Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Frankreichs Regierungs-Rechte und Super-Reiche
Korrupt bis zum Anschlag *
 

7-8/10

trend
onlinezeitung

(* Aber da fragt der Dichter sich doch glatt:
Wann findet dieser Anschlag denn nun endlich statt? Na, ja fragen wird man ja noch dürfen...)

Zweiter Teil unseres Polit- & Kapital-Krimis um Eric Woerth, Liliane Bettencourt und Nicolas Sarkozy, bei dem wir für Sie (Liebe Leser/innen) die Puzzleteile mühevoll zusammensuchten - Den ersten Teil siehe hier: http://www.trend.infopartisan.net/trd7810/t367810.html  

Neue Einzelheiten zur Bedienung einer Schwerreichen-Klientel durch Sarkozys Fachmann für Geldgeschäfte, Eric Woerth, zur Selbstbedienung der regierenden Bande und zur Entwicklung des verästelten Politskandals – Der Skandal weitet sich um weitere Affären des Ministers Woerth (die Erbschaften César und Wildenstein, auf dem Umweg über „Steuerparadiese“) aus – Ende Juli wurde Eric Woerth am Amtssitz seines Ministeriums, mit Samthandschuhen, „verhört“ - Unterdessen sind die politischen Konsequenzen aus den Affären noch unklar: Beflügelung von Sozialprotest, oder von rechtsradikalem „Volksempfinden“? Das Regierungslager tut alles dafür, dass es eher in letztgenannte Richtung läuft... 

Die Schlinge um Eric Woerth zieht sich immer enger zu. Zwar ist noch nicht sicher, ob der amtierende französische Arbeits- & Sozialminister Eric Woerth von diesem Posten zurücktreten wird müssen. Doch die Entwicklung der Ereignisse bzw. Enthüllungen könnte ihn eventuell über kurz oder lang dazu zwingen. 

Er selbst verweigert dies bisher strikt und weist alle Vorwürfe gegen ihn als angebliche Verleumdungen und böswillige Kampagne zurück. Hinter ihm steht Präsident Nicolas Sarkozy, der gerade diesen Minister im Augenblick kaum „opfern“ kann und will: Erstens muss der Mann in Bälde die nächste wichtige „Sozial-Reform“ (und gleichzeitig die letzte in Sarkozys fünfjähriger Amtszeit), nämlich jene der Renten, an vorderster Front durchboxen. Und zum Zweiten würde Sarkozy zumindest bei dem wichtigsten Korruptionsskandal, in welchen Woerth verwickelt ist – der Bettencourt-Affäre – schnell selbst in der ersten Reihe stehen, falls Eric Woerth den Abgang machen müsste. Denn sofern die gegen ihn erhobenen Vorwürfe illegaler Parteienfinanzierung zutreffen, dann waren die von ihm bspw. im Hause Bettencourt eingestrichenen Gelder zuvörderst für die illegale Finanzierung von Sarkozys Präsidentschaftswahlkampf 2006/07 bestimmt. Also würden die Schlammspritzer Sarkozy treffen, falls Woerth nicht mehr im Amt wäre, um sie zuerst abzukriegen[1]. In jedem Falle ist es die ganze verkommene Mentalität der – gar zu offensichtlich auf eigenen Vorteil, „geldwerte Werte“ und protzerisches Angebertum (,bling-bling’) bedachten - Umgebung Sarkozys, die im Visier der Kritik steht, seitdem der Geldsumpf sich unter den Augen der Öffentlichkeit ausgebreitet hat.[2]  

Woerth war seit dem Jahr 2002 und bis zum vorletzten Freitag, den 30. Juli 2010, auch Schatzmeister der Regierungspartei UMP[3]. In dieser Eigenschaft war er für die Beziehungen zu reichen Spendern & Sponsoren zuständig; nicht nur Liliane Bettencourt. Infolge der Enthüllungen – und auf ausdrückliche Anregung Nicolas Sarkozys in seiner TV-Ansprache vom 12. Juli hin – gab Eric Woerth dieses Amt dann jedoch auf, wie er am 13. Juli (laut Sarkozys Ansicht angeblich zu vorschnell) ankündigte. Seit dem letzten Juliwochenende 2010 wurde in er dieser Funktion durch UMP-Generalsekretär Xavier Bertrand abgelöst. 

Von allen Vorwürfen reingewaschen ? 

Der Minister Eric Woerth selbst sieht sich angeblich „von allen Vorwürfen reingewaschen“, stellt es jedenfalls in der Öffentlichkeit so dar. Dabei bleiben auch in der Bettencourt-Affäre schwere Verdachtsmomente gegen ihn bestehen, auch wenn er selbst alles abstreitet. So kam aufgrund einer Untersuchung der Tagebücher von Claire Thibout - der früheren Buchhalterin der Milliardärin Liliane Bettencourt – heraus, dass Eric Woerth am 19. Januar 2007 mutmaßlich eine Verabredung mit Bettencourts Vermögensverwalter Patrice de Maistre hatte. Höchstwahrscheinlich. Denn die Formulierung in den Tagebüchern lautet „Verabredung Patrice und Schatzmeister“. Zu dem Zeitpunkt war in Frankreich Präsidentschaftswahlkampf, und Woerth war Schatzmeister der UMP, also von Nicolas Sarkozys Wahlkampfmaschine. Am Vortag wiederum – also dem 18. 01. 2007 – hatte die Buchhalterin die Übergabe von 50.000 Euro in bar in einem Umschlag an Patrice de Maistre notiert.[4]  

Inzwischen wurde auch ausdrücklich bestätigt, dass es Eric Woerth war, der an jenem 19. Januar 2007 um 8.30 Uhr früh in einem Pariser Café mit dem Vermögensverwalter Patrice de Maistre verabredet war. Dies hat der Anwalt von de Maistre, Pascal Wilhem, explizit eingeräumt; allerdings bestreitet er energisch, dass es anlässlich dieses Treffens zur Übergabe von Geldbeträgen in bar gekommen sei[5]. – Zu Beginn des Ausbruchs der Bettencourt-Affäre hatten sowohl Eric Woerth als auch Patrice de Maistre jeweils erklärt, einander nicht (persönlich) zu kennen. Eine weitere Unwahrheit also; zumal es auch enge private Kontakte zwischen dem Ministerialkabinett Woerths und der Familie de Maistre gab (Anm.[6]). Zumindest einmal vor ihrer Verabredung „im Café“ hatten die beiden Herren sich im Übrigen bereits „geschäftlich“ getroffen: nämlich am 29. September 2006, um darüber zu diskutieren, wie Finanzfachmann de Maistre am stärksten „legal“ den Wahlkampf der Rechten und Nicolas Sarkozys finanziell unterstützen könne[7]. Nun aber, bei dem treffen „im Café“, ging es offenkundig um die eher inoffiziellen, illegalen finanziellen Aspekte des Geschäfts...  

Von solchen Geldübergaben in bar, „in braunen DINA5-Umschlägen“, war zuvor viel in den Aussagen früherer Angehöriger von Bettencourts Hauspersonal die Rede gewesen (vgl. den ersten Teil unserer Untersuchung: Die Leiden des alten W.). Dies wurde natürlich offiziell dementiert. Doch inzwischen konnten die Ermittler in Sachen Finanzdelikte zumindest bestätigen, dass die Aussagen von Bettencourts Ex-Buchhalterin Claire Thibout insofern stimmen[8], als sie angegeben hatte, dass französische Banken ihr die Auszahlung von zu groben Barbeträgen verweigert hätten (weil ab 50.000 Euro aufwärts eine Kontrolle durch ,Tracfin’, eine gegen Geldwäsche kämpfende Behörde, erfolgen muss). Thibout hatte deswegen erklärt, sich für den Rest einer Barabhebung über 150.000 Euro an eine Schweizer Bank gewendet zu haben, bei welcher Liliane Bettencourt ebenfalls Guthaben liegen hatte. 

Inzwischen wurde publik, dass die Bank Dexia ihr im Dezember 2006 eine Abhebung in bar in Höhe von 500.000 Euro (aus ähnlichen Gründen) verweigert hatte. Dies geht aus internen Dokumenten der Bank hervor und wurde durch die Bank Dexia bestätigt.[9] Liliane Bettencourts Vermögensverwalters namens Patrice de Maistre hat seinerseits behauptet, solche Summen an Bargeld seien im Hause Bettencourt üblich gewesen, und Madame Bettencourt habe etwa 400.000 Euro in bar dazu benutzen wollen, um „sich einen Ring zu kaufen“. Eine Erklärung, die umso unwahrscheinlicher ist, als das französische Gesetz Barzahlungen ab 3.000 Euro verbietet und bei diesen Gröbenordnungen eine Zahlung per Scheck oder Kreditkarte vorschreibt – eine Regelung, die just dem Kampf gegen Finanzdelikte und Geldwäsche dient (und übrigens durch einen gewissen Eric Woerth im Zeitraum 2009/10 für gut ein Jahr ausgesetzt worden war[10]). Diese wüsten Behauptungen Patrice de Maistres veranlassten Zeitungen zu Titeln wie „De Maistre watet im Geld der Bettencourt“ oder auch „De Maistre ersäuft/ertrinkt im Bargeld“[11]. 

Auch hat Patrice de Maistre mittlerweile zugegeben, dass er die Ministergattin Florence Woerth auf Bitten oder Verlangen (,à la demande’) ihres werten Ehemanns hin zu einem Gespräche über ihre „beruflichen Aussichten“ empfangen habe[12]. Die holde Dame, die bis dahin als Vermögensbetreuerin bei der Bankanstalt ,Compagnie 1818’ – welche zur französischen Sparkassengruppe (,Groupe Caisse d’épargne’) gehört – tätig war, wollte „berufliche Fortschritte“ machen. Am 12. September 2007 wurde sie durch Patrice de Maistre angestellt, für dessen Vermögensverwaltungsstruktur ,Clymène’ sie ab dem 12. November desselben Jahres zu arbeiten anfing. ,Clymène’, benannt nach einer griechischen Meeresgöttin, betreut einen Teil der Milliarden von Liliane Bettencourt. De Maistre hat den Ermittlern erklärt, zwar habe Eric Woerth ihn nicht direkt zur Einstellung seiner Gattin aufgefordert, wohl aber ihn um ein „Gespräch um ihre beruflichen Perspektiven“ gebeten. Was wohl auf eine ähnliche Wirkung hinausläuft... Florence Woerth selbst, die am 21. Juli durch die Ermittler in Sachen Finanzdelikte vernommen wurde, bestreitet, nur durch Einflussnahme ihres Minister-Gatten engagiert worden zu sein[13]. Die Justiz ermittelt seit Anfang Juli 10 zu den „Umständen ihrer Einstellung“ bei und durch Patrice de Maistre[14]. Die Ergebnisse der Anhörung des Letztgenannten durch die Ermittler gelten als ungünstig für Eric Woerth, den sie „in Schwierigkeiten“ brächten[15]. Aber möglicherweise versuchte de Maistre einfach, den Minister genügend tief mit in den Schlamassel hineinzuziehen, um selbst über eine bessere „Versicherung“ gegen das Drängen der Justiz zu verfügen... 

Auf jeden Fall steht jedoch fest, dass Ministergattin Florence Woerth (ob auf unmittelbare korrumpierende Einflussnahme hin oder nicht) von November 2007 bis April 2010 mit der Verwaltung des Vermögens der Milliardärin Bettencourt betreut war. Während erstens ihr Mann Haushaltsminister und zuständig für den Kampf gegen Steuerbetrug war, zweitens dreistellige Millionenbeträge vom Vermögen der Bettencourt vor dem französischen Fiskus hinterzogen wurden, und drittens das Ministerium Woerths am 9. Januar 2009 durch die Justiz über den Verdacht darüber informiert worden war. 

Woerths Verteidigungsstragie: Ein „Untersuchungsbericht“ - wie bestellt

 Am Abend des Sonntag, 11. Juli 2010 war ein - innerhalb von nur anderthalb Wochen, und angeblich nach Untersuchung von stolzen 6.247 Steuer-Dossiers erstellter - „Untersuchungsbericht“ des Direktors der Allgemeinen Steuerinspektion (IGF) vorgelegt worden. Schon im Vorfeld hatten Regierungspolitiker wie UMP-Parteisprecher Frédéric Lefebvre lautstark hinaus posaunt, Ziel des Untersuchungsberichts (kaum war er 24 Stunden vorher in Auftrag gegeben worden) sei es, die Unschuld Eric Woerths zu beweisen. Und nach seiner Vorlage seien „öffentliche Entschuldigungen“ bei Woerth fällig.

 Das Dokument wäscht Woerth angeblich von dem zuvor erhobenen Vorwurf rein, er habe als damaliger Haushaltsminister dafür gesorgt, dass eine Steuerkontrolle bei der Milliardärin Liliane Bettencourt unterbleibt. Bettencourt bzw. ihr persönlicher Vermögensverwalter, Patrice de Maister, beschäftigte gleichzeitig Woerths Ehefrau als Finanzberaterin: Die Ministergattin arbeitete dort vom 12. November 2007 bis im April 2010. Im April d.J. hat Patrice de Maistre die Ministergattin dann aus seinem Mitarbeiterstab entfernt, nachdem diese zuvor – ohne ihn um seine Meinung zu fragen – in den Vorstand des Unternehmens L’Hermès eingetreten war. Und auch, weil sie nach seinem Dafürhalten als Politikergattin „zu viel in den Zeitungen stand“. Diskretion ist in solchen Kreisen ein hohes Gut. – Seinerseits war Patrice de Maistre am 23. August 2008 die ,Légion d’Honneur’ (eine Art französische Entsprechung zum deutschen Bundesverdienstkreuz) durch den Minister Eric Woerth verliehen worden[16]. Am 30. Januar 2008, genau eine Woche später, speiste Minister Woerth in der Privatresidenz der Milliardärin Liliane Bettencourt im Reichenghetto Neuilly-sur-Seine zu Abend.

 Der eilig entstandene „Untersuchungsbericht“ der Finanzinspektion, für den allerdings allein ihr Direktor Jean Bassères und nicht die Institution verantwortlich zeichnet, konnte jedoch keineswegs alle Vorwürfe ausräumen, wie Eric Woerth es nun behauptet. Denn der Urheber des „Untersuchungsberichts“ arbeitete erstens nur anhand von Dokumenten, die das Ministerium ihm zukommen lieb - d.h. er wirkte als verlängerter Arm einer „(un)freiwilligen Selbstkontrolle“ des Ministeriums und anhand von ihm ausgewählter Papiere. (Es handelt sich um das Haushaltsministerium, zuständig u.a. für den Kampf gegen Steuerbetrug, das inzwischen von Woerths Amtsnachfolger auf diesem Posten und derzeitigen Kabinettskollegen François Baroin geleitet wird.) Zum Zweiten bestätigt der Bericht sogar, dass der damalige Haushaltsminister Woerth über die Situation der Milliardärin Bettencourt und ihren möglichen massiven Steuerbetrug „informiert“ gewesen sei – Staatsanwalt Philippe Courroye in Nanterre hatte das Ministerium am 09. Januar 2009 darüber in allgemeiner Form informiert. Nur gebe es keine Spur einer „Intervention“ des Ministers, um eine Steuerprüfung bei ihr abzuwenden. Minister Eric Woerth wäre auch dümmer gewesen, als die Polizei erlaubt, hätte er eine schriftliche Spur einer solchen Intervention in seinen Dokumenten und Schriftsätzen hinterlassen.

 Drittens wirkt (wie bereits oben erwähnt) die Art und Weise, wie die Finanzinspektion IGF in diesem Falle vorging, höchst verdächtig. Am 09. Juli wurde ein früherer Leiter dieser Behörde in der Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ mit den Worten zitiert: „Der Bericht wurde (Anm.: am 30. Juni) nicht bei der IGF bestellt, wie es üblich ist, sondern bei ihrem Chef, Jean Bassères. < Die IGF hat nicht nach ihren üblichen Methoden gearbeitet: kollektiv, durch Gegenüberstellung, und Widersprüchen nachgehend. Es wird kein Bericht der IGF werden, sondern nur einer ihres Chefs. (...) >, unterstreicht ein ehemaliger Leiter der IGF. Aber, fährt er fort, < es ist höchst selten, und ohne Zweifel unangemessen, allein zu einer Affäre von solchen Dimensionen zu arbeiten. Die Aufgabe ist umso schwieriger und heikler. >“[17]

 Nicht zuletzt wurde - viertens - inzwischen bekannt, wem Jean Bassères seine Karriere verdankt: Er erhielt den Job als Leiter der IGF durch den damaligen Haushaltsminister – Eric Woerth, der ihn auf diesen Posten einsetzte.[18] Eine Krähe hackt der anderen bekanntlich kein Auge aus. Und hohe Beamte auf dieser Ebene können, bei Minister- oder Regierungswechseln, nach politischem Gutdünken ein- oder abgesetzt werden. Bassères hatte also allen Grund, seinem früheren Dienstherren (und jetzigen Kabinettskollegen seines aktuellen Dienstherren) nur Gutes zu wollen... Um den Glauben an seine „Unabhängigkeit“, und jene seiner „Untersuchung“, ist es damit freilich endgültig geschehen: Ihm haben diese detaillierten Enthüllungen den Hals umgedreht.[19]

 Ferner beruft Eric Woerth sich darauf, er sei ja durch die Finanzermittler – die zu seiner möglichen Komplizenschaft bei der massiven Steuerhinterziehung der Milliardärin Bettencourt, und zu den eventuellen Unregelmäßigkeiten bei der Einstellung seiner Gattin ermitteln – vernommen worden. „Auf eigenes Verlangen hin“ sei er am Donnerstag, 29. Juli d.J. acht Stunden lang durch die Finanzpolizei angehört worden; seit einigen Tagen hatte er tatsächlich seine baldige Vernehmung gefordert, um es hinter sich zu bringen. (Nachdem die Staatsanwaltschaft in Nanterre ein entsprechendes Ansinnen zur Vernehmung Woerths an das Kabinett gerichtet hatte, welches die Erlaubnis dazu am 21. Juli erteilte[20].) Natürlich ist nichts Genaueres über den Inhalt der Vernehmungen bekannt; es sei denn, dass Woerth weiterhin hartnäckig alle Tatvorwürfe bezüglich eventueller Finanz- oder Korruptionsdelikte bestreitet[21]. Wohl aber ist publik geworden, unter welchen Bedingungen diese Anhörungen stattfanden – und sie sorgen dafür, dass die Opposition von einer Farce spricht, ja von einem Fake ausgeht. Anstatt (wie es das übliche Prozedere für „jeden Normalsterblichen“ und normalerweise selbst für jeden verdächtigten Berufspolitik wäre) Eric Woerth an ihren Amtssitz zu bestellen, hatten die Finanzermittler sich zu dessen Ministerium begeben. Dort, wo Woerth als oberster Amtschef residiert und das Hausrecht ausübt, fand die gesamte Anhörung in dessen „eigenen“ Räumen statt. Sozialdemokratie und Grüne sprechen deswegen von einer „Inszenierung“: Dem zuständigen Staatsanwalt Courroye, der als Freund Nicolas Sarkozys gilt und Ambitionen auf das Justizministerium unter ihm hegen soll – zu ihm vgl. das eigene Kapitel weiter unten im Text – sei es nur darum gegangen, „Zeit zu gewinnen“ und den Eindruck emsiger Bemühungen zu schinden.[22]Auch der bürgerliche Oppositionspolitiker Nicolas Dupont-Aignan stimmte mit ähnlichen Argumenten in den Chor der Kritiker ein.[23] Selbst ein Polizeigewerkschafter (Yannick Danio) erklärte öffentlich, diese symbolträchtige Vorzugsbehandlung für den Minister sei „problematisch“.[24]

 Die Milliardärin Liliane Bettencourt war zwei Tage zuvor ihrerseits an ihrem Privatwohnsitz in Neuilly-sur-Seine durch die Ermittler vernommen worden, konnte sich aber „an nichts erinnern“.[25] (Was angesichts ihres Alters, und weil sich stets das Personal um die Geldangelegenheiten kümmert, nicht ganz so unplausibel ist wie die Unschuldsbeteuerungen des woerthen Ministers.) Ihre Vernehmung hatte „nichts eingebracht“.[26]

Legale und illegale Parteienfinanzierung in Frankreich 

Um ein besseres Verständnis der Hintergründe gerade beim deutschen Publikum zu ermöglichen, sei hier vorab auf folgende Tatsachen hingewiesen: Anders als in Deutschland, wo es keine gesetzliche Obergrenze für die private Parteienfinanzierung - sei es durch Privatpersonen oder Unternehmen (Stichwort Mövenpick, die F.D.P. und ihre Hotelketten) – gibt, existiert in Frankreich eine relativ strikte Gesetzgebung dazu. Die außerstaatliche Parteienfinanzierung wird durch Gesetze vom Januar 1990 und vom Januar 1995 geregelt, die dazu verabschiedet wurden, um Skandalen, wie sie noch in den achtziger Jahren üblich waren (Stichwort: öffentliche Aufträge gegen Kohle für die Partei) einen Riegel vorzuschieben.[27]

Diese Gesetzgebung erlaubt es nur natürlichen Personen, aber nicht juristischen Personen – wie Unternehmen – , Geld an politische Parteien zu spenden. Und ihre Spenden sind auf maximal 7.500 Euro jährlich für eine Partei sowie (zusätzlich möglich) 4.600 Euro für einen Kandidaten oder eine Kandidatin in Wahlkampfphasen beschränkt. Die politischen Parteien – vor allen anderen, mit weitem Abstand führend, die bürgerlich-konservative Regierungspartei UMP – umgehen jedoch in den letzten Jahren diese Schranken, indem sie so genannte ,micro-partis’ gründen; der aktuelle Regierungsblock zählt 123 solcher „Mikroparteien“ mit einem Budget von zusammen knapp fünf Millionen Euro[28]. Bei ihnen handelt es sich in aller Regel um so genannte Ein-Mann- oder Eine-Frau-Parteien wie beispielsweise die ,Association de soutien à l’action politique d’Eric Woerth’ (Vereinigung für die Unterstützung der politischen Arbeit von Eric W.) Neben der „offiziellen“ Hauptpartei können daher auch solche „Mikroparteien“, deren Einzugsbereich jedoch oft lokal begrenzt ist, von demselben Spender oder derselben Spenderin noch mal so viel finanzielle Unterstützung – multipliziert mit x – eintreiben. In der Regel dienen sie gleichermaben dazu, die Hauptpartei zu finanzieren und einem Politiker oder einer Politikerin eine kleine Hausmacht zu verschaffen. Es waren vor allem die Vereinigungen zur Unterstützung von Nicolas Sarkozy und jene von Eric Woerth, die der UMP im Wahlkampfjahr 2006/07 einigen Zaster (es wurden rund 400.000 Euro von den „Rändern“ an die Zentrale transferiert) zutrieben. - Einer der neuesten Gags, die soeben herauskamen, ist, dass Eric Woerth offenkundig dem Buchhalter und Finanzkontrolleur seiner eigenen ,micro-parti’, Bernard Godet, am 13. Juli 2008 die ,Légion d’honneur’, den Verdienstorden der Französischen Republik, verleihen lieb. Dies berichtete am 13. August 08 zuerst die Internetzeitung ,Médiapart’, die ironisch nachfragt, ob der Herr – solcherart Eric Woert zu Dank verpflichtet – denn auch die notwendige Unabhängigkeit besessen hätte, um auf eventuelle Unregelmäßigkeiten aufmerksam zu machen...[29] 

Es existieren derzeit in Frankreich 283 solcher „Mikroparteien“; unter ihnen allein 60 Prozent „Satelliten der UMP“.[30] Auch rund um die französische Sozialdemokratie (den Parti Socialiste) herum scharen sich einzelne solcher „Mikroparteien“; überwiegend auf ihrem rechten Flügel, etwa rund um den sozialliberalen früheren Wirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn (derzeit Direktor des IWF in Washington, möglicherweise Präsidentschaftskandidat in Frankreich für 2012) und den blairistischen Bürgermeister von Evry und Partei-Rechtsauben Manuel Valls.[31] Die Mehrheitsposition bei der Sozialistischen Partei möchte sie jedoch inzwischen gesetzlich verbieten; vgl. http://www.lepoint.fr  - Übrigens kein Wunder, denn von den Spenden profitiert hauptsächlich die konservativ-wirtschaftsliberale Rechte[32]; für den Wahlkampf 2007 hatte Nicolas Sarkozy 9,25 Millionen Euro an Spenden gesammelt, seine aussichtsreichste Gegenkandidatin Ségolène Royal hatte 730.000 Euro eingetrieben...[33] 

Doch dieses Phänomen – das zwar die gesetzlichen Bestimmungen verbiegt und instrumentalisiert, aber nicht illegal ist – bildet nur die absolute Spitze des Eisbergs. Denn viel interessanter scheint es, sich angucken, was sich hinter den Kulissen abspielen dürfte. Denn hinter einem legalen Spender, vor allem einem Grobvermögensbesitzer, verbirgt sich oft noch zusätzlich (und in weit gröberem Umfang) ein illegaler. Erhoffen davon können solche „inoffiziellen“ Spender, aus dem Reich der Schwerreichen, sich wohl was? Eine umso stärkere Klientel- und Klassenpolitik zu ihren Gunsten. 

Um zunächst an der (legalen) Oberfläche zu bleiben: Zu den gesetzlichen Spender/inne/n der UMP und der „Vereinigung zur Unterstützung der politischen Aktion von Eric Woerth“ zählt beispielsweise die Milliardärin Liliane Bettencourt; und dies ist bereits für das Jahr 2006 nachgewiesen[34]. Auch im Frühjahr 2010 führte sie gesetzmäbige Spenden an selbige ab.[35] Dies ist aber allem Anschein nach nur die legale Oberfläche, die kleine oder verhältnismäbig winzige Spitze des Eisbergs. 

Zu den großzügigeren unter den legalen Spendern zählt auch ihr Vermögensverwalter, der Finanzfachmann Patrice de Maistre, der seit 2003 das Vermögen der Milliardärin betreut. Er ist Mitglied[36] im ,Premier Cercle’, einer rund 400 Mitglieder zählende Elitevereinigung, die speziell dazu dient, die UMP zu finanzieren. Um dem Club anzugehören, der Ende 2004 – kurz nach der Übernahme des Parteivorsitzes durch Nicolas Sarkozy - gegründet wurde, muss man mindestens 3.000 Euro (im Jahr) Spenden an die UMP abdrücken. Doch diese „offizielle“ Summe ist allem Anschein nach ein Klacks im Vergleich zu den Geldern, die real ausgeschüttet worden sind. In den letzten Wochen wurde das Wirken dieses erlauchten Zirkels erstmals - durch aktuelle Presseartikel anlässlich der „Affäre Bettencourt - ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gerückt, die zuvor oft nicht einmal um seine pure Existenz wusste.[37]

Neuere und neueste Enthüllungen: Woerths Rolle bei Erbschaftsstreits – Die Hinterziehung von Milliarden als „Familientradition“, gerichtlich abgesegnet und ministeriell begünstigt

Auch noch weitere Personen, die im Augenblick im Mittelpunkt neuer Enthüllungen über mutmaßliche finanzielle Unregelmäßigkeiten stehen, gehören eben diesem ,Premier Cercle’ an. 

Eine der zeitlich (bisher) jüngsten Enthüllungen von Anfang August d.J. betrifft den Nachlass des im Dezember 1998 verstorbenen Bildhauers „César“. Der leicht exzentrische Künstler, mit richtigem Namen César Baldaccini, hatte sich u.a. darauf spezialisiert, in einer Quetsche zusammengepresste Automobile – platt wie Omeletts – herzustellen. Als er starb, kam es zu Uneinigkeiten über das Erbe zwischen seiner letzten Lebensgefährtin, der (44 jüngeren) Stéphanie Busutill – die seine Werkstatt und die dazu gehörige Gesellschaft SCAC verwaltete -,  und der gesetzlichen Ehefrau bzw. Witwe sowie der Tochter: Anna und Rosine Baldaccini. Bei der Aufstellung eines Katalogs für seinen gesamten Nachlass fehlten deswegen mehrere Dutzend Werke; doch eine Klage der Witwe gegen die Ex-Lebensgefährtin führte zu einer Verfahrenseinstellung (nachdem einige Werke wieder auftauchten oder als doch nicht fehlend herausstellten). Aus diesem Grunde war aber, laut Auffassung des Fiskus, die zu zahlende Erbschaftssteuer wesentlich zu niedrig angesetzt worden. Er forderte eine Nachzahlung über 27 Millionen Euro. 

An dieser Stelle intervenierte (neben dem Anwalt von Frau Busutill, die das „ideelle Erbe“ des Künstlers und sein Gesamtkunstwerk für sich beansprucht) ein gewisser Alain-Dominique Perrin bei Haushaltsminister Woerth. Perrin ist u.a. Vorsitzender der Cartier-Stiftung für Moderne Kunst. Daneben ist er aber auch Mitglied des o.g. ,Premier Cercle’ und ein grobzügiger Spender der Regierungspartei UMP. In dieser Eigenschaft kannte er Eric Woerth – als Schatzmeister der UMP. Im April 2008 antwortete der damalige Haushaltsminister durch einen Brief, in welchem er bekannt gab, das Staatsäckel verzichte auf die Nachzahlung von 27 Millionen. Aber die ihm untergeordneten Behörden schwenkten erst ein gutes Jahr später, am 14. 05. 2009, auf die durch den Minister vorgegebene Linie ein. Die linksliberale Tageszeitung ,Libération’ veröffentlichte den Brief erst auszugsweise (in ihrer Papier-Ausgabe vom 04. August 10), dann – nachdem ihr durch Alain-D. Perrin „aus dem Zusammenhang gerissenes Zitieren“ vorgeworfen worden war – in vollständigem Wortlaut auf ihrer Webseite.

Brisant daran ist vor allem, dass diese Episode zumindest Eric Woerths früherer Aussage widerspricht, wonach er (so der Minister wörtlich) „niemals in eine Steuer-Angelegenheit eingegriffen, und weder die Aufnahme eines Nachzahlungsverfahrens eingeleitet noch seine Einstellung anregt“ habe. Diese, auf die Bettencourt-Affäre gemünzten, Worte stehen jedoch im Widerspruch zu seiner direkten, persönlichen Intervention in Sachen César-Nachlass. Die oppositionelle französische Sozialdemokratie stellt sich deswegen auf den Standpunkt: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht...[38]

 Wesentlich mehr Sprengkraft als die Sache um den Künstlernachlass hat unterdessen eine andere Erbstreitigkeit, bei der es wiederum um einen offiziellen (und vielleicht auch inoffiziellen) Spender der UMP geht. Wurde doch hier ein ausgesprochen bemerkenswertes Gerichtsurteil erzielt; spielen doch hier verwickelte Trustverbindungen in Steuerparadiese eine Rolle; und wurde doch der Minister Eric Woerth nachweislich über besonders stark „stinkende“ Vorgänge informiert.

 Im Oktober 2001 erfolgte das Ableben des französische Milliardärs und Kunstliebhabers Daniel Wildenstein, der mehrere hundert wertvoller Gemälde sein eigen nannte – zu seinem Besitz zählten u.a. Originalbilder von Van Gogh, Rembrandt und Picasso. Der Verstorbene sowie seine beiden Söhne, Alex und Guy Wildenstein, waren gleichermaßen darum bemüht, die zweite Ehefrau des Toten (Sylvia) zu übervorteilen und ihr einen Gutteil des ihr zustehenden Erbes vorzuenthalten. Das Vermögen Daniel Wildensteins wurde und wird auf drei bis vier Milliarden Euro geschätzt. Bei den französischen Notaren und Finanzbehörden wurden davon jedoch nur 43 „mickrige“ Millionen angegeben, also ein Bruchteil. (Die Witwe Sylvia Wildenstein bemerkte erst später, dass da etwas nicht stimmte und sie hereingelegt worden war.) Der Rest, also ein Löwenanteil am Vermögen des Familienpatriarchen, wurde über Holdinggesellschaften und Firmenstrukturen in Steuerparadiesen – auf den Kaimaninseln und der britischen Kanalinsel Guernsey – deponiert: über die Gesellschaften Sontrust, Davidtrust, Deltratrust und Northerntrust.  

Später kam es zum Rechtsstreit, nachdem die Witwe bemerkt hatte, dass ihr (und natürlich dem französischen Fiskurs!) erheblicher Schaden zugefügt worden war. Sie erhob Klage, doch diese wurde im Oktober 2008 in Paris gerichtlich abgewiesen – mit der bemerkenswerten Begründung, Steuerflucht und Steuerhinterziehung seien im Hause Wildenstein „Familientradition“ (sic) und das Erbe der beiden Söhne deswegen rechtlich nicht zu beanstanden.[39] Dem hatte aber auch der damalige Haushaltsminister Eric Woerth, qua Amt zuständig für die Bekämpfung von Steuerflucht, Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, nichts hinzuzufügen. Er war durch zwei an ihn persönlich adressierte Briefe der Anwältin von Sylvia Wildenstein, Claude Dumont-Beghi, vom 12. Juni 2009 sowie im September 2009 (per Einschreibbrief mit Rückschein) ausdrücklich über diese Situation informiert und auf den Steuerbetrug in bedeutender Höhe hingewiesen worden. Es passierte nichts – Woerth lieb den französischen Steuerbehörden also die Kleinigkeit von über drei Milliarden Euro durch die Lappen gehen. 

Ach ja, auf folgende Kleinigkeiten wäre noch zu achten: Guy Wildenstein, einer der beiden glücklichen Erben (der andere Bruder ist inzwischen selbst verstorben), ist auch Mitglied im ,Premier Cercle’: dem elitären Spenderclub der UMP. Und, ein weiteres Detail, denn die ganz groben Zufälle kommen selten allein – Minister Eric Woerth hat auch ihm (wie Patrice de Maistre, dem Vermögensverwalter der Milliardärin Bettencourt und Arbeitgeber seiner Ehefrau von 2007 bis 2010) die ,Légion d’Honneur’ verliehen, also das französische Verdienstkreuz. Dies geschah im Januar 2009. (Vgl. auch ,Libération’ vom o4. August 10) Ach ach, Zufälle gibt’s manchmal... 

Oh Schweiz, Du liebliche Schweiz... 

Von Mai 2007 (nach dem Wahlsieg von Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy) bis März 2010 (und zur Regierungsumbildung, infolge der Wahlniederlage des Bür gerblocks bei den Regionalparlamentswahlen) amtierte Woerth als Haushaltsminister, ,ministre du budget’.  

In dieser Eigenschaft war er auch der oberste Steuereintreiber des Landes, und – neben dem Kampf gegen „betrügerische Erschleichung von Sozialleistungen“, den er mit ziemlichem Ernst durchführte[40] - mit der Bekämpfung von Steuerbetrug beauftragt. Diesen Kampf inszenierte er auch prächtig in den Jahren 2008 und 2009, in denen er lautstark ankündigte, sein Ministerium verfüge über eine Liste mit den Namen von 3.000 Steuerhinterziehern und Steuerflüchtigen, die ihr Vermögen in der Schweiz platziert hätten. Eine Liste, die ihm offenbar zugespielt worden war und die laut Angaben der (sich sehr erbost gebenden) eidgenössischen Behörden angeblich aus einem Diebstahl eines Angestellten bei der Bankfiliale von HSBC in Genf stammte.[41] Woerth verkündete einerseits lautstark, man sei diesen Steuersündern und Vermögensbesitzern auf der Spur – bot ihnen aber anderseits eine faktische steuerliche Amnestie an für den Fall, dass sie ihre Guthaben freiwillig nach Frankreich transferierten.[42] In der Folgezeit wurde zwischen Frankreich und der Eidgenossenschaft ein neues Abgekommen über die Besteuerung dies- und jenseits der Grenzen ausgehandelt, bezüglich dessen es später noch einigen Theaterdonner (u.a. wegen der HSBC-Liste) gegegen hat[43]. Unter erheblichem Druck der US-Administration – die aufgrund ihrer Bedürfnisse bei der „Terrorismusbekämpfung“ kein absolutes Bankengeheimnis mehr wünscht – und der Europäischen Union stimmte die Schweiz dem schlussendlich zu. Und gab damit auch den faktischen Schutz der Daten von Steuerflüchtigen, der bis dahin im Namen des Bankgeheimnisses gewährt worden war, preis. Die Sektion der französischen UMP bei den Helvetiern – die nicht klein ist, da 200.000 bis 250.000 Franzosen in der Schweiz arbeiten, darunter viele im Banken- und Finanzsektor – protestierte allerdings gegen diesen „Druck auf den Finanzplatz Schweiz/Genf“.[44] 

Aber was Eric Woerth damals nicht dazu sagte: Auch ihn selbst respektive seine Gattin, Florence Woerth, zog es in die Schweiz. Und zwar nicht als Urlaubsland oder der Berge wegen, sondern eher aufgrund des Bankenstandorts. Eric Woerth hatte sich anlässlich des Präsidentschaftswahlkampfs von Nicoals Sarkozy 2006/07 in der Schweiz durch dort ansässige Franzosen – unter ihnen wohl auch Steuerflüchtlinge – feiern lassen. Ihnen versprach er wohl höchstwahrscheinlich, ihre Vermögen seien unter einer Präsidentschaft Nicolas Sarkozys gut aufgehoben... Bei zwei Galadiners in Schweizer Hotels „mit den größten französischen Vermögensbesitzern, die in der Schweiz wohnen“ (so schrieb ,La Tribune de Genève’) kamen damals sieben Millionen Euro zusammen. „Und es interessierte ihn damals nicht sonderlich, ob die Schecks, die man ihm überreiche, von beim französischen Fiskus nicht angegebenen Konten stammten“, setzt die Genfer Zeitung perfide hinzu.[45] Durch die eidgenössische Presse sowie dortige Banker – die ganz gern wegen der HSBC-Affäre Rache üben und deswegen tüchtig auspackten – kam heraus, dass die werte Ehefrau Florence Woerth sich sehr regelmäbig in Genf aufhielt und dort wahrscheinlich sogar ein eigenes Büro hatte.[46] Ihr Aufenthaltsgrund dort lag wohl in den illegalen Konten, die Liliane Bettencourt in der Schweiz unterhielt: 78 Millionen Euro auf zwei Konten, davon 65 Millionen in Vevay und 13 Millionen in Genf. (Eine durch die Schweizer Seite angegebene Überweisung von 280 Millionen Euro aus Frankreich auf ein Konto bei der UBS Genf wurde von französischer Seite nicht bestätigt.)

Später hat die Vermögensverwalterin Florence Woerth anscheinend (im Jahr 2009) auch versucht, sich bei Schweizer Banken anstellen zu lassen, allerdings erfolglos.[47] Und so blieb sie bis im April 2010 in den Diensten von Patrice de Maistre, Vermögensverwalter von Liliane Bettencourt und Mitglied im elitären Spenderzirkel der UMP, dem ,Premier Cercle’.

KASTEN Nr. 1
Gesocks ohne Grenzen:
Patrice de Maistre und die neokoloniale Afrika-Connection: Geschäfte in Gabun
 

Patrice de Maistre ist erst jüngst als Vermögensverwalter der Dame Bettencourt einer breiteren französischen Öffentlichkeit bekannt geworden. Doch natürlich ist der 61jährige seit langen Jahren im Dienste der Kapitalvermehrung tätig. Unter anderem war er in Afrika in Sachen „neokolonialer Kapitalismus“ unterwegs.

De Maistres früherer Schwiegervater war Roland Bru, Vater seiner Gattin in erster Ehe, Pascale Bru. Letzterer hatte vor der staatlichen Unabhängigkeit der Länder Zentralafrikas im Jahr 1960 Holzeinschlag in den dortigen französischen Kolonien, konkret besonders im heutigen Gabun, betrieben. Nach der formellen Unabhängigkeit dieses Landes – dessen Regime weiterhin eng unter Pariser Kontrolle stand – setzte er diese Aktivitäten fort. Über ihn kam auch Patrice de Maistre in dieses, sicheren Mehrwert und hohe Profitraten versprechende, neokoloniale Geschäft. 

Später verhalf ihm ein anderer französischer Unternehmer, der in der Erdölrepublik Gabun aktiv war, Robert Boutonnet, zu besten Kontakten vor Ort. In den Jahren um 2000 war Patrice de Maistre so Rechnungsprüfer bei der Firma ,Compagnie du Komo’ – die eine monopolkapitalistische Stellung als Lieferant der Erdölrepublik in vielen Sektoren (Autos, Kühltechnik, Toiletten und Rohre, Büroartikel & Informatik, ..) aufweist, sowie bei der Französisch-gabunesischen Investmentbank (BGFI). Beide Strukturen besitzen die Gunst der Präsidentenfamilie, die dank französischem Schutz quasi uneingeschränkt über die an Erdöl- und Bodenschätzen reiche, doch bevölkerungsarme Republik herrscht: Omar Bongo war dank eines französischen Schutzschirmes (inklusive Militärintervention bei Unruhen der Opposition im Mai 1990) von 1967 zu seinem Tod im Juni 2009 ununterbrochen Präsident von Gabun. Seit den, höchst umstrittenen, „Wahlen“ vom August 2009 ist inzwischen sein Lieblingssohn Ali Bongo der neue Präsident. Aufgrund der schützenden Hand der Präsidentenfamilie können solche Unternehmen wie die oben zitierten in Gabun fast nach Belieben schalten & walten. Mehrere Familienangehörige des Präsidenten sitzen in ihren Vorständen und Aufsichtsräten.

Als die Bank BGFI zu Anfang des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts auch eine Filiale auf französischem Boden gründete, war Patrice de Maistre eines ihrer Vorstandsmitglieder.

 „Dallas-sur-Seine“ oder Familienstreit unter Milliardären:  No Sex, Zaster and Rock’n Roll 

Ausgelöst wurde die ganze, weit verästelte Affäre (mit ihren sich seit Mitte Juni 2010 häufenden Enthüllungen) durch die Spaltung in der Kernfamilie Bettencourt: den Streit zwischen der 87jährigen Liliane Bettencourt und ihrer Tochter Françoise Meyers-Bettencourt, die fordert, ihre Mutter unter Vormundschaft zu stellen. Ihrer Auffassung nach ist Liliane Bettencourt nicht mehr voll zurechnungsfähig und droht deswegen, ihr Erbe zu verschleudern. Im Hintergrund dreht sich der Streit natürlich darum, wer dieses Erbe kontrolliert und (über kürzer oder länger) einstreicht. Liliane Bettencourts Vermögensverwalter, Patrice de Maister, spricht in diesem Zusammenhang selbst (unfreiwillig komisch) von „Dallas an der Seine“...[48] 

Hätte es diesen Familienstreit nicht gegeben, wüsste die Öffentlichkeit nichts von den Vorgängen hinter den Kulissen[49]. Nie hätten Aubenstehende von bestimmten Sitten und Gebräuchen erfahren, etwa von den braunen DIN A 5-Briefumschlägen, dick gefüllt mit Geldscheinen, die zwischen der Familie und Politikern den Besitzern wechselten. Nicht vergessen werden darf aber auch, dass sich (und zwar auf beiden Seiten) mächtige politische Interessen eingeschaltet haben, die rund um diesen Familienkonflikt ihr Süppchen kochen. Vor allem auf Seiten der alternden Milliardärin Liliane Bettencourt trifft dies zu: An höchster Stelle möchte man nicht, dass sie ihr Vermögen heute oder kurzfristig aus der Hand gibt (indem sie etwa für unmündig erklärt wird) und dieses dadurch Gefahr läuft, „zu frühzeitig“ auf die Tochter und den Schwiegersohn Liliane Bettencourts überzugehen. Denn wollen diese ihre Anteile an L’Oréal (Liliane Bettencourt hält rund 30 % an dem Konzern) abstoßen, so müssen sie dies vor dem Jahr 2014 – laut einer vertraglichen Klausel – an den Co-Aktionär Nestlé veräußern; es sei denn, dass der Schweizer Konzern ihren Ankauf ausschlägt. Im Jahr 1973 hatte der damalige Konzernchef François Dalle (Nachfolger von Liliane Bettencourts Vater, Eugène Schueller) den eidgenössischen Konzern ins Eigenkapital von L’Oréal geholt, weil er der Auffassung war, eine solche „Internationalisierung“ des Konzernkapitals verhindere oder erschwere dessen Verstaatlichung/Vergesellschaftung im damals „drohenden“ Falle einer Linksregierung. Heute fürchtet man im Elysée-Palast dagegen eine „ausländische“ (schweizerische) Übernahme der Mehrheitsanteile beim „französischen“ Konzern L’Oréal – oder beruft sich jedenfalls auf dieses „Risiko“, um eine gute Geldquelle in der Nähe zu behalten. Nicolas Sarkozy in seiner TV-Ansprache vom 12. Juli 2010: „Glauben Sie mir, ich möchte, dass Madame Bettencourt, die Eigentümerin von L’Oréal ist, auch Eigentümerin von L’Oréal bleibt. Und dass (die Firma) L’Oréal, die 64.000 abhängig Beschäftigte zählt, nicht in ein anderes Land geht, denn die Beschäftigten würden es mit ihren Arbeitsplätzen bezahlen.“ (Zitiert lt. ,L’Humanité’ vom 26. Juli 10, Artikel << Patriotisme >>) 

Auf der anderen Seite dürften andere Fraktionen im bürgerlichen Lager, wo eine wachsende Strömung inzwischen Nicolas Sarkozy loswerden möchte, in dem Familienstreit auf der Gegenseite stehen und ihr Gewicht zugunsten der Tochter (François Meyers-Bettencourt) in die Waagschale werfen. Ihr Anwalt in den Verfahren zum Vormundschafts-Antrag für Liliane Bettencourt, Olivier Metzner[50], ist auch der persönliche Rechtsanwalt von Ex-Premierminister Dominique de Villepin. Letzterer ist der grobe Rivale von Nicolas Sarkozy im bürgerlich-konservativen Lager. Am 19. Juni hat er versucht, eine neue Partei unter dem vorläufigen Clubnamen ,République Solidair’ zu lancieren. (Und zwar mit starkem oberflächlichem Multikulti-Anstrich und einem Diskurs über die „nationale Aussöhnung“, nachdem Präsident Sarkozy das Land zwischen Kernstädten und Banlieues, zwischen Urfranzosen und Einwanderern gespalten habe.) Allerdings wurde Anfang August dieses Jahres bekannt, dass er am 30. 07. seine jährliche Mitgliedschaft bei der – durch Sarkozy kontrollierten - Regierungspartei UMP erneuert habe.[51] In der Bettencourt-Affäre selbst hat de Villepin sich in jüngster Zeit aus dem Fenster gehängt und die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz angeprangert[52]; eine Frage, die man sich angesichts der Gebaren des für Bettencourt und Woerth zuständigen Staatsanwalts Philippe Courrroye (s.u.) tatsächlich stellen darf. 

Die Gesundheit der Liliane Bettencourt ist dabei einer der Einsätze im Spiel. Wie tütelig die 87jährige Schwerreiche allerdings genau ist, bleibt ziemlich umstritten: Die Tochter (Françoise Meyers-Bettencourt) hält sie für unfähig dazu, ohne Vormundschaft Geschäfte zu tätigen. Und möchte sie mit der Begründung oder unter dem Vorwand, dass die Frau Mutter sonst doch nur ausgenutzt werde, de facto entmündigen lassen. Liliane Bettencourt hat deswegen (mutmaßlich) zwei Ärzte aus ihren Diensten feuern lassen – oder aber ein Teil ihrer Umgebung hat dafür gesorgt -, weil die beiden Mediziner in diesem Sinne zu agieren versuchten. Es handelt sich um den Doktor Philippe Koskas, der ohne das Wissen Liliane Bettencourts (also hinter ihrem Rücken) eine neurologische Untersuchung an ihr vorgenommen hatte, und um den Nervenarzt Michel Kalafat, der eine Empfehlung aussprach, sie unter Vormundschaft stellen zu lassen.[53] Die Justiz, präziser: die Staatsanwaltschaft in Nanterre – in deren Einzugsbereich der Pariser Millionärsvorort Neuilly-sur-Seine fällt – hat jedoch schon zwei Mal einen Antrag der Tochter auf Entmündigung der Mutter Liliane Bettencourt abgeschmettert. Zuletzt am 23. Juli 2010. Die Ablehnung erfolgte unter Berufung darauf, dass ein ärztliches Attest fehle[54]. 

Ihre Ex-Buchhalterin Claire Thibout wiederum gibt an, die Dame Bettencourt sei heutzutage unfähig, spontan ein paar zusammenhängende Sätze zu sagen – deshalb habe man ihr die paar Sprüchlein, die sie bei einem Treffen mit dem frisch gewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy aufsagte, zuvor auf ein Blatt Papier notiert. (vgl. ,Libération’ vom 22. Juli). Andere Quellen stellen ihren gesundheitlichen und geistigen Zustand jedoch anders dar, und berufen sich etwa darauf, dass die Bettencourt trotz ihres fortgeschrittenen Alters von 87 Jahren körperlich noch relativ fit erscheint und täglich schwimmt. Allerdings sei die Dame erkennbar schwerhörig.  

In jedem Falle aber ist Liliane Bettencourt umgeben von Leuten, die sozusagen nur ihr Bestes – nämlich sich an ihre Kohle heranmachen – wollen; und dies dürfte ihr im Grundsatz auch bewusst sein, so dass sie es (ein Stück weit) resignierend in kauf nimmt. So scheint ihr auch ihr Verhältnis zu vielen Politikern zu sein: „Manchmal sagte sie vor Abendessen (mit Politikergästen): Was wird man heute Abend wieder von mir verlangen?“, berichtet dazu etwa ihr früherer Hausverwalter Pascal Bonnefoy. (Vgl. ,Le Monde’ vom 16. 07. 10) 

Am stärksten auf ihre Kohle abgesehen hatte es der Fotograph und Schöngeist François-Marie Banier, der ihre besondere Gunst genoss und wohl zum Teil noch immer genießt und in ihrem Testament vorläufig mit rund 1,25 Milliarden Euro bedacht wird. Welche Beziehung die beiden genau zueinander unterhielten, ist ungeklärt (und geht uns ab einem bestimmten Punkt auch nichts näher an); Bettencourt scheint zu behaupten, es handele sich um eine Art von platonischer Beziehung. Dies erklärt sie jedenfalls durch die Blume in dem Gefälligkeitsinterview, das der rechtslastige Fernsehsender TF1 (der erste Kanal des französischen Fernsehens, seit 1987 privatisiert) im Juli durch seine Starsprecherin und Nachrichtenmoderatorin Claire Chazal im Juli 10 mit Bettencourt führen und ausstrahlen lieb.[55] (Ein Interview, das ansonsten sehr umstritten blieb, da absolut zahnlos und ohne halbwegs kritische Nachfragen.)  

Anscheinend hat Banier aber der Dame Bettencourt, im Alter von über 75 Jahren, noch das Rock’n Roll-Tanzen beigebracht und sie dadurch nachhaltig beeindruckt. Zaster, Corruption and Rock’n Roll – da geht die Post ab! Sonst hätte sich die arme Frau, die das ganze Jahr über zwischen Residenzen in der Bretagne, im Pariser Millionärsvorort Neuilly-sur-Seine, auf den Balearen und auf den Seychellen unterwegs ist, ja auch tierisch langweilen müssen. 

Viel interessanter an der Angelegenheit ist jedoch, wie Banier es offenkundig schaffte – oder jedenfalls von verschiedener Seite verdächtigt wird -, ihr permanent das Geld aus der Tasche zu ziehen. Eine frühere Krankenschwester Liliane Bettencourts zwischen September 2006 und Juli 2007, Henriette Youpatchou, gab etwa folgende Aussagen zu Protokoll: „Da war dieses Diner mit dem Photographen, von dem die Milliardärin total aufgekratzt zurückkam“, bevor sie ihrer Krankenschwester das Scheckheft unter die Nase hielt: „<< Sie fragte mich, ob der Scheck, den sie soeben unterzeichnet hatte, viel Geld darstellte. Es war ein Scheck über 183 Millionen Euro. >> In Wirklichkeit hat Liliane keinerlei Vorstellung vom Geld. Und dieses anderes Abendessen in Begleitung von Banier und seines Kumpanen Martin d’Orgeval (...). Noch zwei Schecks: über 70.000 Euro und 63.000 Euro. << Sie sagte mir, das sei viel Geld, dass sie einen Scheck zur Vorspeise ausgestellt hatte und einen anderen zum Nachtisch. Liliane Bettencourt war unfähig, François-Marie Banier zu widerstehen. >> ...“ Die Krankenschwester wurde schlussendlich aus dem Haus gedrängt: Banier berief sich auf obskure Naturheilmittel, die Liliane Bettencourt viel besser bekämen (mit Pendel usw....); die Dame benötige doch überhaupt keine Krankenschwester… Und andere Teile der Umgebung behaupteten, die Herkunft von Henriette Youpatchou (dem Namen nach zu folgern aus der Elfenbeinküste) bringe Unglück über die Bettencourt...[56] 

Inzwischen wurde seit Ende Juli d.J. auch bekannt, dass Schöngeist François-Marie Banier jährlich ein Einkommen in Höhe von 710.000 Euro (!) vom Konzern L’Oréal, dessen Hauptaktionärin Liliale Bettencourt ist, bezieht. Seit Oktober 2001 und noch bis zum 31. Dezember 2011 unterhält Banier eine Art von Arbeitsvertrag mit dem Konzern, der ihn jedoch maximal dazu verpflichtet, einmal jährlich eine fotographische Ausstellung zu veranstalten und „künstlerische Tipps“ bereit zu halten. Dafür erhält er, für eine Dauer von zehn Jahren, jährlich 405.000 Euro ausbezahlt. Hinzu kommen weitere 300.000 Euro pro Jahr, die L’Oréal in eine Banier gehörende Gesellschaft einzahlt.[57] 

Na, wenigstens soll Banier laut Aussage von Kennern beruflich ein relativ guter Fotograph sein... Wenn man es „beruflich“ nennen soll, denn Sorgen ums Geldverdienen scheint der gute Mann ja eher nicht haben zu müssen. Ab dem Moment wird der „Beruf“ wohl eher zum Hobby... 

Staatsanwalt & Sarkozyfreund Courroye   

Seit Juli dieses Jahres mehren sich die Vernehmungen und Untersuchungen durch die Justiz im Zusammenhang mit der Bettencourt-Affäre und ihren verschiedenen Verästelungen. Allerdings hat die Sache noch einen ziemlich dicken Haken: Der zuständige Staatsanwalt, der die Ermittlungen führt und diese Anhörungen von Zeugen & potenziell Beschuldigten durch auf Finanzdelikte spezialisierte Polizisten vornehmen lieb, ist der in Nanterre ansässige Philippe Courroye. Er gilt als persönlicher Freund der politisch Mächtigen, „speist (schon mal) mit dem Ehepaar Chirac zu Abend und träumt davon, im Falle einer zweiten Amtszeit Nicolas Sarkozys (ab 2012) Justizminister zu werden“[58].  

Courroye wurde im März 2007 auf seinen Posten eingesetzt, also am Ausgang der Chirac-Ära, als der damalige Präsidentschaftskandidat & Innenminister Nicolas Sarkozy bereits der starke Mann im Regierungslager war. Seine Ernennung durch Präsident Jacques Chirac und Justizminister Pascal Clément erfolgte gegen die Opposition des obersten Justizgremiums ,Conseil supérieur de la magistrature’ (CSM, ungefähr „Oberster Rat der Richter & Staatsanwälte“). Dieses Gremium muss der Ernennung von Richter/inne/n zustimmen, hingegen hat es bei Staatanwälten nur eine beratende Stimme, über die Justizministerium und Staatspräsident sich – im Falle eines negativen Votums – auch hinwegsetzen können. Seinerzeit opponierte der CSM gegen die Einsetzung von Philippe Courroye zum Leiter der Staatsanwaltschaft von Nanterre, die die viergrößte Staatsanwaltschaft in ganz Frankreich bildet[59]. 

In einem Interview mit der Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ (das in ihrer Ausgabe vom 16. Juli 10 erschien, vgl. http://abonnes.lemonde.fr) erhebt die frühere Untersuchungsrichterin und mutmaßliche künftige grüne Präsidentschaftskandidatin Eva Joly[60] – die in den neunziger Jahren den Riesenskandal um den Erdölkonzern ELF Aquitaine, der ab 1994 losging, aushob – schwere Vorwürfe gegen den (nicht über)eifrigen Staatsanwalt Courroye.[61] Letzterer  tue in Wirklichkeit – erklärt Eva Joly - so ziemlich Alles, um die Angeklagten de facto zu schützen : vorher angekündigte Durchsuchungen, Verfahrensfehler, Beihilfe zum Vernichten von Beweisen… 

Konkret wirft Joly ihrem früheren Amtskollegen (Courroye war in den achtziger Jahren Untersuchungsrichter in Lyon) vor allem vor, bislang ausschließlich so genannte Vorermittlungsverfahren – französisch ,enquête prélimiaire’ – durchzuführen, deren Ausgang er als Staatsanwalt allein in der Hand hat. Er könnte auch jeweils ein offizieller Ermittlungsverfahren (im Originalausdruck ,information judiciare’) einleiten, was u.a. bedeuten würde, dass bestimmte Beweissicherungsregeln griffen, unangekündigte Durchsuchungen stattfinden könnten... Nur müsste Courroye in diesem Falle ein Gericht einschalten, und wäre nicht mehr der alleinige Herr der Verfahrens, das an eine/n Untersuchungsrichter/in überginge. Dass er genau dies müsse, ist der lautstark vertretene Standpunkt einer wachsenden Anzahl von Justizkolleg/inne/n[62]. Die Tatsache, dass Courroye es bislang jedoch nicht tut, wertet Joly als längerfristig anlegten Versuch, die Ermittlungen auf Dauer zu sabotieren.[63]

KASTEN Nr. 2
DIE „VORERMITTLUNGS“VERFAHREN DES  STAATSANWALTS COURROYE 

Vier solcher „Vorermittlungs“verfahren führt Staatsanwalt Courroye derzeit (theoretisch oder praktisch?) durch, drei davon seit dem 15. Juni 2010.  

A.   / Da wäre, erstens, eine „Vorermittlung“ wegen des Vorwurfs des ungerechtfertigten Eingriffs ins Privatleben – wegen der Anfertigung und Verwendung illegaler Tonbandaufnahmen im Hause der Bettencourt. Es handelt sich um 21 Stunden Unterhaltung, bei denen man u.a. den Vermögensverwalter Patrice de Maistre über illegale Konten in der Schweiz plaudern hört, und die vom Ehemann der früheren Buchhalterin Bettencourts – Claire Thibout – in Digitalformat umgewandelt worden sind.[64] (Die Einleitung der „Vorermittlungen“ dazu erfolgte in unmittelbarer Reaktion auf die Ankündigung am 14. Juni 10, dass ,Médiapart’ und das Wochenmagazin ,Le Point’ Auszüge aus den Gesprächsmitschnitten veröffentlichen würden. Erstmals hat dann ,Médiapart’ am 16. o6. eine Abschrift von Teilen der auf Tonband aufgenommenen Gespräche publiziert.)  

B.   und C. / Zum Zweiten „vor-ermittelt“ der Staatsanwalt seit demselben Datum wegen des Verdachts illegaler Parteienfinanzierung, der sich aus dem Inhalt der Gespräche ergibt, wie schon zum damaligen Zeitpunkt (in Grundzügen) bekannt war. Drittens läuft auch eine Vorermittlung wegen „Vertuschung von Steuerbetrug“, die ebenfalls auf den Tonbandmitschnitten basiert.

D./ Am Mittwoch, den 21. Juli 2010 leitete der Staatsanwalt von Nanterre nun noch ein viertes Vorermittlungsverfahren ein, infolge der Strafanzeige von Eric Woerth „gegen Unbekannt“ aufgrund „verleumderischer Vorwürfe, eine Straftat begangen zu haben“.[65] (Auch seine Gattin, Florence Woerth, hat übrigens am 24. Juni Strafanzeige gegen die Ex-Richterin Eva Joly und gegen den Anwalt sowie sozialdemokratischen Oppositionspolitiker Arnaud Montebourg wegen „übler Nachrede“ erstattet.[66]) 

Daneben hatte Courroye ferner seit 2007 infolge einer Klage der Tochter Françoise Meyers-Bettencourt wegen „Missbrauchs der Schwäche  einer (unzurechnungsfähigen) Person“, nämlich ihrer Mutter Liliane, Untersuchungen eingeleitet. Am 23. Juli 2010 wurde der Antrag der Tochter auf Strafverfolgung jedoch zum zweiten Mal abgeschmettert.

 Auch die Tageszeitung ,Libération’ (Ausgabe vom 16. o7. 10) erblickt die Aufgabe dieses Staatsanwalts eher darin, « den Brand einzugrenzen » und der ebenfalls zu der Sache ermittelnden, aktiven Untersuchungsrichterin Isabelle Prévost-Desprez – Vorsitzende der 15. Strafkammer am Gericht von Nanterre – das Wasser abzugraben.

 Zu den Ungereimtheiten (auf die wiederum Eva Joly in ihrem am Vorabend publizierten Interview in ,Le Monde’ hinweist) zählt dabei, dass zwar eine Richterin, aber nicht ein Staatsanwalt internationale Amtshilfe etwa in der Schweiz für die Untersuchung von dort ansässigen Konten beantragen kann. Auch könne – so führte Joly ferner aus - nur ein Untersuchungsrichter, aber nicht ein Staatsanwalt Hausdurchsuchungen ohne Einverständnis des Hausbewohners oder Nutzers, und ohne richterliche Genehmigung vornehmen lassen. Daraus resultiere auch die (solcherart nötige) Vorwarnung der Betroffenen vor den Durchsuchungen, die Courroye anordnete. Allerdings hat Philippe Courroye darauf inzwischen geantwortet, Eva Joly kenne nicht die Einzelheiten dessen, worüber sie rede: Er habe in diesen Fällen eine solche richterliche Vorabgenehmigung besessen, wie sie erforderlich sei. Deshalb seien die Durchsuchungen in Wirklichkeit ohne Vorwarnung erfolgt. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/ 

Untersuchungsrichterin Isabelle Prévost-Desprez setzte unterdessen ihrerseits zur Gegenoffensive an. Am 16. Juli 10 lieb sie mehrere Stunden lang die Ex-Buchhalterin von André und Liliane Bettencourt, Claire Thibout, in ihrem Büro vernehmen. Die Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ übertitelte ihre Ausgabe vom Abend des 21. Juli 10 – die das Datum des 22. 07. trägt - deswegen ,La guerre des magistrats’ („Der Krieg der Richter & Staatsanwälte“) und spricht von einer „Herausforderung“ von Staatsanwalt Courroye durch Untersuchungsrichterin Prévost-Desprez. Nachdem Courroye ihr bislang den Wind aus den Segeln zu nehmen versuchte, ging sie nun solcherart in die Gegenoffensive. 

Letzterer wiederum hat wenige Stunden später in einem Interview (das in der Ausgabe des ,Figaro’ vom Donnerstag, den 22. Juli erschien), auf die an ihn gerichteten Kritiken geantwortet: Ihnen gegenüber bleibe er „aus Granit“, und das hässliche & grässliche Benehmen von Eva Joly pralle an ihm „angesichts der Schönheit der Vorführung von ,Schwanensee’ durch das Ballet von Nowosibirsk, der ich soeben beiwohnte“, einfach ab. Es handele sich dabei lediglich um einen Versuch der unrechtmäßigen Einflussnahme auf den Lauf der Justiz. Und er, Courroye, sei „nicht der Mann, der dem Druck nachgibt“. Der Staatsanwalt fügte hinzu: „Wenn ein Strafverfahren eingeleitet werden muss, dann wird es eingeleitet werden. Wenn ein Gericht eingeschaltet werden muss, dann wird es eingeschaltet werden. Und falls es eine Verfahrenseinstellung geben muss, dann wird es zu einer Verfahrenseinstellung kommen.“[67] Dieses Interview „mit der Prawda (der Konservativen)“ hat wiederum z.T. starke Kritik hervorgerufen.[68] Zum Ausdruck „Prawda der Konservativen“ - der im Rahmen der Bettencourt-Affäre mehrfach aufkam - ist zu sagen, dass ,Le Figaro’ in dieser Angelegenheit mit Vehemenz das bürgerlich-konservative Regierungslager verteidigt und Frontberichterstattung für dessen Interessen betreibt. Dessen Redaktion hat (nach eigenem, unfreiwillig nach auben gedrungenem Bekunden) aktiv an der „Kommunikationsstrategie“ des Elysée-Palasts zu der Affäre teilgenommen.[69] 

Doch sogar der Oberstaatsanwalt von Paris, Philippe Bilger, der sich inzwischen zu Wort meldete und der als Aktivist der konservativen Rechten innerhalb der Justiz gelten darf[70], ist anderer Auffassung als Courroye: Er hält es für „unabdingbar“, dass ein formales Ermittlungsverfahren (und eben nicht nur „Vorermittlungen“) eingeleitet, d.h. also auch ein Gericht eingeschaltet, werde. Dass dies nicht längst der Fall sei, sei ,inconcevable’ (unfassbar)[71]. Ein Manöver, um – im Hinblick auf die nahe Zukunft - besser für Camouflage zu sorgen? Oder ein echter Konflikt, im Spannungsfeld zwischen Politik und Apparatinteressen der (um ihre Glaubwürdigkeit kämpfen müssenden) Justiz? Wenn jedenfalls ein solch aktiver Repräsentant des konservativen Bürgerblocks wie Bilger gegen Sarkozyfreundchen Courroye Position bezieht, dann ist wohl irgendwo die Kacke am Dampfen... 

Inzwischen hat die linksliberale bis eher linke Internetzeitung ,Médiapart’ eine Petition „für eine unabhängige und unparteiliche Justiz“ lanciert. Diese Publikation war es, die durch ihre Enthüllung über die Gesprächsmitschnitte im Hause Bettencourt – aus denen die massive Steuerhinterziehung hervorgeht, und für deren Veröffentlichung ,Médiapart’ inzwischen (am Freitag, den 23. Juli 2010 in Paris) vom Vorwurf der „Verletzung des Privatlebens“ gerichtlich freigesprochen wurde[72] – ab Mitte Juni 10 den Stein ins Rollen brachte. Dafür war sie durch konservative Politiker wegen angeblicher „faschistischer Methoden“ angegriffen worden (und hat deshalb wegen „übler Nachrede“ Strafanzeige erstattet[73]); inzwischen warf der UMP-Sprecher Frédéric Lefebvre ihr und anderen Medien auch vor, „Gruppenvergewaltigung“ am Ehepaar Woerth zu begehen (sic). 

In ihrer Petition wird, publikumswirksam, ebenfalls die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungsrichterin oder eines unabhängigen Untersuchungsrichters verlangt - statt den Staatsanwalt Courroye allein an Bord zu lassen, auf dass er selbstherrlich seine „Vorermittlungen“ fortführt und irgendwann beerdigt. Unter die Petition, die am 14. Juli publiziert wurde, haben innerhalb weniger Wochen (und mitten in der hochsommerlichen Urlaubsperiode) inzwischen 38.000 Menschen ihren Namen gesetzt.[74] 

Im Gegenzug hat die konservative Justizministerin Michèle Alliot-Marie, um den üblen „Gerüchten“ über die (mitunter mangelnde) Unabhängigkeit der Justiz zu begegnen, ihrerseits einen persönlichen Aufruf veröffentlicht. Er erschien als Gastbeitrag in der liberalen Pariser Abendzeitung ,Le Monde’, die sich bislang mit Kritik im Rahmen der Bettencourt-Affäre eher zurückhielt (siehe dazu die folgende Anmerkung[75]). Dort wurde er unter dem Titel << Für die Ehre der Justiz >> abgedruckt.[76]

Absehbare und mögliche politische Konsequenzen 

Bislang deutet sich kein Abklingen der Polemik um die lukrativen Aktivitäten des Ministers Eric Woerth und um die millionenschweren Verbindungen zu den Bettencourts, Wildensteins usw. an. Die Staatsspitze (Präsident Sarkozy und Premierminister François Fillon) hatte darauf gehofft, dass ein Ende der Auseinandersetzung mit der „Weibwaschung“ Woerths durch den „Untersuchungsbericht“ des Direktors der Finanzinspektion IGF vom 11. Juli erreicht sei. Doch das klappte nicht, und die Enthüllungen sowie Attacken auf Eric Woerth gingen munter weiter. 

Nicolas Sarkozy baute ferner darauf, dass die hochsommerliche Urlaubsperiode das Ihre dazu tun werde, die Affäre in Vergessenheit geraten oder jedenfalls in den Hintergrund rücken zu lassen: Ab dem 14. Juli (Nationalfeiertag) seien die Franzosen „in Palavas-les-Flots“, also im Strandurlaub, zitiert bspw. das Wochenmagazin ,Jeune Afrique’ vom 12. 07. eine Quelle im Elysée-Palast. Auch dieses Kalkül ist dann wohl nicht so richtig aufgegangen, angesichts einer nicht abreibenden Welle von Enthüllungen, die auch in der ersten Augustwoche (v.a. durch ,Libération’, unterstützt durch andere Presseorgane) noch fortdauerte und sich am 13./14. August mit den neuesten Enthüllungen über die Vergabepraxis  des „Ehren“zeichens ,Légion d’honneur’ durch Eric Woerth fortsetzte.

 „Wir halten durch“, und sind stolz darauf (Sarkozy/Fillon/Woerth) 

Auch François Fillon, der unter dem „Omni-Präsidenten“ – dem allgegenwärtigen, hyperaktiven Staatschef Sarkozy – mit Müh’ und Not Regierungschef und Premierminister amtiert, stützt Woerth eisern und hält an ihm fest. Die Wochenzeitung ,Le Canard enchaîne’ (vom 14. Juli 10) zitiert ihn mit den Worten, es sei ein Novum, dass eine Regierung solcherart unter dem Druck einer Medienkampagne nicht einknicke und nachgebe, sondern hart bleibe: Erstmals gebe es in einem solchen Fall keinen Rücktritt.

Unter früheren Regierungen war es eher so gewesen, dass Minister, die durch die Justiz belastet wurden, (vorläufig) von ihren Ämtern zurücktreten mussten – jedenfalls so lange, bis die Vorwürfe ausgeräumt waren. So hielt es beispielsweise der bisher letzte sozialdemokratische Premierminister in Frankreich, Lionel Jospin (1997-2002). Als dessen damaliger Wirtschaftsminister Dominique Strass-Kahn – inzwischen aktueller Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington - im Jahr 1999 im Zusammenhang mit Rüstungsgeschäften belastet wurde, musste er am 02. November 1999 von seinem Amt lassen.[77] Später wurde er jedoch durch die Justiz formell von den Vorwürfen reingewaschen; zu Unrecht, wie man meinen kann und wie der Verfasser dieser Zeilen auch tatsächlich meint, aber eben nach erfolgtem Rücktritt. 

Diese unnachgiebige Haltung entspricht dem Profil, mit dem Nicolas Sarkozy vor einigen Jahren auf den vorderen Teil der politischen Bühne trat. Aber sie könnte eventuell noch einen hohen politischen Preis für ihn haben – falls es Sarkozy nicht gelingt, mit seinem Feuerwerk von Law & Order-Brandreden und –Ankündigungen (vgl. "Sarkozy richtet die Bullenrepublik ein") für Ablenkung zu sorgen und Anhänger rechter Ideen stark zu (re)mobilisieren. Die Ankündigungen selbst jedenfalls sind angeblich eher populär. Es ist nur noch fraglich, ob Sarkozy oder ein/e Andere/r – eventuell Marine Le Pen – diese Früchte abernten wird; und ob die rassistischen und repressiven Brandreden erfolgreich dazu dienen werden, die Öffentlichkeit von den Korruptionsaffären abzulenken. Oder aber ob die durch Erstere angeheizte Stimmung und die Empörung über Zweitgenannte sich (in Teilen der Gesellschaft) zu einem rechten „Volkszorn“ verbinden.

Rechtes Ressentiment kontra Sozialprotest? 

Ein Rücktritt Woerths, in näherer Zukunft, ist also trotz „tüchtig Dreck am Stecken“ keinesfalls gesichert. Aber jedenfalls dürfte Arbeits- & Sozialminister Woerth, der ab dem 07. September d.J. die bevorstehende Renten„reform“ im Parlament vorstellen wird, dabei erhebliche Mühe bekommen. Auch mit größtem Kraft- und Propagandaeinsatz wird es ihm schwer fallen, den Lohnabhängigen im Land zu vermitteln, warum sie „notwendige Opfer“ im Namen der „wirtschaftlichen Vernunft“ bringen sollten - während es ihm offenkundig Jahre lang darum ging, Schwer- und Schwerst-Reichen das Geld nur so in den Hintern zu stopfen.

Sofern es nicht ein diffuser (mehr oder minder rechts aufgeladener) „Volkszorn“ ist, sondern gewerkschaftlicher und sozial motivierter Protest, der die Regierung unter Druck setzt, lässt sich aus der Empörung vielleicht auch noch irgendeine sinnvolle Energie ziehen. Andernfalls, also wenn die Leute die Korruption zu Hause am Fernseher oder am Stammtisch (im französischen Fall sagt man: im ,Café du commerce’) kommentieren und nicht in einem Gesamtkontext von Sozialprotest, artikuliert sich da eher dumpfes Ressentiment denn ein sozialer und demokratischer Aufbruch. Beide unterschiedlichen Ausgänge sind derzeit noch offen, aber die Situation könnte leicht kippen.

A propos extreme Rechte und Woerth-Affäre: Sowohl Eric Woerth, der noch vor wenigen Jahren mit Neofaschisten paktierte, als auch für L’Oréal (angesichts der pro-faschistischen Vergangenheit des Konzerns) lässt sich durchaus sagen, dass ein bisschen faschistische Mobilmachung ihnen ja nicht störend erschiene. Jedenfalls sofern der rechte „Volkszorn“ sie nicht selbst trifft...

Siehe dazu unsere beiden letzten Kästen, zu den rechten Connections des Eric Woerth (Kasten Nr. 3) und der braunen Vergangenheit von L’Oréal (Nr. 4).

KASTEN Nr. 3:

Eric Woerth: Offen für Rechtsauben 

A propos Eric Woerth: Der Minister zählte in nicht gar zu ferner Vergangenheit zu jenem Teil der bürgerlichen Rechten in Frankreich, der bereit war, mit dem neofaschistischen Front National zu kooperieren. Er kommt im Übrigen aus dem monarchistisch-rechtskatholischen Milieu und bleibt diesen reaktionären und elitären Kreisen bis heute verbunden. So erhielt Woerth am 30. Januar 2007, vor rund 300 Personen, den „Preis Hugues Capet 2006“ der Vereinigung ,Association Unitié Capitienne’. Bei ihr handelt es sich um eine Mischung aus Aristokraten, übriggebliebenen Royalisten und VIPs von heute. Hugues Capet (938 bis 996), nach welchem der Preis und die Vereinigung benannt sind, war der erste König und Ahnherr einer Dynastie, die noch bis im Jahr 1848 – mit einigen Jährchen Unterbrechung ab 1792 – Frankreich regieren würde. 

Nach den französischen Regionalparlamentswahlen vom 15. März 1998 hatte die konservativ-wirtschaftsliberale französische Rechte sich in vier Regionen faktisch mit dem FN verbündet, um eine Mehrheit für die Regierungsbildung im Regionalparlament zu gewinnen bzw. zu halten. Dazu zählte an führender Stelle die Picardie, unter dem (1998 mit den Stimmen des FN ins Amt gewählten, 2004 abgewählten) Regionalpräsidenten Charles Baur. In dieser Region, genauer in ihrem südlichsten Département Oise – das etwa 30 bis 50 Kilometer von Paris entfernt liegt -, hatte und hat Eric Woerth seine Hausmacht. 

Eric Woerth war damals einer der engeren Mitarbeiter des  früheren Bezirkspräsidenten im Département Oise, Jean-François Mancel. Selbiger hatte bereits am 07. März 1998, also acht Tage bevor die damaligen Regionalparlamentswahlen stattfinden, in einem Interview mit dem reaktionären Wochenmagazin ,Valeurs Actuelles’ seine Bereitschaft zum Bündnis mit dem FN erklärt. (Vgl. einen damaligen Artikel: http://jungle-world.com/) Im selben Jahr 1998 wurde Mancel jedoch aufgrund unstrittiger Korruptionspraktiken aus der damaligen bürgerlichen Mehrheitspartei RPR – heute ein Bestandteil von Sarkozys UMP – ausgeschlossen. Noch bis im Jahr 2004 blieb er jedoch Bezirkspräsident in L’Oise. 

Auch Eric Woerth zählte damals zu den Protagonisten einer Zusammenarbeit zwischen Regierungsrechten und Front National; vgl. dazu http://www.mediapart.fr/

 

KASTEN Nr. 4 :

Die nicht wohlriechende Vergangenheit des Duftkonzerns L’Oréal: Faschismus und Kollaboration

Liliane Bettencourt, deren Vermögen rund 15,6 Milliarden Euro beträgt[78], ist die Tochter und die Witwe eines aktiven Nazikollaborateurs. Ihr im November 2007 verstorbener Gatte André Bettencourt war „immerhin“ Frankreich-Chef der, Joseph Goebbels unterstellten, „Propagandastaffel“ während der Besatzung gewesen, wie sogar der französischsprachige Wikipedia-Eintrag zu seiner Person angibt.  

Bei der Libération (Befreiung Frankreichs von der Nazibesatzung im Jahr 1944) kam er jedoch ungeschoren davon: Wie andere mehr oder weniger prominente Kollaborateure auch, etwa ein gewisser Vichy-Beamter namens François Mitterrand, hatte er es geschafft, sein Fähnchen beim Wechsel des Kriegsverlaufs in den Jahren 1942/43 zu drehen. Als der Wind sich gegen die „Achsenmächte“ zu drehen begann, hatte er also Kontakte zur Résistance aufgenommen. Unter den Staatspräsidenten Charles de Gaulle und Georges Pompidou brachte André Bettencourt es später, in den Jahren von 1966 bis 73, zum Staatssekretär und Minister.

Sein Schwiegervater – Liliane Bettencourts Vater, der Chemiker Eugène Schueller, der im Jahre 1909 die Vorläuferfirma von L’Oréal gründete - seinerseits war in den dreißiger und vierziger Jahren in ausgewiesen faschistischen Kreisen aktiv. Dies vertrug sich in seinen Augen übrigens ideologisch durchaus prächtig mit seinen wirtschaftlichen Aktivitäten, die dar in bestanden, „Schönheitsprodukte“ zu verkaufen. Denn ohne seine Produkte, so seine Auffassung, war das Gros der Bevölkerung eine hässliche und stinkende Masse, die es anzuführen und zu manipulieren galt – ideologisch, um sie im Gleichschritt marschieren zu lassen; und kommerziell, um ihr seine Produkte anzudrehen. „Sagt den Leuten, dass sie ekelhaft seien, dass sie nicht gut riechen, dass sie hässlich sind!“, so lautete der Auftrag, den er seinen damaligen Vertretern erteilte...[79] 

Er hatte während der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts diverse faschistische Gruppierungen finanziert. U.a. die ab 1937 aktive rechtsterroristische Vereinigung ,La Cagoule’, in welcher auch André Bettencourt aktiv war. Später, zu Anfang der 40er Jahre, trat er als Mitgründer zweier faschistischer Kollaborationsparteien auf: des ,Mouvement Social Révolutionnaire’ (MSR) von Eugène Deloncle, sowie des ,Rassemblement National Populaire’ (RNP, „Nationale Sammlung des kleines Volkes“) unter dem Ex-Sozialisten Marcel Déat. - Deloncle wurde im Januar 1944 durch die Gestapo ermordet, weil er Kontakte zu deutschen Militärkreisen um den Abwehr-Chef Admiral Canaris hielt, die zu diesem Zeitpunkt Hitler loswerden wollten. Marcel Déat seinerseits überlebte das Ende des Zweiten Weltkriegs und lebte noch bis 1955 unter einem Tarnnamen und falscher Identität in Norditalien. 

Zurück zu Eugène Schueller: Auch ihm ist jedoch am Ausgang des Zweiten Weltkriegs, leider, nichts passiert. Eine führende Rolle bei seiner „Reinwaschung“ hatte just der Ex-Kollaborateur François Mitterrand gespielt, den Schueller in den Jahren 1945/46 als Direktor bei dem von ihm gegründeten Verlagshaus Editions du Rond-Point und des Kosmetikmagazins ,Votre Beauté’ anstellte (bevor Mitterrand sich 1946 zum Abgeordneten wählen lieb). Bei seinem Tod im Jahr 1957 vererbte er sein Vermögen an seine damals 35jährige Tochter Liliane, die seit 1950 mit André Bettencourt verheiratet war. 

Auch auf Deutsch ist dazu inzwischen ein großenteils ordentlicher Artikel erschienen[80], auch wenn er an Einzelpunkten sachliche Fehler enthält. So hieb die oben genanntge faschistische Partei Deloncles in den 1940er Jahren im Original ,Mouvement Social Révolutionnaire pour la Révolution nationale’ – abgekürzt MSR - und nicht etwa ,Mouvement National Révolutionnaire’. Letzteres, unter dem Kürzel MNR, war hingegen der Name einer neofaschistischen Gruppe in den siebziger und achtziger Jahren unter Jean-Gilles Malliarakis.

 

 

FUSSNOTEN

[1] Nicolas Sarkozy wird in einem Falle durch einen Augenzeugen direkt zitiert: „Bruno“, der frühere Hausverwalter von Liliane Bettencourt, hat der Sonntagszeitung ,JDD’ ein Interview gegeben, das in ihrer Ausgabe vom 18. Juli 10 erschien. Darin heibt es an einer Stelle, Nicolas Sarkozy sei „eine Woche vor der Präsidentschaftswahl“ (deren erster Wahlgang Ende April 2007 stattfand) persönlich bei den Bettencourts aufgekreuzt: „Er ist manchmal vorbeigekommen, aber er gehörte nicht zum intimen Kreis... Eine Woche vor der Präsidentschaftswahl kam er, allein, aber er blieb nur eine Viertelstunden und trank ein Glas mit ihnen“ (den Bettencourts, denn damals lebte auch der Ehemann André Bettencourt noch). Vgl. http://www.lejdd.fr/  

Näheres führt der frühere Bedienstete der Bettencourts nicht aus. Wenn man möchte, kann man sich nun vorstellen, dass bei diesem Kurzbesuch um Geld, möglicherweise auch um Summen in bar, gegangen sei. Nur: Es steht da nicht explizit, der Mann sagt dazu auch nichts Genaueres. Insofern ist ferner Vorsicht bei der Verwendung dieses Interviews (in diesem Sinne) geboten, als besagter „Bruno“ die Aussage bzw. These der früheren Buchhalterin der Bettencourts – Claire Thibout – bestreitet, wonach es gang und gäbe gewesen seien, dass Bargeld-Umschläge im Hause umhergewandert und auch bei den „zahlreichen“ Politikerbesuchen eingesetzt worden seien. In oben zitiertem Interview erklärt „Bruno“, es habe zwar im Hause „viele Gerüchte“ gewesen, aber nie sei solches konkret geworden. Der Ex-Bedienstete attackiert daraufhin „einen Clan, der früher der Clan war und jetzt der Clan der Tochter (Françoise Meyers-Bettencourt) ist“: „Heute gibt es einen Clan, ..., und er sagt so etwas.“  

Tatsächlich ist das Haus Bettencourt in zwei erbittert miteinander verfeindete Faktionen, zwei geschlossene „Clans“ zerfallen. (Dabei mischen sich private Details, Geschäftliches und Berufliches.) Und zwar nicht nur die „Kernfamilie“ sowie deren engere Geschäftspartner: Auch das runde Dutzend von Hausangestellten, Leibwächtern, Sekretären und Chauffeuren der Liliane Bettencourt und ihres verstorbenen Ehemanns sind voll in diesen Stellungskrieg der Seilschaften mit hineingezogen. Auf beiden Ebenen finden sich heute oft jene, die damals zum Vater hielten (also zu André Bettencourt), nunmehr auf Seiten der Tochter wieder, gegen den Clan rund um die Mutter (Liliane Bettencourt). - Was übrigens, nebenbei, der im Juli d.h. mitunter vorgetragenen These von antisemitischen Beweggründen im Erbfolgestreit der Bettencourts tendenziell widerspricht: Der frühere Antisemit, jedenfalls Pétainist und Nazikollaborateur, im Hause war André Bettencourt (vgl. Kasten am Ende des Artikels) – der Jude im Hause ist der Schwiegersohn, also der Ehemann von Françoise Meyers-Bettencourt, „Monsieur Jean-Pierre“. Aber die Verbündeten von Vater und Tochter halten offenbar gegen jene der Mutter zusammen. Auch scheinen sich Vater und Tochter - deren Ehemann hin oder her - wesentlich besser verstanden zu haben als im Nachhinein Mutter und Tochter: Zu Lebzeiten des Vaters André Bettencourt hielt die Tochter Françoise sich regelmäbig im Haus in Neuilly-sur-Seine auf. Erst nach dessen Ableben rissen ihre Besuche im Elternhaus, jeden Freitag und Sonntag, nunmehr ab. Neben „Geschichten aus ihrem Privatleben“, die seit Jahr für Konfliktstoff zwischen Mutter & Tochter sorgten, kam als weiterer Konfliktpunkt hinzu, dass Françoise Meyers-Bettencourt nach einem leichten Herzinfarkt ihres Vaters 2006 im Nachhinein zunächst im Unwissen belassen worden war. Dies wirft sie ihrer Mutter und deren Umgebung vor. (Vgl. http://www.lejdd.fr/Societe/ 

„Bruno“ seinerseits zählt zu jener Fraktion, die „Madame“ unterstützt, also Liliane Bettencourt. Sie ist es, die illegal Politiker finanziert haben soll; und ihr vorgeworfen, ihr Vermögen nicht zusammenhalten zu können, sondern es an Günstlinge zu verprassen. Auch aus diesem Grunde wohl streit besagter „Bruno“ tendenziell ab, dass es illegale Parteienfinanzierung gegeben haben dürfte. Bis auf den „verdächtigen“ Blitzbesuch von Nicolas Sarkozy? Oder wollte er durch diese Interviewpassage eventuell noch eine andere Botschaft transportieren? („Schützt mich gefälligst an höchster Stelle, sonst fliegt Einiges auf...“)

 

[2] Nicolas Sarkozy hat es übrigens in seiner TV-Ansprache vom 12. Juli d.J. beklagt, als er von einem „unguten, ungesunden Verhältnis (der Leute) zum Geld“ sprach: Dass es die Öffentlichkeit – seiner Auffassung nach – vor dem dicken Geld ekele, sei falsch und komplexhaft und ebenso abzulehnen wie „überzogene Gier“. Vgl. http://obsvideo.nouvelobs.com/

[3] Vgl. http://www.france-info

[4] Vgl. http://www.marianne2.fr/ 

[5] Vgl. http://www.leparisien.fr

 [6] Der Kabinettsdirektor (= Leiter eines Ministerialbüros, ungefähr vom Rang eines Staatssekretärs in Deutschland, aber mit mehr Machtfülle ausgestattet) von Eric Woerth im Haushaltsministerium war Sébastien Proto. Jener wiederum ist ein Intimfreund von Patrice de Maistres Schwiegersohn, Antoine Arnault. Letzterer ist im Übrigen nicht nur der Mann von de Maistres Tochter, sondern auch der Sprössling des Geschäftsmanns Bernard Arnault – Inhabers des gröben Einzelvermögens in Frankreich, da sauf rudn 23 Milliarden Euro geschätzt wird. Am Rande vermerkt: In den Jahren 2009/10 wurde im damaligen Ministerium Eric Woerths ein umstrittener Gesetzentwurf ausgearbeitet – der inzwischen verabschiedet wurde -, durch den Online-Gewinnspiele gesetzlich freigegeben wurden. Bis dahin waren sie aufgrund der geschätzten Risiken für das Publikum, es dreht sich um Spiele um Geld, starken Einschränkungen unterworfen: Glücksspiele (mit Gewinnchancen und Verlustrisiko) sollten in Casinos unter professionneller Aufsicht stattfinden, aber es sollte sich nicht jede/r zu Hause ruinieren können. Zu den Profiteuren der „Liberalisierung“ gehört die Familie Arnault, denn Papa Bernard Arnault hat in das Geschäft – konkret in die Webpage Betfair – investiert. Zu den Gewinnern zählt aber auch die Familie Woerth, da diese im Rennstallgeschäft aktiv ist (der Pariser Nobelvorort Chantilly ist eine Hochburg des grobbürgerlichen Pferderennsports, und Eric Woerth ist dort Bürgermeister) und auch Pferdewinne on-line „liberalisiert“ worden ist. Den Entwurf soll mabgeblich der o.g. Sébastien Proto ausgearbeitet haben. Selbstbedienung (für die eigene Klientel), besonders wenn sie schwer reich ist, ist in den Augen des woerthen Ministers wohl immer noch die beste Bedienung…

[7] Vgl. den Terminkalender der verschiedenen Treffen Woerth/de Maistre, den u.a. ,Libération’ (Ausgabe vom 14. Juli 10, St. 4) wie auch ,Marianne’ (vom 17. Juli 10, St. 19) publiziert haben. 

[8] Claire Thibout war in der ersten Phase, während derer der Bettencourt-Skandal unter den Augen der Öffentlichkeit ausgerollt wurde, eine wichtige Zeugin „der Anklage“. (Letztere in Anführungsstrichen, da bislang ja keine Anklage erhoben und auch noch kein Gericht eingeschaltet worden ist – die Staatsanwaltschaft von Nanterre führt bislang aus ihr eigenen Gründen bislang nur „Vorermittlungen“ durch, vgl. dazu ein eigenes Kapitel zur Justiz unten. Ankläger/innen im übertragenen Sinne – aufgrund des Verdachts auf beträchtliche Finanzdelikte - sind bislang nur die Öffentlichkeit und ein Teil der Presse.)

Claire Thibout sprach als eine der ersten Zeuginnen offen von illegaler Politikfinanzierung. Entsprechend enorm war der psychologische und sonstige Druck, der gegenüber ihr aufgebaut wurde. Anlässlich einer zweiten Anhörung durch die polizeilichen Ermittler ab dem Abend des 07. Juli und am 08. Juli zeigte die Zeugin Unsicherheiten zu einzelnen Punkten ihrer vormals getätigten Aussage; sie stolperte bezüglich genauer Datumsangaben, die über drei Jahre zurücklagen. Und sie erklärte, nicht mit absoluter Gewissheit persönlich bezeugen zu können, dass im Hause Bettencourt Bargeld in Umschlägen an oder für Nicolas Sarkozy übergeben wurde – wohl aber, und das erhielt sie aufrecht, an Eric Woerth. (Und das war damals der Schatzmeister, der die Gelder für Sarkozys Wahlkampf einkassierte...) Konkret bestätigte sie eine Übergabe von 150.000 Euro in bar an Woerth, und prompt bekräftigte auch die polizeiliche Untersuchung, dass eine solche Summe vor dem vor ihn genannten Datum von  Bettencourt-Konten abgehoben worden seien. Die Kommunikationsstrategie des Elyséepalasts und – direkt in sie eingebunden – die Tageszeitung ,Le Figaro’ (vgl. dazu http://www.lepost.fr/ schlachteten die Angelegenheit jedoch so aus, dass ausschlieblich kleine und kleinste Widersprüche zwischen der ersten Aussage Claire Thibouts und ihrer Folgeaussage öffentlich herausgestrichen wurden. Zudem meldete der ,Figaro’ triumphierend, die zweite Aussage vom 07//08. Juli demontiere den Artikel, den zuvor die Internetzeitung ,Médiapart’ am 06. Juli auf Grundlage von Erzählungen Claire Thibouts publiziert hatte: In ihm war ausführlich vom Korruptionssystem um Woerth, Sarkozy und Bettencourt die Rede gewesen. Dazu publizierte die Zeitung ,Le Figaro’ – total illegal handelnd – Auszüge aus den polizeilichen Vernehmungsprotokollen der Zeugin Claire Thibout, die jedoch so zurecht gestückelt waren, dass nur das aus ihnen herauszulesen war, war der propagierten These vermeintlich zugute kam. Weder deckte sich diese These mit dem Inhalt des gesamten Vernehmungsprotokolls, noch war dessen Weitergabe und Veröffentlichung durch das Blatt irgendwie legal. Weitergegeben hatte die Anhörungsprotokoll wahrscheinlich Sarkozys Chefberater Claude Guéant, Generalsekretär des Elyséepalasts. Sogar innerhalb der Redaktion des ,Figaro’ hat dies zu erheblichen Spannungen und Verwerfungen geführt. (Vgl. vorherigen Link und http://www.liberation.fr - Siehe zum auf Zeugen in dieser Zusammenhang ausgeübten Druck auch ,Marianne’ vom 17. Juli 10, Titelstory: ,Ce que cache l’intox de l’Elysée’.) 

Ein bedeutendes Problem ist jedoch, dass die Glaubwürdigkeit der 52jährigen Zeugin inzwischen indirekt, aber erheblich geschwächt worden ist – weil auch diese Dame, die lange im Hause Bettencourt beschäftigt war, offenkundig selbst bei Gelegenheit den Hals nicht vollkriegen konnte. 

Es stellte sich heraus, dass die Dame selbst in jüngerer Vergangenheit eine ordentliche Geldgier an den Tag legte – ihre langjährige Umgebung dürfte dabei auf sie abgefärbt haben – und sich ihre knapp 15 Dienstjahre, die sie im Hause von André & Liliane Bettencourt verbracht hat, quasi in Gold aufwiegen lassen wollte, als Madame sie nach dem Tod von Monsieur (André Bettencourt starb Ende 2007) zu kündigen anschickte. Claire Thibout verlangte eine Million. Nun kam durch die Zeitung ,Le Canard enchaîné’ vom 21. Juli 10 heraus, dass sie zwar je nach Angaben 400.000 oder 500.000 Euro von Madame Bettencourt erhielt - aber auch zusätzliche 400.000 Euro, die ihr durch deren Tochter Françoise Meyers-Bettencourt zugesteckt wurden. Angeblich, um einen testamentarischen „Letzten Willen“ des toten Vaters zu vollstrecken. 

Da die jeweiligen Clans rund um Mutter und Tochter auf das Heftigste miteinander zerstritten sind, wird dies jedoch durch die Kritiker der aktuellen Korruptionsvorwürfe an Bettencourt/Woerth/Sarkozy natürlich so ausgelegt werden, dass der ihnen feindliche Clan (also jener rund um „die Tochter“) die Ex-Buchhalterin in ihren Aussagen beeinflusst habe. Jene, die aktuell eine Verteidigungslinie rund um Eric Woerth und das Sarkozy-Lager zu ziehen versuchen, werden sich jedenfalls darauf berufen, um die Glaubwürdigkeit der Zeugin zu erschüttern. Jedoch, auch diese Interpretation hakt ihren Haken: Unterdessen schält sich nämlich heraus, dass die Auszahlung der 400.000 Euro durch die Tochter anscheinend tatsächlich dazu diente, ein ihr (Claire Thibout) zuvor gegebenes Versprechen einzulösen: ,Libération’ vom 22. Juli 10 berichtet jedenfalls, am 11. Juli 2007 – als es dem Vater André Bettencourt bereits schlecht ging und dessen Ableben näher zu rücken schien – habe Claire Thibout die Tochter Françoise Meyers-Bettencourt getroffen. Und ihr eröffnet, sie fürchte, nach dem Tod von André Bettencourt durch dessen Witwe von ihrer Stelle gefeuert zu werden. Dabei hat die Tochter ihr demnach eine schriftliche Garantie abgegeben, ihr im Kündigungsfalle 800.000 Euro auszuzahlen. Nachdem Liliane Bettencourt die frühere Buchhalterin dann im November 2008 tatsächlich gekündigt und ihr 400.000 Euro – so jedenfalls ,Libération’ – ausgehändigt hatte, fügte die Tochter demzufolge dann die fehlende andere Hälfte der versprochenen Summe hinzu. Das war demnach keine Bestechung, sondern „nur“ die Erfüllung eines früher abgegebenen Versprechens.  

Trifft diese Berichterstattung zu, so wurde jedenfalls keine (in der Sache falsche) Aussage auf diesem Wege durch den „Clan“ der Tochter erkauft. Allerdings war die Frau Tochter dennoch von vornherein auch darum bestrebt, die Ex-Buchhalterin im Streit mit der Mutter Liliane Bettencourt auf ihre Seite zu ziehen: Dem Artikel zufolge hat Claire Thibout der Tochter an jenem 11. Juli 2007 auch versprochen, über ihr bekannte Vorgänge im Hause Zeugnis abzulegen. Jedoch: Dabei ging es zu dem Zeitpunkt nicht etwa darum, zu bezeugen, dass beispielsweise Eric Woerth oder Nicolas Sarkozy geschmiert worden sei – wovon damals niemand sprach -; sondern vielmehr drehte sich aAles ausschlieblich um den Streit zwischen Mutter, (sterbendem) Vater und Tochter. 

Späterhin wurde die Zeugin Claire Thibout, in den letzten Julitagen, nochmals und noch stärker in Zweifel gezogen: Nun ging es darum, dass behauptet wurde, es seien Dokumente aufgetaucht, denen zufolge Liliane Bettencourt im Jahr 2006 die Schenkung von zwei Wohnungen an Claire Thibout plante. Die Schenkung sei jedoch nicht zustande gekommen; Thibout selbst habe zwischenzeitlich sogar „drei Wohnungen verlangt“. Diese Behauptung tauchte in der konservativen Tageszeitung ,Le Figaro’ auf, die im gesamten Kontext der Bettencourt-Affäre hindurch als offenes Propagandaorgan der regierenden Rechten - und oftmals direkt des Elyséepalasts – wirkte (vgl. näher dazu http://www.lepost.fr). Die neue Information wurde dergestalt ausgelegt, dass Claire Thibout über das Ausbleiben bzw. Nichtzustandekommen der Schenkung verärgert gewesen sei, und sich deshalb habe aus persönlichen Gründen rächen wollen. An wem wohl? An Liliane Bettencourt und an denen, für die sie unterdessen die reiche Gönnerin spielte... Doch behauptet Claire Thibouts Anwalt, Antoine Gillot, es habe gar nie ein solches Vorhaben einer gegeben; seine Klientin habe „nie die mindesten Wohnung von Madame Bettencourt“ verlangt oder erbeten. Und die Dokumente, die der o.g. These zugrunde gelegt wurden, seien „wahrscheinlich eine Fälschung“. (Vgl. http://www.francesoir.fr/ ) Näheres lässt sich zu dem Punkt im Augenblick wohl noch nicht sagen. 

[15] Vgl. http://www.lexpress.fr/ 

[16] Zuvor erhielt er die Auszeichnung am 14. Juli 2007 zugesprochen, also am ersten französischen Nationalfeiertag nach Amtsantritt von Präsident Nicolas Sarkozy und Minister Woert. Die Verleihung folgte einige Monate später, im Januar 08, in de Amtsräumen des Ministeriums von Eric Woerth. - Die Justiz ermittelt inzwischen zu der Frage, ob es Ungleichmäbigkeiten bei der Entscheidung zur Auszeichnung des Finanzfachmanns Patrice de Maistre mit dem nationalen Verdientsabzeichnen gegeben hat. Die Staatsanwaltschaft, die zu den Finanzdelikten rund um das Haus Bettencourt tätig ist, hat das Dossier beschlagnahmt, das zur Auszeichnung de Maistres mit der ,Légion d’Honneur’ erstellt worden war. U.a. um zu überprüfen, ob es darin Spuren für politische Einflussnahme (und ggf. welcher Personen) aufzufinden gibt. Vgl. http://www.lepoint.fr/  oder http://www.lejdd.fr/S

[17] Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/ 

[18] Vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com 

[19] Vgl. auch http://www.rue89.com/ 

[27] Im Gegenzug zur Schaffung einer staatlichen Parteienfinanzierung, deren Bemessungsgrundlage sich nach den Wahlergebnissen bei den alle fünf Jahre stattfindenden Parlamentswahlen richtet (im Augenblick begünstigt das die UMP und benachteiligt für den Zeitraum 2007-12 besonders den Front National), wird die private Parteienfinanzierung erheblich limitiert. Ferner besteht auch für die zulässigen Ausgaben eines Kandidaten oder einer Kandidatin im Wahlkampf eine gesetzliche Obergrenze. Einzelne Ausgabenposten müssen in einem Rechenschaftsbericht nachgewiesen werden. Ansonsten, oder bei Zuwiderhandeln gegen die gesetzlichen Vorschriften, droht eine Anfechtung und Wiederholung der Wahl, ggf. auch eine Sperre (durch zeitlich befristeten Entzug des Wahlrechts) für illegal handelnden Kandidaten.

 

[40] Vgl. zu Woerth und der Jagd auf „krankfeiernde“ Lohnabhängige: http://www.lefigaro.fr/ (Artikel vom Januar 2008)

[41] Vgl. http://www.lejdd.fr/und http://www.votreargent.fr/

 

[46] Vgl. http://www.lejdd.fr/ und  http://www.lepost.fr/ oder http://www.yann-savidan.com/ . - Vgl. auch http://www.atlasinfo.fr/

[47] Vgl. http://www.tdg.ch/

[48] Vgl. http://www.lepost.fr/

[49] Dazu auch: http://www.lepost.fr/

[50] Vgl. seine Kritik daran, dass die Staatsanwaltschaft von Nanterre es ablehnte, Liliane Bettencourt unter Vormundschaft stellen zu lassen: http://tempsreel.nouvelobs.com 

[51] Vgl. http://www.lesindiscrets.com/   – De Villepin kritisert demzufolge jedoch den aktuellen überzogenen Rechtsdrall der (Mehrheitsfraktion der) UMP, und ihre Annäherung an « die Ideen des Front National ».

[52] Vgl. dazu folgendes Video: http://obsvideo.nouvelobs.com

[53] Vgl. http://abonnes.lemonde.fr

[54] Vgl. http://www.liberation.fr/ 

[55] Vgl. http://www.infos-des-medias.net/

[56] Vgl. ausführlich zu ihren Aussagen: einen Artikel in ,Libération’ vom 29. Juli 2010, St. 12. 

[57] Vgl. http://abonnes.lemonde.fr  und http://abonnes.lemonde.fr  oder http://tempsreel.nouvelobs.com- Zur Finanzierung von François-Marie Banier durch L’Oréal vgl. auch http://www.rue89.com 

[58] Zitiert nach ,Le Canard enchaîné’ com o4. August 10 (Portrait-Artikel über Eva Joly).

[59] Vgl. http://www.liberation.fr

[60] Anlässlich der Europaparlamentswahlen vom Juni 2009 wollte Eva Joly zunächst für die christdemokratisch-liberale Oppositionspartei MoDem unter François Bayrou (welche zu Anfang der Sarkozy-Ära zunächst bis ins migrantische Milieu und tief ins linksliberale Lager hinein rekrutieren konnte, aber sich aktuell in der Krise befindet) kandidieren. Aber ihr deutsch-französischer « Star » Daniel Cohn-Bendit konnte Joly damals für die Grünen, bzw. ihre in die linksliberale Mitte hinein erweiterte Bündnisliste « Europe Ecologie », gewinnen. Derzeit leitet Joly im Europaparlament den Ausschuss für „nachhaltige Entwicklung“. Cohn-Bendit hat inzwischen auch die Idee einer Präsidentschaftskandidatur Eva Jolys favorisiert. Joly, die bei den Grünen eher das Spektrum eines linksbürgerlichen Humanismus abdeckt (und nicht unbedingt dem linken Flügel nahe steht), hat aufgrund der aktuellen Korruptions- und Justiz-Affären und ihrer lautstarken, öffentlich vorgetragenen Kritik an Popularität gewonnen. Viele Beobachter attestieren ihr politischen Rückenwind, vgl. http://www.lejdd.fr

 

[72] Vgl. dazu (kurz vor dem Urteil erschienen:) http://tempsreel.nouvelobs.com/ , und http://tempsreel.nouvelobs.com/ sowie http://www.mediapart.fr  oder http://www.arretsurimages.net/vite.php?id=8774 

[73] Seit dem 26. Juli 10 unterstützt auch die Journalistengewerkschaft SNJ diese Anzeige, vgl. dazu http://www.mediapart.fr/c

[74] SIEHE UNTER http://www.letelegramme.com/ig

[75] Auch wenn es die Abendzeitung ,Le Monde’ war, die das oben zitierte Interview mit Eva Joly publiziert hat, so hielt sie sich dennoch ansonsten mit scharfer Kritik zurück; jedenfalls verglichen mit anderen linksliberalen Medien wie ,Libération’ oder ‚Médiapart’. Zwar berichtete auch ,Le Monde’ in sachlichem Ton über sämtliche Vorwürfe, aber gab auch der Kommunikationsstrategie der Verteidigung Raum; ja, ging sogar darüber hinaus, indem sie bisweilen im Rahmen der Affäre schwer belastete Personen zu ihrer Selbstdarstellung ausführlichst und ohne Kommentar oder Kritik zu Wort kommen ließ. Vgl. dazu die Rechtfertigungsversuche des Arztes von Liliane Bettencourt, Professor Gilles Brücker, auf einer vollen Zeitungsseite (siehe hier: http://abonnes.lemonde.fr/

Dem Professor Brücker wird vorgeworfen, dass er oder nähere Familienmitglieder von ihm – seine Tochter – teure Geschenke von Liliane Bettencourt angenommen haben. Dies wird sowohl vom ärztlichen Standesrecht als auch gesetzlich strikt verboten, um die Ausnutzung der Schwächesituation von Patient/inn/en durch Mediziner zu verhindern. Ferner hielt Brücker sich, auch laut eigener Darstellung, auf der Liliane Bettencourt gehörenden Insel d’Arros auf den Seychellen auf. In ,Le Monde’ kann er sich jedoch als pures Opfer eines, Originalton des Artikels, „vergifteten Geschenks“ (dessen er sich nicht habe erwehren können) hinstellen. Auch seinen Jugendfreund François-Marie Banier nimmt der Mediziner am selben Ort ausdrücklich in Schutz.

In dem Wochenmagazin ,Marianne’ (Ausgabe vom 31. Juli 10) hingegen taucht derselbe Professor Brücker – der das gesamte Ärzteteam der Dame Bettencourt „koordiniert“ und leitet – als Kopf einer Struktur dargestellt, die systematisch darauf hinarbeitete, jede ernsthafte medizinische Untersuchung über den Gesundheits- und Geisteszustand der Milliardärin zu unterbinden. Dies habe der fortgesetzten Ausnutzung der Dame durch Banier gedient. Auch sei Liliane Bettencourt durch die Ärzte ihrerseits, u.a. durch deutlich überhöhte und außergesetzliche Honorare, übers Ohr gehauen worden.

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.