Editorial
Kapitalaffirmativ oder antikapitalistisch?

von Karl Mueller

03-2014

trend
onlinezeitung

Als Karl-Heinz Schubert am 6.2.2014  in seiner Buchvorstellung von David Harveys "Rebellischen Städten" im Café Cralle referierte, dass Harvey "Konzepte autonomer Organisierung"  als Ausdruck einer politischen "Thermiten-Theorie" bezeichnet, weil sie nur am Kapital nagen, ohne es damit abschaffen zu können, da fühlte sich ein Berliner Funktionär des Miethäuser Syndikats (MhS) berufen, diese Aussage fürs MhS nicht gelten zu lassen. Auch wandte er sich vehement gegen die Ansicht des Referenten, das MhS besäße so etwas wie eine "Zentrale" mit "Wächterfunktion" über die einzelnen Hausprojekte. Leider konnten diese Fragen nicht mehr erörtert werden, weil der Veranstalter "Hände weg vom Wedding" danach den Soli-Thresen im Vorderraum für eröffnet erklärte, was zu einem mehr oder weniger abrupten Ende der Diskussion über Harveys Konzept der antikapitalistischen Rückeroberung der Stadt führte. Bemerkenswert war übrigens auch, dass zuvor, als Mitglieder einer Moabiter Stadtteilinitiative die Veranstalter fragten, warum sie sich für David Harveys klassenpolitisches Stadtkonzept interessierten, der Beantwortung dieser Frage damit ausgewichen wurde, indem stattdessen Gruppenaktivitäten, die zur Rubrik aufsuchende Sozialarbeit gehören, aufgezählt wurden.

Harveys Kritik trifft tatsächlich den ideologischen Nerv kapitalaffirmativer Konzepte, wie sie zum Beispiel durch das MhS repräsentiert werden. Doch diese Kritik wird im antikapitalistischen stadtpolitischen Spektrum nur greifen, wenn es gelingt, den Nachweis zu erbringen, dass das MhS-Vermietungskonzept sich prinzipiell nicht von den Renditekonzepten gewöhnlicher Immobilienkapitalisten unterscheidet. Dies aufzuzeigen, versucht Karl-Heinz Schubert in dieser Ausgabe durch die Untersuchung der ökonomischen Funktion und Struktur des Mietshäuser Syndikats.

Als Besonderheit solcher Vermietungskonzepte muss allerdings in einer Kritik daran, die sich an das antikapitalistische Spektrum wendet, auch genauer herausgearbeitet werden, dass hier Rudolf Steiners langer Schatten wirkt.

In Westberlin beginnt auf dem Gebiet linker Wohnungspolitik die praktische Renaissance des kapitalaffirmativen Anthroposophentums, als der Senat in den 1980er Jahren die besetzten Häuser den Besetzern zur Selbstverwaltung als Kauf/Mietobjekte überlässt und die anthroposophisch ausgerichtete Trias-Stiftung zehn Häuser für ihr Konzept interessieren kann. Die ideologische Renaissance hatte bereits Ende der 1970er Jahre begonnen, als Joseph Huber im Kursbuch 55 seinen Aufsatz "Astral-Marx, Über Anthroposophe, einen gewissen Marxismus und andere Alternatiefen" veröffentlichte. Seitdem zieht sich diese Variante, eine "Stadt nach den ökonomischen Ressourcen ihrer Bewohner zu fragmentieren" (Harvey), wie ein roter Faden durch die Geschichte der wohnungspolitischen Spökenkiekerei. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn in der reformistischen "Im Hier und Jetzt"-Partei, Die Linke, solche Konzepte platzgreifen.

"Aus den Erfahrungen und Entwicklungen der Wohnprojekteszene lassen sich nun einige Maßnahmen als linke Politik in den Kommunen umsetzen.", schreibt Ulrich Steinmeyer, Aktivist der Allerwohnen eG und PdL-Kommunalpolitiker in seinem Aufsatz zur Ausrichtung der PdL-Wohnungspolitik, den wir im Kontext unserer MhS-Kritik dokumentieren. Dort betätigt sich Steinmeyer offen als Propagandist des MhS, der Trias-Stiftung und seines Allerwohnen-Projekts, welches sich bezeichnender Weise an einem anthroposophischen Vorbild aus der Schweiz - der Wogeno Zürich - orientiert, die personell mit der Stiftung zur Förderung der Rudolf Steiner Pädagogik verbunden ist.

Natürlich ist es ebensowenig unschicklich in einem MhS-Haus Mieter zu sein,  wie bei der Gewobag eine Wohnung zu mieten. Allerdings dürfte es schwer werden, im antikapitalistischen Spektrum für das Wohn- und Vermietungskonzept der Gewobag erfolgreich Propaganda zu schieben. Im Vergleich dazu haben die MhS-Leute leider immer noch einen Platzvorteil.

Antikapitalistische Wohnungspolitik, die von Harveys Begriff des Rechts auf Stadt ausgeht, versteht dieses Recht als ein "kollektives Recht" und nicht "individualistisch" und "eigentumsbezogen". Anthroposophie affine Konzepte, sind das ganze Gegenteil davon. Sie propagieren einen Kapitalismus, der lediglich die ökonomische Figur des kommerziellen Kapitalisten zum Grund allen Übels erklärt. Ihn durch betriebswirtschaftliche Tricks auszuschalten ist das Ziel. Sie nennen es Kapitalneutralisierung.  Wie Karl-Heinz Schubert aufzeigt, verschleiert dieses Konstrukt nur die Tatsache, dass diese Art Mieter zu sein nur möglich ist, wenn die ökonomischen Ressourcen der proletarischen Klasse, nämlich der Lohnfonds, innerhalb der Klasse durch individuellen Verzicht umverteilt wird. Antikapitalistische Politik, die fundamental in die Verteilung eingreifen will, muss die Fonds der Kapitalisten angreifen - Profit, Zins und Grundrente. Das allerdings wird nur möglich, wenn die Klasse kollektiv handelt, also den Wohnungskampf als Klassenkampf führt und dabei Harveys politische Zielempfehlung - die sozialistische Stadt - nicht aus den Augen verliert.

Auch aus der Geschichte des Klassenkampfes darf ruhig gelernt werden. Mit dem Artikel "KPD und SPD -Zwei Linien der Wohnungspolitik in den zwanziger Jahren" wollen wir die Fragestellung von der Verteilung in Richtung "Produktion von Wohnraum" verschieben, denn die kollektive (Wieder-) Aneignung des urbanen Raums kann nicht vor der Produktionsphäre halt machen. Auch diese gehört vergesellschaftet, damit die Klasse, die den gesellschaftlichen Reichtum bzw. diesen urbanen Raum  schafft, auch die Verfügungsgewalt darüber inne hat. Ob die Bauhüttenbewegung der 1920er Jahre ein Vorbild für heute sein kann, das gilt es zu diskutieren.   

++++++++++++

Seit etlichen Ausgaben gibt es die Rubrik "Kommentare zum Zeitgeschehen", die wir AutorInnen zur Verfügung stellen, damit sie ihre persönliche Sicht der Dinge sozusagen in einem Stück darstellen können. Als strömungsübergreifendes Projekt schließen wir prinzipiell keine/n aus. Es sei denn, die politische Richtung des Kommentars, kann von der Redaktion nicht im Konsens getragen werden. Dies ist erst einmal passiert und wurde natürlich mit dem/der Autor/in kommuniziert.

Der Titel "Kommentare zum Zeitgeschehen" legt auch den Schluss nahe, dass es sich hier nicht um Ereignisse handelt, die in ihrer Bedeutung dem bekannten Sack Reis gleichen, der zufällig auf dem Bahnsteig in Hannover umfällt. Schaut man sich unter diesem Gesichtswinkel die drei Kommentare der Nr. 3/2014 - Version A an, dann ist der Kommentar von Detlef Georgia Schulze (DGS) recht grenzwertig. DGS versucht dem NaO-Projekt, zu dessen Scheitern er maßgeblich beigetragen hat, so dass es jetzt im selbstverschuldeten Mikrokosmos als "Legende" - wie DGS richtig erkennt - vor sich hinvegetiert, gleichsam in nachtretender Weise eins auszuwischen. In der lächerlichen Attitude des politischen "Ehrenmannes" fühlt er sich berufen, eine trotzkistische Mini-Gruppe, den RSB, zu schützen  "weil mit Micha Prütz’ Facebook-Posting die politische Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit des RSB auf dem Spiel steht."

In Abwägung zweier Prinzipien (Meinung versus Fakten) haben wir uns für die Veröffentlichung entschieden, da der Kommentar auch in seiner Zuspitzung auf die Person Michael Prütz eher auf den Autor zurückfällt und gerade als Ausdruck von Realsatire einen gewissen Zeitwert besitzt.

++++++++++++

Georg Klaudas Vortrag "Von der Arbeiterbewegung zur Kritischen Theorie - Zur Urgeschichte des „Marxismus ohne Klassen“ hörten und diskutierten rund 80 Leute. Einmal referierte er am  30. Januar  in Friedrichshain und dann am 17. Februar  in Neukölln. In Friedrichshain verlief im Gegensatz zur Neuköllner Veranstaltung die anschließende Diskussion recht kontrovers. Gerhard Hanloser, der auf der Friedrichshainer Veranstaltung mit Georg Klauda über dessen politische Bewertung und ideengeschichtliche Einordnung der kritischen Theorie gestritten hatte, schickte uns dankenwerter Weise den Aufsatz, Nach Adorno - Grenzen und (Neben-) Wirkungen  der Kritischen Theorie, mit dem er seine Kritik an Georg Klaudas Position unterstreichen will.

Georg Klauda hat uns seinerseits zugesichert, das überarbeitete Vortragsmanuskript dem TREND zur Veröffentlichung zu überlassen. Ob er dabei noch auf die Kritik von Gerhard Hanloser eingeht oder ob allein durch ein Nebeneinanderstehen der beiden die Kontroverse ausreichend sicht- und verstehbar wird, werden wir abwarten müssen.

In der Friedrichshainer Diskussion hatte sich Felix B. von der dahingeschiedenen Gruppe "FreundInnen der klassenlosen Gesellschaft"  zu der Ansicht verstiegen, dass die "maoistisch-stalinistischen" Gruppen, die am Ende der Jugend- und Studentenbewegung der 1960er Jahre gegründet wurden, voluntaristisch die Kritische Theorie durch den Marxismus Leninismus ersetzt hätten. Nach Ansicht von Karl-Heinz Schubert ist dies eine folgenschwere Fehleinschätzung. 1988 hatte er genau zu diesem Übergang einen kleinen Aufsatz verfasst, worin er aufzeigt, dass die Kritische Theorie in diesen ML-Gruppen munter weiterlebte. Er will uns diesen Aufsatz zur Verfügung stellen, wenn aus der Veröffentlichung von Gerhard Hanlosers Aufsatz in dieser Ausgabe eine kleine Serie zur Kritischen Theorie erwächst.

++++++++++++

TREND & AKKA sind weiterhin in Sachen Veranstaltungen zu organisieren aktiv. Hier abschließend ein kurzer Überblick über die nächsten drei Monate:

  • 24. März 2014 TREND-Gespräch, eine AKKA-Veranstaltung mit Alfred Müller: Marx kontra Gesell
  • 24. April 2014 TREND-Veranstaltungsreihe "Let's talk about class" in Koop mit NEA: Klasse bei Marx und Bourdieu, Referent Günther Jacob
  • 16. Mai 2014 TREND-Veranstaltungsreihe "Let's talk about class" in Koop mit der ASJ

TREND(s) im Netz - hier die jüngsten Zahlen:
[Die nachfolgenden Zahlen stammen aus dem Zeitraum vom 29.1. bis zum 28.2.2014]

Die BesucherInnenzahlen vom Februar 2014, in Klammern 2013, 2012

  • Infopartisan gesamt: 161.793  (121.994, 121.615)
  • davon TREND: 112.068  ( 89.410, 94.098)

Diese Auswertung fasste alle Seitenaufrufe eines Besuchers,  gekennzeichnet durch seine IP-Adresse und seine Browserkennung, zu einem Besuch (unique visit) zusammen. Ein Besucher wurde nur gezählt, wenn er mindestens eine Page-Impression, d.h. eine vollständig geladene Seite mit dem Rückgabewert 200 oder 304, ohne Bestandteile wie Bilder und Dateien mit den Endungen .png, .jpg, jpeg, .gif, .swf, .css, .class oder .js auslöste. Liegen mehr als 30 Minuten zwischen den einzelnen Page-Impressions, so wird der Besucher mehrfach gezählt. Ein Besuch kann maximal 30 Minuten dauern.

  • 1.795  BesucherInnen verbuchte die Agit 883 Seite.
  • Es wurden 1.413 Ausgaben der Agit 883 aufgerufen
  • 5.639 BesucherInnen besuchten das Rockarchiv
  • 8.998 Seiten wurden im Rockarchiv abgerufen

Die am meisten gelesene Seite im Februar 2014 bei Infopartisan war:

Der am meisten gelesene TREND-Artikel im Februar 2014:

Die am meisten gelesenen TREND-Artikel der 2/2014-Ausgabe im Februar 2014:

Weitere stark nachgefragte TREND-Artikel aus vorherigen Ausgaben im Februar 2014

Seitenaufrufe bei INFOPARTISAN gesamt im Februar 2014: 275.614
Seitenaufrufe bei TREND im Februar 2014: 193.361