Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Die Niederlage auf dem Fußballfeld als willkommenes Fanal gegen die „Dekadenz“ der Nation

7-8/10

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Der blamable Auftritt der französischen „Bleus“ bei der WM in Südafrika führt zu heftigen politischen Reaktionen und ideologischen Debatten. U.a. die extreme Rechte reibt sich die Hände: In ihren Augen ist das Scheitern der Nationalmannschaft nur das Spiegelbild einer Dekadenz der angeblichen Multikulti-Republik. Sekundiert wird ihr von (neo-)reaktionären Intellektuellen wie dem unvermeidlichen Alain Finkielkraut. Nach der Ideologiekampagne der konservativen Rechten vom Winterhalbjahr 2009/10, genannt „Debatte um die nationale Identität“ und sekundiert durch die neofaschistische Rechte, steht nun die nächste Gelegenheit zur Bebauchspiegelung „der Nation“ – und ihrer Stimmungslage – ins Haus.

Es war beinahe abzusehen, es war zu erwarten: Als Frankreich damals Fubball-Weltmeister wurde, noch dazu „bei sich zu Hause“ – beim WM-Endspiel in Saint-Denis, bei Paris, im Jahr 1998 - sprach alle Welt lobend von den Einwandererkindern unter Frankreichs Nationalkickern. Überall feierte man die Mannschaft unter dem Motto ,Black, blanc, beur’ (ungefähr: „schwarz, weib, arabischstämmig“), denn ungefähr so sah das damalige französische WM-Team unter Zinedine Zidane auch aus. Der sportliche Erfolg fiel damals zudem in eine Zeit des wiedererwachenden Optimismus vieler Französinnen und Franzosen, nachdem seinerzeit die – seit der Rezession im Winter 1992/93 spürbar hohe – Arbeitslosigkeit begonnen hatte, erstmals spürbar zurückzugehen: Frankreich stand zu Anfang des von Wirtschaftswachstum geprägten Konjunkturzyklus der Jahre 1997 bis 2000. Beide Faktoren zusammen sorgten für ein Stimmungshoch, für eine „Entkrampfung“ in der Einwanderungsdebatte, die damals schon seit fünfzehn Jahren durch rassistische Stimmungswellen und durch den 1983 begonnen Aufstieg des Front National geprägt war, aber auch für Rekord-Zustimmungswerte zur damaligen Regierung. (Vgl. dazu einen Artikel vom Verfasser dieser Zeilen vom Juli 1998: http://jungle-world.com/artikel/1998/30/34993.html )

Und heute? Heute wirkt fast alles anders; und jetzt kommt die Kehrseite der Medaille zum Vorschein. Manche Stimmen hatten ja schon damals, 1998, vorsorglich gewarnt:  Falls es mit dem Aufstieg der Nationalmannschaft nicht so gut klappe, wie es sich damals abzeichnete, dann sei Zinedine Zidane ziemlich plötzlich in manchen Augen ein „dreckiger Araber“. Und über die Einwandererkinder, soeben noch enthusiastisch gefeiert, sei dann aus manchen Mündern zu hören, diese Ausländer seien schuld an der französischen Niederlage.

Seit 2008 tauchte Frankreich in die Finanz- und Wirtschaftskrise ein, die Regierung ist von ihren Umfragewerten her ziemlich angeschlagen, hinzu kommen Selbstbedienungs-Skandale in der bürgerlichen Klasse (jüngst die Blanc-, Boutin-, Bougrab- und nun vor allem die Bettencourt-Affäre[1]). Und auch der sportliche Erfolg wollte sich, anlässlich der diesjährigen Fubball-Weltmeisterschaft in Südafrika, partout nicht einstellen. Dies alles widerspiegelt sich in einer Atmosphäre „zu Hause“, die von einer Mischung aus Depression und Aggressivität geprägt ist.  

Die Wut über die – unter anderem auch - Einwandererkinder und „farbigen“ Franzosen im WM-Team dient dabei im Augenblick als eine Art Blitzableiter. In den bürgerlichen Medien dient die Equipe derzeit als kollektiver Watschenaugust, an dem jede/r sich abreagieren darf, um sein Mütchen zu kühlen. Bei manchen Reaktionen ist dies eindeutig rassistisch aufgeladen. In anderen Fällen hingegen wird ein Zusammenhang zur Abzocker-, und Selbstbediener-Mentalität der „Ära Sarkozy“ und seiner Clique von Parvenus & Profiteuren gezogen: Ähnlich wie Nicolas Sarkozy, der in gehobenen Bourgeoiskreisen inzwischen als hochstapelnder Parvenu – dessen Ehrgeiz auf die Dauer seine Mittel überschritt – durchgeht, so seien auch den jungen Nationalspielern ihre Multimillionärs-Situation und ihr rapider Aufstieg zu schnell zu Kopf gestiegen. Ähnlich, wie Sarkozy sich oft wenig gewählt ausdrückt und einem Kritiker schon mal „Hau ab, Du armer Idiot!“ zurief, seien auch die neureichen Spieler mitunter vulgär. 

Es ist schon beinahe paradox: Deutschland, das 1998 (vor dem Hintergrund eines, damals mehr noch als heute, weitgehend auf Blutsrecht und Abstammung basierenden Staatsbürgerschaftsrechts) noch ein „rein weißes“ Fußball-Nationalteam zur WM entsandte, weist inzwischen selbst eine - von der Herkunft der Spieler her - quasi „durchmischte“ Nationalelf auf[2]. Frankreich, das damals im „weltoffeneren“ Charakter seiner Nationalmannschaft mehrheitlich einen wichtigen Vorteil erblicken wollte, scheint hingegen diesbezüglich mit Siebenmeilenstiefeln Rückschritte einzulegen. 

Jämmerliches Bild 

Die ,Bleus’, die französische Fubball-Nationalmannschaft, haben dieses Jahr ein äuberst schlechtes Bild dargeboten. Nicht nur in sportlicher Hinsicht schlecht und war ihren Gegnern sichtlich nicht gewachsen, u.a. mangels kollektiven Mannschaftsspiels, weil die einzelnen „Stars“ nicht wirklich zusammenpassten und ein offenkundig zu geringes Teamspiel entwickelten. Auswahltrainer Raymond Domenech – bei der letzten WM 2006, als Frankreich noch (gegen Italien) in das Berlin ausgetragene Finale kam, noch vielfach gefeiert - wird in breien Kreisen kritisiert und der Führungsschwäche geziehen. Ob zu Recht oder zu Unrecht, muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Gerüchte besagen u.a., er soll das WM-Team teilweise nach den jeweiligen Sternzeichen zusammengewürfelt haben. Allerdings ist auch nicht allen Presseinformationen zu glauben und über den Weg zu trauen, denn da sich Raymond Domenech im Vorfeld und bei der WM gegenüber Journalistenfragen wenig mitteilungsfreudig gab, wird er durch die Presse nicht sonderlich geschätzt. 

Zudem zeigten die Spieler sich arrogant und prasssüchtig: Nachdem die französische Elf sich im Vorfeld nur schwer und mühsam für die WM hatte qualifizieren können, schockierte es viele Beobachter, dass sie von allen Mannschaften eines der teuersten Hotels in Südafrika – die Nacht dort kostete 589 Euro pro Nacht und pro Nase – anmieteten. Sport-Staatssekretärin Yama Rade machte ihnen dies zunächst in scharfem Tonfall zum Vorwurf. Als sich dann aber herausstellte, dass Rade bei ihrem Aufenthalt in Südafrika selbst in einer Hotelsuite für 667 Euro pro Nacht ihr Haupt bettete, verstummte die Polemik; zumindest zwischen ihr und den Spielern. Das Publikum war’s jedoch nicht zufrieden. 

Den Höhe- respektive Tiefpunkt bildete dann zunächst die Antwort des – zuvor als arroganter Steuerflüchtling bekannt gewordenen – Spielers Nicolas Anelka auf Vorhaltungen des Auswahltrainers Raymond Domenech: „Geh’ und lass Dich in den A*** f***en, Du dreckiger H***sohn!“ (Historisches Zitat, erstmals veröffentlicht auf der Titelseite der Sportzeitung ,L’Equipe’ vom 19. Juni) Anelka wurde deswegen dringlich dazu aufgefordert, die Koffer zu packen, Südafrika und die WM zu verlassen. Doch daraufhin trat die übrige Mannschaft am Sonntag, 20. Juni – vor ihrem Schicksalsspiel gegen Südafrika, bei dem sie schlussendlich aus der WM ausschied – in einen Trainingsstreik, „aus Solidarität mit Anelka“. Dabei wäre es in dem Bus, aus dem mehrere Spieler sich auszusteigen weigerten, beinahe zu einer kollektiven Schlägerei zwischen dem trainings- und dem streikwilligen Teil der Mannschaft gekommen. Anlässlich des, für die ,Bleus’ blamabel verlaufenen, Spiels gegen Südafrika am 22. Juni traten wiederum viele aus Europa angereiste französische Fans  der Mannschaft ihrerseits „in den Streik“, wie manche von ihnen wortwörtlich auf Transparente gemalt hatten. Andere französische Fubballfans führten Trikoloreflaggen bei sich, hatten sich aber die Nationalfarben Südafrikas auf ihre Gesichter gemalt, feuerten die Bafanas (südafrikanische Mannschaft) an oder buhten und pfiffen bei der Vorstellungsrunde die Namen der französischen Spieler aus. Manche zeigten auch Irlandflaggen vor, eine Anspielung auf die umstrittene WM-Qualifikation Frankreichs im vergangenen Herbst. Damals hatten die ,Bleus’ sich im Ausscheidungsspiel gegen Irland nur qualifizieren können, weil Thierry Henry ein Tor schoss – bei dem er den Ball jedoch mit der Hand anfasste, was der Schiedsrichter nur nicht gesehen hatte. Nun sind die Iren also durch viele französische Fans „gerächt“ worden.  

Unterdessen fielen auch die französischen Medien, bürgerliche Presse und Sportzeitungen vereint, über die Mannschaft her. „Auf dem Feld der Unehre besiegt“, „das Gespött der Welt“ oder auch „Tschau, Hampelmann!“ - der an den Trainer Raymond Domenech gerichtete Titel der Gratiszeitung ,Métro’ - lauteten nur einige der unflätigen Pressekommentare.  

Auch die Politik mischte sich massiv ein: Präsident Nicolas Sarkozy forderte „Generalstände zur Erneuerung des französischen Fubballs“ im Herbst 2010, Gesundheits- und Sportministerin Roselyne Bachelot verlangte ihrerseits die Absetzung des Vorsitzenden des nationalen Fubballverbands (FFF), Jean-Pierre Escalettes. Bildungsminister Luc Chatel beklagte das schlechte Vorbild für die Jugend und prangerte das Verhalten Domenechs an, weil dieser sich nach Ende der Austragung des Spiels gegen Südafrika geweigert hatte, seinem Kollegen aus diesem Land – der ihn einige Monate zuvor kritisiert hatte – im Geiste sportlicher Fairness die Hand zu drücken. Der Internationale Fubballbund (FIFA) schaltete sich deswegen am Samstag, 26. Juni ein und erklärte, er verbitte sich jegliche „Einmischung der Politik“ und poche auf die „Autonomie der Sportverbände“. Bei Zuwiderhandeln könne man den französischen Verband ausschlieben; so, wie es jetzt dem Verband Nigerias droht, dessen Staatspräsident die erfolglosen Fubballer seines Landes (aus eigener Machtvollkommenheit) für zwei Jahre bei allen internationalen Spielen hat sperren lassen. 

Ferner hat die französische Nationalversammlung am Donnerstag, 1. Juli den (nunmehr ausgeschiedenen) Auswahltrainer Raymond Domenech und FFF-Chef Escalettes in ihre Räumlichkeiten zitiert. Ihre Anhörung fand in nicht öffentlicher Sitzung statt, doch drangen Einzelheiten über Twitter-Einträge eines undisziplinierten (?) Abgeordneten der Regierungspartei UMP nach drauben. Demnach, und nach allen vorliegenden Informationen, kam keine neue oder spektakuläre Erkenntnis dabei heraus. 

FFF-Chef Jean-Pierre Escalettes hat sein Amt zur Verfügung gestellt. Der kollektive Rücktritt des FFF-Vorstands, der infolge seiner Amtsniederlegung gerüchteweise erwogen worden war, fand jedoch nicht statt. 

Ethnisierung der Debatte über die ,Bleus’ 

Und wie es beinahe kommen musste, so kam es denn auch: Die Debatte fokussierte sich alsbald auf die - „ethnische“ und/oder soziale – Herkunft der Spieler, und auf ihre konfessionelle Zugehörigkeit. In einem Ausmab, dass die Staatssekretärin für Städtebaupolitik – Fadela Amara – sich am 22. Juni 10 genötigt fühlte, vor einer übermäbigen „Ethnisierung des Problems“ zu warnen: „Man ist dabei, dem Front National eine Autobahn zu bauen!“ 

In diesem Jahr war die Mannschaft insofern anders zusammengesetzt, als die Schwarzen klar dominierten (14 von 23 Spielern der ,Bleus’ waren „farbig“). Unter anderem auch, weil die nordafrikanischstämmigen Spieler, die 1998 noch prominent vertreten waren, in diesem Jahr fehlten: Manche von ihnen waren vom Auswahltrainer nicht qualifiziert worden, wie Karim Benzema, der zeitweise durch ein arrogantes und individualistisches Verhalten auffiel. Andere zogen es vor, in den Nationalmannschaften Marokkos und Algeriens zu spielen, was durch ein Dekret der FIFA erlaubt wird.  

(Aus diesem Grunde hat es übrigens de facto eine zweite französische Mannschaft bei dieser WM gegeben, nämlich die algerische: 17 von 23 Spielern der Mannschaft Algeriens – der ,Fenechs’ oder „Wüstenfüchse“ – waren im Ausland geboren, überwiegend in Frankreich. Nach jedem ihrer Spiele gab es Aufläufe in Frankreich, enthusiastische Autokorsos in Marseille oder Paris, ein bisschen Verkehrsbehinderungen, starke Präsenz von Polizeikräften wie am Pariser Boulevard Barbès, ein paar Ausschreitungen und Zusammenstöbe mit den Uniformträgern. Auch dies war wiederholt Gegenstand hasserfüllter rechter Kampagnen: Die neueste Plakatkampagne des FNJ – Jugendverbands des Front National – seit circa 14. Juni zeigt einen starken Arm, der energisch eine algerische Fahne abreibt, welche eine französische Flagge überklebt. Aufschrift: „Hier ist Frankreich!“) 

Junge Männer, die aus Einwanderer- oder aber karibikfranzösischen Familien stammen und oft ihre Jugendjahre zwischen 1985 und 1995 in französischen Vorstädten verbrachten, bildeten die dominierende Gruppe in der französische Nationalmannschaft. Dafür gibt es (neben dem auswahlbedingten Fehlen des „nordafrikanischen Elements“, s.o.) logische Erklärungen. Diese haben natürlich weder mit „rassischen“ oder genetischen Eigenschaften – wie sie jetzt oft unausgesprochen bemüht werden, um Schwarze als „athletisch“, aber zugleich wenig intelligent darzustellen – noch mit „umgekehrtem Rassismus“ zu Lasten der Weiben, wie er auch hin und wieder beschworen wird, zu tun. Vielmehr steht auf der einen Seite die starke Orientierung auf Aufstiegschancen, die hauptsächlich der Berufssport bietet, in vielen Familien aus der postkolonialen Einwanderung. Inklusive der Antillen oder französischen Karibikinseln, die seit dem 17. Jahrhundert formeller Bestandteil des Staatsgebiets Frankreichs sind, aber faktisch eine Quasi-Kolonialsituation mit einigen Besonderheiten aufweisen. 

 Auf der anderen Seite steht eine Ausrichtung bei vielen Profisport-Verbänden selbst, die besonders darauf erpicht sind, Schwarze als vermeintlich „besonders athletische Kraftsportler“ zu rekrutieren: Dies hat Tradition, seitdem der französische Profisport bei den Olympischen Spielen von 1936 in Berlin beobachten konnte, wie 25 Prozent der Medaillen der USA durch Schwarze eingesammelt wurden. Damals kam das etablierte Frankreich auf die Idee, ähnlich wie für die Armee – mit ihrer Debatte um die ‚force noire’ (FUSSNOTE[3]) - auch für den Sport zusätzliche Arme und Beine in den westafrikanischen Kolonien Frankreichs zu rekrutieren. Schon 1931 wurde der erste schwarze Nationalspieler – Raoul Diagne, aus Französisch-Guyana – in die Fubballnationalmannschaft aufgenommen. 1976 wurde mit Marius Trésor erstmals ein schwarzer (karibikfranzösischer) Spieler zum Mannschaftskapitän; zwei Jahre, bevor die Briten mit Viv Anderson ihren ersten „farbigen“ Nationalspieler hatten.  

Kitschklischees vom „Philosophen“ 

Diese Faktoren versuchten in den letzten Wochen und Monaten mehrere Artikel in der französischen Presse, rational zu erläutern[4]. Doch schon seit längerem hat es immer wieder Kritik und Häme an der „rassischen“ Zusammensetzung der französischen Nationalelf gegeben. Etwa von Jean-Marie Le Pen im Juni 1996, anlässlich einer  Europameisterschaft (es sei „künstlich, Spieler aus dem Ausland zu importieren und Nationalmannschaft zu taufen“) oder bei der WM 2006.  

Aber auch beispielsweise von dem neo-reaktionären Philosophen Alain Finkielkraut[5] – ein verbitterter kultur-elitärer Konservativer, der in den frühen 70er Jahren einmal maoistischer Agitator gewesen war und heute das Bildungsbürgertum vor zu viel „Massenkultur“ und Ansprüchen auf Teilhabe bedroht sieht - , der im November 2005 anlässlich der Unruhen in den französischen Banlieues der israelischen Tageszeitung ,Haaretz’ ein berüchtigt gewordenes Interview gewährte[6]. Darin entwickelte er nicht nur die Idee, der Kolonialismus habe „den Wilden auch Bildung und Zivilisation“ (bei)bringen wollen, sondern er ereiferte sich auch darüber, die französische National-Elf sorge dafür, „dass wir in der ganzen Welt verspottet werden“. Sie sei „black-black-black“, also rein schwarz. In genau dasselbe Horn blies auch der – in diesem Jahr wiedergewählte – populistische Regionalpräsident von Montpellier, Georges Frêche, der aufgrund diverser rassistischer Sprüche 2007 aus der französischen Sozialdemokratie ausgeschlossen wurde. (ANMK.[7]) 

In diesem Jahr legte zumindest der Philosoph Alain Finkielkraut seine Platte erneut auf. So sprach er von einer Nationalelf aus mehr oder weniger kriminellen Elementen, wörtlich von einer „Ganovenmannschaft“ und „Mafiamoral“, sowie von einer ,Génération Caillera’ (FUSSNOTE[8]). Aber er redete auch von „ethnischen und religiösen Spaltungen“ (sic). Ferner beklagte er, die bestehende Mannschaft rufe seinen Ekel hervor, und führte im Juni 2010 dazu aus: „Diese Mannschaft repräsentiert zwar nicht Frankreich, aber sie widerspiegelt es leider: mit seinen Clans, seinen ethnischen Spaltungen, und den Verfolgungen gegen den Klassenbesten: Yann Gorcuff.“ Gorcuff ist der aus einer weiben, bretonischen Lehrerfamilie stammende Nationalspieler, der zwar in diesem Jahr – etwa auch als Spieler beim Erstligisten Bordeaux – auch keine Glanzleistungen vollbrachte, aber durch einen Teil der Medien bei der WM gehätschelt und positiv gegen die „Vorstadtmafiosi“ (oder ,Caïds’[9]) im Rest der Mannschaft abgegrenzt wurde. Tatsächlich besteht eine charakterliche Unverträglichkeit etwa zwischen Gorcuff und Franck Ribéry, welche dafür sorgte, dass Ribéry vom Auswahltrainer forderte, nicht in der Nähe Gorcuffs auf dem Spielfeld zu stehen; und es spricht eher für die Schwäche des Trainers, einem solchen Verlangen nicht energisch Einhalt geboten zu haben. 

Alain Finkielkraut, der nicht gerade als notorischer Fußballkenner gilt, forderte dazu auf, die bestehende Nationalelf aufzulösen und künftig eine „Mannschaft auf Gentlemen“ zu bilden. Dass freilich ein Fubball-Nationalteam sich vor allem aus der Bildungselite rekrutieren könnte, wie es Finkielkraut anscheinend vorschwebt, dürfte als eher unrealistisch gelten. - Die Auslassungen des Quatschphilosophen wurden u.a. durch den Verband schwarzer Franzosen CRAN aufgrund ihres rassistischen Gehalts kritisiert[10]. 

Jüngst sprach der Chef der Jugendorganisation der Regierungspartei UMP, Benjamin Lancar, seinerseits von einer Mannschaft aus « Caïds und Racailles » (vgl. zu letzterem Begriff die vorangegangene Fußnote), wobei durch die Doppelung der Wortwahl der rassistische Charakter der Anspielungen noch offenkundiger wurde. (Vgl. http://www.7sur7.be) Überdies sprach er von angeblichen « ethnischen Spannungen » in der Nationalmannschaft (vgl. http://www.lepost.fr/). 

Extreme Rechte: Kampagnenziel „unpatriotische“ Fubballelf 

Im aktuellen Kontext, der von einer stark spannungsgeladenen Atmosphäre nach dem blamablen Ausscheiden aus der WM geprägt ist, braucht die extreme Rechte ihrerseits nur an die verbreitete Stimmung anzuknüpfen. Dadurch, dass Marine Le Pen schon ein bis anderthalb Wochen vor dem WM-Auftakt mehrfach vor Kameras und Mikrophonen öffentlich auf der Nationalelf herumhackte, hat die extreme Rechte einen erheblichen Aufmerksamkeitseffekt in Medien und Öffentlichkeit erzielt. Dies belegt nicht, dass die Leute „massenhaft“ mit ihr einverstanden wären – aber durch die frühen Angriffe (schon seit vor WM-Start) und die Häme zum Abschluss hat die extreme Rechte sich, durch die Prominenz ihrer „Zielschreibe“, einen festen Platz im  medialen „Buzz“ gesichert[11]. Auch von ihrer Seite weist man immer und immer wieder auf den „hohen Anteil an Farbigen“ in der Nationalelf, die zugleich als „vom Geld korrumpiert“ und „moralisch verdorben“ hingestellt wird, hin. Eine „wunderbare“ Mischung für eine üble populistische Kampagne, die im Übrigen anzuschlagen schien, da auch in den Leserforen von bürgerlichen Zeitungen schnell „politisierte“ Töne - zugunsten des FN - angeschlagen wurden. Es sei denn, dass es Kader des FN waren, die schnell auf dieses Sprungbrett aufhüpften und entsprechende „Leserkommentare“ verfassten[12]. 

Hinzu kommt der Hinweis auf den Anteil an Moslems in der Nationalelf, denn mehrere der Spieler (neben Nicolas Anelka, - einem Karibikfranzosen, der in der Pariser Vorstadt Trappes aufwuchs - ferner Eric Abidal, dessen Vater auch von der Antilleninsel La Martinique stammt, und der weibe Franzose aus Boulogne-sur-Mer, Franck Ribéry, der in den letzten Jahren bei Bayern München spielte) sind im Heranwachsenden-Alter oder als junge Erwachsene zum Islam konvertiert. In mehreren Fällen, weil dies die Bedingung für ihre Heirat mit ebenfalls in denselben Vorstädten aufgewachsenen Einwanderertöchtern war; im Falle von Franck Ribéry mit der aus dem algerischen Oran stammenden Ehefrau Wahiba, oder im Falle von Eric Abidal mit der ebenfalls algerischstämmigen Hayet. In anderen Fällen, weil ein - mit geringer ideologischer oder theologischer Tiefe ausgestatteter und oft selbstgebastelter -  „Volksislam“ eine in manchen Sozialbausiedlungen stark präsente „Alltagskultur“ mit prägt. Besonders der 27jährige Bayernspieler Franck Ribéry wurde durch die extreme Rechte zum Hassobjekt auserkoren: Einerseits aufgrund seiner Konversion zum Islam, andererseits, weil er sich noch zusätzlich als Beispiel für die „moralische Verderbtheit“ heranziehen lässt. Kaum zwei Monate vor Beginn der WM war er in die Schlagzeilen geraten, weil er Kontakte zu einer Luxusprostituierten unterhalte hatte: Am 12. April war die marokkanischstämmige Zahia Dehar (geboren im Februar 1992) bei einer Polizeirazzia im Call Girl-Milieu festgenommen worden und hatte einiges Wissen über ihre Kunden ausgepackt. Es stellte sich heraus, dass Ribéry eine Nacht mir ihr als „Geburtstagsgeschenk“ von seinen Kollegen offeriert bekommen hatte, als die junge Frau noch 17jährig war. Später traf er allerdings noch zwei oder drei mal mit ihr zusammen. Auch zwei andere Profispieler auf Nationalebene (Sidney Govou und Benzema) zählten zu den Kunden der blonden Edelprostituierten, die Tarife zwischen 1.000 und 2.000 Euro nahm. Ribéry war deswegen im Frühjahr 10 in der Presse  Gegenstand von Artikeln, die einen – in der Sache falschen – Zusammenhang zu seiner früheren Islamkonversion zogen, nach dem Motto: Ihm ist Polygamie ja erlaubt[13]. Seitens der extremen Rechten wurde viel Hass und Häme auf Franck Ribéry konzentriert. Fotos in rechtsextremen Internetpublikationen zeigen ihn oft mit erhobenen Handinnenflächen, also in betender Position eines Moslems, da er sich auf dem Spielfeld vor dem Anpfiff oft auf diese Weise vorbereitet.

Dadurch, dass Marine Le Pen in den jüngsten Chor der Verurteilungen aus der „politischen Klasse“ gegen die Nationalelf einstimmte, aber alle anderen an Lautstärke übertönte - nur sie ging so weit, den sofortigen Rücktritt von Sportministerin Bachelot zu verlangen – und zudem ihre Angriffe schon vor dem WM-Beginn startete, zog die extreme Rechte erhebliche Aufmerksamkeit auf sich. In der Sache wünschten die Spitzenvertreter des Front National offenkundig eine Niederlage des französischen WM-Teams. Dies ist nicht so neu, schon im Juli 2006 hatten führende Figuren der französischen extremen Rechten die damalige Niederlage im Finale gegen Italien beklatscht und begrübt: Italien hatte eine weniger „kosmopolitische“ Mannschaft aufgeboten. (Vgl. zu damals http://www.heise.de/oder http://www.scribd.com/ Das grundlegende Strickmuster ist noch älter: Schon des öfteren hatte die äuberste Rechte – oder die Reaktion generell – eine Niederlage der offiziellen Vertreter der Nation gegen einen äuberen Feind herbeigewünscht, um im Inneren mit der „Dekadenz“, der „vernegerten Republik“ oder dem Multikulti aufräumen zu können. Dies begann schon, als König Ludwig XVI. sich am Ende seiner Tage unbedingt eine Niederlage des jungen revolutionären Frankreich in den Kriegen gegen Europas Monarchien herbeiwünschte; und diese provozieren wollte, um mit den Revolutionären abzurechnen. Nur wurde er dafür, 1793, einen Kopf kürzer gemacht. In ähnlichen Geist fantasierte sich der französische Rechtsradikale Bernard Antony 2006 „Zidane, den Afrikaner“ in Ketten im Circus Maximus - im alten Rom - herbei, um die Niederlage der französischen gegen die italienische WM-Mannschaft zu feiern. 

Am 03. Juni 2010 erklärte Marine Le Pen in einer Sendung auf BFM TV: „Wenn sie (die Spieler) sich korrekt benehmen würden, wenn man im Munde dieser Spieler manchmal von Patriotismus reden hören würde, wenn nicht manche von ihnen sich weigern würden, die Nationalhymne zu singen, und wenn man sie nicht in die Nationalflaggen anderer Länder als des unseren eingehüllt sähe – dann wären die Dinge vielleicht anders. Aber im jetzigen Zustand gebe ich zu, dass ich mich nicht besonders in dieser Mannschaft wiedererkenne.“ Diese Sätze fielen acht Tage, bevor der Anpfiff in Südafrika erfolgte. Gleichzeitig räumte Marine Le Pen übrigens ein, von Fubball eher wenig zu verstehen. Im Unterschied zu den Äußerungen ihres Vaters Jean-Marie Le Pen von 1996 oder 2006 spielte sie allerdings - durchaus geschickt - nicht offen auf die Abstammung oder Hautfarbe der Spieler an, sondern vielmehr ihre angebliche (antipatriotische und gleichzeitig vom Geld verdorbene) Mentalität aufs Korn. 

Einige Wochen später dann kommentierte Jean-Marie Le Pen das - inzwischen vollständig eingetretene - Desaster am 22. Juni mit den Worten, es handele sich um eine „verdiente Niederlage“. Er fügte hinzu, dies sei „eine absolut politische Angelegenheit“, denn man habe aus der Nationalmannschaft „eine Flagge des Antirassismus machen wollen, statt sich (um) Sport“ zu kümmern. Allerdings warf „Cheftochter“ Marine Le Pen gleichzeitig Sportministerin Roselyne Bachelot eine „weltweite Erniedrigung unseres Landes“, durch ihre politische Verantwortung zur Entsendung einer falschen Mannschaft, vor. 

Auch die extreme Rechte auberhalb des Front National und unabhängig von ihm reagierte auf sehr ähnliche Weise. So die Webseite Rebelles.info, die zur extremen Rechten zählt, sich vom FN jedoch durch ihre scharfe Kritik am „antiwestlichen“ Kurs von dessen nationalrevolutionärem Flügel unterscheidet. Diese Internetpublikation unterstützt eher den aktivistischen, vorwiegend anti-islamisch und pro-abendländisch auftretenden, ,Bloc identitaire’ und den rechten Rand der Konservativen. Dem französischen FN ziehen ihre Macher eher die Lega Nord in Italien sowie den belgischen Vlaams Belang vor. Auf dieser Webseite ist in einem Artikel vom 19. 06. 10 zu lesen: „Die Implosion der Nationalmannschaft zeichnet die Implosion der französischen Gesellschaft vor(weg)“, natürlich wegen Moslems & Multikulti. Die parteiunabhängige rechtsextreme Wochenzeitung ‚Minute’ – die inhaltlich ähnlich wie Rebelles.info orientiert ist, aber in innerparteiliche Debatten beim FN einzugreifen versucht – überschrieb ihre Titelseite vom 23. Juni 10 mit den Worten: „Den Kärcher (= Hochdruckreiniger) für diese Racaille (= dieses Gesocks, diesen Abschaum)!“ Untermalt waren die milden Worte mit einem Foto von der französischen Nationalmannschaft auf dem Rasen. Die beiden Begriffe, Kärcher und Racaille (Gesocks), bilden eine offene Anspielung auf zwei Aussprüche des damaligen Innenministers Nicolas Sarkozy – im Juni 2005 in La Courneuve und am 25. Oktober 2005 in Argenteuil -, die auf die Jugend der Sozialghettos in den Trabantenstädten gemünzt waren und als offene Provokation erlebt wurden. 

Nicht abseits stehen durften auch die kleineren rechtsextremen Parteien. Der MNR (die frühere Partei Bruno Mégrets) denunzierte in einem Pressekommuniqué „eine Fubballmannschaft nach dem Abbild“ dessen, was aus Frankreich geworden sei: „Dies ist das Frankreich des Kommunitarismus, des Materialismus, der Gewalt und Vulgarität“. Der PdF (die „Partei Frankreichs“ unter Carl Lang) klagte in einer Presseaussendung „eine internationale Schande für unser Land“ an, und erhoffte sich eine künftige Mannschaft, „die aus wirklichen Mitgliedern unserer Nation besteht“. Die NDP („Neue Rechte der kleinen Leute“) von Robert Spieler wiederum beklagte, die bisherige Nationalelf widerspiegele „nicht die ethnische Zusammensetzung unseres Volkes“, sondern „ähnelte eher einer afrikanischen denn einer europäischen Mannschaft“. Um zum Schluss zu kommen: „Ein Ruinenfeld. Um so besser! Alles ist wieder aufzubauen. Auch wir müssen Frankreich und Europa wiederaufbauen.“ 

Am Freitag, den 25. Juni hielten einige Dutzend Rassisten eine Kundgebung vor dem Sitz des französischen Fußballverbands FFF ab[14] - deren organisatorische Zugehörigkeit unklar blieb, die aber laut Ansicht einer guten Kennerin der Szene zur „Ligue 732“ gehört haben können. (Diese vor kurzem entstandene Truppe trägt ihren Namen unter Anspielung auf das Jahr 732 n.Chr., in denen Karl Martell in der Nähe von Poitiers „die Araber besiegte“, d.h. in Wirklichkeit einen im Dienste spanischer katholischer Feudalherren stehenden Reitertrupp arabischer Soldaten besiegte. Sie rekrutiert u.a. Fußballschläger und versucht die britische Rassisten-Combo „Englisch Defence League“[15] nachzuahmen.) Die circa 30 bis 40 anwesenden Aktivisten skandierten vor dem Sitz der FFF: „Hier ist Paris, nicht Algerien!“ Und riefen ferner: „Sagt Monsieur Escalettes, dass wir eine weiße und christliche Mannschaft Frankreichs wollen. Werft die Kanacken, die Moslems und die Schwarzen raus. Sagt ihm, dass wir wiederum und alles kaputt hauen.“


Anmerkungen

[1] Christian Blanc, der bis am vergangenen Sonntag (o4. Juli) als Staatssekretär für das zukünftige ,Grand Paris’ - also den geplanten administrativen Zusammenschluss von Paris und eines Teils seiner Banlieue/Trabantenstädte - zuständig war, wurde aufgrund von flagranter Selbstbedienung aus dem Amt gedrängt. Er hatte auf Staatskosten für 12.000 Euro Zigarren verpafft. Als es herausgekommen war, zahlte er die Summe erst nach ausdrücklicher Aufforderung von Premierminister François Fillon - der darüber erbost war - in die Staatskasse zurück. Besonders peinlich war, dass Blanc seine Selbstbedienung auf Staatskosten auch noch einem Untergebebenen - Guillaume Jublot - anzulasten versuchte, der dafür in einem Interview mit der Sonntags-Ausgabe des ,Parisien’ vom o4. Juli zurückkofferte : « Ich habe die Zigarren von Christian Blanc nicht gestohlen/geklaut. » (S. http://www.leparisien.fr

Christine Boutin, bis vor einigen Monaten - rechtskatholische - Ministerin für Wohnungsbaupolitik, wurde im Juni 2009 aus diesem Amt abgelöst. Um die solcherart degradierte Ex-Ministerin (die das ultra-christliche Wählerspektrum abdecken soll) zufriedenzustellen, verlieh Präsident Nicolas Sarkozy ihr daraufhin den Auftrag, eine vage gehaltene Untersuchung zum Thema « Soziale Folgen der Globalisierung » durchzuführen. Diese « Mission » wurde ihr mit saftigen 9.500 Euro monatlich entlohnt. Diese stolze Entlohnung, die ohne reale und überprüfbare Gegenleistung blieb, kam zu einer Parlamentarier-Rente in Höhe von 6.000 Euro zuzüglich einer Pension für sonstige frühere Funktionen von 2.500 Euro hinzu. Nachdem die Wochenzeitung ,Canard enchaîné’ am 16. 06. 10 über diese satte Bedienung der Ex-Ministerin berichtet hatte, musste Madame Boutin dann jedoch auf die Dopplung - fettes « (Pseudo-)Gehalt » plus fette Rente - verzichten. 

Jeanette Bougrab, 36, Tochter eines Harki (früheren pro-französischen Kämpfers im Kolonialkrieg in Algerien), wurde im April 2010 durch Präsident Nicolas Sarkozy an die Spitze der Anti-Diskriminierungs-Behörde HALDE ernannt. Eine ihrer ersten Amtshandlungen bestand darin, am o3. Mai über eine Anpassung ihres Gehalts abstimmen zu lassen, das (laut einem Artikel der Enthüllungszeitung ,Le Canard enchaîné’ vom 26. 06. 10) von gut 6.100 Euro unter ihrem Vorgänger Louis Schweitzer auf 14.000 Euro wuchs. Also mehr als verdoppelt wurde. Bougrab hat die Zeitungsinformation allerdings als « diffamierend » bezeichnet und dementiert, musste laut Angaben des ,Canard enchaîne’ jedoch auf die kleine Verdoppelung ihres Gehalts verzichten.

Die mit Abstand gewichtigste Affäre, zu der derzeit täglich neue Enthüllungen hinzu kommen, dreht sich jedoch um die Steuerhinterziehung der Milliardärin Liliane Bettencourt und die höchst wahrscheinliche Mitwissenschafter des früheren Haushaltsminister (und jetzigen Ministers für Arbeit & Soziales) Eric Woerth. Der rechtskonservative Minister, der ursprünglich aus einem eher monarchistischen Umfeld kommt, ist politisch schwer angeschlagen. Präsident Sarkozy steht sich aber nach wie vor granithart hinter ihm, da Woerth derzeit eine absolut strategische Stellung besetzt, weil er in den kommenden Monaten als zuständiger Minister die « Reform » des Rentensystems durchdrücken soll. (Vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd7810/t207810.html, gegen Schluss des Artikels) Auch Sarkozy selbst wird inzwischen durch diese Affäre in Mitleidenschaft gezogen. Am Dienstag, o6. Juli, kam beispielsweise heraus, dass die Milliardärin Bettencourt 150.000 Euro in bar ( !) an Eric Woerth « für den Präsidentschaftswahlkampf Nicolas Sarkozys von 2007 » bezahlt haben soll. (Vgl. http://www.lejdd.fr/ und http://www.lejdd.fr/ ) Das Regierungslager hat, na klar, dementiert. Aber die Polizei bestätigte ihrerseits am Mittwoch, o7. Juli, dass die Angaben der früheren Buchhalterin von Madame Bettencourt in den Jahren 1995 bis 2009 (Claire Thibout) - die diese zuerst bei einer polizeilichen Vernehmung und später gegenüber dem Internet-Magazin ,Médiapart’ (Ausgabe vom o6. o7.) tätigte - über eine Bar-Abhebung von 50.000 Euro am 26. März 2007 zu diesem Zwecke zutreffend gewesen sei. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/) Claire Thibout hatte angegeben, an jenem Tag 150.000 Euro abgehoben zu haben : 50.000 in bar von einem Konto bei der BNP, und 100.000 von einem Schweizer Geheimkonto ; ferner seien vergleichbare Summen zwei mal pro Monat in Bargeld abgehoben worden, um Sarkozys UMP auf illegalem Wege zu finanzieren. Am Donnerstag, o8. Juli 10 verlautbarte jedoch, dass die Familie Bettencourt über Quittungen in Höhe von circa 40.000 Euro verfüge, die angeblich die Verwendung dieser Gelder von jenem Tag im März 2007- zu anderen Zwecken als der illegalen Parteienfinanzierung - belegen. Im Laufe des Tages zog Claire Thibout einen Teil ihrer Aussagen zurück : Die Angaben gegenüber ,Médiapart’ seien « ausgeschmückt » gewesen. Andere Angaben wurden jedoch durch ein Tagebuch der früheren Buchhalterin, das die Ermittler beschlagnahmen konnten, bestätigt. Den Teil-Rückzug der erneut polizeilich befragten Dame nutzt nun das politische Lager des Präsidenten, um in die Offensive zu gehen un dalle Vorwürfe als Lug & Trug hinzustellen. Möglicherweise knickte Thibout teilweise ein, weil sie erheblich Einfluss aus sie genommen und Druck aus ihrem Umfeld auf sie ausgeübt wird ; möglicherweise will sie auch einfach nicht eines Tages erhängt in einem Waldstück aufgefunden werden. Oder aber ein Teil bewusst falscher Vorwürfe waren vornherein in ihr Aussagenpaket eingebaut, um es später entschärfen zu können. 

Der Minister Eric Woerth beginnt seit Anfang Juli - und bis zur jüngst (am o8. Juli) einsetzten Gegenoffensive -, für das Regierungslager allmählich unhaltbar zu werden. Doch Woerth schloss am Dienstag, o6. Juli, einen Rücktritt kategorisch aus. Präsident Nicolas Sarkozy hält bis zur Stunde eisern an ihm fest. Premierminister François Fillon seinerseits beklagte eine « Menschenjagd » auf den armen Minister (s. http://www.lejdd.fr/ ), und das Regierungslager - u.a. in Gestalt des derzeitigen Haushaltsministers François Baroin - beschuldigt die sozialdemokratische Parlamentsopposition, aufgrund ihrer Kritik nur absichtlich die extreme Rechte zu stärken, um den Konservativen zu schaden (vgl. http://www.lejdd.fr/ ). Die sozialistischen Abgeordneten waren am Dienstag Nachmittag, als symbolischer Protest aufgrund dieses Vorwurfs der bewussten Komplizenschaft mit der extremen Rechten, aus dem Parlament ausgezogen.  

Präsident Nicolas Sarkozy verkörperte schon seit dem Abend nach seinem Wahlsieg im Mai 2007 (mit schwerreichen Spendern im extrem teuren Delikatessenladen Fouquet’s) und seinem darauffolgenden Verschwinden für einige Tage - er hatte öffentlich behauptet, sich zur Besinnung « in ein Kloster zurückzuziehen », wurde jedoch stattdessen auf einer Luxusyacht aufgespürt, die im Privateigentum des Milliärds Vincent Bolloré steht - wie kaum ein Zweiter ,le système Bling-Bling’, also das Schicki-Micki-Wesen. Er hat nun inzwischen einen Rekordwert an Unpopularität erreicht. (Vgl. http://www.lejdd.fr/) Unterdessen erklären in Umfragen 64 % der befragten Französinnen und Franzosen, dass ihre politische Klasse « eher korrupt » sei. (Vgl. http://www.lepoint.fr/)  

Nur schade, dass von diesem Klima derzeit tatsächlich vor allem die extreme Rechte - mit einfachen populistischen Parolen, einem Neiddiskurs und moralisierendem Gebaren - politisch profitiert. Die regierende bürgerliche Rechte ihrerseits tut alles, um die Rechtsradikalen zur vermeintlich glaubwürdigen Anti-Korruptions-Partei hochzustilisieren, um den FN als scheinbar einzige Alternative zu ihrem eigenen Sumpf aufzubauen - und um zugleich zu versuchen, die Kritik von Seiten der Linksopposition mundtot zu machen. Nach dem Motto: Entweder seid Ihr mit uns - oder aber Ihr haltet notwendig zum Front National. (Vgl. http://www.aporismes.com) Auch im Hinblick auf eventuelle künftige Bündnisse des Bürgerblocks mit dem FN, die in den letzten circa drei Monaten erstmals ernsthaft in der Öffentlichkeit erwogen wurden (vgl. http://jungle-world.com/artikel/ ). Aufgrund der Tatsache, dass die verbreitete Empörung über den Korruptions- und Affären-Sumpf der Regierungsrechten nicht zu aktiven sozialen Mobilisierungen führt -wie etwa ein Lohnkampf oder ein Kampf um konkrete Bürgerrechte -, sondern eher zu politischer Resignation verknüpft mit Ekel einlädt, begünstigt dieses aktuelle Klima wirklich eher die extreme Rechte als eine Kritik von der Linken. Obwohl beide Oppositionslager gestärkt werden, kann vor allem der FN eine neue Dynamik entfalten. Laut dem konservativ-reaktionären Wochenmagazin ,Valeurs Actuelles’ (o8. Juli) vertritt Nicolas Sarkozy die Auffassung, die aktuelle Situation rund um die Affären bringe dem Front National bei den Wahlern « fünf Prozent zusätzlich » ein. Einige Politiker des Regierungslagers sehen ihn in naher Zukunft bei über 20 Prozent ankommen.

[4] Vgl. besonders « Le bleu et le noir » in  « Le Monde » vom 02. März 2010 (-> http://abonnes.lemonde.fr/cgi-bin/ACHATS/ARCHIVES/archives.cgi?ID=8a39338a2412b786fef20b6eeeed4be9780db444090b0af5), oder den Artikel des (progressiven) Soziologen Stéphane Beaud in « Libération » vom 22. 06. 2010, unter dem Titel : « Die ,Bleus’ sind die Kinder der städtischen Segregation » (-> http://www.liberation.fr/s. Siehe ferner auch http://www.rue89.com in der Internetzeitung ,Rue 89’, oder folgenden Artikel im Kulturmagazin ,Les Inrockuptibles’ : « Les Bleus et l’arnaque ethnique » (Ausgabe vom 3o. o6. 2010), vgl. http://www.journaux.fr/ 

[6] Vgl. dazu http://www.trend.infopartisan.net/trd1205/t221205.html  - Derselbe « Philosoph » Alain Finkielkraut hatte im März 2005, anlässlich gewalttätiger Übergriffe von Vorstadtjugendlichen auf eine Oberschüler-Demonstration in Paris, in den Medien die (Quatsch-)These vom « antiweiben Rassismus » breitgetreten. Finkielkraut kommt recht häufig in Medien wie dem ,Figaro’ und vor allem dem ,Figaro-Magazine’ zu Wort, beklagt sich aber gerne larmoyant-weinerlich darüber, niemand erteile ihm das Wort und seine Auffassungen würden überall totgeschwiegen. Hätte er ab und zu das Maul gehalten, man hätte ihn vielleicht weiterhin für einen Philosophen halten mögen…  

[7] Der populistische Regionalpräsident Georges Frêche kombiniert (wie andere Politiker in den Mittelmeerregionen mit hohem Anteil früherer Algerienfranzosen) einen paternalistisch unterlegten Rassismus gegenüber früheren Kolonial-Untertanen mit einer Dosis an Philosemitismus, welch letzterer mit dem starken Pro-Israel-Trend der kolonialnostalgischen Rechten korrespondiert. 2007 dichtete Frêche sich zeitweise auch selbst eine jüdische Abstammung an (und erneut Anfang 2010: http://www.ladepeche.fr), die er aber gar nicht hat, zumal er kurz darauf präzisierte, er „hätte gerne“ solche Ursprünge, vgl. http://www.lexpress.fr/actualite. Im selben Jahr - 2007 - wurde er aus der französischen Sozialistischen Partei ausgeschlossen, weil er diverse rassistische Sprüche über die Jahre hinweg getätigt hatte. Dies reichte von seiner Bezeichnung eines Stadtteils in Montpellier, den er glatt ins Ausland verbannte – „Man steigt in die Métro ein, und in Ouarzazate (Anm.: marokkanische Bergarbeiterstadt im Atlas-Gebirge) wieder aus“ – bis zu seinen Sprüchen über die ihm „zu schwarze“ Nationalelf. Frêche, der in jeglicher Hinsicht mit Merkmalen der Abstammung und Herkunft als politischem Stigmatisierungs- oder, umgekehrt, Klientel-Merkmal operiert und manipuliert, monierte 2006, angeblich seien „neun von elf Nationalspielern schwarz“. 

Im Dezember 2009 wurde der hemmungslose Populist Georges Frêche „rückfällig“: In einer Rede, die er im Laufe des Wahlkampfs in Montpellier hielt und deren Inhalt im Januar 2010 bekannt wurde, hatte er seinem sozialdemokratischen (Ex-)Parteifreund Laurent Fabius – Premierminister in den Jahren 1984/86, Wirtschaftsminister im Zeitraum 2000/02 – eine „nicht sehr katholische Fresse“ attestiert. Dieser Ausdruck bezeichnet zwar im Französischen auch jemanden, der „nicht ganz sauber“ oder „nicht koscher ist“. Aber im Zusammenhang mit einer Attacke auf Laurent Fabius, dessen jüdische Herkunft allgemein bekannt ist und der in Vergangenheit Gegenstand heftiger antisemitischer Kampagnen war (im Zusammenhang mit dem Skandal um die Verwendung HIV-kontaminierter Blutkonserven in französischen Krankenhäusern, unter seiner Regierung um 1985, wurde er als „Blutvergifter“ der Nation angegriffen), hatte dieser Ausspruch einen üblen Beigeschmack. 

Frêche tritt üblicherweise nicht als Antisemit, sondern mit einer dick aufgetragenen Dosis Philosemitismus auf; die rechtsradikale „Jüdische Verteidigungsliga“ (LDJ), französischer Ableger der - in den USA und Israel wegen Rechtsterrorismus verbotenen - rassistischen Kach-Bewegung, erklärte ihm deswegen ihre Unterstützung (vgl. http://droites-extremes.blog.lemonde.fr/ ). Es ging Georges Frêche allerdings taktisch darum, eine Wählerschaft anzusprechen, die in „seiner“ Region mitunter in hohen Anteilen für die extreme Rechte stimmt. Dennoch konnte er bei den Regionalparlamentswahlen im März 2010 den Front National nur im ersten Wahlgang eindämmen: Jener erhielt im ersten Durchgang in der Region von Montpellier (Languedoc-Roussillon) – leicht unterdurchschnittlich – rund 11 Prozent, wuchs aber dann im zweiten Wahlgang vom 21. März doch auf über 19 Prozent der abgegebenen Stimmen an. Regionalpräsident Frêche wurde mit rund 53 % der Stimmen wiedergewählt. Die französische Sozialdemokratie, die nach jahrelangem sträflichem Zögern „kurz vor knappe“ doch noch eine – in letzter Minute zusammengestoppelte – konkurrierende Liste gegen jene ihres Ex-Mitglieds aufgestellt hatte, konnte ihm nicht gefährlich werden. U.a. weil diese PS-Liste und eine mit ihr rivalisierende Liste der Grünen sich im ersten Wahlgang gegenseitig behinderten, konnte keine von beiden in die Stichwahl einziehen. 

Derselbe Georges Frêche hatte im Jahr 1973, im Vorfeld damaliger Parlamentswahlen, noch taktisch mit dem Front National – damals eine wenige Monate zuvor, im Oktober 72, frisch gegründete Splitterpartei – kooperiert. Es ging damals darum, die Stimmen frustrierter Algerienfranzosen, früherer Kolonialsiedler, und von „nicht gaullistischen Rechten“ (u.a. aus dem Milieu der bewaffneten kolonialistischen Organisation OAS, die de Gaulle ab 1961/62 wegen des Rückzugs aus Algerien mit terroristischen Methoden bekämpft hatte) zu gewinnen. Um die gaullistische bürgerliche Rechte „von beiden Seiten zu urarmen“, wie es später auch der Machiavellist François Mitterrand probierte, traf Georges Frêche damals mit rechtsextremen Kadern zusammen. (Vgl. http://www.laprovence.com und http://mathieusoliveres.midiblogs.com oder http://www.ldh-toulon.net/spip.php?article1133) Diese politische Konstellation hat ihn jedenfalls stärker geprägt, als seine kurzzeitige maoistische Phase in den 60er Jahren, die der ferneren Vergangenheit angehört, aber des Öfteren in Kommentaren beschworen wird.  

Ceterum Censeo: Nicht wirklich verwunderlich ist übrigens, dass ein deutsches Rassistentantchen, das seine dicke Rente am Mittelmeer verjubelt, zu den fanatischen Unterstützer/inne/n des - im selben Landesteil ansässigen - Regionalpräsidentin Frêche zählt: Dessen eigentümliche Mixtur aus Kolonialnostalgie, Rassismus und einer dicken Prise Philosemitismus scheint ihr sehr verlockend zu wirken. (Vgl. http://www.eussner.net/) Und ferner gilt: Klar, dass, wer über die Moslems ähnlich redet wie sonst die Nazis über die Juden, auch am Wettbewerb über die übelsten ethnisierenden oder kulturalisierenden Sprüche über das schlechte Abschneiden der französischen Nationalelf seinen oder ihren Senf dazusteuern muss. Vgl. hier http://eussner.net/artikel_2010-06-24_09-55-11.html und http://eussner.net/artikel_2010-06-22_10-58-19.html .

 [8] Die Bezeichnung « Caillera » stellt eine, dem Vorstadt-Slang entsprechende Verdrehung des Begriffs « Racaille » dar. Dieses Wort bedeutet ungefähr so viel wie « Gesocks » oder « Abschaum ». Es dient in den 1920er und 1930er Jahren - neben dem Begriff « métèques » -  der rechtsextremen Action française (AF) dazu, Ausländer respektive Einwanderer und « Rassenmischlinge » zu titulieren. (Vgl. dazu ausführlich : http://www.reseau-terra.eu) Seit den 1990er Jahren hat der Begriff allerdings auch massiv in den Jugend- und Vorstadt-Slang und in manchen Schulen, als Beschimpfung, aber mitunter auch als (mehr oder minder ironische) Selbstbezeichnung, Eingang gehalten. Verwendung hat er auch bei dem berühmten Auffritt Nicolas Sarkozys in der Pariser Trabantenstadt Argenteuil vom 25. Oktober 2005 gefunden. 

[9] Der Ausdruck ,caïd’ (vom Arabischen: qaid) bezeichnete im französischen Kolonialsystem in Nordafrika « eingeborene » Beamte, die vom kolonialen Herrschaftssystem eingesetzt wurden, u.a. um Steuern einzutreiben - und die dabei völlig freie Hand hatten, mit nackter Gewalt gegen ihre Landsleute vorzugehen und diese buchstäblich auszuplündern. Eine Machtposition, von der viele unter ihnen auch hemmungslos Gebrauch machten. Der Begriff widerspiegelt also in Wirklichkeit vor allem die Gewalt des damaligen Kolonialsystems im « französischen Algerien ». Später wurde er zum Syonym für « kleine », örtliche Mafiabosse oder auch führende Figuren der Vorstadtkriminalität. Während die Brutalität der historischen ,Caïds’ vor allem jene des Herrschaftssystems widerspiegelte, hat der Begriff heute oft einen Beigeschmack, der auf die - ausländische oder postkoloniale - Herkunft anspielt.

 

Der Begriff ,caïd’ im Zusammenhang mit der französischen Fußball-Nationalmannschaft wurde jüngst etwa durch Sportministerin Roselyne Bachelot vor der Nationalversammung benutzt (vgl. http://www.foot01.com : « Unreife Caïds herrschen », bei den Bleus, « über verängstigte Kinder »). Auch der dort, wo es um ethnisierende Sprüche geht, unvermeidliche konservative Fernsehjournalist Eric Zemmour setzte seinen entsprechenden Senf hinzu und sprach von « ethnischen Clans » und « Sandkasten-Caïds » in der Nationalmannschaft (vgl. dazu auf der Webseite einer rechtsextremen, rassistischen Internetpublikation: http://www.fdesouche.com/). Diese Wortwahl gefiel natürlich auch der extremen Rechten, etwa der Homepage der Web-,Infoagentur’ aktivistischen « Identitaires » (vgl. http://fr.novopress.info/) oder beim Front National (vgl. http://www.fn76.fr/).

[15] Vgl. zu ihren deutschen Unterstützern: http://redaktion-bahamas.org/auswahl/web59-2.html 

 

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.