.h. Wut und Unwillen der Leute, sich mit dem abzufinden, wie sie leben müssen, werden aufgegriffen und auf eine als "radikal" verkaufte Reform umgelenkt. Eine Reform, deren politischer Zweck es vor allem ist, den Legitimationsverlust, den das herrschende politische Personal in den letzten Jahren in Sachen Wohnungspolitik eingefahren hat, zu kompensieren. 
 
Und von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung gerade in den Monaten vor der Unterschriftensammlung für das Volksbegehren reichlich Texte zur Wohnungsfrage publizierte, um die mit ihnen organisch verbundenen Intellektuellen als Kampagnen-Akteure ideologisch entsprechend zu munitionieren. Noch am Tag des Kampagnen-Starts legte Andrej Holm, Ex-Staatssekretär für Wohnungspolitik beim gegenwärtigen "rot-rot-grünen" Senat in der "Jungen Welt" eine weitere Schippe Theorie drauf und verstieg sich dabei zu der absurden Behauptung, die sozialen Verwerfungen, die sich aus dem alltäglichen Geschäftsgebaren des entwickelten Kapitalismus ergeben, seien Folge einer "fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation".


Plakativer Antikapitalismus

Auf der anderen Seite hatte die Linkspartei bereits im Sommer letzten Jahres angefangen, das infolge des gegen die Wand gefahrenen Volksbegehrens von 2014/15 ramponierte wohnungspolitische Image von Taheri & Co. wieder aufzupolieren. In der PROKLA 191 verfasste dafür Jonathan Diesselhorst, persönlicher Referent von Katrin Lompscher, Linkspartei-Senatorin für Wohnungspolitik, in weiser Voraussicht einen Beitrag mit dem Titel "Wenn stadtpolitische Bewegungen das Terrain des Staates betreten", worin er elitentheoretisch feststellte, dass es für das Mietenvolksbegehren 2014/15 eines "strategischen Staatsdiskurses" bedurfte. Solche Diskurse und damit solche Kampagnen können allerdings ausschließlich nur von Intellektuellen als "Expert*innen"  geführt werden, nicht aber von "Schweigenden/Nicht-Expert*innen" an der Basis. Eine solche Hierarchisierung ist sozusagen naturnotwendig. Und daher konnten die "Nicht-Expert*innen" auch kein Verständnis dafür entwickeln, dass der  Abbruch der Kampagne zugunsten eines Wohnraumversorgungsgesetzes als Erfolg von Taheri & Co. zu verbuchen sei. (siehe dazu PROKLA 191, insbesondere S.271-275).

Tatsächlich wurde weder mit der Mietenvolksentscheid-Kampagne das Terrain des Staates, wie Diesselhorst glauben machen will, betreten, noch geschieht dies durch die "Enteignen-Kampagne". In beiden wohnungspolitischen Protestprojekten ging bzw. geht es darum, durch möglichst viele Unterschriften dem politischen Personal dieser Stadt zu zeigen, dass es ein Wohnungsproblem gibt, das nach Wunsch der Unterschreibenden von dem herrschenden Personal in einer bestimmten Weise - sprich Rechtsform - gelöst werden soll. Dazu muss der Senat das Begehren einer "Zulässigkeitsprüfung" unterziehen. Beim Mietenvolksentscheid dauerte es 4,5 Wochen.  Ist das Begehren zulässig, ist eine Kostenschätzung zwingend vorgeschrieben. Das dauerte damals 27(!) Wochen. Für die Zulässigkeitsprüfung der jetzigen Enteignungskampagne rechnet der Senat mit 14 Wochen. (Quelle: Tagesspiegel vom 27.4.2019, S.9) Sollte der Senat feststellen, dass das Bürger*innen-Begehren unzulässig ist, entfällt natürlich die Kostenschätzung.

Aus dem linken Spektrum liegen derzeit zwei Stellungnahmen vor, die die Enteignungs-Kampagne in dieser Form ablehnen.

Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) wird das Volksbegehren nicht unterschreiben, weil dadurch "die Illusion einer Überwindung von Wohnungsnot durch Berufung auf das bürgerliche Grundgesetz" verbreitet wird, dessen Kern "der Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln und der damit verknüpften kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung" ist. Da die MLPD den Anspruch "der Menschen, die Konzerne ins Visier zu nehmen" richtig findet, will sie diese ausdrücklich beim Durchsetzen von "wirksamen Maßnahmen" unterstützen. 

Die Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) stört sich an der Tatsache, dass die Enteignung gesetzlich mit einer Entschädigung verbunden ist, sodass sie letztlich einen Abkauf der Immobilie darstellt. Weil die GAM vom Scheitern der Kampagne auch mit entsprechenden Entschädigunsangeboten ausgeht, will sie sich dafür einsetzen, dass auf einer Aktionskonferenz beschlossen wird, die Enteignungskampagne als eine ohne Entschädigung weiterzuführen.

Beide Gruppen setzen offensichtlich darauf, dass sie in der Breite der Bewegung mitschwimmen können, um dort für ihre weitergehenden Organisationsziele werben zu können. Die bestehen in erster Linie darin, die Bevölkerung über die kapitalistische Produktionsweise und die damit quasi naturgesetzlich verbundenen sozialen Verwerfungen aufzuklären, um den Sozialismus als Ausweg aus diesem Dilemma plausibel zu machen. Ihre Agit-Prop-Arbeit ist eng verknüpft mit der Schaffung von selbständigen Kampf- und Organisationformen z.B. "Komitees zum Sammeln von Unterschriften, MieterInnenkomitees, Vollversammlungen" wie es bei der GAM heißt.

Die Kritik dieser beiden linken Gruppen greift m. E. zu kurz. Beide setzen auf Aufklärung als taktisches Hauptinstrument, ohne darzulegen wodurch der Inhalt ihrer Aufklärung im Hinblick auf die "Enteignen-Kampagne" konkret bestimmt ist. Der Hinweis z.B. der MLPD, dass die BRD in "Wahrheit eine Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals" ist, wodurch unter diesen politischen Bedingungen eine Enteignung von Produktions- und Reproduktionsmitteln zum Nutzen der Arbeiter*innenklasse ausgeschlossen ist, erweist sich als Phrase, mit der die Illusionen über die Schaffung von sozialer Gerechtigkeit im Hier und Jetzt nicht aufgelöst werden.

Angemessener wäre es, sich von einer Offenlegung der politischen Ökonomie der Immobilienwirtschaft leiten zu lassen. Die Immobilien der "Deutschen Wohnen" wären dann als Leihkapital in Warenform zu behandeln und der Mietzins auf diesem Weg zu entschleiern, wodurch konkrete Angriffspunkte ausgemacht werden können, um den Mietzins anzugreifen und zu minimieren. Übrigens - in Analogie dazu werden tagtäglich Lohnkämpfe um den Preis der Ware Arbeitskraft geführt. Beide Kämpfe sind Kämpfe auf der Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise - heben diese aber nicht auf. Gleichwohl sind sie eine Schule des Klassenkampfes, weil dort durch die Selbstorganisation der Klasse Befähigungen erworben werden, zukünftig die Produktions- und Reproduktionsmittel gesamtgesellschaftlich auf nichtkapitalistische Weise zu nutzen und weiterzuentwickeln - nämlich wenn die Macht dazu in ihren Händen liegt.

Doch zurück zur "Enteignen-Kampagne". So wie der Lohnkampf in die Profitstruktur des Kapitals eingreift, um diese zu gunsten der Werktätigen zu verändern, muss sich der Miet- und Wohnungskampf auch von dieser Überlegung leiten lassen. Allerdings ließen sich Eingriffe in die Profitmacherei mit Immobilien zugunsten der Mieter*innen - je nach den Kräfteverhältnissen zwischen Kapital und Arbeiter*innenklasse - nur durch außerökonomische Maßnahmen (Gesetze, Verordnungen, Kontrollstrukturen etc.) erzwingen. Wird der Fokus für eine politische Intervention in dieser Weise gelegt, wird das angestrebte Ziel  - Senkung der Miete - selbst zum Kriterium für die Bewertung der Strategie.

Die rechtsformwechselnde Umwandlung einer privatwirtschaftlich betriebenen Immobilie in eine gemeinwirtschaftliche - und umgekehrt - ändert nichts an der Kostenstruktur der (Kalt-) Miete, mit der weiterhin Fremd- und Eigenkapital finanziert werden müssen, da diese Finanzierungsverpflichtung (auf jeden Fall für das Fremdkapital) trotz Rechtsformwechsel grundbuchlich gesichert bestehen bleibt.

Zur Erinnerung: Als 2004 die städtische GSW von SPD und Linkspartei an Cerberus Capital Management für 405 Mio. Euro verkauft wurde, um deren Wohnungsbestand es heute in erster Linie bei der "Enteignen-Kampagne" geht, wurden 1,56 Milliarden Euro Schulden mitverkauft. Enteignung als An- bzw. Rückkauf durch Entschädigung grundgesetzlich vorgeschrieben, egal in welcher Höhe, heißt von daher nicht nur Erwerb der Häuser sondern auch immer Übernahme der Schulden (Hypotheken). Damit hätte die heutige GSW-Kostenmiete im Hinblick auf die Verzinsung von Eigen- und Fremkapital weiterhin Bestand. Hinzukämen Aufschläge für Verwaltung, Asset-Management und baulichen Unterhalt, ganz abgesehen von den sogenannten Betriebskosten. Von daher darf bezweifelt werden, dass sich die bisherige Miethöhe einer Immobilie durch einen Rechtsformwechsel, wie er von der Enteignen-Kampagne gefordert wird,  um einen Jota nach unten ändern würde.

Kurzum:  Ausgehend von den wirtschaftlichen Interessen der Mieter*innen wäre eine Enteignung nach bundesrepublikanischem Recht eine ökonomische Sackgasse.

Gegen die sogenannte "Kostenmiete" steht als Alternative die politische Miete. Mit ihr werden die Rendite-Kanäle des Leihkapitals Wohnung  dadurch verschlossen, indem z.B. die Höhe der Kaltmiete einheitlich festgesetzt wird. Auch könnte die Stadt an die Stelle der Baukapitalisten treten und wie im "Roten Wien" der 1920er Jahre Gewinnsteuer finanzierten Wohnraum mit eigenen Baufirmen errichten, wo die Miethöhe im wesentlichen durch die Instandhaltung bestimmt wurde.

Aufgrund der heutigen politischen Kräfteverhältnisse müssen die kämpfenden Mieter*innen  (leider) Rücksicht auf die ökonomischen, politischen und juristischen Befestigungen des bürgerlichen Staates nehmen, d.h. eine Enteignung als Voraussetzung für eine politische Miete erscheint heute ausgeschlossen. Deshalb sollten für eine politische Miete, gestützt auf die Kenntnisse der politischen Ökonomie der Immobilienwirtschaft, die entsprechenden strategischen Ziele und taktischen Schritte erarbeitet werden, auf deren Grundlage eine Politik der Austrockung der Profit-Kanäle unter den heutigen Kräfteverhältnissen begonnen werden kann.  Ein Kneipenplausch - wie eingangs erwähnt - dürfte dafür nicht ausreichen.

Editorische Hinweise

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