Von der Organisations- zur Programmdebatte
Neue Antikapitalistische Organisation? - Konzentration auf Aufgaben, Strategie und Praxis!
Verschriftlichtes Impulsreferat von Edith Bartelmus-Scholich auf dem SoKo-Sommertreff 16. Juli 2011, Beitrag zur Debatte um das Papier "Neue antikapitalistische Organisation? - Na endlich!" der SIBS (1).

7-8/11

trend
onlinezeitung

Vorab sei der Sozialistische Initiative Berlin-Schöneberg (SIBS) gedankt, dass sie in der Debatte um eine Zusammenarbeit und Organisierung antikapitalistischer Kräfte links von der Partei DIE LINKE einen neuen Bezugspunkt gesetzt haben. Es ist unbedingt geboten, konstruktiv mit ihren Vorschlägen umzugehen, denn die weltweite multiple Krise des Kapitalismus, die Zunahme der Klassenkämpfe - in Deutschland bis jetzt hauptsächlich als Verschärfung des Klassenkampf von oben - erfordern dringend antikapitalistische, emanzipatorische Alternativen zu entwickeln und an ihrer Durchsetzung zu arbeiten.

In seiner großen Linie schätze ich die in dem Papier der SIBS angesprochenen Fragen so ein, wie sie in der Stellungnahme des RSB (2) bewertet werden. Dennoch möchte ich den Ansatz der Schöneberger einer Kritik unterziehen.

Redaktionelle Hinweise

Wir veröffentlichten in der Märzausgabe einen Beitrag der
„Sozialistische Initiative Berlin-Schöneberg“ zur Gründung einer antikapitalistischen Organisation. Darüber entwickelte sich eine Debatte, die durch das TREND TEACH IN ihren ersten Bilanzpunkt erfuhr. Die Statements wurden in der Juniausgabe des TREND veröffentlicht. Weitere in der aktuellen Sommerausgabe 7-8/11

Die "SchönebergerInnen" haben mittlerweile einen Blog eröffnet, der ebenfalls  die Debatte begleitet.

Erfreulicherweise - angestoßen durch Robert Schlossers Beitrag - scheint sich nun in der 2. Juli-Hälfte die Organisationsdebatte in eine Programmdebatte zu transformieren.

Der Untertitel des Papiers der SIBS lautet: "Worüber müssen wir uns verständigen und worüber nicht" und in den 38 Seiten gibt es, wie ich finde, fehlleitende Schwerpunktsetzungen. Das Papier kreist über weite Strecken um Fragen antikapitalistischer Identität und Tradition. Ein solcher identitärer Ansatz führt uns nicht viel weiter. Er läuft vielmehr in Gefahr in einer Selbstbespiegelungsdebatte zu enden. In den Mittelpunkt der Debatte gehören daher Fragen nach unseren Aufgaben als AntikapitalistInnen und unseren politischen Zielen, weil erst hier die Gründe für eine Organisierung entstehen. Auch Überlegungen wie eine neue antikapitalistische Organisation anziehungskräftig, politikfähig und wirkmächtig werden kann, bleiben in dem Papier der SIBS leider randständig.

An der Vision arbeiten

Anläßlich der Fusion von WASG und Linkspartei.PDS zur Partei DIE LINKE habe ich 2007 einige Gründe für das Dilemma der Antikapitalistischen Linken wie folgt beschrieben: "Heute erreicht die antikapitalistische Linke, die meisten Menschen kaum und ihre Praxis ist sehr oft wenig anziehend . Noch 17 Jahre nach dem Ende der Systemkonkurrenz und unter den Bedingungen eines neoliberalen Rollback des Kapitalismus wurde keine Programmatik erarbeitet, die wirklich überzeugt. Die Linke hat es in Jahrzehnten nicht geschafft, ein Bild von einer Welt jenseits des Kapitalismus zu entwerfen. ...  In den Vorbereitungsbeiträgen marxistischer Wissenschaftler zur Konferenz "Marxismus für das 21. Jahrhundert" in der Jungen Welt wurde heraus gestellt, woran es mangelt: Es fehlt der antikapitalistischen Linken an z.B. einer Theorie der gewaltfreien Konfliktlösung, einer politischen Ökonomie jenseits der zentralistischen Planwirtschaft, einem Modell der sozialistischen (partizipativen) Demokratie und einer Theorie herrschaftsfreier Institutionen. "(3) Leider kann ich 4 Jahre nach der Gründung der Linkspartei die seinerzeit festgestellten Mängel nur noch unterstreichen - auch in dem Papier der SIBS spielen diese offenen Baustellen keine Rolle. Daher ist die Arbeit an diesen und weiteren Elementen einer antikapitalistischen Vision eine unserer Hauptaufgaben in dem kommenden Debattenprozess.

Programmatische Plattform entwickeln

Nicht minder wichtig ist es, sich im Laufe des Debattenprozesses auf  eine politische Plattform, in der die Lohnabhängigen ihre Interessen wiedererkennen können und für die es sich zu kämpfen lohnt, zu erarbeiten. Wie Organisationsprojekte, die sich nicht ausreichend auf Programm (und Strategie), verständigen, sich entwickeln, kann aktuell bei der Linkspartei beobachtet werden. Auch die Schwierigkeiten der mit vielen Hoffnungen gestarteten IL sich auf mehr als gelegentliches gemeinsames Agieren im Widerstand zu verständigen, sind auf programmatische Differenzen zurückzuführen. Bedeutender aber noch wiegt das Argument, dass eine Organisation, die über kein politisches Programm verfügt, weder Unterstützer anzieht noch Mitglieder. Selbst bescheidenste Ziele beim Aufbau einer kleinen Organisation sind ohne anschlussfähiges Programm unerreichbar.

Hierzu hat  Robert Schlosser aus Bochum einen Vorschlag unterbreitet. Er schreibt: "Gäbe es eine politische Organisation, die konsequent
* für die Rente mit 60,
* eine Begrenzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden die Woche bei vollem Lohnausgleich,
* eine Begrenzung von Nacht- und Schichtarbeit auf "unökonomisch" sinnvolle und notwendige Bereiche,  
* für eine Selbstverwaltung der Sozialversicherungen durch die Versicherten,
* Bestreitung der Kosten durch das Kapital und Beseitigung aller privaten Sozialversicherungen,
* für die Anhebung des Arbeitslosengeldes I und Verlängerung der Dauer seiner Auszahlung, 
* für die Abschaffung der indirekten Steuern und drastische Erhöhung der direkten Steuern auf hohe Einkommen, 
* für unendgeldlichen öffentlichen Nahverkehr,
*  für gebührenfreies Studium, für eine einheitliche Ganztagsschule bis zum 10. Schuljahr streiten würde,
um nur einiges zu nennen, wofür es sich im Kapitalismus zu streiten lohnt, dann wäre das sicher eine antikapitalistische Organisation, die aber keineswegs sozialistisch zu nennen wäre, weil sie mit all diesen Forderungen das System der Lohnarbeit (noch) nicht grundsätzlich in Frage stellt. Antikapitalistisch wäre diese Organisation allerdings, weil alle diese Forderungen und Ziele bzw. jede einzelne von ihnen,  nur im erbitterten Kampf gegen das Kapital durchgesetzt werden könnten."

Schlossers Minimalprogramm ist mithin nicht ausreichend - und das nicht nur, weil Mindestlohn und eine sanktionsfreie, armutsfeste Grundsicherung an Stelle von Hartz IV in seinem Katalog fehlen. Gravierender ist, dass seine Forderungen allein im Sozialreformerisch-Ökonomistischen stecken bleiben.  Problematisch ist zudem, dass keine seiner Forderungen über die der Linkspartei hinaus geht. Dies ist aber notwendig; denn eine neue Antikapitalistische Organisation wird sich in ihren Forderungen und Zielen von der Linkspartei in mehr als dem bloßen Anspruch den Kapitalismus abschaffen zu wollen, unterscheiden müssen, sonst verliert sie ihre Berechtigung.

In dieser Hinsicht hat die Debatte schon erste Früchte getragen. Schlossers Forderungskatalog wird von Wal Buchenberg durch Forderungen ergänzt, die als zeitgemäße Elemente eines Übergangsprogramms gelten können. Buchenberg fordert:
" - Kommunalisierung und Demokratisierung von Energieversorgung, Lebensmittelversorgung und Transportwesen,
- Kommunalisierung und Demokratisierung des gesamten Bildungswesens,
- Kommunalisierung und Demokratisierung aller Staatsfunktionen, einschließlich der Militärgewalt.

Kommunalisierung heißt, dass die Verwaltung und Produktion möglichst aller/vieler gesellschaftlicher Aufgaben auf lokaler Ebene organisiert wird. Demokratisierung heißt, dass alle Gesellschaftsmitglieder die unmittelbare Verantwortung und direkte Kontrolle über alle Gemeinschaftsaufgaben übernehmen. Kommunalisierung und Demokratisierung unterstützen und ergänzen sich. Damit wird die Funktionsweise einer nachkapitalistischen Gesellschaft mit emanzipierten, selbstbestimmten Individuen nach dem Muster der Pariser Kommune vorbereitet."

Hinzuzufügen wäre m.E. noch Forderungen aus dem "Programm für eine neue Linke" des NLO 2006 wie die Demokratisierung aller Medien und eine radikale Reform des Erbrechts. (4) Zentral wichtig, ist m.E. außerdem die Forderung nach Existenzsicherung für alle Menschen und die Förderung von Produktionsweisen, die dem Profit- und Konkurrenzsystem und damit auch der Lohnarbeit entzogen sind.

Auffällig ist, dass die ökologische Frage sich in den bisherigen Vorschlägen kaum niederschlägt. Dies erfordert ein Überdenken und Übersetzen aller politischen Ziele in eine ökosozialistische Programmatik.

Strategie und Praxis

Leider sagt das Papier der SIBS neben dem Bekenntnis zur Einheitsfrontmethode wenig über Strategie und Praxis aus. Es ist aber notwendig, sich in der Debatte darauf zu verständigen in welchen Konstellationen und mit welchen Methoden die neue antikapitalistische Organisation ihre Ziele erreichen will. Insbesondere da gilt, MitkämpferInnen wollen Erfolge erzielen, die Welt verändern und das eigene Leben verbessern. Gelingt dies nicht, scheitert jeder größere Aufbau.
Potentielle Möglichkeiten wirkmächtig zu werden, gibt es eine ganze Reihe. Zu diskutieren sind m.E. vor allem die folgenden Optionen:

Die Antikapitalistische (Wahl)partei  sei als erstes genannt, weil im Papier der SIBS manches Mal auf die Wahlebene abgehoben wird. Für die Teilnahme an Wahlen in Bund und Ländern ist die Parteiform in der BRD zwingend. Die Gründung einer Partei erfordert einen längeren Prozess, in dem die Beteiligten sich über Programm, Satzung und Personal verständigen müssen. Dieser Prozess gedeiht in kleinen Gruppen ohne eine Basis in Form einer kämpferischen Bewegung nicht ausreichend. Vor allem aber wird er gesellschaftlich ohne eine mindestens nach Tausenden zählende Basisbewegung nicht relevant. Die Gründung einer Partei ist damit zum jetzigen Zeitpunkt auch dann unrealistisch, wenn sich einige Hundert AntikapitalistInnen auf Pogramm und Strategie verständigen könnte.
Die Teilnahme am Parlamentarismus ist eine strategische Entscheidung von höchster Bedeutung für eine antikapitalistische Partei, weil die Übernahme der bürgerlichen Formen des Politikbetriebs und die Finanzierung der Parlamentarier und ihrer Mitarbeiter über den bürgerlichen Staat den emanzipatorischen Zielen grundsätzlich zuwiderläuft. In einer antikapitalistischen Wahlpartei müssten deshalb mindestens Regeln durchgesetzt werden, die den Schaden der Teilhabe am Parlamentarismus so gering wie möglich halten.

Ein Netzwerk antikapitalistischer kommunaler Bündnisse könnte Themen von vor Ort bearbeiten, aber auch gemeinsame bundesweite Kampagnen und Widerstandsaktionen. Es würde einen schnellen Start ermöglichen und einen stetigen Aufbau nicht nur der Organisation, sondern auch eines linken Milieus in den Städten. Kampagnen und Widerstandsaktionen sollten neben inhaltlicher Arbeit die bundesweite Klammer darstellen. Dies erfordert neben gemeinsamen Debatten auch demokratisch legitimierte Organe. Denkbar wäre z.B. ein Netzwerkrat dessen Mitglieder in den Basisgruppen gewählt (und ggf. abgewählt) werden. Diese Organisationsform würde auch gut zu den von Wal Buchenberg aufgestellten Forderungen der Kommunalisierung und Demokratisierung passen. Emanzipatorisches Ziel und Organisationsform würden sich so gegenseitig produktiv machen. Der Antritt zu Kommunalwahlen wäre einem solchen Bündnis möglich. Es ist aber zu bedenken, dass er  viele Kräfte absorbiert und den Schwerpunkt der Aktivitäten auf die Rathausarbeit verschieben wird.

Persönlich trete ich aus den vorgenannten Gründen für die Option eines Netzwerks antikapitalistischer kommunaler Bündnisse ein. In einer solchen dezentralen Organisation kommt der innerorganisatorischen Transparenz und Demokratie besondere Bedeutung zu. Basisdemokratische Prinzipien müssen dabei mit dem Schutz von Minderheitenpositionen in Übereinstimmung gebracht werden, was noch zu einer Herausforderung werden dürfte.

Unerlässlich: Gemeinsame Arbeit in Gewerkschaft und Bewegungen

Der Vorteil der Verankerung innerhalb der Arbeiterklasse ist für AntikapitalistInnen nicht zu unterschätzen. Leider ist diese Verankerung in der BRD sehr schwach entwickelt. Deibei gibt es Antikapitalistische Gewerkschaftsarbeit bereits unter dem Label "Gewerkschaftslinke". Diese Arbeit hat in den letzten Jahren sehr unter dem Aufbau der Linkspartei gelitten. Viele GenossInnen, die früher ihren Arbeitsschwerpunkt in der Gewerkschaftslinken hatten, machen heute Parteiarbeit. Ihr Engagement fehlt sehr. Daher könnte die Gewerkschaftslinke von Aktiven einer neuen antikapitalistischen Organisation sehr gestärkt werden.

Auch in den Sozialen Bewegungen hat der Aufbau der Linkspartei Lücken gerissen. Ein Netzwerk der Bewegungslinken könnte ohne einen Führungsanspruch aufzumachen in Bewegungsstrukturen für Konstanz und systemsprengende Impulse sorgen. Verankerung in Bewegungen ist dabei überall dort anzustreben, wo sich Menschen mit fortschrittlichen Zielen betätigen. In den letzten Jahren haben sich Bewegungen formiert, in denen sich Linke viel zu wenig betätigen. Zu nennen sind hierbei u.a. die Bewegungen gegen den Überwachungsstaat, für mehr demokratische Rechte und für ein Bedingungsloses Grundeinkommen.
Für die Arbeit in sozialen Bewegungen, breiten Bündnissen etc. sollte dabei grundsätzlich gelten, dass wir uns als AntikapitalistInnen beteiligen, nicht aber einen Führungsanspruch aufmachen wollen. Eine neue antikapitalistische Organisation muss die Selbstorganisation und Selbstermächtigung der Lohnabhängigen und Bewegungsaktiven fördern, nicht jedoch eine neue Fremdbestimmung installieren wollen.

Edith Bartelmus-Scholich, 14.7.11

Anmerkungen:
(1) http://www.scharf-links.de/48.0.html
(2) http://www.scharf-links.de/48.0.html
(3) http://www.scharf-links.de/48.0.html?
(4) http://www.netzwerk-linke-opposition.de/cms/content/view/154/163/

 

Editorische Hinweise

Die Autorin ist presserechtliche Verantwortliche von Scharf-LInks. Sie schickte uns diesen Beitrag mit der Bitte um Veröffentlichung.