„Es überrascht mich, wieviel Feuer er in sein Engagement
legt“, sagt ein Philosoph über einen anderen. „Ein Feuer, von
dem wir seit 30 Jahren übereingekommen waren, dass wir es für
die bosnischen Widerstandskämpfer, die tschetschenischen
Märtyrer und die sowjetischen Dissidenten reservieren, die uns
den Sinn und den Geschmack der Freiheit gelehrt haben.“
Mit diesen Worten kritisiert Bernard-Henri Lévy, kurz „BHL“
genannt, halblaut seinen Philosophenkollegen André Glucksmann:
Dieser habe schon erstaunlich früh, „noch vor Beginn der
Wahlkampagne “, wie BHL konstatiert, seine Seite im
diesjährigen französischen Präsidentschaftswahlkampf gewählt.
Das sozialliberale Wochenmagazin Le Nouvel Observateur
eröffnet seine Ausgabe vom Donnerstag (03. Mai) mit „dem Duell
BHL-Glucksmann“. Drei Tage vor der Stichwahl zur französischen
Präsidentschaft debattieren die beiden Männer, die beide in
den siebziger Jahren zunächst – in unterschiedlicher
Intensität, denn Glucksmann war sogar Aktivist - mit dem
Maoismus sympathisierten (Glucksmann war sogar militanter
Aktivist bei der damaligen Gauche prolétarienne) und nach
ihrer Abwendung von marxistischen Ideen die Denkschule der
„Neuen Philosophen“ mit begründeten. Sie streiten vor allem
über die Wahl und die mit ihr verbundenen Weichenstellungen.
Allgemeines Klima unter Intellektuellen:
Rechtsruck, politische Depression oder Schweigespirale?
Im Allgemeinen aber begleitet die französischen
Intellektuellen in diesem Jahr die Vorwahlgeplänkel und die
Stimmabgabe selbst nicht mit „feurigem“ Engagement – sondern
eher mit einem Anflug von Apathie. „Die Vorhersage:
Theoretischer Nieselregen über Saint-Germain-des-Prés (Anm.:
dem früheren Pariser Intellektuellenviertel der 1950er
Jahre). Ideologische Sichtweite Null, oder beinahe. Mit
Niederschlagsrisiko beim Herannahen der
Präsidentschaftswahl.“ Mit diesen Worten eröffnet die
Literaturbeilage des konservativen Figaro (Ausgabe vom 19.
April) ihr Dossier zum Thema „Was ist aus den engagierten
Schriftstellern geworden?...“, drei Tage vor dem ersten
Wahlgang.
Und das in einem Land, wo polarisierte und
politisch-ideologisch-philosophisch aufgeladene (mitunter auch
übers Erforderliche hinaus überhöhte, da historisch
überdeterminierte) Debatten und Kontroversen unter
Intellektuellen eine lange Tradition haben. In diesem Jahr
meldeten sie sich vor den Wahlen entweder gar nicht zu Wort;
oder aber wenn sie es taten, dann überwiegend Rechts, also im
Lager Nicolas Sarkozys. Was war da nur los?
Die Ursachen dafür sind mannigfaltig. Ein hauptsächlicher
Grund ist dabei aber wohl der gesellschaftliche Utopieverlust:
Im Gegensatz zum Antikolonialismus im Frankreich der 1950er
und 1960er oder der zeitweisen Maoismus-Mode der frühen
siebziger Jahre gebe es heute keine „Sache“, bei der sich
konkretes Engagement mit einer weitreichenden historischen
Perspektive verknüpfen lässt. Auf den Verlauf der
Menschheitsgeschichte und ihre Brüche Einfluss zu nehmen, das
verspricht sich in unmittelbarer Form wohl kaum jemand, der
sich heute engagiert. Und dort, wo Intellektuelle sich in den
letzten 10 oder 15 Jahren ganz unmittelbar in der Politik für
etwas eingesetzt haben, sammelten sie oft enttäuschende
Erfahrungen. Das gilt etwa für Emmanuel Todd, der 1994/95 den
Wahlkampf des damaligen Präsidentschaftskandidaten Jacques
Chirac gegen den „sozialen Riss durch die französische
Gesellschaft“ (la fracture sociale) weitgehend inspiriert
hatte. Welche Änderungen in der Regierungspraxis hätte er
damit bewirkt? Das Fragezeichen muss im Raum stehen bleiben.
Le Figaro bezeichnet Todd denn auch, mit einem Anflug von
Sarkasmus, als „den Schutzheiligen der Nutzlosigkeit des
spekulativen Martyriums in der postmodernen Demokratie“.
Zum Anderen fühlen viele Intellektuelle sich von einem
Medienspektakel bedrängt, das die Form immer mehr über den
Inhalt dominieren lässt – und bei dem die Schnelligkeit der
Bilder über die Tiefe der Reflexion triumphiert. Die wahren
Helden der Zivilgesellschaft, die von den Kandidaten als
Unterstützer heftig umworben werden, sind nicht
Intellektuelle, sondern Medienstars, Schauspieler oder Sänger.
Nicht zufällig waren auch Stars aus dem Showbussiness, vom
Schnulzensänger Johnny Halliday bis hin zum Gansterrapper „Doc
Gynéco“ auf Seiten Nicolas Sarkozys (und von Emmanulle Béart
zu ihrem Schauspielerkollegen Philippe Torreton unter den
UnterstützerInnen Ségolène Royals), die wichtigsten
„zivilgesellschaftlichen“ Figuren aus dem diesjährigen
Wahlkampf. Mit ihrer Medienpräsenz kann kaum ein/e
ernsthafte/r Intellektuelle/r mithalten. Es sei denn, es
handelt sich um einen Fernsehphilosophen wie Bernard-Henri
Lévy, der seine „Denkfabrik“ ohnehin längst vollkommen dem
Medienspektakel, seinen Formen und Rhtyhmen angepasst hat!
BHL machte es spannend
Glucksmann hatte am 30. Januar 07 in einem längeren Artikel in
der liberalen Pariser Abendzeitung Le Monde begründet, „warum
ich Nicolas Sarkozy auswähle“. Dagegen hatte BHL seine
Entscheidung wesentlich länger hinausgezögert, jedenfalls in
der Öffentlichkeit. Noch im Februar erklärte er gegenüber
Libération, er wolle seine Wahlentscheidung – zwischen der
sozialdemokratischen Kandidatin Ségolène Royal und den beiden
bürgerlichen Bewerbern François Bayrou und Sarkozy – so lange
wie möglich offen halten, „um den politischen Preis steigen zu
lassen“. Er deutete aber an, dass es im vor allem darum gehe,
Entgegenkommen für seine Inhalte bei den Sozialdemokraten zu
finden. BHL ist ein glühender Anhänger eines sozialliberalen
Bündnisses mit dem christdemokratisch-liberalen „Zentrum“ um
François Bayrou, und der Zurückdrängung der marxistischen
Restbestände bei den Sozialisten.
Am 9. April 07 erklärte er dann, er werde für Royal stimmen,
da Nicolas Sarkozy „die rote Linie überschritten habe“,
nachdem letzterer von einer „angeborenen, genetisch bedingten
Neigung“ zu Pädophilie, Suizid und Homosexualität gesprochen
hatte.
Diese Äuberungen waren in einem längeren Streitgespräch
zwischen Sarkozy und dem linken, atheistischen Philosophen
Michel Onfray – selbst ein Wähler Olivier Besancenots -
gefallen. Auszüge des Streitgesprächs, die freilich nach
Angaben Onfrays entschärft worden sind, wurden in der
Aprilausgabe des ‚Philosophie Magazine’ abgedruckt. Sarkozy
hatte darin vor allem ausführlich über sich selbst und seinen
Willen zur Macht, „der jetzt, wo das so lange Gewünschte
unmittelbar erreichbar geworden ist“, an Geschmack zu
verlieren beginne, sinniert. Die Auslassungen zur angeblichen
genetischen Programmierung von Homosexualität und Selbstmord
riefen im Verlauf des Osterwochenendes eine kurze öffentliche
Polemik hervor. Sage noch einer, Philosophen könnten in
Wahlkämpfen überhaupt keine Rolle spielen! Und manchmal sogar
eine positive...
„Neue Philosophen“: Mit der Knarre für die Menschenrechte
hinaus in die Welt
Was nun BHL und Glucksmann betrifft, so sind sich die beiden
über wesentliche programmatische Grundsätze doch einig. Beide
begründen ihre Wahlentscheidung vor allem mit dem
„Antitotalitarismus“, also ihrem Wunsch zur Zurückdrängung
sowohl des Marxismus als auch der post- oder neofaschistischen
extremen Rechten, und insbesondere mit der Aubenpolitik. Die
beiden ehemaligen „Neuen Philosophen“ sind beide Anhänger
einer „aktiven Menschenrechtspolitik“: Die westlichen Staaten
sollten durch eine offensive Aubenpolitik, unter Umständen
auch unter Einsatz militärischer Mittel, die Durchsetzung der
Menschenrechte weltweit gewährleisten. Für BHL bedeutete dies
in der Vergangenheit vor allem das Engagement für ein
militärisches Eingreifen im Bosnienkrieg „gegen den serbischen
Faschismus“; für André Glucksmann steht in jüngerer Zeit vor
allem der Wunsch im Vordergrund, Russland wegen des
Tschetschenien-Feldzugs in die Schranken zu weisen.
Letzteren Punkt zitiert Glucksmann auch als Begründung dafür,
dass er Sarkozy unterstützt: Dieser werde energisch Druck auf
Russland ausüben, und anders als sein Amtsvorgänger Jacques
Chirac werde er Wladimir Putin „keine Ehrenmedaille
verleihen“. Ferner wünsche er sich ein härteres Auftreten
gegenüber Libyen, wegen der Todesurteile gegen die
bulgarischen Krankenschwestern, und gegen den Sudan wegen der
Massaker in Darfur. BHL glaubt hingegen, in Ségolène Royal
eine bessere Kandidatin zu haben, da letztere sich für einen
Boykott der Olympischen Spiele in Peking aussprach, falls
China seine Unterstützung für das sudanesische Regime nicht
aufgebe – eine Idee, die Sarkozy jüngst vor französischen
Sportlern als albern bezeichnet hat.
Auffällig ist, dass für die beiden Philosophen – genau wie für
die beiden Präsidentschaftskandidaten in ihrer Fernsehdebatte
vom 02. Mai dieses Jahres – die Problematik der französischen
Afrikapolitik sich auf den Darfurkonflikt zu begrenzen
scheint. Dient doch Darfur seit geraumer Zeit in vielen
westlichen Ländern als Projektionsfläche dafür, die Idee der
Notwendigkeit eines verstärkten westlichen Eingreifens in der
Öffentlichkeit zu legitimieren, während real gegen die (sehr
echten!) Massaker bisher wenig unternommen worden ist. Alle
anderen Probleme des Kontinents, und insbesondere die
Dringlichkeit einer Beendigung der neokolonialen französischen
Praktiken im übrigen Afrika (und bspw. einer Auflösung der
französischen Militärbasen dort), spielen dagegen weder bei
BHL und Glucksmann noch sonst in der Wahldebatte eine Rolle.
Von „Nationalen“ und „Antitotalitären“
Eine Reihe anderer französischer Intellektueller haben sich,
wenngleich verhaltener, ebenfalls im jüngsten Wahlkampf zu
Wort gemeldet. Am lautesten waren dabei meistens auch sonst
jene Stimmen (ex-)linker Intellektueller zu vernehmen, die
sich für die Wahl Nicolas Sarkozys aussprachen. Dabei spielten
aber zwei unterschiedliche Motive oder Motivbündel eine Rolle.
Bei einem Teil der ex-linken Denker, die sich unter den Schirm
des „republikanischen Nationalstaats“ zurückziehen möchten, um
Schutz vor dem „zunehmenden Chaos in der Welt“ zu
beanspruchen, spielte vor allem Nicolas Sarkozys Einsatz für
den „Schutz der nationalen Identität“ eine Rolle.
So für den Ex-Kommunisten und früheren Regierungssprecher
François Mitterrands (1983), Max Gallo. Gallo war in den
letzten 15 Jahren vor allem als Schriftsteller tätig, der
seine Begeisterung für die republikanische Staatsidee in der
französischen Geschichte mit einer zunehmend ungezügelten
Bewunderung für „grobe Männer“ verknüpfte. Letztere erschienen
in seinen Werken immer mehr als, als seien sie die Motoren der
Geschichte. Max Gallo widmete so Charles de Gaulle, aber auch
Napoléon Bonaparte dickleibige Biographien. Zuletzt verfasste
er ein Buch unter dem Titel „Die Seele Frankreichs. Eine
Geschichte der Nation“ (L’Âme de la France) Nunmehr findet er
an Nicolas Sarkozy Gefallen, vor allem, weil dieser dem
„ständigen Reueverlangen“ bezüglich der negativen Züge der
Nationalgeschichte –- Kolonialeroberung, Sklaverei –- eine
Absage erteile. Schon vor mehreren Monaten hatte er (noch im
Jahr 2006) angekündigt, für Sarkozy zu stimmen. Die
inhaltlichen Grundlagen dieser Entscheidung bekräftigte Gallo
in einem kürzeren Interview, das er vier Wochen vor der Wahl
dem Rechts-Rechtsauben-Wochenmagazin ‚Valeurs actuelles’ gab.
Weniger national geprägt, sondern eher klassisch
„antitotalitär“ argumentieren andere ehemals linke
Intellektuelle, die sich dem konservativen Kandidaten
angeschlossen haben. So bezeichnet Glucksmann Sarkozy, im
Gegenteil, als den „Kandidaten der Öffnung der französischen
Gesellschaft zur Welt“. Das scheint zunächst im Widerspruch
zur vorgenannten Motivation zu stehen, aber tatsächlich
kombiniert Sarzkozy selbst beide Diskurse miteinander. Er
verspricht den starken Nationalstaat und macht sich zugleich
dafür stark, das „überkommene französische Sozialmodell“
wirtschaftsliberal durchzureformieren und sich dabei von
„besseren Modellen“ - etwa dem britischen - inspirieren zu
lassen.
Prototyp des krétinistischen „Filosofen“:
Alain Finkielkraut konnte nicht außen
vor bleiben
Wo die allgemeine Tendenz nach rechts geht und flache
Argumente gesucht werden, durfte einer nicht fern bleiben: Der
frühere Maoist und „Neue Philosoph“ Alain Finkielkraut
unterstützte in diesem Jahr, mehr oder minder unmittelbar,
Sarkozy als Opfer einer linken „Diabolisierungskampagne“. Über
diese Schiene erklärte er ihm, wenngleich in der
Öffentlichkeit fast immer nur indirekt, seine Unterstützung.
Zugleich dürfte ihn aber noch anderer Aspekt, neben der
(von Finkielkraut meistens weinerlich-bitter
vorgetragenen) Kritik an der Linken, interessiert haben. Seit
geraumer Zeit zählt Alain Finkielkraut zu jenen
Intellektuellen, die eine Furcht vor der Massenkultur und der
allgemeinen „Verflachung“ vortragen – die sie aber nicht mit
einer Kritik an der Warenform und der Tendenz zur allgemeinen
Vermarktung (fast) aller Lebensbereiche zusammenbringen,
sondern die als bedrohlicher Ausdruck eines Niedergangs der
abendländischen Kultur interpretiert wird. So zählt die
öffentliche Schule und ihr „Verfall“ zu einem der
Lieblingsthemen Finkielkrauts, der dabei gern eine sehr
pauschale und larmoyant vorgebrachte Kritik an „den Lehrern“
formuliert, die keine kulturellen Ansprüche mehr an ihre
Schüler/innen stellten. „Alle Sozialwissenschaftler“, so
behauptet Finkielkraut bei seinen Fernsehauftritten zum Thema
immer wieder gern (höchst differenzierend...), bestätigten
seinen eigenen Befund. In Nicolas Sarkozy hat Finkielkraut nun
einen Kandidaten gefunden, der in Sachen Schulpolitik nach
seinem Geschmack ausschlägt: Infolge des 1968er Kulturbruchs
habe man überall „den Eindruck erweckt, dass der Schüler dem
Lehrer ebenbürtig ist“, man stelle keine Anforderungen mehr,
Zensuren und Leistung seien entwertet, monierte Sarkozy bei
seinen Auftritten. In dieser Hinsicht wurde er bei seinem
letzten groben Wahlkampfmeeting in Paris-Bercy am 29. April,
wo er auf die „1968er Ideen“ einknüppelte, nochmals
überdeutlich. Diese Passage dürfte Finkielkraut, dessen
Schulkritik in eine ähnliche Richtung läuft, gefallen haben.
Ansonsten trug der 57jährige aber überwiegend Kritik und
Schmähkritik an der Linken vor. Finkielkraut zitiert dabei am
08. Februar 07 in ‚Libération’ jene Argumente, die er in den
letzten Jahren wiederholt an „dem Antifaschismus“ vortrug. Der
klassische Antifaschismus, so hatte Finkielkraut etwa in
seiner Kritik an den Demonstrationen gegen Jean-Marie Le Pen
bei den Wahlen von 2002 formuliert, bestehe darin, „die
politische Landschaft in ein Gut-Böse—Schema zu pressen“. Dies
sei eine „Diabolisierungsstrategie“, die klassisch „dem
Kommunismus“ als Agitationsmittel diene. In ähnlicher Weise
beklagte er nun, dass „die Rechte“ unter Nicolas Sarkorzy
diabolisiert werde, um den Eindruck zu erwecken, „die Linke
und vielleicht noch die Mitte“ moralisch höherwertig seien. Es
sei grotesk, empörte sich Finkielkraut, dass man den Eindruck
erwecke, Sarkozy repräsentiere geradezu das Lager des
Marschalls Philppe Pétain. So war das allerdings nicht
formuliert worden, vielmehr haben einige Kritiker – darunter
auch der Zuwanderungsspezialist der liberalen Zeitung Le
Monde, Philippe Bernard – konkret Sarkozys Vorschlag der
Einrichtung eines „Ministeriums für Einwanderung und nationale
Identität“ kritisiert. Und dabei auch darauf hingewiesen, dass
zuletzt in Vichy eine staatliche Struktur damit beauftragt
worden sei, die „nationale Identität“ zu definieren, und dies
im Zusammenhang mit der Anwesenheit von Menschengruppen auf
dem Staatsgebiet.
Finkielkrauts Empörung wuchs mit der Veröffentlichung einer
Studie, im Auftrag der Sozialistischen Partei, die Ende Januar
publiziert wurde und Sarkozys politisches Projekt zum
Gegenstand hatte. Sie erschien unter dem Titel „Die
beunruhigenden Umwälzungen des Herrn Sarkozy“ (Les
inquiétantes ruptures de Monsieur Sarkozy). Neben fundierter
inhaltlicher Kritik an einigen Vorstellungen und Konzepten
Nicolas Sarkozys, etwa an seinem Vorhaben einer
Infragestellung der Trennung von Kirche und Staat, finden sich
darin auch Abhandlungen zur pro-amerikanischen Außenpolitik
des konservativen Kandidaten. Diese wird in der Sache durchaus
zutreffend kritisiert. Aber daneben findet sich der
tatsächlich schwer auf Ressentiments anspielende Satz, der
durch Fettdruck hervorgehoben wird: „Nicolas Sarkozy ist ein
amerikanischer Neokonservativer mit französischen Pass.“
Dieser Versuch, den Kandidaten aufgrund seiner Vorstellungen
zur internationalen Politik symbolisch auszubürgern, ist
tatsächlich kritikwürdig. Doch Finkielkraut wiederum äußert
eine völlig übersteigerte Kritik daran: In seinem Gespräch mit
Libération bezeichnet der Philosoph den oben zitierten Satz
nicht nur als Ausweis von „Fremdenfeindlichkeit“, sondern
stellt ihn noch zusätzlich auf dieselbe Ebene mit dem
historischen Antisemitismus. Hätte ein rechter Politiker einen
solchen Satz ausgesprochen, behauptet Finkielkraut, dann hätte
es längst antifaschistische Massendemonstrationen deswegen
gegeben.
Pikant daran aber ist die weitere Entwicklung: Die genante
Studie zur Politik Sarkozys wurde unter der persönlichen
Verantwortung des damaligen wirtschaftspolitischen Beraters
der Kandidatin Ségolène Royal, Eric Besson, veröffentlicht.
Derselbe Besson, der zum rechten Parteiflügel der
französischen Sozialdemokraten zählte, aber trat am 14.
Februar 07 von allen Ämtern in der Partei und im Wahlkampfstab
Royals zurück – und erklärte einige Zeit später öffentlich
seine Unterstützung für die Nicolas Sarkozys. Besson wirft der
sozialdemokratischen Kandidatin mangelnde finanzpolitische
Solidität vor. Der Verantwortliche für die ressentimenthaltige
Studie über Sarkozy hat also die Sozialistische Partei, für
die die Studie veröffentlicht wurde, zugunsten des von ihm
einstmals Geschmähten verlassen. Am Vorabend des ersten
Wahldurchgangs vom 22. April trat Eric Besson dann zusammen
mit Nicolas Sarkozy, im Rahmen einer Grobveranstaltung für
dessen Kandidatur, auf. Nun soll er Gerüchten zufolge sogar
Minister Sarkozys werden, alles Weitere bleibt abzuwarten...
Die neuen Gewissheiten des Quatschfilosofen Finkielkraut hat
dies aber ebenso wenig erschüttert wie Sarkozys den ganzen
Monat März 2007 über währende Kampagne zum Thema „nationale
Identität“. Oder seine Ausfälle über die Zuwanderung, die er
in mehreren Interviews fast ausschließlich mit „in Badewannen
geschlachteten Schafen“ zum moslemischen Opferfest, mit
Kopftuch, Mädchenbeschneidung und Integrationsproblemen in
Verbindung brachte. Im Wochenmagazin Le Point vom 19. April
beklagt Finkielkraut etwa: „Die Grenzen zwischen Links und
Rechts verwischen (…) aber der Hass ist geblieben. Man
verwandelt Nicolas Sarkozy in Le Pen, man verwandelt ihn in
Pétain, man verwandelt ihn in Hitler.“ Nicolas Sarkozys
erklärtes Ansinnen, die „ewige Tendenz zur nationalen Reue
(repentance: Reue, Bübertum)“ über negative Aspekte der
französischen Nationalgeschichte (Kolonialismus, Sklaverei)
endlich vom Tisch zu wischen, hat Finkielkraut dabei sogar
unterstützt. Dazu erklärte er sich in den Spalten des ‚Figaro’
mit den Worten: „Unsere Bindung zu den Toten wird heute durch
die Reue/das Bübertum bedroht und sogar durchbrochen.“
(Hier zitiert nach ‚Libération’ vom 12./13. Mai 2007)
Und dann, uiiii: Finkielkraut wird plötzlich gaaanz
kritisch...
Erst nach dem Stichwahlgang, als Nicolas Sarkozy also bereits
zum Staatspräsidenten gewählt war (aber noch vor dessen
offizieller Amtseinführung, die am 16. Mai stattfindet) hat
unser grobartiger „Filosof“ nun seine Kritik an Sarkozy
entdeckt. Nein, nicht am Inhalt, etwa an Sarkozys Kombination
aus dick aufgetragenem Nationalismus und aggressivem
Neoliberalismus. Sondern am Stil seines Auftretens in den
Tagen unmittelbar nach seiner Wahl. Also an den berühmten
Ausflügen Sarkozys in ein Luxusrestaurant auf den
Champs-Elysées (Le Fouquet’s), in ein Fünf-Sterne-Hotel – in
fünf Autominuten Entfernung von seinem eigenen Wohnsitz –
zwecks Übernachtung und auf eine Luxusyacht zwischen Malta und
Sizilien in den ersten drei Tagen nach dem Wahlabend.
In einem Kurzbeitrag für die liberale Pariser Abendzeitung Le
Monde (die Ségolène Royal unterstützt hatte und dem neuen
Staatschef ausgesprochen kritisch gegenübersteht) vom 11. Mai
moniert Finkielkraut: „Man kann sich nicht auf den General de
Gaulle beziehen und sich (dann) wie Silvio Berlusconi
benehmen.“ Reden wir also vom Betragen, von den Sitten und von
der Form, um nur ja nicht vom politischen Inhalt zu reden! Das
macht den Denker von Format aus. Nur leider übersieht unser
Quatsch„filosof“ an dieser Stelle ein entscheidendes Detail.
Nämlich, dass Nicolas Sarkozy nicht nur wie Silivio Berlusconi
auftritt, sondern auch tatsächlich politisch weitaus eher ein
französischer Silivio Berlusconi IST denn eine Wiedergeburt
des Generals de Gaulle. (Letzterer hatte ja immerhin mal gegen
die faschistische Besatzung gekämpft, so konservativ er auch
selbst war.) Sarkozy für einen modernen de Gaulle so halten,
wäre ungefähr so grotesk, wie Finkielkraut mit einem
intelligenten Denker zu verwechseln.
Linke Intellektuelle (defensiv) für Ségolène Royal
Am wenigsten öffentliche Aufmerksamkeit hat ein Aufruf von
rund 200 Intellektuellen gefunden, der genau drei Tage vor dem
ersten Wahlgang veröffentlicht worden war und die
sozialdemokratische Kandidatin Ségolène Royal unterstützte,
„damit die Linksparteien nicht erneut (wie 2002) vom zweiten
Wahlgang ausgeschlossen bleiben“. Die Pariser Abendzeitung Le
Monde widmete ihm nur eine Kurzmeldung, obwohl das Blatt
dieses Jahr so klar wie noch nie zuvor in einem Wahlkampf
Partei ergriffen hat, und zwar ebenfalls zugunsten von
Ségolène Royal. Den Appell hatten aus der Linken kommende
Prominente wie der Politikwissenschaftler Etienne Balibar, der
radikale Arbeitssoziologe Stéphane Béaud, der in der Tradition
Pierre Bourdieus stehende Sozialwissenschaftler Loïc Wacquant,
der Historiker Benjamin Stora und der Soziologe und Psychologe
Robert Castel unterschrieben. Auch François Maspero, „der“
linke Verleger seit den sechziger Jahren – er ist heute im
Ruhestand -, hat den Aufruf unterzeichnet. Die
Unterzeichnenden sprechen sich allerdings nicht mit Emphase
für Royal aus, sondern nehmen eher eine abwehrende Position
gegenüber einem drohenden Wahlsieg der Rechten ein. Vielleicht
hat dieser Mangel an sichtbarem Enthusiasmus für ein Lager
dafür gesorgt, dass das Medieninteresse an ihrem Aufruf gering
blieb. Vielleicht ging es ihnen aber auch zu sehr um Inhalte,
während die meisten Medien aus der Wahlentscheidung eine
„Personality Show“ machen mochten.
Editorische Anmerkungen
Der Artikel uns am 13. Mai 2007 vom Autor zur Veröffentlichung gegeben.
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Französische Präsidentschaftswahl und danach