trend spezial: Die Debatte über die LL(L)-Demos am 13.1.2013 in Berlin
LL-Demonstration 2013: Welches Gedenken an Karl und Rosa?

von Martin Suchanek (Gruppe Arbeitermacht)

01-2013

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Die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration ist in den letzten Jahren zu einer Art Ritual, einem Gedenkmarsch der deutschen Linken geworden. Aber sie ist auch eine Demonstration verschiedener Strömungen, von Linken verschiedener Spektren gegen Kapitalismus, Imperialismus, Ausbeutung.

Wie jede ritualisierte Form hat sie etwas Lebloses. Dafür gibt es mehrere Gründe:

In der Nr. 12/2012 erschienene Stellungnahmen und Kommentare:

1. Sie hat den Charakter eines Gedenkens, das keinen wirklichen Bezug zu den aktuellen realen Kämpfen herstellt. Damit ist nicht diese oder jene teilnehmende Gruppierung gemeint, sondern die „Organisatoren", die Organisationsform der Demo. Der Aufruf zur LL-Demonstration ist - zurecht - nicht weiter bekannt und im Grunde immer derselbe. Es gehen keine über das Gedenken und allgemeine Bekenntnisse hinaus gehende Impulse von dieser Demo aus.

2. Die Demonstration ist für die Klassenkämpfe, Mobilisierungen, Aktionen über den 2. Sonntag im Januar hinaus folgenlos.

3. Einen Versuch, die Lohnabhängigen über die schon organisierte Linke hinaus zu erreichen gibt es nicht.

4. Politisch-ideologisch ist die Demonstration v.a. von Gruppierungen geprägt, die aus einer stalinistischen Tradition stammen. Das fängt bei den eigentlichen OrganisatorInnen an und zeigt sich auf der Demonstration selbst. Das gibt dem Gedenken an Liebknecht, Luxemburg wie auch an Lenin einen fragwürdigen Charakter. Hier sollen kommunistische TheoretikerInnen und PolitikerInnen in eine letztlich dem Kommunismus fremde Tradition, die untrennbar mit der Verteidigung bürokratischer Herrschaft über das Proletariat verbunden ist, missbraucht werden.

5. Zugleich gibt es Versuche, alle Unterschiede in der Linken zu deckeln und eine Tendenz, die Propagandafreiheit einzuschränken.

Es gibt also viel zu kritisieren an der LL-Demonstration. Das ist auch der Grund, warum wir die These vertreten, dass ein Gedenken an Luxemburg und Liebknecht auch bedeutet, an ihre revolutionäre kommunistische Politik anzuknüpfen; zu versuchen, diese für die heutigen Klassenkämpfe fruchtbar zu machen.

RuK - eine Alternative?

In diesem Jahr gibt es spürbar mehr Diskussionen über die Ziele und Inhalte des Gedenktages und der Gedenkdemonstration selbst. Nun haben einige Gruppierungen eine „alternative" LL-Demo - als „Rosa und Karl-Demo" bezeichnet - initiiert.

Betrachten wir freilich Kritik, Inhalt und Ziel dieser Demonstration und ihrer OrganisatorInnen, so ist kein Fortschritt gegenüber der „traditionellen" LL-Demonstration zu erkennen:

1. Im Grunde haben wir es mit einem Bündnis sozialdemokratischer und anti-deutscher oder jedenfalls anti-deutsch inspirierter Gruppierungen zu tun, die ihrerseits das Gedenken an Luxemburg und Liebknecht missbrauchen.

2. Während auf der LL-Demonstration die Bekämpfung des „Luxemburgismus" durch die stalinistischen KPen unter den Teppich gekehrt wird, lässt der Aufruf der RuK-Demo - man könnte fast sagen „natürlich" - die politische Verantwortung und direkte Involviertheit der SPD, der Noskes und Konsorten für die Ermordung Luxemburgs und Liebknechts, v.a. aber für den Sieg der Konterrevolution 1918/19 außen vor.

3. Wollen die Aufrufenden schon nichts wissen von der konterrevolutionären Politik, vom konterrevolutionären Wesen des SPD-Reformismus seit 1914, so findet die Politik der „eigenen" Parteien, von SPD, Linkspartei der DGB-Gewerkschaften erst gar keine Erwähnung. Die mantraartige Sorge um eine allzu personalisierende und verkürzte Kapitalismuskritik wird so zu nichts weiter als zur politischen Immunisierung bürgerlicher Arbeiterpolitik gegen jede Kritik. Welch Kontrast zu Rosa Luxemburg, die sich nie scheute, offen gegen andere zu polemisieren, der solche Halbheiten fremd waren.

4. Geht schon von der LL-Demo wenig Impuls aus für die Klassenkämpfe, für Aktionen, Bündnisse, Mobilisierung, so erst recht keiner von KuR. Schon Marx bemerkte, dass jeder Shopkeeper weiß, dass Menschen nicht nach dem, was sie von sich behaupten, beurteilt werden sollen, sondern nach dem, was sie tun. Was tun Jusos, Falken, die DGB-Jugend und die Linksjugend Berlin?! Was tut die „emanzipatorische Linke" im Klassenkampf?! Die Frage zu stellen, heißt sie zu beantworten. Ein Anschluss an die Masse der Lohnabhängigen wird schon gar nicht gesucht.

5. Ist die LL-Demo schon nicht attraktiv über ein bestimmtes Spektrum hinaus, so verschärft die RuK-Demo das noch. Nicht nur Fahnen von Stalin und Mao sollen verboten sein, auch das Tragen von Nationalfahnen unterdrückter Nationen sowie jedes offene Auf- und Eintreten für nationale Befreiungsbewegungen ist unerwünscht und untersagt.

Im Klartext heißt das, den - von den OrganisatorInnen offenkundig gewünschten - Ausschluss aller türkischen, kurdischen u.a. migrantischer Organisationen. Es bedeutet insbesondere eine Ausgrenzung aller palästinensischen AktivistInnen und Gruppierungen. Praktisch erweisen sich die anti-deutschen und reformistischen „Anti-KapitalistInnen" als Wurmfortsatz deutsche Außen- und Ordnungspolitik.

6. Bleibt also die Frage, was eigentlich so „emanzipatorisch" an den Jugendorganisationen von SPD und Linkspartei, den NachwuchsfunktionärInnen des DGB oder eine zionistischen Jugendgruppe sein soll? Das Wort „emanzipatorisch" fungiert als ideologischer Kampfbegriffe gegen alle Strömungen der Linken. Mit dem Stalinismus soll in Wirklichkeit jede genuin kommunistische Tradition entsorgt werden.

7. Wir haben es insgesamt mit einer rechten Kritik an der traditionellen LL-Demo zu tun, mit einem Schritt rückwärts, nicht vorwärts. Deswegen lehnen wir eine - wie auch immer „kritische" - Beteiligung an dieser Demonstration ab.

Am revolutionären Erbe Luxemburgs anknüpfen!

Im folgenden geht es uns v.a. darum, darzulegen, woran es bei Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht anzuknüpfen gilt. Welche Positionen der beiden Revolutionäre wir heute dringend hervorheben müssen.

1. Massenstreik als revolutionäres Kampfmittel

Rosa Luxemburg hebt zurecht die Bedeutung des POLITISCHEN Massenstreiks als eines revolutionären Kampfmittels hervor - als Mittel zur Vereinheitlichung der Klasse der Lohnabhängigen, gerade, weil der rein gewerkschaftliche Kampf, der Teilkampf der schon Organisierten seine Grenzen hat.

Sie sieht ihn als Mittel der Zuspitzung und Einbeziehung der Massen, als Mittel zu deren praktischem Selbstständigwerden.

Daher richtet sich ihre Kritik nicht nur an die Gewerkschaftsbürokratie und die Parteirechte in der Sozialdemokratie, sondern auch gegen Kautskys Demonstrations-Streikkonzeption und seine Ermattungsstrategie.

2. Anti-Militarismus und Internationalismus

Liebknechts und Luxemburgs Politik ist untrennbar mit dem Kampf gegen militärische Intervention, gegen Militarisierung v.a. der Jugend verbunden.

Auch hier ist entscheidend, dass diese imperialistische Politik der „eigenen herrschenden" Klasse, des Hauptfeindes, der im eigenen Land steht, mit den Mitteln des Klassenkampfes bekämpft werden muss (siehe dazu das Eintreten für gemeinsame Aktion der Internationale, die Agitation im Krieg, die auch Grundlage für politische Streikaktionen wie jene in der Rüstungsindustrie Anfang 1918 war).

3. Charakterisierung der Epoche als imperialistisch

Luxemburg erkennt wie eine Reihe anderer TheoretikerInnen, dass an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein Epochenwechsel stattfindet, dass der Kapitalismus zu einem Hindernis für die gesellschaftliche Entwicklung geworden ist.

Entgegen der Vorstellungen der revisionistischen Theoretiker in der Sozialdemokratie hebt sie hervor, dass wir in eine Epoche der engeren Verschmelzung von Staat und Kapital, der Aushöhlung der Demokratie eingetreten sind. Daher kommt für sie auch die Entwicklung zum Krieg um eine Neuaufteilung der Welt nicht überraschend, sondern wird vorhergesehen. Prägnant wird das in der Formulierung der historischen Alternative „Sozialismus oder Barbarei" ausgedrückt.

4. Kritik am Reformismus

Luxemburg erkennt als eine der ersten, dass das reine Gewerkschaftertum und der Revisionismus als frühe Formen des Reformismus unbedingt bekämpft werden müssen. Sie erkennt früher als viele andere, dass es sich hier nicht um einen anderen Weg zum gleichen Ziel, sondern letztlich auch um ein anderes Ziel handelt - und damit um die Aufgabe des Klassenstandpunktes des Proletariats überhaupt.

Der Sozialismus ergibt sich für Luxemburg "aus den immer mehr sich zuspitzenden Widersprüchen der kapitalistischen Wirtschaft und aus der Erkenntnis der Arbeiterklasse von der Unerläßlichkeit ihrer Aufhebung durch eine soziale Umwälzung."

Und weiter schreibt sie: "Leugnet man das eine und verwirft man das andere, wie es der Revisionismus tut, dann reduziert sich die Arbeiterbewegung zunächst auf simple Gewerkvereinlerei und Sozialreformerei und führt durch eigene Schwerkraft in letzter Linie zum Verlassen des Klassenstandpunktes." (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution)

5. Kritik am Versöhnlertum

Luxemburg wendet sich nicht nur gegen die bürgerliche Politik der offenen ReformistInnen und RevisionistInnen, sondern auch des Versöhnlertums, gegen den Zentrismus. So kritisiert sie schon sehr viel früher als andere auch die Politik Kautskys in der Sozialdemokratie.

6. Notwendigkeit der proletarischen Diktatur

Alle Kampfmittel, Teilkämpfe, jede Taktik werden von Luxemburg letztlich als Mittel zum Erreichen des eigentlichen Ziels der Arbeiterklasse, der geschichtlichen Bewegung, des revolutionären Sturzes des Kapitalismus begriffen. Das heißt, dass der Kampf um die politische Machtergreifung, die Errichtung der Diktatur des Proletariats geführt werden muss.

Für Luxemburg entspricht die soziale Revolution einem weltgeschichtlichen Bürgerkrieg, Krieg zwischen Klassen. Daher muss sich die revolutionäre Klasse auch rüsten, um diesen Krieg zu gewinnen. Prägnant formuliert sie das in „Was will der Spartacusbund?": „Eine solche Ausrüstung der kompakten arbeitenden Volksmasse mit dem ganzen politischen Arsenal für die Aufgaben der Revolution, das ist die Diktatur des Proletariats und deshalb die wahre Demokratie."

Zweifellos hatte Luxemburg nichts mit der bürokratischen Diktatur des Stalinismus an Hut. Für sie war Sozialismus die breiteste Demokratie der arbeitenden Massen. Aber sie war auch keine DuzentdemokratIn, die sich davor gescheut hätte, offen die Notwendigkeit auszusprechen, dass die ArbeiterInnenklasse zu ihrer Befreiung die politische Macht nicht nur erobern, sondern auch verteidigen muss.

7. Notwendigkeit der revolutionären Partei

Für Luxemburg steht die Notwendigkeit der Organisierung der Avantgarde, der bewusstesten Teile der Arbeiterklasse zur politischen Partei nie in Frage.

Luxemburg besteht vielmehr - und zwar zurecht - darauf, dass diese auch die Aktion der Gewerkschaften resp. der Parteimitglieder in Gewerkschaften und Bewegungen bestimmen muss.

Das zeigt sich natürlich auch darin, dass ein zentraler Teil ihres Lebenswerkes der Kampf für den Aufbau einer revolutionären Partei war: der Sozialdemokratie in Polen und Litauen, der Kampf auf dem linken, revolutionären Flügel der SPD und die Gründung der KPD.

Ihr Verständnis davon kommt deutlich zum Ausdruck in „Was will der Spartacusbund?": „Der Spartacusbund ist nur der zielbewußteste Teil des Proletariats, der die ganze breite Masse der Arbeiterschaft bei jedem Schritt auf ihre geschichtliche Aufgabe hinweist, der in jedem Einzelstadium der Revolution das sozialistische Endziel und in allen nationalen Fragen die Interessen der proletarischen Weltrevolution vertritt."

All das zeigt, dass - trotz etlicher Schwächen Luxemburgs - ihre ganze Konzeption marxistisch ist. Die Vorstellung, dass sie eine „historische", grundlegende Alternative zum Leninismus darstelle, ist eine Mythologisierung, die Stalinismus und Sozialdemokratie teilen, um die jeweils eigene, nicht-revolutionäre Politik zu legitimieren.

Zurück zu den Demos

Beide Demos bieten keine Handlungsperspektive über den 13. Januar hinaus. Dies ist an sich schon bemerkenswert angesichts eine tiefen historischen Krisenperiode des Kapitalismus.

Notwendig wäre aber, eine Kampfperspektive zu propagieren, dafür zu agieren und Bündnisse aufzubauen, von den Massenorganisationen - insbesondere von den Gewerkschaften - Aktionen einzufordern, ohne sich auf diese zu verlassen.

So sollte für den Aufbau von Bündnissen und Koordinierungen zur Solidarität mit den ArbeiterInnen und Jugendlichen Südeuropas eingetreten werden, für eine europaweite Koordinierung der Kämpfe als Alternative zum Europa der Imperialisten.

Zugleich sollte in allen Aktionen für die Selbstorganisation, die Kontrolle von unten und für eine klassenkämpferische Opposition in den Gewerkschaften gegen die Bürokratie, für Aktionskomitees in Betrieben oder Stadtteilen eingetreten werden! Der politische Generalstreik sollte nicht nur als Möglichkeit, sondern als reales, notwendiges Kampfmittel begriffen werden, um die Angriffe abzuwehren und unsererseits die Machtfrage aufzuwerfen.

Vor allem aber muss am Aufbau einer anti-kapitalistischen revolutionären Arbeiterorganisation im Sinne Rosa Luxemburgs gearbeitet werden!

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 664
12. Januar 2013

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