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Berlin: Krise – Kollaps – Neubeginn?

von Joachim Bischoff und Fritz Fiehler

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In Berlin ist die Große Koalition nach langwierigen Krämpfen auseinander gebrochen. Ohne die Unterstützung der PDS wären eine rot-grüne Übergangsregierung und Neuwahlen im Herbst 2001 nicht möglich geworden. Für bundesdeutsche Verhältnisse sind ein konstruktives Misstrauensvotum, vorgezogene Neuwahlen und die wesentliche Beteiligung der PDS ein Sonderfall. Entsprechend groß ist die Aufregung. Von Teilen des Bürgerblocks, der Wirtschaft und der Medien wird von Verrat an den politisch-moralischen Grundsätzen der Republik gesprochen. Die Kandidatur von Gregor Gysi unterstreicht, dass die Linkssozialisten das politisch-ökonomische Desaster in Berlin als Chance sehen, den Katalog möglicher politischer Lösungen endlich zu erweitern, einen Beitrag zur Überwindung der fortbestehenden Spaltung von Ost- und Westberlin resp. Ost- und Westdeutschland zu leisten und mit dieser Richtungswahl auch eine Anerkennung der sozialistischen Linken neben der SPD durchzusetzen.  Spezial: Die Berlinkrise 
aus marxistischer Sicht
  • DKP
    Neuwahlen - und dann?
  • MLPD
    Die Hauptstadt braucht neue Politiker
  • Neue Einheit 
    Der Zusammenbruch der Berliner Bankgesellschaft

aus bürgerlicher Sicht

Die politische Verwaltung der Hauptstadt ist unversehens zum Kristallisationskern der vielschichtigen deutschen Wirklichkeit geworden. Der Bundestagswahlkampf 2002 ist faktisch eröffnet.

Berliner Filz

Politisch überzeugen konnte die schwarz-rote Koalition seit längerem nicht mehr. Als ihre zentrale Aufgabe war die Umgestaltung der Hauptstadt definiert worden, damit die Berliner Republik nicht durch das Erbe einer jahrzehntelangen Systemkonfrontation gekennzeichnet bleibt. Praktisch lief dies seit 1996 auf einen gigantischen Spar- und Restrukturierungsprozess hinaus, denn Berlin hatte nach der Vereinigung alles doppelt - den städtischen Regierungsapparat, die überdimensionierte Verwaltung, Theater, Museen etc. Die ersten Jahre nach der Vereinigung hatte die Berliner Administration unterstellt, dass die wegfallende Subventionierung des »Fenster des Westens« durch eine wirtschaftliche Expansion und die neuen Hauptstadtaufgaben ausgeglichen würden. Wie in den meisten politischen Zentralen der Berliner Republik stellte sich diese Erwartung rasch als illusionär heraus: Die Zahl der Bewohner stagniert bzw. schrumpft leicht und liegt heute bei 3,39 Millionen - 35.000 weniger als 1991. Mit dem Wegfall steuerlicher Präferenzen und infolge des brutalen Strukturwandels der Ostberliner Unternehmenslandschaft sind die Wertschöpfungsaktivitäten reduziert worden - die Zahl der Lohnabhängigen sank von 1,54 auf 1,38 Millionen. Noch 1991 stellte die Summe der gesamtstaatlichen Zuschüsse mit knapp 20 Mrd. mehr als die Hälfte des Landes- und Hauptstadthaushaltes. Die rot-schwarze Koalition wirtschaftete aus dem Vollen, was sich in einem steilen Anstieg der öffentlichen Verschuldung von weniger als 20 Mrd. auf heute zwischen 65-69 Mrd. DM niederschlägt.

Seit 1996 jagt eine Sparoperation die nächste. Der Umbau der städtischen Institutionen und des sozial-kulturellen Lebens vollzog sich mehr unter dem Diktat leerer Kassen als nach konzeptionellen Gesichtspunkten. Als die Verwicklung der Berliner CDU in einen regionalen Spendenskandal aufflog und damit der Hintergrund der spezifischen Verfilzung von politischen Strukturen, städtischer Verwaltung und Unternehmen sichtbar wurde, war die politische Legitimität und Glaubwürdigkeit der schwarz-roten Koalition endgültig verflogen.

Der Neuanfang wird nicht leicht. Eine neue Regierungskoalition kann möglicherweise die in Berlin seit Jahrzehnten existierende Verfilzung zwischen Politik und Profitwirtschaft auflösen, aber die finanziellen und wirtschaftlichen Probleme werden dadurch nicht automatisch geringer. Der PDS-Fraktionsvorstand wird dieser Tage immer wieder mit seiner Selbstkritik zitiert, dass man es bislang nicht geschafft habe, sich auf eine alternative Stadtentwicklungskonzeption unter den gegebenen ökonomisch-finanziellen Rahmenbedingungen zu verständigen. In der Debatte um die Rolle der PDS und ihren Spitzenkandidaten Gysi werden immer wieder drei grundsätzliche Punkte aufgeworfen:
– Ex-Kommunisten können wie Linkssozialisten nicht mit dem bürgerlichen Steuerungsmedium Geld umgehen. Steht die Hauptstadt Berlin jetzt infolge von Misswirtschaft, Schlamperei und Korruption vor dem Abgrund, dann ist eine Regierungsbeteiligung der PDS die Garantie für einen Absturz.
– Sozialdemokraten rücken die PDS als Sanierungsträger ins Zentrum; die überschuldeten Landeshaushalte von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und viele kommunale Haushalte seien wieder ins Lot gebracht worden, weil die PDS nicht nur die Sparoperationen mit verantwortet sondern diese Rotstift-Operationen auch gegenüber Kritik von links abschirme.
– Gerade diese Funktion eines Reparatur- und Sanierungsbetriebes wird der PDS innerparteilich und von linksradikaler Seite vorgeworfen. Es könne doch nicht die Aufgabe einer linkssozialistischen Partei sein, in der Hauptstadt Berlin wieder »normale« kapitalistische Verwertungs- und Regierungsverhältnisse durchzusetzen.

Besteht also in Berlin eine Chance auf eine über die Sanierung der bürgerlichen Gesellschaft hinausreichende Stadtentwicklung? Was kann die PDS leisten und was sind die Folgen einer möglichen Regierungsbeteiligung?

Milliardengrab

Im Zentrum der Affäre steht die Bankgesellschaft Berlin und deren desaströse Immobiliengeschäfte. Eine Tochterbank, die Berlin Hyp, wurde lange Jahre vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Landowsky gemanagt. Aufgeflogen sind dessen Geschäfte, weil im Zusammenhang mit einem Großkredit (Aubis) an zwei Parteifreunde eine Barspende von 40.000 DM aufgedeckt wurde. Der Chef der Berlin Hyp hatte weder seine Kreditabteilung sauber geführt, noch die Risiken der Immobilienanlagen transparent gemacht. Er musste seinen Hut nehmen, nachdem infolge des Parteispendenskandals durch die Bankaufsicht gravierende Mängel in der Kreditbearbeitung und ein erheblicher Wertberichtigungsbedarf festgestellt worden war. Etliche Vorstände haben den Dienst quittiert, und die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt in insgesamt 21 Fällen wegen des Verdachts der Untreue.

Die »existenzgefährdende Schieflage« der Bankgesellschaft Berlin hat die Metropole an den Rand des Ruin gebracht. »Die Bankgesellschaft ist bei der Gesamtkapitalquote inzwischen unter die gesetzliche Mindestgrenze von 8,0% gerutscht.« (FAZ) Das hat das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred) zum roten Telefon greifen lassen. Eine Ungeschicklichkeit in der Presse hätte einige Kunden in Bewegung bringen können. »An der Spree tun sich schon jetzt Abgründe auf.« (Börsenzeitung) Längst hat die Krise der Berliner Bankgesellschaft ihre geschichtlichen Vorläufer in den Schatten gestellt.1

Wirtschaftlich handelt es sich beim Vier-Milliarden-Loch um das Resultat nachträglicher Wertberichtigungen. Dabei wird es nicht bleiben. Abschwung, Sparpolitik und Restriktionen in der Geldvergabe werden dafür sorgen, dass weitere Kredite notleidend werden. Der Spirale von gekürzten Bauinvestitionen, fortgesetzter Krise der Bauwirtschaft und säumig gewordenen Schuldnern ist nicht so leicht zu entkommen. Gleichwohl wird damit spekuliert, dass sich die politische Verdrängungsleistung auszahlt: Je mehr vom Berliner Filz die Rede ist und je weniger die kreditpolitischen Dispositionen der Bankgesellschaft zur Debatte stehen, desto günstiger wird das Institut zu verscherbeln sein. Auf die Berliner Sparkasse, eine Tochter der Bankgesellschaft Berlin, haben etliche Finanzinstitute schon ein Auge geworfen. Ein Verkauf dieser »Perle« durch das Land Berlin wäre der willkommene Einstieg in die lange geforderte Privatisierung der öffentlichen und genossenschaftlichen Banken. Umgekehrt muss eine Offenlegung der Kreditrisiken und Immobilienengagements der Bankgesellschaft erst ergeben, ob das marode Institut insgesamt einen Partner findet.

Die Parteispendenaffäre ist so unappetitlich wie alle anderen Affären unter dem System Kohl. Dass Landowsky und seinen Mitvorständlern der vorzeitige Ruhestand mit exorbitanten Übergangszahlungen und Altersrenten (700.000 bzw. 350.000 DM) versüßt wird, hat Teile der Berliner Wahlbürger zu Recht empört. Es ist keine Frage, das Hinauskehren der politischen Glücksritter aus dem öffentlichen Tempel ist ein nicht zu unterschätzender Akt für die Wiederherstellung öffentlichen Vertrauens und der politischen Kultur. Doch die schamlose Selbstbedienung und Bereicherung des Berliner Filzes ist das kleinere Problem im Vergleich zur kritischen Lage einer Großbank, der chronischen Krise des Immobilienmarktes in Berlin und Ostdeutschland und dem Scheitern der Wirt-schafts-politik in den neuen Bundesländern.

Der Immobilienmarkt ist gekippt

Die Geschäftsführung der Berliner Bankgesellschaft ist für die Krise verantwortlich. Anfang der 90er Jahre hatte man sich schon als Finanzier der deutschen Vereinigung gesehen. Für diesen Zweck sind die Berliner Bank AG, der Sparkassenteil unter Führung der Landesbank und die Berlin Hyp 1994 zusammengeschlossen worden. In einer neuartigen Synthese von Aktiengesellschaft und Landesbank hatten sich die Berliner Finanziers schon zu den »big five« in der Bundesrepublik gerechnet. Auf diese Geschäftspolitik sind die fiskalpolitischen Erwartungen des Senats und die großzügige Haltung seiner Vertreter nur allzugern eingeschwenkt. Dabei haben sie sich auch nicht von Altlasten (Iran-Kredit), zunehmenden Problemen der Vereinigungspolitik und der 1998 gescheiterten Fusion mit der Norddeutschen Landesbank irritieren lassen.

Jedenfalls ist diese Geschäftspolitik erstens durch die Berliner Ökonomie und Politik selbst durchkreuzt worden. 1996 durchschritt der Bauboom seinen Höhepunkt. Mit seinem Abklingen begannen sich die Wirkungen der Deindustrialisierung im Osten und des abrupten Endes der Subventionierung Westberlins bemerkbar zu machen. Zudem geriet Berlin in den Sog der trägen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die Erosion der Wirtschaftskraft war von der Erosion der Steuerkraft begleitet. Zusätzliche Steuerausfälle mussten als Folge der umfangreichen steuerlichen Förderung der Investitionstätigkeit, vor allem im Immobiliensektor, hingenommen werden. Insofern hat der Senat die Verschiebung der Immobilienkrise in die zweite Hälfte der 90er Jahre selbst finanziert.

Zweitens hat die Berliner Bankgesellschaft den absehbaren Zusammenbruch der Immobilienmärkte in den neuen Bundesländern unterschätzt. Bis Mitte der 90er Jahre sorgten Staatsknete und Steuererleichtungen für Goldgräberstimmung in den neuen Ländern. Neben der spektakulär gewordenen Finanzierung der maroden Aubis Gruppe sind die Berliner vor allem auf dem Gebiet der Immobilienfonds tätig geworden. »Die Tochtergesellschaft IBG schaffte es«, berichtet die NZZ, »mit weitgehenden Zusagen hinsichtlich Rücknahme und Ausschüttungen an gut 70.000 Anleger, die dem Unternehmen über 7 Mrd. DM anvertrauten, zum größten Emissionshaus für Immobilienfonds in Deutschland zu werden.« Warum industrielle Anlagen, Gewerbeflächen und Bürohäuser ohne Nutzer geblieben sind, muss hier nicht mehr erklärt werden. Entsprechend hat sich der Ausbau der Infrastruktur auch nicht als Anschub für eine Investitionstätigkeit erwiesen. Spätestens an dieser Stelle hätte man vom Druck auf die Wohnungsgesellschaften zur Privatisierung absehen müssen. Die erlassenen Altschulden können die Liquiditätsnöte nur vorübergehend mildern. »Der Anstieg des Leerstandes korreliert also mit dem Rückgang der Arbeitsplätze und der Einwohnerzahlen«, schlussfolgert »Die Zeit«. Auf die steigenden Leerstandsquoten werden sich der durch die Vereinigung ausgelöste Geburtenschock, die Abwanderung in den Westen und der geförderte Bau von Einfamilienhäusern erst in Zukunft auswirken. Das wird den Ruf nach einem »Keulen von Wohnungen« verstärken.

Drittens befindet sich die Berliner Bankgesellschaft mit dem gesamten Bankensektor in einer schwierigen Situation. »Die Bankenlandschaft in Deutschland ist im Umbruch.« (FAZ) Einerseits konkurrieren die Institute um Einlagen, Kredite und Vermögensberatung. Dafür haben sich durch die neuen Kommunikationstechniken und Bedürfnisse nach vermögenspolitischer Beratung gänzlich veränderte Bedingungen eingestellt. Andererseits stehen mit der international revidierten Kreditpolitik durch »Basel II« und der Entscheidung Brüssels über Landesbanken und Sparkassen weitreichende Entscheidungen aus. Im Tagesgeschäft machen sich die 2,8 Millionen überschuldeten Haushalte und eine anziehende Insolvenzrate bemerkbar. Bei dem jüngsten Zusammenbruch der Ökobank wird es sicherlich nicht bleiben. Vor allem beschränkt sich die Immobilienkrise nicht auf Bauwirtschaft, Wohnungsvermietung und bestimmte Dienstleistungen. Vielmehr revidieren ihre Entwertungsprozesse die Kreditpolitik der Banken gegenüber Haushalten und Unternehmen. Während die Deutsche Bank ihr »Schneider-Kapitel« gerade erst mit einem Verlust von 700 Millionen DM abgeschlossen hat, sind die anderen Banken noch mitten in der Umstruktuierung ihrer Immobiliensparten. Die Berliner Angebote seien günstig, heißt es in der Branche. »Doch spätestens beim Blick auf das breitgespannte Immobiliengeschäft werden viele eiskalte Finger bekommen.« (FAZ) Warum soll die Berliner Bankgesellschaft unter diesen Bedingungen einen zügigen Verkauf ihrer Weberbank, Fondsgesellschaft, Allbank oder Zivnostenska banka in Prag erwarten dürfen?

Viertens hat die vorübergehende Belebung der Immobilienmärkte in den westdeutschen Metropolen, die dem kurzen Internetboom geschuldet war, den Blick für die Krise verstellt. »Die Marktteilnehmer in der Hauptstadt scheinen mit angezogener Handbremse ins Jahr 2001 gestartet zu sein«, glaubt Klaus Krägel von Jones Lang LaSalle. In Berlin sollen 1,2 Millionen Quadratmeter Bürofläche leerstehen, was einer Quote von 7,8 Prozent entsprechen würde. Die Münchner Bulwien AG geht von einer Wende auf den westdeutschen Büromärkten aus, berichtet die FAZ. In den letzten zehn Jahre habe sich die Zahl der Bürobeschäftigten nur minimal verändert. Bis 2005 erwarten die Münchner einen Zuwachs von 8%, von dem Köln und Hamburg profitieren würden. Dagegen müsste Berlin mit einem Verlust von 10% rechnen. Mit Blick auf die zu erwartenden Bürofertigstellungen befürchtet Bulwien eine Überproduktion. Entsprechend schließen die Immobilienforscher einen abermaligen Anstieg der durchschnittlichen Leerstandsrate nicht aus, der allerdings unter dem Niveau der 90er Jahre bleiben dürfte.

Für die nächsten Jahre prognostiziert das Eduard Pestel Institut in Hannover laut FAZ empfindliche Wertverluste für die Wohnungswirtschaft. »Während in der ersten Hälfte der 90er Jahre durch die hohe Zuwanderung der Aus- und Übersiedler ein dynamischer Preisanstieg zu beobachten war, der bei Bauland zu einer Verdopplung der Preise in nur fünf Jahren führte, sind die Wohnimmobilienpreise in der zweiten Hälfte der 90er Jahre wieder auf das Niveau des Anstiegs der Lebenshaltungskosten zurückgekehrt. Erst von 2004 an werden die Mieten wieder steigen und mit zeitlicher Verzögerung von ein bis zwei Jahren die Preise nach sich ziehen. Bis dahin aber werden zum Teil noch erhebliche Wertverluste für Wohnimmobilien eintreten.« Im einzelnen geht das Institut davon aus, dass Reihenmittelhäuser Wertverluste von 15%, Doppelhaushälften von 10%, Standardmietwohnungen im ländlichen Raum 40%, freistehende Einfamilienhäuser 5% und Standardeigentumswohnungen 10% werden hinnehmen müssen. Dafür machen die Hannoveraner die abnehmende Bevölkerung verantwortlich - allerdings unter Absehung konjunktureller Umstände.

Haushaltsnotlage

Die Berliner Bankenkrise hat eine niederschmetternde Wirkung. Mit dem Vier-Milliarden-Loch der Berliner Bankgesellschaft ist über Nacht eine langjährige Austeritätspolitik zunichte gemacht worden. Das erschüttert die Mentalität dieser Republik. In den letzten sechs Jahren hat der Berliner Senat seinen jährlichen Fehlbetrag von elf Milliarden Mark auf fünf Milliarden reduziert. In der Sprache der Ökonomen liest sich die Anstrengung folgendermaßen: »Dass in den Jahren 1996 bis 2000 ein beachtlicher Konsolidierungserfolg erzielt wurde, lag zum einen daran, dass die Ausgaben um fast 6% gesenkt worden sind - in den anderen Ländern sind sie im gleichen Zeitraum um 8% gestiegen... Zum andern hatte sich Berlin von einem großen Teil seines kurzfristig veräußerbaren Landesvermögen getrennt. Von 1997 bis 2000 sind durch den Verkauf des ›Tafelsilbers‹ - insbesondere von Unternehmen der Energie- und Wasserversorgung - reichlich 10 Mrd. DM in die Landeskasse geflossen... Ein wichtiger Schritt bei den Bemühungen um eine Senkung der Ausgaben war der Abbau des aufgeblähten Personalstandes im Berliner Landesdienst. Von 1995 bis zum Jahr 2000 ist die Zahl der Beschäftigten - auf Vollzeitstellen umgerechnet - um 35.000 bzw. um ein Fünftel zurückgegangen.«2

Stadtpolitisch heißt Sparpolitik also: Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und massiver Personalabbau mit entsprechend negativen Konsequenzen für den regionalen Arbeitsmarkt. An Berliner Schulen erhalten die Schüler weniger Unterricht als in Hamburg oder Bremen. Privatisierung des öffentlichen Dienstes wird mit Einschränkungen des Leistungsangebotes oder höheren Preisen für die BürgerInnen erkauft. In wichtigen Infrastrukturbereichen schlägt sich der Rückgang der Investitionen in einer Verschlechterung der Lebensqualität nieder.

Das Bankenfiasko hat die Politik auf den Stand von 1996 oder 1997 zurückgeworfen. In einer Projektion für das Jahr 2005 rechnet das DIW vor: »Auch ohne Berücksichtigung der finanziellen Folgen der Bankenkrise für die Stadt verbleibt noch ein Defizit in der Größenordnung von 4 Mrd. DM; das sind etwa 10% des Haushaltsvolumens. Selbst dies wäre für Berlin allein kaum zu schultern.«3 Nahezu alle politischen Parteien proklamieren die Fortführung der restriktiven Ausgabenpolitik: Verschlankung des öffentlichen Dienstes, möglicherweise betriebsbedingte Kündigungen, Verkauf des verbliebenen Tafelsilbers, Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Eine Verbesserung der Einnahmen und die Frage einer Mindestqualität der sozial-kulturellen Dienstleistungen einer Stadt/Metropole werden eingeschränkt nur von der PDS zum Thema gemacht.

Meinungsforschungsinstitute berichten aber auch Positives - es ließe sich eine Aufbruchstimmung feststellen. Der Strukturwandel komme voran. Die Frontstadt ist in Rente geschickt worden. Während im Westen christdemokratisch gewählt wird, ist der Osten sozialistisch. Zwischen beide Blöcke müsse sich, so lautet die Überlegung auch im DIW, die Zukunft schieben. »Insbesondere im Bereich wissensintensiver und anderer unternehmensnaher Dienstleistungen drängen in Berlin in stark zunehmendem Maße neue Unternehmen auf den Markt. Dies war im letzten Jahr auch bei den privaten Dienstleistungen im Bereich der Medien und Kultur zu beobachten.« Dieser listigen Vernunft wäre der Bankrott der Berliner Bankgesellschaft nicht ungelegen gekommen. Einerseits würde der Milliardenverlust Berlin zum Status des fiskalpolitischen Notstands verhelfen. Andererseits könnte die verscherbelte Bank dem bedrängten Geldgewerbe Luft verschaffen.

PDS ante portas

Die Euphorie über den politischen Neuanfang wird verfliegen. Die trostlose Sanierungsaufgabe besteht darin, die Bevölkerung für eine Fortführung des Sparkurses zu gewinnen, damit eine Privatisierung der Bankgesellschaft Berlin möglich wird. Kredite an Parteifreunde sind nur die Spitze des Eisberges. Der Eisberg selbst besteht in einem zusammenbrechenden Immobilienmarkt, der mit über 1 Million Quadratmeter Büroräumen und über 100.000 leerstehenden Wohnungen eine massive Schieflage aufweist. Die Stadt Berlin kann ihrer Bankgesellschaft neues Kapital durch Kreditaufnahme zuführen, aber die potenziellen Käufer der Bankgesellschaft werden die Risiken für ein überzogenes Engagement im Immobilienbereich nicht mit übernehmen wollen. Die Bankgesellschaft Berlin ist an diesem Eisberg leckgeschlagen.

Die Sanierung der Bankgesellschaft ist verknüpft mit der Sanierung der Immobilienkrise, was ohne die Beteiligung des Bundes nicht vorstellbar ist. Die Bewältigung der Immobilienkrise hängt wiederum damit zusammen, die Auftriebskräfte der ostdeutschen Ökonomie so zu stützen, dass die Arbeitslosigkeit abgebaut und die Fluchtbewegung von qualifizierten Arbeitskräften in die Zentren Westdeutschlands gestoppt wird. Schließlich müsste mit dem Bund eine Konzeption über die Neugestaltung der Hauptstadt nebst der dafür erforderlichen Finanzzuschüsse ausgehandelt werden. Gysi hat Recht: Die ökonomisch-soziale Sanierung und eine Zukunftskonzeption für die Stadt Berlin könnten jener Fokus sein, an dem sich Kräfte in Ost- und West bündeln und somit ein Modell für die Lösung der Vereinigungsprobleme überhaupt entsteht. Allerdings sollte man die Realisierungschancen für einen radikalen Politikwechsel nicht überbewerten: Die parteitaktischen Manöver der Sozialdemokratie legen eher den Schluss nahe, dass die Dramatik der Krisenkonstellation noch nicht erkannt ist oder - wie der Umgang mit der ostdeutschen Ökonomie zeigt - auf die Zeit nach den Bundestagswahlen 2002 verschoben werden soll.

Gregor Gysi und die PDS haben die Chance zu einer Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse. Die Aufbruchstimmung treibt innerparteiliche Sekten ins Abseits und verunsichert die Kontrahenten. Sollten die Linkssozialisten sich auf ein Sanierungsprogramm innerhalb der Berliner Republik beschränken, wäre auch die Frage nach dem weiteren politischen Standort entschieden. Selbstverständlich muss sparsam gewirtschaftet werden; aber es geht auch um die Qualität der öffentlichen Leistungen, um menschenwürdige Arbeitsbedingungen und darum, dass endlich die Fehlentwicklungen in der ostdeutschen Ökonomie insgesamt zum Thema werden. Der andere Weg - weitere Verschlankung der öffentlichen Sektors, weitere Privatisierung, Anpassung des Wohnungsmarktes durch subventionierten Abriss und Zerstörung - bedingt die weitere Zerstörung des Gemeinsinns und der sozialen Strukturen.


Joachim Bischoff ist Redakteur von Sozialismus.
Fritz Fiehler ist freier Journalist in Schobüll (Nordfriesland).

1 1974 handelte sich die Herstatt Bank einen Verlust von über einer halben Milliarde DM in Devisengeschäften ein. Die Herstatt-Pleite sorgte für eine Stärkung der Einlagenfonds und Kreditaufsicht. 1976 musste die Hessische Landesbank Regierung und Sparkassen um zwei Milliarden DM angehen. Von dieser Malaise hat sich das System der Landesbanken nie wieder erholt.
2 DIW-Wochenbericht 25, 2001, S. 371.
3 Ebd.