trend spezial: Die Debatte über die LL(L)-Demos am 13.1.2013 in Berlin
»Bizarre Auswüchse«
Emanzipatorisch? Über eine »alte naive« Liebknecht-Luxemburg-Ehrung und »Hipster-Antifas« als Robin Hood für Besserverdienende in Berlin-Neukölln.

Ein Gespräch mit Susann Witt-Stahl von Markus Bernhardt

01-2013

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Im Januar wollen Teile der Linksjugend, der Jusos und der DGB-Jugend in Berlin erstmalig eine eigene Demonstration im Gedenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg durchführen. Besagte Gruppen stellen sich selbst als »emanzipatorisch« dar. Wofür steht das politische Spektrum, das sich selbst als Alternative zur traditionellen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration darzustellen versucht?

In den vergangenen Wochen sind, u.a. in der jW wie auch von der Linksjugend Hamburg, richtige Analysen über das Wesen und die wahren Beweggründe dieser »Alternative« veröffentlicht worden: Ja, sie ist ein Bündnis von Sozialdemokraten – nicht wenige Neokonservative sind auch dabei –, für die es wieder einmal historisch notwendig ist, sich eindeutig von der antiimperialistischen Bewegung zu distanzieren und sie von außen, in diesem Fall im wahrsten Sinne des Wortes »demonstrativ«, anzugreifen.

In der Nr. 12/2012 erschienene Stellungnahmen und Kommentare:

 Man muß einfach nur lesen, worum es treibenden Kräften dieser »Alternative«, wie den Berliner Jusos, geht. Sie haben ihre Positionen ausformuliert: Sanktionen und ein militärischer Erstschlag gegen den Iran gehören ebenso dazu wie die Verhinderung von Friedensverhandlungen Israels mit der Hamas. Und wie könnte sich so eine bellizistische »Alternative« besser camouflieren als mit dem Label »emanzipatorisch«? Das ist heute einer der strapaziertesten Begriffe des neo (links)liberalen Neusprech für die ideologische Legitimierung von Kriegseinsätzen und der Anwendung des Feindstrafrechts gegen Menschengruppen, die den vom Marktradikalismus angetriebenen Expansionsbestrebungen des Westens im Wege sind. Die NATO bombt für die »Frauenemanzipation«, und ihre Propagandisten verbreiten ganz »emanzipatorisch« ihre kulturrassistische Hetze gegen die »unzivilisierten« Muslime. Der Emanzipationsbegriff ist mittlerweile völlig ausgehöhlt und entleert. Er hat kaum mehr Aussagekraft und Integrität als die Aufschrift »jetzt noch cremiger« auf einem Joghurtbecher. Das heißt nicht, daß Linke ihn nicht mehr im Munde führen sollen – im Gegenteil, es gilt, ihn gegen die neoliberalen Ideologen zu verteidigen bzw. zurückerobern. Aber man sollte sehr genau hinschauen, wer ihn in welchen Kontext benutzt, inflationiert und ad absurdum führt. Karl Liebknecht hatte 1907 die historisch-spezifische Erscheinungsform dieses ethischen Imperialismus seiner Zeit, der heute mit dem Emanzipationsbegriff promotet wird, als »Kolonialpolitik« entlarvt, »die unter der Vorspiegelung, Christentum und Zivilisation zu verbreiten oder die nationale Ehre zu wahren, zum Profit der kapitalistischen Kolonialinteressen mit frommem Augenaufschlag wuchert und betrügt«. Mit genau diesem »frommen Augenaufschlag« werden Sozialdemokraten am 13. Januar die im Auftrag der Sozialdemokratie ermordeten Antiimperialisten Liebknecht und Luxemburg instrumentalisieren.

Seit mehreren Jahren schon ist in Organisationen, die sich selbst zur politischen Linken zählen, eine Aufweichung von Antikriegspositionen und antikapitalistischer Politik zu beobachten. Die »Hipster-Antifa Neukölln« vergleicht mittlerweile die Verdrängung von sozial Deklassierten und Migranten aus ihrem Berliner Stadtteil mit der Befreiung Deutschlands vom Faschismus.

Eine Antifa, die als Robin Hood der Besserverdienenden in den Armutsquartieren Streife läuft …

Die autonome Antifabewegung ist zu einem Sammelsurium wildester Positionen geworden. Wie konnte es dazu kommen?

Die entscheidenden historischen Ausgangspunkte waren der Triumphzug des Neoliberalismus und der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus. In den Pamphleten vieler autonomer Antifas, die in den 1990er Jahren begannen, sich den vorläufigen welthistorischen Siegern sukzessive anzudienen, um 2001 schließlich zu verkünden, es breche ein neues Antifa-Zeitalter an – entsprechend wurde ihr Zentralorgan Phase 2 genannt –, in deren Pamphleten also kann nachgelesen werden, worum es ihnen dezidiert ging: Um eine Entsorgung des revolutionären Antifaschismus samt der traditionellen Kapitalismuskritik und der Klassenfrage. Das heißt, sie versuchten unterm Strich nichts weniger, als Marx’ 11. Feuerbachthese, also das Weltveränderungspostulat, von der Agenda der Linken zu streichen. So hat die Antifa weitgehend aufgehört, die Theoriearbeit zu machen, die sie nach 1945 ohnehin nur halbherzig wieder aufgenommen hatte: Ideologiekritik als »unterirdische Sprengmine gegen die Lügengebäude der offiziellen Wissenschaft« und den Massenbetrug der Kulturindustrie anzuwenden, wie Max Horkheimer es Ende der 1920er Jahre gefordert hatte, als er noch glühender Marxist war.

Sie nehmen am 12. Januar am Abschlußpodium der von junge Welt veranstalteten Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz teil. Dort soll über Schlußfolgerungen für die Linke aus den bekanntgewordenen Verstrickungen von Polizei und Geheimdiensten und dem neofaschistischen Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) diskutiert werden. Hat es außer der sattsam bekannten Forderung nach einem NPD-Verbot bisher Konsequenzen gegeben?

Keine nennenswerten. Es ist natürlich wichtig, genaue Kenntnisse über das Ausmaß und die Struktur der Komplizenschaft von Angehörigen des Inlandgeheimdienstes und anderer staatlicher Behörden mit den Faschisten zu erlangen und zu wissen, inwieweit Mitglieder der politischen Klasse involviert sind oder zumindest vor dem Treiben der Mörder ihre Augen verschlossen haben. Beides wäre notwendig, um angemessene Strategien entwickeln zu können. So ein Projekt braucht freilich Zeit. Aber sicher wird es nicht gelingen, solange Nazigegner auf genau den Staatsapparat bauen, in dessen Obhut das braune Netz gesponnen werden konnte. Und es wird auch nicht gelingen, eine zeitgemäße antifaschistische Bewegung aufzubauen, solange die Linke mit schreckensgeweiteten Augen ausschließlich auf den völkischen Nationalismus der Nazis starrt und den im Neoliberalismus vorwaltenden Faschismus des totalen Marktes ignoriert oder verharmlost.

Das hört sich an, als würden Sie keinerlei Hoffnung in das stecken, was sich selbst als »radikale Linke« bezeichnet?

Alles schlechte gesellschaftlich Gewordene kann gesellschaftlich überwunden werden. Es sind Gegenbewegungen zu den von mir im Groben beschriebenen Erosionen der kritischen Theorie und Praxis der Linken zu beobachten. Die opferreichen Kriege im Nahen und Mittleren Osten, die Folterlager, die ausgerechnet von denen eingerichtet wurden, die sich als »Verteidiger der Zivilisation« aufspielen, die drakonischen Sozialkürzungen und der beängstigende Abbau von Grund- und Bürgerrechten in der westlichen Welt – diese brutale Realität kann mittlerweile auch der dichteste Ideologienebel nicht mehr verhüllen. Viele Menschen schöpfen aus der Negativität ihrer Lebenswirklichkeit genau die Energie, die sie brauchen, um die Atomisierung, die ihnen der Neoliberalismus auferlegt hat, zu überwinden, sich zusammenzuschließen und Widerstand zu leisten. Ob durch den Franco-Faschismus kampferprobte Linke in Spanien, die mittlerweile Rentner sind und statt in Altersheimen vor sich hinzuschimmeln lieber Banken besetzen, oder junge Antiimperialisten in Großbritannien oder Deutschland, die wieder den Klassenkampf aufnehmen und sich auf der Straße rechten und neokonservativen Islamhassern in den Weg stellen. Das ist noch lange nicht die Wende. Aber vielleicht ist es der erste Anflug von »Dämmerung«, um es mit Horkheimer zu sagen, die nun von fortschrittlichen Kräften »zum Anbruch eines Tages gemacht« werden muß, bevor die Reaktionäre sie – einmal wieder – zum Anbruch einer dunklen Nacht machen.

 

Editorische Hinweise

Der Kommentar erschien in der JUNGEN WELT am 21.12.2012
Susann Witt-Stahl ist Journalistin. Sie hat diverse ideologiekritische Aufsätze über regressive Tendenzen des Antifaschismus, zur Propaganda für neue imperialistische Kriege, zum Islamhaß und zur Instrumentalisierung der Antisemitismuskritik veröffentlicht (siehe auch jW vom 23. und 24. Oktober 2012)