Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Französische Präsidentschaftswahl und danach
Nach ihrer Wahlniederlage: Die französische Sozialdemokratie debattiert über ihre Zukunft und Strategie.Weiterer Rechtsruck als Ausweg?

05/07

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Es dürfte die Ruhe vor dem Sturm sein. Ein „Kollektiv“, ein sieben- bis achtköpfiges Team unter Leitung von Parteichef François Hollande, wird den Wahlkampf der französischen Sozialisten zu den Parlamentswahlen vom 10. und 17. Juni anführen. Alle Richtungen der Partei sollen darin vertreten sein. Auf diese Weise soll das offene Aufbrechen der schwelenden Konflikte, die seit dem Abend der Wahlniederlage vom vergangenen Sonntag virulent zu werden drohen, vorläufig noch aufgeschoben werden.

Also bis nach den Parlamentswahlen, die eine konservative Welle zugunsten der UMP zu bringen drohen, da die Franzosen (in ihrer Mehrheit) wahrscheinlich keine neue Cohabitation wollen: Nachdem sie am 6. Mai dieses Jahres den rechtsbürgerlichen Kandidaten Nicolas Sarkozy zum Präsidenten gewählt haben, soll er nun  auch über die nötige „blaue“ Mehrheit verfügen, um seine Politik auszuführen. Die französische Sozialdemokratie geht deswegen in einer Defensivposition in die herannahenden Parlamentswahlen hinein. Bei ihrem „Conseil national“ („Nationalrat“; es handelt sich um eine Art „kleinen Kongress“, zu dem die 100 Bezirkssekretär und 200 vom Kongress gewählte ständige Delegierte alle paar Monate zusammentreten) an diesem Samstag, 12. Mai versuchten die Teilnehmer deshalb, die Wogen  vorläufig zu glatten. Bis die Wahlen vorüber sind.

Danach aber dürften endgültig die Fetzen fliegen. Mehrere Parteiflügel haben sich geschworen, den amtierenden Vorsitzenden – sein offizieller Titel lautet „Erster Sekretär“ – Hollande aus dem Amt zu drängen. Der nächste Parteikongress steht planmäbig nach den Kommunalwahlen vom März 2008 auf dem Programm. Aber die Ungeduldigen in der Partei möchten ihn nun vorgezogen wissen, wozu François Hollande seinerseits laut Libération bereit sein soll. Abgesehen davon, dass Präsident Sarkozy die Kommunalwahlen ohnehin auf das Ende dieses Jahres vorziehen könnte, um die „blaue Welle“ zu verlängern, bevor die UMP sich an der Macht abgenutzt hat. 

Doppelte Parteirechte trommelt für „Erneuerung“  

Vor allem die beiden rechten Parteiflügel, die sich herauszuformen begonnen haben, fordern eine innerparteiliche Umwälzung im Namen der politischen „Erneuerung“. Das ist zum einen die Umgebung des sozialliberalen Ex-Wirtschaftsministers Dominique Strauss-Kahn, kurz „DSK“ genannt. Die zweite rechte Strömung formiert sich zur Zeit just um die Ex-Kandidatin selbst.  

Ségolène Royal möchte möglicherweise selbst an die Spitze der Partei, um es 2012 nochmals als Präsidentschaftsanwärterin zu probieren. Royal hat bereits  gefordert, schon beim nächsten Parteikongress zum Jahresende 2007 solle der Präsidentschaftskandidat oder die –kandidatin für die kommende Wahl des Staatsoberhaupts im Jahr 2012 nominiert werden. Erst danach, zu einem späteren Zeitpunkt, solle dann auch über das Programm debattiert werden. Alles spricht dafür, dass Ségolène Royal (deren Abneigung gegen kontroverse programmatische Debatten hinreichend bekannt ist, ebenso wie ihre Vorliebe für inhaltsleere, konfuse oder aber auf reaktionären „Werten“ basierende  Politik) unbedingt für die Präsidentschaftswahl in fünf Jahren wieder nominiert werden möchte.  

Da die Ex-Kandidatin  soeben erklärt hat, nicht für die Parlamentswahl im Juni dieses Jahres zu kandidieren und ihren bisherigen Wahlkreis im Département Deux-Sèvres aufzugeben, wird sie nicht in der künftigen Nationalversammlung sitzen. Umso wahrscheinlicher wird es damit umgekehrt, dass sie nach dem Parteivorsitz greifen wird, da sie sonst keine politische „Verantwortung“ mehr auf nationaler Ebene innehätte. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/) Dass dieser Stuhl bislang von François Hollande bekleidet wird, der nominell als ihr Lebensgefährte firmiert  (während in der  Realität alle beide inzwischen anderweitig liiert sind), stellt dabei bestimmt kein Hindernis dar. Hingegen möchte Ségolène Royal als Regionalpräsidentin an der Spitze „ihrer“  westfranzösischen Region Poitou-Charentes bleiben, wo sie seit 2004 amtiert. 

Royal: Law and Order plus Mediendemokratie 

Ségolène Royal und ihre nähere Umgebung setzen ebenfalls auf ein eher wirtschaftsfreundliches Profil, das aber weniger klar und kohärent ist als bei DSK, dafür stärker mit dem Appell an oft reaktionäre „Werte“ (Ordnung, Patriotismus, positiver Leistungsbezug = ‚valeur-travail’) und einer autoritären Sicherheitspolitik verknüpft wird. Im Nachhinein ist diese Orientierung sowohl in der Parteispitze selbst, als auch in der befreundeten Presse unter heftige Kritik geraten. In Libération, die offen Wahlkampf für Royal betrieben hat, unterzog etwa der Redakteur Luc Le Vaillant „Calamity Ségo“ und ihre zentralen Aussagen in einem scharfen Kommentar sehr grundsätzlicher Kritik.  

Aber die frühere Kandidatin Royal behält nach wie vor eine erhebliche Zahl von AnhängerInnen in der Partei, auch wenn ihre Nominierung zur Kandidatin bei der innerparteilichen  Urabstimmung im November 2006 keineswegs aufgrund ihrer (damals zum Teil unbekannten) Programmpunkte erfolgt ist. Sondern vielmehr aufgrund ihres damaligen häufigen Erscheinens in den Massenmedien, die Royal wesentlich als politische Figur aufgebaut haben - und aufgrund von Umfragen, die besagten, dass Royal möglicherweise Siegeschancen gegenüber Nicolas Sarkozy als Kandidaten der Rechten habe. Nur antworteten die Französinnen und Franzosen damals nur aufgrund ihrer Kenntnis des Gesichts von Ségolène Royal, nicht wegen ihrer politischen Vorstellungen, die zu dem Zeitpunkt kaum jemand näher kannte  (abgesehen von ihrem Eintreten von Law and Order). Royal hatte sich im vergangenen Herbst aufgrund des Funktionierens der Mediendemokratie und an den Strukturen ihrer Partei vorbei durchsetzen können, bis der Hauptflügel des Apparats im Laufe des September und Oktober selbst  auf sie zu setzen begonnen, im festen (aber falschen) Glauben, dass sie mit ihr über eine politische Geheimwaffe gegen Sarkozys Popularität verfügten. Ein Glauben, der fast nur auf der Häufigkeit des Auftauchens von Royals Gesichts in Print- und audiovisuellen Medien sowie auf ein paar, wenig aussagekräften, Umfragen beruhte. 

Aufgrund ihres Platzes, den sie als Präsidentschaftskandidatin in  (Teilen der) öffentlichen Meinung gewonnen hat, sowie aufgrund  ihres  Triumphaufritts am Abend des Wahlsonntags bleibt Royal unterdessen im Rennen. Trotz Wahlniederlage marschierte sie an der Spitze einer Schar von AnhängerInnen von ihrem persönlichen Wahl-Hauptquartier zum einige Hundert Meter entfernten Sitz des Parti Socialiste (PS) „und besetzte diesen symbolisch“, wie eine Journalistin in Le Monde es formulierte.  

Dominique Strauss-Kahn:  Nähe zur Wirtschaft 

Der  frühere Wirtschaftsminister (1997 bis  99) Strauss-Kahn seinerseits tritt seit längerem für eine „moderne Sozialdemokratie“ ein. Darunter versteht er eine Liquidierung aller marxistischen Restbestände in der Doktrin der Partei, den Verzicht auf jegliche Vorstellungen einer Umverteilung von oben nach unten – zugunsten sozialpartnerschaftlicher Deals „ohne Gewinner und Verlierer“, die die wachsenden Flexibilitätserfordernisse des Kapitals als notwendig voraussetzen – und in neuerer Zeit auch die Deregulierung der Arbeitszeiten.  

So zitiert die linksliberale Tageszeitung Libération vom 08. September 2006 Strauss-Kahn mit den Worten: „Die Probleme der Arbeitsdauer werden nur durch den (Einzel-)Vertrag und durch Flexibilität, von Fall zu Fall, gelöst werden können.“ Anders als im benachbarten Deutschland ist aber in Frankreich die Arbeitszeit, ebenso wie die Festlegung eines für alle Branchen verbindlichen Mindestlohns, bisher eine Aufgabe des Gesetzes (und nicht allein von Tarifverträgen, die freilich für die abhängig Beschäftigten günstigere Bestimmungen enthalten und auf diese Weise vom Gesetz als Mindeststandard abweichen dürfen). Dieses Bekenntnis zur einzelvertraglichen Abrede kommt dem langjährigen Credo des französischen Wirtschaftsliberalismus – der dem Prinzip der gesetzlichen Regulierung wichtiger arbeitsbezogener Themen ein Ende setzen möchte - weit entgegen. Freilich hat sich auch die Kandidatin Ségolène Royal in ihrer Fernsehdebatte mit Nicolas Sarkozy vom 02. Mai in dieser Frage, bezüglich der Regelung der Arbeitszeit (die „zu starr“ sei), offen für Druck aus dieser Richtung gezeigt. Allerdings wollte sie eine Revision der bisher geltenden Regeln nur unter der Voraussetzung eines Abkommens der „Sozialpartner“, und nicht lediglich vertraglicher Abrede, in Aussicht stellen. 

Am vorigen Freitag, Vorabend des „Nationalrats“ („kleinen Kongresses“) des PS, versammelte Dominique Strauss-Kahn seine Anhänger in Paris, hinter verschlossenen Türen. Am Donnerstag hatte er schon in die Öffentlichkeit hinausposaunt, wie seine Marschlinie für die nähere Zukunft aussieht: Nach der Wahlniederlage müsse „alles in Frage gestellt und neu erdacht (remis à plat) werden“, forderte er. Konkret sprach er sich dafür aus, dass „die  Linke“ nun wieder „die Verbindung mit der ökonomischen und sozialen Realität, die sie nie hätte verlieren dürfen“, aufnehme müsse. Was nichts anderes als eine verklausulierte  Formulierung für die Annäherung an Bedürfnisse der Wirtschaft darstellt.  

Sowohl DSK wie Royal sprechen nunmehr einem „realistischen Sozialismus“ (socialisme du réel) das  Wort. Nein, damit ist nicht der real existierende Sozialismus von dereinst gemeint... Der Begriff wurde zunächst  am vergangenen Dienstag von Strauss-Kahns rechtem Arm, dem Erzkarrieristen Jean-Christophe Cambadélis, in  einem längeren Interview mit ‚Libération’ gebraucht http://www.liberation.fr/. Dann benutzte ihn am Samstag, am Rande des „Nationalrats“ ihrer Partei, nun auch Ségolène Royal (http://abonnes.lemonde.fr/. Die beiden rechten Parteiflügel scheinen sich also tatsächlich inhaltlich einander anzunähern. 

Opportunes historisches Moment für einen Richtungswechsel 

Die Gelegenheit erschien dem sozialliberalen Flügel gar zu günstig, um einen Orientierungswechsel in seinem Sinne zu erzwingen. Denn die KP wurde im ersten Durchgang der diesjährigen Präsidentschaftswahl marginalisiert (mit 1,93 Prozent der Stimmen -- gegenüber noch 3,35 Prozent bei der Wahl 2002, wo sie bereits aufgrund ihrer fünfjährigen Regierungsbeteiligung unter Lionel Jospin schwer  gebeutelt wurde): Wie andere Linkskräfte litt sie unter dem Druck auf ihre Wähler, das „kleinere Übel“ zu wählen, damit die Linke überhaupt in die Stichwahl kommen könne. Die französische KP steckt  erneut in einer sehr schweren Krise, die im Herbst dieses Jahres auf einem Sonderparteitag diskutiert werden soll.  Und ihre bisherige Parteichefin Marie-George Buffet (Ministerin für Jugend und Sport in d den Jahren 1997 bis 2002) will den Vorsitz abgeben und nicht wieder  kandidieren; die Nachfolgefrage ist im Moment noch ungeklärt. Auf  dem rechtesten Parteiflügel denkt man unterdessen über eine endgültige Liquidierung als eigenständige politische  Kraft nach.  So  wird ihr  ehemaliger Transport- und Wohnungsbau-Minister Jean-Claude Gayssot  (der profilitierteste Vertreter eines Kurses, der  unter der Jospin-Regierung die Quasi-Totalanpassung an Regierungserfordernisse  und Unterordnung unter die moderne Sozialdemokratie predigte) am Freitag in der Presse mit den Worten zitiert, die KP könne doch in einer „Förderation von unterschiedlichen Kräften zur Linken des Parti Socialiste“ aufgehen. Und das Adjektiv „kommunistisch“ könne dabei ruhig aus dem Namen verschwinden. Dass es dabei für Gayssot nicht um eine Annäherung an die radikale Linke auberhalb der KP gehen soll, darf getrost vorausgesetzt werden. Aus all diesen Gründen ist die ehemalige „strategische Allianz“ mit der französischen KP, die dereinst François Mitterrand errichtet hatte (freilich um deren Einfluss zurückzudrängen), bei vielen Sozialdemokraten nicht mehr zu den Prioritäten zu zählen. Selbst wenn die KP nun bei den Parlamentswahlen im Juni ein etwas höheres Stimmergebnis holen sollte, als noch bei der Präsidentschaftswahl.  

Währenddessen entspann sich in den letzten zwei Monaten beim Parti Socialiste (PS) eine Debatte um eine Allianz mit dem christdemokratisch-liberalen „Zentrum“ unter François Bayrou. Sie wurde noch vor dem ersten Wahlgang u.a. durch die Anhänger von DSK und durch PS-nahe hohe Beamte (die unter  einem Kollektivpseudonym   zur Wahl Bayrous aufriefen) forciert, und zwischen den beiden Wahlrunden durch die Kandidatin Ségolène Royal selbst aufgegriffen. Diese rückte mal DSK als Kandidaten auf das Premierministeramt nach vorne, mal erklärte sie sich sogar bereit, iml Falle ihres Wahlsieges den Christdemokraten Bayrou zu ihrem Premierminister zu machen.  

Eine solche Allianz aus Sozial- und Christdemokraten, von Royal und Bayrou hat auch ihre prominenten Fans. Zu ihnen kann man den deutsch-französischen neoliberalen Grünen Daniel Cohn-Bendit, den Chefredakeur der linksliberalen Wochenzeitung Charlie Hebdo, Philippe Val, sowie den „Neuen Philosophen“ Bernard-Henri Lévy („BHL“) zählen.  Gegenüber der politischen und intellektuellen Offensive dieses Lagers sind die Kräfte, die den Mainstream des Parti socialiste von links kritisieren, eher in der Defensive. Die Kräfte links vom PS – KP, „Anti-Neoliberale“ bzw. Globalisierungskritiker, Trotzkisten - erhielten in diesem Jahr zwar noch immer gut 8,5 Prozent der Stimmen, zuzüglich weiteren anderthalb Prozent für die Grünen. Aber sie traten zersplittert an, und vor fünf Jahren hatten dieselben Kräfte noch 19 Prozent (Grüne eingeschlossen, die damals 5,3 Prozent erhielten) im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2002 realisiert. 

„Die Wahl wurde rechts und nicht links gewonnen“ 

Sowohl die Anhänger von DSK als auch die Unterstützer Royals machen geltend, die Präsidentschaftswahl sei rechts und nicht links, wo der Parti socialiste (PS) kaum noch Stimmreserven habe, gewonnen bzw. verloren worden. Auf die Dauer bilde sich ein Zwei-Parteien-System wie in den USA heraus. Deshalb könne man die Wahl nur gewinnen, wenn man rechts von der bisherigen PS-Wählerschaft um Stimmen werbe und erfolgreich die „Mitte“ besetze. So führt Jean-Christophe Cambadélis, ein Berater Strauss-Kahns, in Libération vom 08. Mai aus: „Die Wähler sind nicht links von der Sozialdemokratie, wo wir das Reservoir ausgetrocknet haben, und auch nicht in der Stimmenthaltung (abzuholen). Das Programm der derzeitigen Linken ist im Lande nicht mehr mehrheitsfähig. Wenn wir morgen wieder gewinnen wollen (...) müssen wir es wieder mehrheitsfähig machen.“ 

Das dürfte freilich eine Fehlkalkulation sein. Denn in Wirklichkeit unterscheidet sich die französische Situation von jener in den USA: Dort geht das, in hohem Mabe entpolitisierte, Ringen zwischen zwei groben Parteien mit einer niedrigen Wahlbeteiligung und einer politischen Apathie breiter Bevölkerungsteile einher. Nichts davon in Frankreich: In beiden Wahlgängen in diesem Jahr betrug die Wahlteilnahme rund 85 Prozent. Da rund acht Prozent der Wähler aus der ersten Runde nicht an der zweiten teilnehmen, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass am vorigen Sonntag zusätzliche Stimmbürger mobilisiert werden konnten. Rund 93 Prozent der eingetragenen Wähler nahmen damit an mindestens einem der beiden Wahlgänge teil – das entspricht einer Quasi-Vollbeteiligung, wenn man Fubkranke, Bettlägrige und Scheintote einmal abzieht.  

Diese Wahl ging mit einer echten Polarisierung und Mobilisierung einher. Und die so genannte Linke hat sie in erster Linie deshalb verloren, weil der von Sarkozy verkörperte Neokonservativismus und Neoliberalismus als Partei der Dynamik, der Bewegung erschien – das Gespann aus Sozial- und Christdemokraten dagegen als profillose Verteidiger eines Weiter-So-Wurschtelns. Tatsächlich war es Sarkozy, der konkrete Vorschläge für Veränderungen gemacht hatte, und dem man vor allem abnahm, dass er für Umwälzungen sorge. Auf letztere setzten auch Teile der Unterklassen ihre Hoffnungen, namentlich auf Sarkozys magische Formel, die anbot, „(freiwillig) mehr zu arbeiten, um mehr zu verdienen“. Was die Leute festhielten, war zunächst einmal: „mehr verdienen“. Dagegen wirkten Royals Versprechungen saft- und kraftlos: Sie werde irgendwann im Laufe der kommenden Legislaturperiode – „wenn die wirtschaftliche Situation es erlaubt“ – den gesetzlichen Mindestlohn substanziell anheben. Ansonsten werde sie eine „grobe Diskussion mit den Sozialpartnern“ lancieren, und das Wirtschaftswachstum (das sie auf oberhalb von 2,5 Prozent ansetzte, ohne eine Strategie für den Fall des Nichteintreffens zu skizzieren) werde für die Finanzierung sozialer Verbesserungen und den Abbau der Staatsverschuldung sorgen. Im übrigen versprach Royal ein „mit sich selbst versöhntes Frankreich“, eine neue Sozialpartnerschaft und „die Aussöhnung der Franzosen mit den Unternehmen“. Davon konnte sich am Monatsende, buchstäblich, niemand etwas kaufen. Es war die Hohlheit ihrer Angebote und ihre Alternativlosigkeit, die die rechtssozialdemokratische Kandidatin hat verlieren lassen. Nicht die Tatsache, dass sie vermeintlich „zu links“ aufgetreten wäre, was man nun wirklich nicht guten Gewissens behaupten kann.  

Signifikant ist, dass nur 51 Prozent der Wähler/innen Ségolène Royals vom vorigen Sonntag erklären, aus „Zustimmung“ zum Programm und zu den Vorschlägen ihrer Kandidatin abgestimmt zu haben. Hingegen votierten 46 Prozent der Royal-Wähler demnach, „um den anderen Kandidaten zu verhindern“, also gegen Nicolas Sarkozy. Im Unterschied dazu stimmten derselben Erhebung zufolge stolze 76 Prozent der Wählerinnen und Wähler Nicolas Sarkozys auch dem Programm ihres Kandidaten zu (und nur 21 Prozent von ihnen votierten in erster Linie gegen die Repräsentantin des anderen Lagers) (Zahlenangaben nach ‚Libération’ vom 08. Mai). Die sozialliberale Kandidatin Ségolène Royal wurde also in erster Linie als Bewerberin des „Sarkozy-Verhindern-Lagers“, aber nicht als Trägerin einer irgendwie gearteten programmatischen Alternative.  

Es mag sein, dass die französische Präsidentschaftswahl, aufgrund der Polarisierung zwischen zwei Personen und zwei  Lagern in der Stichwahl, auch „in der Mitte“ gewonnen wird und ein/e Bewerber/in darum auch eine gewisse Anziehungskraft auf WählerInnen „aus der Mitte“ entwickeln muss. Und es mag sein, dass ihre Persönlichkeit ferner auch eine Rolle gespielt hat (52 Prozent der Sarkozy-, aber nur 24 Prozent der Royal-Wähler/innen zitierten die Persönlichkeit ihres Kandidaten oder ihrer Kandidatin als positiven Faktor). Und es mag ferner auch sein, dass in manchen sozialen Milieus die Tatsache, eine Frau zu sein, ein zusätzliches Handicap darstellte, da für ideologisch rückständige Personen eine Frau – bei gleichen Kompetenzen – stärker  ihre „Befähigung zum Amt“ beweisen muss als ein Mann. Auf der anderen Seite hat Royal dies durch ihr Auftreten in einem Tonfall als Grundschullehrerin der Nation, durch die ständige Betonung ihrer Frau-und-vierfache-Mutter-Qualität und andere Appelle an reaktionäre Wunschportraits zu kompensieren versucht. (Luc  Le Vaillant spricht in seinem oben zitierten Beitrag für ‚Libération’ gar von einem reaktionären Biologismus, der in ihrem  ständigen Erinnern  an ihre  „essenziellen“ Eigenschaften enthalten gewesen sei.) Ja, doch, es mag sein, dass diese o.g. Aspekte in begrenztem Ausmab die Kandidatur Royals zusätzlich ungünstig beeinflusst haben. Aber die Haupterklärung liegt nicht darin. Sie ist darin zu suchen, dass sie programmatisch kaum mehr als heibe Luft und Angebote zur „Versöhnung“ Aller mit Allem, zur „Aussöhnung der Nation mit sich selbst“ zu bieten hatte – und noch dazu fachlich, technisch weitaus weniger kompetent  erschien als Nicolas Sarkozy, was verheerend wirkt, wenn man schon auf bürgerliche Seriosität statt auf klare Alternativen setzt. Insofern konnte sie weder den Wählerinnen und Wählern „der Mitte“ als ernsthafte Alternative zu Sarkozy erscheinen, noch die (in diesem Jahr zahlreich zur Wahl gehenden) Angehörigen der sozialen Unterklassen erfolgreich für sich mobilisieren. Es mag durchaus sein, dass die Sozialdemokratie mit einem schärfer zwischen Links und Rechts polarisierenden Kurs die Wahl ebenfalls (in der „Mitte“) verloren hätte. Sicher ist aber, dass sie in diesem Jahr verloren HAT, und dies keineswegs, weil sie „zu links“, sondern weil ihre Kandidatin zu unfähig und ihr Programm zu hohl war. Im Zweifelsfalle hat diese Präsidentschaftswahl also alles Mögliche bewiesen, aber nicht, dass das Politikangebot der französischen Sozialdemokratie nicht rechts genug gewesen wäre. 

Gegenvorschlag für die künftige Strategie vom Fabius-Flügel 

Eine andere Strategie als die Parteirechte schlägt der PS-Flügel um Laurent Fabius vor. Dessen Vordenker, der Senatsabgeordnete Henri Weber, schlug in einem längeren Gastbeitrag für Le Monde vor, der PS müsse sich endlich von einer Honoratioren- und Mandatsträgerpartei zu einer sozialen Massenpartei entwickeln. Verankerung in den Tiefen der Gesellschaft, Beziehungen zu Gewerkschaften und Initiativen, ideologischer Streit mit der Rechten: Diese Aufgaben habe die Sozialdemokratie lange Jahre und Jahrzehnte der französischen KP – die noch bis vor wenigen Monaten eine höhere Mitgliederzahl hatte als sie selbst – überlassen. Jetzt aber sei es an der Zeit, in der Opposition gegen Sarkozy endlich zu einer realen gesellschaftlichen Kraft zu werden und diese Aufgaben zu übernehmen.  

Dieses Angebot wirkt kohärent, aber die derzeitige Parteilinke krankt an einem schweren Problem: Ihr derzeitiger Kopf, Ex-Premierminister Fabius, ist ein langjähriger Apparatschick, der den allergröbten Teil seiner Karriere als wirtschaftsliberaler „Modernisierer“ vom rechten Parteiflügel verbrachte. Noch als Wirtschaftsminister in den Jahren 2000 bis 02 stand er eher für einen Kurs à la Tony Blair, wie heute auf ihre je eigene Weise DSK und Royal, und machte vor allem durch Steuersenkungen für die Mittelschichten von sich reden. Erst im Vorfeld des EU-Referendums von 2005 sowie als Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur im vergangenen Jahr hat er seine Berufung als „Linken“ entdeckt. Und es handelte sich dabei überwiegend um eine taktische Platzierung. Darüber hinaus leidet die Parteilinke generell unter dem Problem, dass ihre Worte – in der Opposition – und die Taten an der Regierung sichtbar weit auseinanderklaffen.  

Scharfes Opponieren gegen Sarkozy, oder lieber nicht? 

Die Opposition in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen gegen die Politik des neuen Präsidenten Nicolas Sarkozy ist also ein fester Bestandteil in der Strategie, die Henri Weber für die französische Sozialdemokratie vorschlägt. Einen harten Oppositionskurs einzuschlagen und (neben der Debatte über konkrete Punkte seiner Politik) auch die „ideologische“ Konfrontation mit den autoritären und wirtschaftsliberalen Vorstellungen der erneuerten Konservativen unter Sarkozy zu suchen, müsste sich daraus zwingend  ergeben. 

Ein anderes ideologisches Angebot macht der französische Blairist und Politikwissenschaftler Zaki Laïdi (der früher für den neoliberalen Grünen Daniel Cohn-Bendit warb und ihn intellektuell aufrüstete, als der 1999 für die französischen Grünen als Spitzenkandidat zu den Europaparlamentswahlen antrat). Er schlägt in Libération vor, die französischen Sozialisten sollten sich vom Vorbild der britischen New Labour Party inspirieren lassen: Diese habe die Vorzüge ebenso wie die Nachteile des Thatcherismus an der Macht erkannt, die Letztgenannten verworfen, aber die Ersteren sehr wohl beibehalten. Ähnlich solle sich die künftige Parlamentsopposition in Frankreich verhalten, statt Nicolas Sarkozy zu „diabolisieren“. Einen klaren Oppositionskurs unter Präsident Sarkozy, wie Weber ihm das Wort redet, verwirft er daher. 

Nähere Aussichten 

Einen Durchmarsch der Parteirechten verhindert im Moment vor allem noch ein ‚Leadership’-Problem: Im Ringen um die Präsidentschaftskandidatur hatten sich Royal und DSK mächtig in die Wolle bekommen. Die Kandidatin warf ihrem Rivalen Strauss-Kahn vor, im innerparteilichen Abstimmungskampf im vergangenen Herbst ihre Statur „beschädigt“ und hinter den Kulissen eine Verleumdungskampagne gegen sie geführt zu haben. DSK fühlte sich umgekehrt vor dem ersten Wahlgang durch Royal aus ihrer Wahlkampfführung ausgegrenzt, bevor er zwischen den beiden Runden der Präsidentschaftswahl auf die Bühne zurückgeholt wurde, um die Wähler des christdemokratisch-liberalen Zentrums unter François Bayrou anzuziehen. Eine Annäherung der beiden rechten Flügel setzt eine Aussöhnung zwischen den beiden Persönlichkeiten voraus.  

Zudem möchten viele Mitglieder der Parteiführung im Moment noch keine Absprachen mit François Bayrou bei den Parlamentswahlen im Juni, die eine Voraussetzung für die strategischen Pläne der Parteirechten – vor allem rund um DSK - zu einer neuen Allianz wären. Darüber wird aber letztlich wohl das Abschneiden der neuen politischen Kraft, die der Christdemokrat Bayrou am Donnerstag, 10. Mai unter dem Namen ‚Mouvement Démocrate’ (‚Demokratische Bewegung’, abgekürzt „Modem“ -- hui, wie modern!), ins Leben rief, bei der ersten Runde der Parlamentswahlen entscheiden. Am 10. Juni wird es so weit sein.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel uns am 13. Mai 2007 vom Autor zur Veröffentlichung gegeben.