Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Französische Präsidentschaftswahl und danach

Intellektuelle (und Pseudointellektuelle) engagierten sich in der Wahldebatte. Oftmals Rechts

05/07

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„Es überrascht mich, wieviel Feuer er in sein Engagement legt“, sagt ein Philosoph über einen anderen. „Ein Feuer, von dem wir seit 30 Jahren übereingekommen waren, dass wir es  für die bosnischen Widerstandskämpfer, die tschetschenischen Märtyrer und die sowjetischen Dissidenten reservieren, die uns den Sinn und den Geschmack der Freiheit gelehrt haben.“

Mit diesen Worten kritisiert Bernard-Henri Lévy, kurz „BHL“ genannt, halblaut seinen Philosophenkollegen André Glucksmann: Dieser habe schon erstaunlich früh, „noch vor Beginn der Wahlkampagne “, wie BHL konstatiert, seine Seite im diesjährigen französischen Präsidentschaftswahlkampf gewählt. Das sozialliberale Wochenmagazin Le Nouvel Observateur eröffnet seine Ausgabe vom Donnerstag (03. Mai) mit „dem Duell BHL-Glucksmann“. Drei Tage vor der Stichwahl zur französischen Präsidentschaft debattieren die beiden Männer, die beide in den siebziger Jahren zunächst – in unterschiedlicher Intensität, denn Glucksmann war sogar Aktivist - mit dem Maoismus sympathisierten (Glucksmann war sogar militanter Aktivist bei der damaligen Gauche prolétarienne) und nach ihrer Abwendung von marxistischen Ideen die Denkschule der „Neuen Philosophen“ mit begründeten. Sie streiten vor allem über die Wahl und die mit ihr verbundenen Weichenstellungen.

Allgemeines Klima unter Intellektuellen: Rechtsruck,  politische Depression oder Schweigespirale?  

Im Allgemeinen aber begleitet die französischen Intellektuellen in diesem Jahr die Vorwahlgeplänkel und die Stimmabgabe selbst nicht mit „feurigem“ Engagement – sondern eher mit einem Anflug von Apathie. „Die   Vorhersage: Theoretischer Nieselregen über  Saint-Germain-des-Prés (Anm.: dem früheren Pariser Intellektuellenviertel  der 1950er Jahre). Ideologische Sichtweite Null, oder beinahe.  Mit Niederschlagsrisiko beim Herannahen der  Präsidentschaftswahl.“ Mit diesen Worten eröffnet die Literaturbeilage des konservativen Figaro (Ausgabe vom 19. April) ihr Dossier zum Thema „Was ist aus den engagierten Schriftstellern geworden?...“, drei Tage vor dem ersten Wahlgang.  

Und das in einem Land, wo polarisierte und  politisch-ideologisch-philosophisch aufgeladene (mitunter auch übers  Erforderliche hinaus überhöhte, da historisch überdeterminierte) Debatten und Kontroversen unter Intellektuellen eine lange Tradition haben. In diesem Jahr meldeten sie sich vor den Wahlen entweder gar nicht zu Wort; oder aber wenn sie es taten, dann überwiegend Rechts, also im Lager Nicolas Sarkozys.  Was war da nur los? 

Die Ursachen  dafür sind mannigfaltig. Ein hauptsächlicher Grund ist dabei aber wohl der gesellschaftliche Utopieverlust: Im Gegensatz zum Antikolonialismus im Frankreich der 1950er und 1960er oder der zeitweisen Maoismus-Mode der frühen siebziger Jahre gebe es heute keine „Sache“, bei der sich konkretes Engagement mit einer weitreichenden historischen Perspektive verknüpfen lässt. Auf den Verlauf der Menschheitsgeschichte und ihre Brüche Einfluss zu nehmen, das verspricht sich in unmittelbarer Form wohl kaum jemand, der sich heute engagiert. Und dort, wo Intellektuelle sich in den letzten 10 oder 15 Jahren ganz unmittelbar in der Politik für etwas eingesetzt haben, sammelten sie oft enttäuschende Erfahrungen. Das gilt etwa für Emmanuel Todd, der 1994/95 den Wahlkampf des damaligen Präsidentschaftskandidaten Jacques Chirac gegen den „sozialen Riss durch die französische Gesellschaft“ (la fracture sociale) weitgehend inspiriert hatte. Welche Änderungen in der Regierungspraxis hätte er damit bewirkt? Das Fragezeichen muss im Raum stehen bleiben. Le Figaro bezeichnet Todd denn auch, mit einem Anflug von Sarkasmus, als „den Schutzheiligen der Nutzlosigkeit des spekulativen Martyriums in der postmodernen Demokratie“.  

Zum Anderen fühlen viele Intellektuelle sich von einem Medienspektakel bedrängt, das die Form immer mehr über den Inhalt dominieren lässt – und bei dem  die Schnelligkeit der Bilder über die Tiefe der Reflexion triumphiert. Die wahren Helden der Zivilgesellschaft, die von den Kandidaten als Unterstützer heftig umworben werden, sind nicht Intellektuelle, sondern Medienstars, Schauspieler oder Sänger. Nicht zufällig waren auch Stars aus dem Showbussiness, vom Schnulzensänger Johnny Halliday bis hin zum Gansterrapper „Doc Gynéco“ auf Seiten Nicolas Sarkozys (und von Emmanulle Béart zu ihrem Schauspielerkollegen Philippe Torreton unter  den UnterstützerInnen Ségolène Royals), die wichtigsten „zivilgesellschaftlichen“ Figuren aus dem diesjährigen Wahlkampf. Mit ihrer Medienpräsenz kann kaum ein/e ernsthafte/r Intellektuelle/r mithalten. Es sei denn, es handelt sich um einen Fernsehphilosophen wie Bernard-Henri Lévy, der seine „Denkfabrik“ ohnehin längst vollkommen dem Medienspektakel, seinen Formen und Rhtyhmen angepasst hat! 

BHL machte es spannend 

Glucksmann hatte am 30. Januar 07 in einem längeren Artikel in der liberalen Pariser Abendzeitung Le Monde begründet, „warum ich Nicolas Sarkozy auswähle“. Dagegen hatte BHL seine Entscheidung wesentlich länger hinausgezögert, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Noch im Februar erklärte er gegenüber Libération, er wolle seine Wahlentscheidung – zwischen der sozialdemokratischen Kandidatin Ségolène Royal und den beiden bürgerlichen Bewerbern François Bayrou und Sarkozy – so lange wie möglich offen halten, „um den politischen Preis steigen zu lassen“. Er deutete aber an, dass es im vor allem darum gehe, Entgegenkommen für seine Inhalte bei den Sozialdemokraten zu finden. BHL ist ein glühender Anhänger eines sozialliberalen Bündnisses mit dem christdemokratisch-liberalen „Zentrum“ um François Bayrou, und der Zurückdrängung der marxistischen Restbestände bei den Sozialisten. 

Am 9. April 07 erklärte er dann, er werde für Royal stimmen, da Nicolas Sarkozy „die rote Linie überschritten habe“, nachdem letzterer von einer „angeborenen, genetisch bedingten Neigung“ zu Pädophilie, Suizid und Homosexualität gesprochen hatte.  

Diese Äuberungen waren in einem längeren Streitgespräch zwischen Sarkozy und dem linken, atheistischen Philosophen Michel Onfray – selbst ein Wähler Olivier Besancenots - gefallen. Auszüge des Streitgesprächs, die freilich nach Angaben Onfrays entschärft worden sind, wurden in der Aprilausgabe des ‚Philosophie Magazine’ abgedruckt. Sarkozy hatte darin vor allem ausführlich über sich selbst und seinen Willen zur Macht, „der jetzt, wo das so lange Gewünschte unmittelbar erreichbar geworden ist“, an Geschmack zu verlieren beginne, sinniert. Die Auslassungen zur angeblichen genetischen Programmierung von Homosexualität und Selbstmord riefen im Verlauf des Osterwochenendes eine kurze öffentliche Polemik hervor. Sage noch einer, Philosophen könnten in Wahlkämpfen überhaupt keine Rolle spielen! Und manchmal sogar eine positive... 

„Neue Philosophen“: Mit der Knarre für die Menschenrechte hinaus in die Welt 

Was nun BHL und Glucksmann betrifft, so sind sich die beiden über wesentliche programmatische Grundsätze doch einig. Beide begründen ihre Wahlentscheidung vor allem mit dem „Antitotalitarismus“, also ihrem Wunsch zur Zurückdrängung sowohl des Marxismus als auch der post- oder neofaschistischen extremen Rechten, und insbesondere mit der Aubenpolitik. Die beiden ehemaligen „Neuen Philosophen“ sind beide Anhänger einer „aktiven Menschenrechtspolitik“: Die westlichen Staaten sollten durch eine offensive Aubenpolitik, unter Umständen auch unter Einsatz militärischer Mittel, die Durchsetzung der Menschenrechte weltweit gewährleisten. Für BHL bedeutete dies in der Vergangenheit vor allem das Engagement für ein militärisches Eingreifen im Bosnienkrieg „gegen den serbischen Faschismus“; für André Glucksmann steht in jüngerer Zeit vor allem der Wunsch im Vordergrund, Russland wegen des Tschetschenien-Feldzugs in die Schranken zu weisen.

Letzteren Punkt zitiert Glucksmann auch als Begründung dafür, dass er Sarkozy unterstützt: Dieser werde energisch Druck auf Russland ausüben, und anders als sein Amtsvorgänger Jacques Chirac werde er Wladimir Putin „keine Ehrenmedaille verleihen“. Ferner wünsche er sich ein härteres Auftreten gegenüber Libyen, wegen der Todesurteile gegen die bulgarischen Krankenschwestern, und gegen den Sudan wegen der Massaker in Darfur. BHL glaubt hingegen, in Ségolène Royal eine bessere Kandidatin zu haben, da letztere sich für einen Boykott der Olympischen Spiele in Peking aussprach, falls China seine Unterstützung für das sudanesische Regime nicht aufgebe – eine Idee, die Sarkozy jüngst vor französischen Sportlern als albern bezeichnet hat.  

Auffällig ist, dass für die beiden Philosophen – genau wie für die beiden Präsidentschaftskandidaten in ihrer Fernsehdebatte vom 02. Mai dieses Jahres – die Problematik der französischen Afrikapolitik sich auf den Darfurkonflikt zu begrenzen scheint. Dient doch Darfur seit geraumer Zeit in vielen westlichen Ländern als Projektionsfläche dafür, die Idee der Notwendigkeit eines verstärkten westlichen Eingreifens in der Öffentlichkeit zu legitimieren, während real gegen die (sehr echten!) Massaker bisher wenig unternommen worden ist. Alle anderen Probleme des Kontinents, und insbesondere die Dringlichkeit einer Beendigung der neokolonialen französischen Praktiken im übrigen Afrika (und bspw. einer Auflösung der französischen Militärbasen dort), spielen dagegen weder bei BHL und Glucksmann noch sonst in der Wahldebatte eine Rolle.  

Von „Nationalen“ und „Antitotalitären“ 

Eine Reihe anderer französischer Intellektueller haben sich, wenngleich verhaltener, ebenfalls im jüngsten Wahlkampf zu Wort gemeldet. Am lautesten waren dabei meistens auch sonst jene Stimmen (ex-)linker Intellektueller zu vernehmen, die sich für die Wahl Nicolas Sarkozys aussprachen. Dabei spielten aber zwei unterschiedliche Motive oder Motivbündel eine Rolle. Bei einem Teil der ex-linken Denker, die sich unter den Schirm des „republikanischen Nationalstaats“ zurückziehen möchten, um Schutz vor dem „zunehmenden Chaos in der Welt“ zu beanspruchen, spielte vor allem Nicolas Sarkozys Einsatz für den „Schutz der nationalen Identität“ eine Rolle.  

So für den Ex-Kommunisten und früheren Regierungssprecher François Mitterrands (1983), Max Gallo. Gallo war in den letzten 15 Jahren vor allem als Schriftsteller tätig, der seine Begeisterung für die republikanische Staatsidee in der französischen Geschichte mit einer zunehmend ungezügelten Bewunderung für „grobe Männer“ verknüpfte. Letztere erschienen in seinen Werken immer mehr als, als seien sie die Motoren der Geschichte. Max Gallo widmete so Charles de Gaulle, aber auch Napoléon Bonaparte dickleibige Biographien. Zuletzt verfasste er ein Buch unter dem Titel „Die Seele Frankreichs. Eine Geschichte der Nation“ (L’Âme de la France) Nunmehr findet er an Nicolas Sarkozy Gefallen, vor allem, weil dieser dem „ständigen Reueverlangen“ bezüglich der negativen Züge der Nationalgeschichte –- Kolonialeroberung, Sklaverei –- eine Absage erteile. Schon vor mehreren Monaten hatte er (noch im Jahr 2006) angekündigt, für Sarkozy zu stimmen. Die inhaltlichen Grundlagen dieser Entscheidung bekräftigte Gallo in einem kürzeren Interview, das er vier Wochen vor der Wahl dem  Rechts-Rechtsauben-Wochenmagazin  ‚Valeurs actuelles’ gab. 

Weniger national geprägt, sondern eher klassisch „antitotalitär“ argumentieren andere ehemals linke Intellektuelle, die sich dem konservativen Kandidaten angeschlossen haben. So bezeichnet Glucksmann Sarkozy, im Gegenteil, als den „Kandidaten der Öffnung der französischen Gesellschaft zur Welt“. Das scheint zunächst im Widerspruch zur vorgenannten Motivation zu stehen, aber tatsächlich kombiniert Sarzkozy selbst beide Diskurse miteinander. Er verspricht den starken Nationalstaat und macht sich zugleich dafür stark, das „überkommene französische Sozialmodell“ wirtschaftsliberal durchzureformieren und sich dabei von „besseren Modellen“ - etwa dem britischen - inspirieren zu lassen.  

Prototyp des krétinistischen „Filosofen“: Alain Finkielkraut konnte nicht außen vor bleiben 

Wo die allgemeine Tendenz nach rechts geht und flache Argumente gesucht werden, durfte einer nicht fern bleiben: Der frühere Maoist und „Neue Philosoph“ Alain Finkielkraut unterstützte in diesem Jahr, mehr oder minder unmittelbar, Sarkozy als Opfer einer linken „Diabolisierungskampagne“. Über diese Schiene erklärte er ihm, wenngleich in der Öffentlichkeit  fast immer nur indirekt, seine Unterstützung.   

Zugleich  dürfte  ihn aber noch anderer Aspekt, neben  der (von  Finkielkraut   meistens  weinerlich-bitter vorgetragenen) Kritik an der Linken,  interessiert haben. Seit geraumer Zeit zählt Alain Finkielkraut zu jenen Intellektuellen, die eine Furcht vor der Massenkultur und der allgemeinen „Verflachung“ vortragen – die sie aber nicht mit einer Kritik an der Warenform und der Tendenz zur allgemeinen Vermarktung (fast) aller Lebensbereiche zusammenbringen, sondern die als bedrohlicher Ausdruck eines Niedergangs der abendländischen Kultur interpretiert wird. So zählt die öffentliche Schule und ihr „Verfall“ zu einem der Lieblingsthemen  Finkielkrauts, der dabei gern eine sehr pauschale und larmoyant vorgebrachte Kritik an „den Lehrern“ formuliert, die keine kulturellen Ansprüche mehr an ihre Schüler/innen stellten. „Alle Sozialwissenschaftler“, so behauptet Finkielkraut bei seinen  Fernsehauftritten zum Thema immer wieder gern (höchst differenzierend...), bestätigten seinen eigenen Befund. In Nicolas Sarkozy hat Finkielkraut nun einen Kandidaten gefunden, der in Sachen Schulpolitik nach seinem Geschmack ausschlägt: Infolge des 1968er Kulturbruchs habe man überall „den Eindruck erweckt, dass der Schüler dem Lehrer ebenbürtig ist“, man stelle keine Anforderungen mehr, Zensuren und Leistung seien entwertet, monierte Sarkozy bei seinen Auftritten. In dieser Hinsicht wurde er bei seinem letzten groben Wahlkampfmeeting in Paris-Bercy am 29. April, wo er auf die „1968er Ideen“ einknüppelte, nochmals überdeutlich. Diese Passage dürfte Finkielkraut, dessen Schulkritik in eine ähnliche Richtung läuft, gefallen haben. 

Ansonsten trug der 57jährige aber überwiegend Kritik und Schmähkritik an der Linken vor. Finkielkraut zitiert dabei am 08. Februar 07 in ‚Libération’ jene Argumente, die er in den letzten Jahren wiederholt an „dem Antifaschismus“ vortrug. Der klassische Antifaschismus, so hatte Finkielkraut etwa in seiner Kritik an den Demonstrationen gegen Jean-Marie Le Pen bei den Wahlen von 2002 formuliert, bestehe darin, „die politische Landschaft in ein Gut-Böse—Schema zu pressen“. Dies sei eine „Diabolisierungsstrategie“, die klassisch „dem Kommunismus“ als Agitationsmittel diene. In ähnlicher Weise beklagte er nun, dass „die Rechte“ unter Nicolas Sarkorzy diabolisiert werde, um den Eindruck zu erwecken, „die Linke und vielleicht noch die Mitte“ moralisch höherwertig seien. Es sei grotesk, empörte sich Finkielkraut, dass man den Eindruck erwecke, Sarkozy repräsentiere geradezu das Lager des Marschalls Philppe Pétain. So war das allerdings nicht formuliert worden, vielmehr haben einige Kritiker – darunter auch der Zuwanderungsspezialist der liberalen Zeitung Le Monde, Philippe Bernard – konkret Sarkozys Vorschlag der Einrichtung eines „Ministeriums für Einwanderung und nationale Identität“ kritisiert. Und dabei auch darauf hingewiesen, dass zuletzt in Vichy eine staatliche Struktur damit beauftragt worden sei, die „nationale Identität“ zu definieren, und dies im Zusammenhang mit der Anwesenheit von Menschengruppen auf dem Staatsgebiet.  

Finkielkrauts Empörung wuchs mit der Veröffentlichung einer Studie, im Auftrag der Sozialistischen Partei, die Ende Januar publiziert wurde und Sarkozys politisches Projekt zum Gegenstand hatte. Sie erschien unter dem Titel „Die beunruhigenden Umwälzungen des Herrn Sarkozy“ (Les inquiétantes ruptures de Monsieur Sarkozy). Neben fundierter inhaltlicher Kritik an einigen Vorstellungen und Konzepten Nicolas Sarkozys, etwa an seinem Vorhaben einer Infragestellung der Trennung von Kirche und Staat, finden sich darin auch Abhandlungen zur pro-amerikanischen Außenpolitik des konservativen Kandidaten. Diese wird in der Sache durchaus zutreffend kritisiert. Aber daneben findet sich der tatsächlich schwer auf Ressentiments anspielende Satz, der durch Fettdruck hervorgehoben wird: „Nicolas Sarkozy ist ein amerikanischer Neokonservativer mit französischen Pass.“ Dieser Versuch, den Kandidaten aufgrund seiner Vorstellungen zur internationalen Politik symbolisch auszubürgern, ist tatsächlich kritikwürdig. Doch Finkielkraut wiederum äußert eine völlig übersteigerte Kritik daran: In seinem Gespräch mit Libération bezeichnet der Philosoph den oben zitierten Satz nicht nur als Ausweis von „Fremdenfeindlichkeit“, sondern stellt ihn noch zusätzlich auf dieselbe Ebene mit dem historischen Antisemitismus. Hätte ein rechter Politiker einen solchen Satz ausgesprochen, behauptet Finkielkraut, dann hätte es längst antifaschistische Massendemonstrationen deswegen gegeben. 

Pikant daran aber ist die weitere Entwicklung: Die genante Studie zur Politik Sarkozys wurde unter der persönlichen Verantwortung des damaligen wirtschaftspolitischen Beraters der Kandidatin Ségolène Royal, Eric Besson, veröffentlicht. Derselbe Besson, der zum rechten Parteiflügel der französischen Sozialdemokraten zählte, aber trat am 14. Februar 07 von allen Ämtern in der Partei und im Wahlkampfstab Royals zurück – und erklärte einige Zeit später öffentlich seine Unterstützung für die Nicolas Sarkozys. Besson wirft der sozialdemokratischen Kandidatin mangelnde finanzpolitische Solidität vor. Der Verantwortliche für die ressentimenthaltige Studie über Sarkozy hat also die Sozialistische Partei, für die die Studie veröffentlicht wurde, zugunsten des von ihm einstmals Geschmähten verlassen. Am Vorabend des  ersten Wahldurchgangs vom 22. April trat Eric Besson dann zusammen mit Nicolas Sarkozy, im Rahmen einer Grobveranstaltung für dessen Kandidatur, auf. Nun soll  er Gerüchten zufolge sogar Minister Sarkozys werden, alles Weitere bleibt abzuwarten... 

Die neuen Gewissheiten des Quatschfilosofen Finkielkraut hat dies aber ebenso wenig erschüttert wie Sarkozys den ganzen Monat März 2007 über währende Kampagne zum Thema „nationale Identität“. Oder seine Ausfälle über die Zuwanderung, die er in mehreren Interviews fast ausschließlich  mit „in Badewannen geschlachteten Schafen“ zum moslemischen Opferfest, mit Kopftuch, Mädchenbeschneidung und Integrationsproblemen in Verbindung brachte. Im Wochenmagazin Le Point vom 19. April beklagt Finkielkraut etwa: „Die Grenzen zwischen Links und Rechts verwischen (…) aber der Hass ist geblieben. Man verwandelt Nicolas Sarkozy in Le Pen, man verwandelt ihn in Pétain, man verwandelt ihn in Hitler.“ Nicolas Sarkozys erklärtes Ansinnen, die „ewige Tendenz zur nationalen Reue (repentance: Reue, Bübertum)“ über negative Aspekte der französischen Nationalgeschichte (Kolonialismus, Sklaverei) endlich vom Tisch zu wischen, hat Finkielkraut dabei sogar unterstützt. Dazu erklärte er sich in den Spalten des ‚Figaro’ mit den Worten: „Unsere Bindung zu den Toten wird heute durch die  Reue/das Bübertum bedroht und  sogar  durchbrochen.“ (Hier zitiert nach ‚Libération’ vom 12./13. Mai 2007) 

Und dann, uiiii: Finkielkraut wird plötzlich gaaanz kritisch... 

Erst nach dem Stichwahlgang, als Nicolas Sarkozy also bereits zum Staatspräsidenten gewählt war (aber noch vor dessen offizieller Amtseinführung, die am 16. Mai stattfindet) hat unser grobartiger „Filosof“ nun seine Kritik an Sarkozy entdeckt. Nein, nicht am Inhalt, etwa an Sarkozys Kombination aus dick aufgetragenem Nationalismus und aggressivem Neoliberalismus. Sondern am Stil seines Auftretens in den Tagen unmittelbar nach seiner Wahl. Also an den berühmten Ausflügen Sarkozys in ein Luxusrestaurant auf den Champs-Elysées (Le Fouquet’s), in ein Fünf-Sterne-Hotel – in fünf Autominuten Entfernung von seinem eigenen Wohnsitz – zwecks Übernachtung und auf eine Luxusyacht zwischen Malta und Sizilien in den ersten drei Tagen nach dem Wahlabend.  

In einem Kurzbeitrag für die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde (die Ségolène Royal unterstützt hatte und dem neuen Staatschef ausgesprochen kritisch gegenübersteht) vom 11. Mai moniert Finkielkraut: „Man kann sich nicht auf den General de Gaulle beziehen und sich (dann) wie Silvio Berlusconi benehmen.“ Reden wir also vom Betragen, von den Sitten und von der Form, um nur ja nicht vom politischen Inhalt zu reden! Das macht den Denker von Format aus. Nur leider übersieht unser Quatsch„filosof“ an dieser Stelle ein entscheidendes Detail. Nämlich, dass Nicolas Sarkozy nicht nur wie Silivio Berlusconi auftritt, sondern auch tatsächlich politisch weitaus eher ein französischer Silivio Berlusconi IST denn eine Wiedergeburt des Generals de Gaulle. (Letzterer hatte ja immerhin mal gegen die faschistische Besatzung gekämpft, so konservativ er auch selbst war.) Sarkozy für einen modernen de Gaulle so halten, wäre ungefähr so grotesk, wie Finkielkraut mit einem intelligenten Denker zu verwechseln.    

Linke Intellektuelle (defensiv) für Ségolène Royal  

Am wenigsten öffentliche Aufmerksamkeit hat ein Aufruf von rund 200 Intellektuellen gefunden, der genau drei Tage vor dem ersten Wahlgang veröffentlicht worden war und die sozialdemokratische Kandidatin Ségolène Royal unterstützte, „damit die Linksparteien nicht erneut (wie 2002) vom zweiten Wahlgang ausgeschlossen bleiben“. Die Pariser Abendzeitung Le Monde widmete ihm nur eine Kurzmeldung, obwohl das Blatt dieses Jahr so klar wie noch nie zuvor in einem Wahlkampf Partei ergriffen hat, und zwar ebenfalls zugunsten von Ségolène Royal.  Den Appell hatten aus der Linken kommende Prominente wie der Politikwissenschaftler Etienne Balibar, der radikale Arbeitssoziologe Stéphane Béaud, der in der Tradition Pierre Bourdieus stehende Sozialwissenschaftler Loïc Wacquant, der Historiker Benjamin Stora und der Soziologe und Psychologe Robert Castel unterschrieben. Auch François Maspero, „der“ linke Verleger seit den sechziger Jahren – er ist heute im Ruhestand -, hat den Aufruf unterzeichnet. Die Unterzeichnenden sprechen sich allerdings nicht mit Emphase für Royal aus, sondern nehmen eher eine abwehrende Position gegenüber einem drohenden Wahlsieg der Rechten ein. Vielleicht hat dieser Mangel an sichtbarem Enthusiasmus für ein Lager dafür gesorgt, dass das Medieninteresse an ihrem Aufruf gering blieb. Vielleicht ging es ihnen aber auch zu sehr um Inhalte, während die meisten Medien aus der Wahlentscheidung eine „Personality Show“ machen mochten.  

Editorische Anmerkungen

Der Artikel uns am 13. Mai 2007 vom Autor zur Veröffentlichung gegeben.