Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Französische Präsidentschaftswahl und danach
Giftzwerg ist Präsident!
Über  einige Hintergründe eines (erwarteten) Wahlsiegs. Und einige Worte zu den ersten Protesten...

05/07

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Stau am Pariser Flughafen: Wo die einen Frankreich dringend verlassen möchten, zieht es die anderen ebenso dringend zurück ins Land. So jedenfalls zeigt die satirische Polit-Puppensendung Les Guignols de l’info, mit der ein französischer Privatfernsehsender seit Jahren Furore macht, am Sonntag kurz vor Schliebung der letzten Wahllokale die Situation.  

Der französisch-kamerunische Sänger und frühere Tennisspieler Yannick Noah etwa wird durch die Guignols auf seinem Handy am Flughafen erreicht: Er wartet in der Schlange vor dem Abfertigungsschalter auf die Wahlergebnisse. Noah hatte „im wirklichen Leben“ angekündigt, er werde Frankreich verlassen, falls der rechtsbürgerliche Kandidat Nicolas Sarkozy die Präsidentschaftswahl gewinnen sollte. Auch andere „farbige“ Prominente hatten ähnlich allergisch auf die absehbare Wahl des 52jährigen reagiert, der selbst der Sohn eines Einwanderers – eines ungarischen Schlossbesitzers, der vor „dem Kommunismus“ floh – ist, freilich aus einer völlig anderen sozialen Kategorie stammt. Sarkozy wuchs im Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine auf und wohnt auch heute noch dort, was einer der privilegiertesten Situationen in Frankreich entspricht.  

Zurück zu den Guignols, denn in der Gegenschlange wartet unterdessen der alternde Rockstar und Schnulzensänger Johnny Halliday auf seine Einreise. Halliday zählt zu den prominentesten Steuerflüchtlingen der letzten Jahre: Der Multimillionär hätte öffentlich erklärt, er habe „keinen Bock“, seine Einkünfte in Frankreich zu versteuern. Zuerst hatte er in den letzten Jahren die belgische Staatsbürgerschaft beantragt, die ihm jedoch kürzlich ausgeschlagen wurde, und sich dann 2006 ins schweizerische Steuerparadies Gstaad geflüchtet. Dort können Schwerreiche ihre Steuersätze mit den eidgenössischen Behörden relativ frei aushandeln. Johnny Halliday war jedoch auch einer der promintesten Unterstützer des französischen Kandidaten Nicolas Sarkozy. Übrigens zusammen mit anderen Prominenten aus dem Showgeschäft, die Probleme mit dem Fiskus haben. Unter ihnen der Rapper „Doc Gynéco“, was beim Publikum als besonders pikant gilt - da man sich fragt, wie sich die Vita des Drogenkonsumenten, Ultramachos und mitunter wie ein Bandenchef auftretenden Gewaltbefürworters denn mit dem Law and Order-Image seines Kandidaten verträgt. Aber Sarkozy nahm alles an Unterstützung, was Stimmen bringen konnte, und der Rapper war offenkundig vom Steuersenkungsprogramm (für Besserverdienende) des Wirtschaftsliberalen begeistert. 

Während um Punkt 20 Uhr am vergangenen Sonntag die Wahlergebnisse bekannt wurden – gut 53 Prozent für Sarkozy, knapp 47 für Ségolène Royal – steckte die Puppe Hallidays ihren Kopf auf den Bildschirm der ‚Guignols de l’Info’: „Darf Johnny jetzt wieder rein, ohne seine Steuern zu bezahlen?“ Wenige Stunden später animierte der richtige Johnny Halliday ein Rockkonzert auf der Place de la Concorde, im Zentrum von Paris, wo Tausende Unterstützer Sarkozys zusammen strömten. Insgesamt  30.000  (laut  den bürgerlichen Medien) sollten es werden. 

Tatsächlich meldeten französische Tageszeitungen übrigens drei  Tage nach dem Wahlsonntag, Johnny Halliday werde wahrscheinlich „in Bälde zurückkehren“ (Le Monde), also seinen Wohnsitz zurück nach Frankreich verlagern. Es hat sich also für ihn ausgezahlt, im doppelten Sinne sogar...       

Jung und alt gegenüber Nicolas Sarkozy 

Schweifen wir nochmals zurück auf die Place de la Concorde. Studenten, Absolventen von Wirtschaftsschulen, junge Führungskräfte prägen das jugendlich erscheinende Publikum - während zugleich bekannt wird, dass der rechtsbürgerliche Kandidat bei den über 65jährigen unter allen Altersgruppen am höchsten abgeschnitten hat. Zumindest einige der jungen Fans, die hier auf der Place  de la Concorde den Kandidaten des „positiven Leistungsbezugs“ und der „Befreiung der Arbeit“ feiern, haben wohl noch nie in ihrem Leben lohnabhängig gearbeitet... Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass real auch Arbeiter (zu 44  Prozent, gegenüber  56 %  für Ségolène Royal) und stärker noch Angestellte ebenfalls für Nicolas Sarkozy gestimmt haben.  

Nach Altersgruppen verteilt, sieht es unterdessen folgendermaben aus: Am besten abgeschnitten hat der neokonservative Kandidat, mit Abstand, unter allen Altersgruppen bei den über 65jährigen (dort erhielt er 72 % der Stimmen). Am schwächsten schnitt er hingegen in der Altersgruppe direkt darunter ab (50- bis 64jährige, wo er 43 Prozent der Stimmen erhielt); hier wirkt die Prägung der „1968er Werte“, auf die Sarkozy in den 8 Tagen vor dem Wahlsonntag wiederholt wie besinnungslos einknüppelte, noch fort. Am zweitschwächsten schnitt Sarkozy in der Altersgruppe der 18- bis 24jährigen ab, wo die Stimmenanteile allerdings mit 49 % für Sarkozy und 51 % für Royal beinahe ausgeglichen sind.   

Spontanproteste  

Zwei Kilometer von der Place de la  Concorde entfernt hielten,  am Wahlabend, untrerdessen aubergewöhnlich starke Polizeikräfte Teilnehmer an einer linken Spontandemonstration bei der Bastille in Schach.  Rund 1.500 Personen hatten sich mehr oder minder spontan  versammelt. Es kam zu Pflastersteinwürfen, Glasbruch und Festnahmen. 

Von vornherein war ein immensens Polizeiaufgebot für den Wahlabend mobilisiert worden, sowohl in Paris, wo 3.000 Beamte auf den Beinen waren, als auch in den Banlieues. Dort wurden offenkundig Spannungen erwartet. Die Reaktionen auf das Wahlergebnis hielten sich allerdings zunächst in Grenzen. Aus dem „93er“ Bezirk, in der nördlichen Pariser Banlieue, berichtete Libération von einer „angespannten Atmosphäre“, fügte aber hinzu: „Riots blieben aus“.  

Zu kleineren Demonstrationen, die durch Polizeieinsätze eingedämmt wurden, kam es am Sonntag Abend auch in den Innenstädten von Toulouse, Marseille und Lyon. Dort und an der Pariser  Bastille kam es auch an den folgenden drei Abenden zu kleinen (einige Dutzend bis einige Hundert TeilnehmerInnen)  Demonstrationen  bzw. Kundgebungen  sowie Riots und Zusammenstöben mit den Polizeikräften. Es handelte sich dabei  aber nicht  um  den von vielen – oft  mit viel Voyeurismus – erwarteten „Aufstand der  Banlieues“,  sondern um einen innerstädtischen Aufruhr, der meist von  Jugendlichen aus der radikaleren Linken und/oder einer  locker  strukturierten Anarchoszene  getragen wurde. Zwar brannten  auch  in den Pariser  Banlieues insgesamt ein paar Hundert Autos (von 900 im  Verlauf der  vergangenen Woche ist  die Rede) – allerdings muss man diese Anzahl an jener messen,  die auch in „normalen“ Wochen dort anfällt, und dabei tritt keine signifikante Überhöhung auf.  

Was die kleinen militanten Demos betrifft, so werfen sie ein offenkundiges Perspektivenproblem  auf. Handelt es sich doch bei ihnen eher um den Ausdruck eines hilflosen Linksradikalismus, der eine ohnmächtige  Wut artikuliert, aber nicht klarmachen kann,  was er  überhaupt fordert. Das Wahlergebnis als solches wird, mit oder ohne Protest, wohl nicht mehr geändert werden. Politisch intelligenter als ein Protest dagegen, dass Nicolas Sarkozy am Sonntag überhaupt gewählt worden ist (was sich nun nicht mehr abändern lässt!) wäre es, die nächsten konkreten politischen und sozialen Weichenstellungen unter dem neuen Präsidenten abzuwarten  - um dann die Konfrontation „in der Sache“  zu suchen und dabei auch  die Interessen einer gröberen Anzahl  von Leuten anzusprechen und einzubeziehen. Im ersten Moment  wirkt die Randale, die vom vergangenen Sonntag bis circa Mittwoch andauerte, ansonsten eher wie eine Ablehnung des demokratischen Stimmrechts der Bevölkerung als solches. Jedenfalls kann es durch die Unterstützer Sarkozys, und die sind zur Zeit in der französischen Gesellschaft nun mal relativ zahlreich, so dargestellt werden (und wurde es real natürlich auch).  

Das hindert nicht daran, die skandalös harte polizeiliche und gerichtliche Repression aufgrund der Demonstrationen, vor allem jener vom vorigen Mittwoch, scharf zu kritisieren. In Blitzverfahren fielen bereits die ersten Urteile, die von aubergewöhnlicher Härte sind. In   Paris wurden mehrfach Gefängnisstrafen ohne Bewährung verhängt, gegen jüngere Leute, die nicht vorbestraft waren und aufgrund einer festen Arbeitssstelle eine ausnahmslos „positive Sozialprognose“ boten. Der 29jährige Journalist Romain wurde am vergangenen Donnerstag im  Pariser Justizpalast zu 4 Monaten Haft ohne Bewährung  verurteilt, weil er am Vorabend einen Pflasterstein in Händen gehalten hatte (der Angeklagte war geständig, es fand keinerlei Zeugenanhörung  statt). Die Strafe muss sofort angetreten werden. Der 26jährige Jongleur Martial wurde seinerseits wegen drei Würfen von Gegenständen auf der Mittwochsdemo nach Fleury-Mérogis (in die grobe Haftanstalt südlich von Paris) geschickt, um dort den Sommer zu verbringen. Laut Augenzeugenberichten war er bei seiner Festnahme durch CRS (Bereitschaftspolizisten) zusammengeschlagen worden. Ferner berichtet ‚Libération’ vom Samstag über einen 31jährigen Ingenieur, Philippe R., der in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag 6 Stunden „zwecks Personalienfeststellung“ auf einer Polizeiwache  festgehalten und mit Knüppeln traktiert worden ist, nachdem er seine Freundin von der Anti-Sarkozy-Demo hatte abholen wollen. Dagegen wurden in Marseille sieben junge Leute, die auf einer Demo abgegriffen worden, auf freien Fub gesetzt – gegen den Willen der Staatsanwaltschaft.   

In Ansätzen passiert ist der Versuch, eine gröbere Zahl von Leuten bei Konfrontationen „in der Sache“ mitzunehmen, schon jetzt in der Studierendenschaft. Dort hat es tatsächlich schon erste Anflüge von Mobilisierung gegeben. Eine  24stündige Besetzung an der  Hochschule Paris-1, genauer ihrem geisteswissenschaftlichen Zentrum Tolbiac, am vorigen Mittwoch sowie mehrere gröbere studentische Vollversammlungen am folgenden Tag haben bereits stattgefunden. Je 800  Studenten an Paris-1, in Nanterre bei Paris und ebenso viele an der Universität Toulouse-3 nahmen an Vollversammlungen teil. Gegenstand von Protest  sind vor allem die Pläne Sarkozys zu einer weitgehenden Liberalisierung des Bildungswesens. Eine seiner Beraterinnen hatte noch vor  Monaten eine „totale Privatisierung“ desselben erwogen. Das wird natürlich  nicht  durchzusetzen sein. Aber im Namen der „Autonomie der Universitäten“ sollen die Hochschulen  sich künftig zum Teil aus Privatgeldern finanzieren  dürfen  -  und  müssen. Um „die Besten“ anzuziehen,  werden sie sich Lehrkräfte  und Studierende verstärkt selbst  aussuchen dürfen. Die  Ungleichheiten zwischen  armen  und  reichen Hochschulen  und  damit der Aussichtschancen ihrer Absolventen  werden  wachsen. Aber neben Sarkozy  hatte  sich  auch seine  Gegenkandidatin Ségolène Royal für eine vergleichbare „Autonomie der Hochschulen“ ausgesprochen, ohne gar so weit zu gehen wie Sarkozy. 

Am kommenden Mittwoch (16. Mai), dem Tag der Amtsübergabe vom Vorgänger Jacques Chirac an den neuen Präsidenten Nicolas Sarkozy, findet vor diesem Hintergrund eine Demonstration in Paris statt. Dazu ruft ein Teil der Studierendengewerkschaften (SUD-Etudiants, ein Minderheitsflügel der Hauptgewerkschaft UNEF) zusammen mit linken  Jugendverbänden (d.i.  die undogmatisch-trotzkistische JCR und der KP-Jugendverband) sowie anarcho-kommunistischen Gruppen (Alternative Libertaire/AL und die anarcho-syndikalistische  Gewerkschaft CNT) auf. Im Moment befürchtet der Autor dieser Zeilen, dass dieses Spektrum für eine reale, einflussreiche Mobilisierung noch zu eng ist. Aber es muss auf jeden Fall versucht werden, etwas auf die Fübe zu bekommen! 

Minderheiten und Sarkozy

Der Fubballspieler Lilian Thuram, ein gebürtiger Franzose schwarzer Hautfarbe, der von der Antilleninsel Guadeloupe stammt, hatte Sarkozy vor der Wahl wiederholt beschuldigt, den Rassismus in der Gesellschaft zu begünstigen. Bei einer privaten Unterredung zwischen den beiden Männern hat der Kandidat Thuram zufolge erklärt, „die Schwarzen und die Araber“ seien, „wie wir doch beide wissen, für die Probleme in unseren Banlieues verantwortlich“.  (Vgl. ‚Le  Parisien’ vom 01. Februar und ein Interview  mit Thuram in  ‚Libération’ vom 30. April 2007.)  

Das hätte Nicolas Sarkozy sicherlich, in diesen Worten formuliert, so nicht in der Öffentlichkeit erklärt. Zugleich passt es durchaus zu seinen Ansichten, dass er soziale Probleme in essenzialistischer Weise auf „Wesenseigenschaften“ von Personengruppen zurückführt und de facto für angeboren hält. Wiederholt hat Sarkozy etwa erklärt, Kriminalitätsneigung lasse sich schon bei Kleinkindern beobachten, und sich für Reihenuntersuchungen in Schulen und Kindergärten ab dem Alter von drei Jahren ausgesprochen, um „auffälligem, sozial abweichendem“ Verhalten auf die Schliche zu kommen. Insofern würde auch ein Ausspruch wie der von Lilian Thuram zitierte nicht verwundern.  

Öffentlich allerdings hätte Sarkozy gewiss nicht risikiert, eine Bevölkerungsgruppe geschlossen gegen sich aufzubringen. Denn er warb gezielt um Unterstützung auch in den Minderheiten-Communities, nicht indem er ein universalistisches Programm verteidigte, sondern indem er jeweils eigene Partikularinteressen anzusprechen versuchte. So spielte er zeitweise mit dem Kommunitarismus in Teilen der muslimischen Bevölkerung und wertete gerade die konservativ-reaktionären Strömungen dieser Religionsgruppe auf. Das Spiel ist allerdings nicht aufgegangen, im ersten Wahlgang jedenfalls stimmten nur ein Prozent der französischen Moslems für Nicolas Sarkozy und 62 Prozent für seine sozialdemokratische Gegenkandidatin Ségolène Royal. (Zur Stichwahl liegen diesbezüglich derzeit keine näheren Angaben vor.) 

Offenkundig haben die reaktionären Vereinigungen wie die früher von Sarkozy hofierte UOIF (Union islamischer Organisationen Frankreichs) doch nicht das Gewicht, das man ihnen bisweilen zusprach. Die UOIF selbst hatte sich allerdings in der Endphase des Wahlkampfs sowohl gegen Sarkozy als auch gegen Royal ausgesprochen und indirekt den Christdemokraten François Bayrou unterstützt, da dieser unter allen führenden Politikern am deutlichsten seine religiösen – katholischen - Überzeugen vertritt. Zwar macht Sarkozy sich für eine Aufwertung der Religionen in der Gesellschaft stark und stellt das bisherige französische Laizismusverständnis in Frage. Aber in der Endphase des Wahlkampfs spielte er auch mit den Ängsten von Teilen der Gesellschaft vor Zuwanderung, und malte dabei auch faktisch ein Bedrohungsbild von barbarischen Moslems, die „Schafe in der Badewanne schlachten“ – letzteres Bild benutzte er wiederholt. Auch damit dürfte er sich Sympathien bei Moslems verscherzt haben. Bezieht Sarkozy sich sonst positiv auf „die Religionen“ im Plural, beschwor er in der Schlussphase der Wahlkampagne in höchst pathetischen Worten „das christliche Erbe Frankreichs“ und die „2000jährige christliche Zivilisation“.  

Nicht zuletzt dürfte aber auch die soziale Situation der Einwanderer, die meist Arbeiter oder „einfache“ Angestellte sind und den Unterklassen angehören, stärker als so genannte „kulturelle Faktoren“ den Ausschlag gegeben haben.  

Soziale Schichtung der Wählerschaft 

Im ersten Wahlgang war insgesamt noch eine deutliche soziale Polarisierung bei den Wahlergebnissen festzustellen: Nicolas Sarkozy lag bei Haushalten, deren Monatseinkommen unter 1.500 Euro im Monat liegt, mit  24 %  deutlich unterhalb seines Durchschnittsergebnisses (31 % im ersten Wahldurchgang). Hingegen wuchs sein Stimmenanteil in den oberen Einkommensgruppen explosionsartig an, und ab 4.500 Euro Monatseinkommen aufwärts betrug er schon im ersten Wahlgang 55 Prozent. Hingegen waren die Wahlergebnisse für Ségolène Royal, aber auch Olivier Besancenot im linken und Jean-Marie Le Pen im rechten Bereich jeweils in den sozialen Unterklassen stärker als in den oberen Segmenten. 

Im zweiten Wahlgang hat Sarkozy es hingegen geschafft, auch in Teilen der sozialen Unterklassen eine gewisse Unterstützung zu mobilisieren. Ansonsten hätte er nicht seinen deutlichen Stimmenvorsprung vor Royal bei einer sehr hohen Wahlbeteiligung von über 85 Prozent behaupten können. Zwar erhielt Nicolas Sarkozy in den Arbeiterhaushalten (44 Prozent in der Stichwahl) keine absolute Mehrheit  der Stimmen. Aber noch nie schnitt dort in den letzten Jahrzehnten  ein bürgerlicher   Kandidat, an absoluten Stimmenzahlen gemessen (und vor dem Hintergrund einer extrem  starken Wahlteilnahme  auch in den Unterklassen, die in früheren Jahren den Urnen eher  ferngeblieben waren), dermaben gut ab.

Dabei kamen ihm unter anderem die Stimmen der Le Pen-Wähler, die oft aus den prekarisierten Unterklassen kommen – den mit Abstand höchsten Stimmenanteil hatte der rechtsextreme Kandidat bei den Zeitarbeitern (24  %, laut Zahlen der Wirtschaftszeitung ‚La Tribune’)  erhalten – zugute. Schon im ersten Wahlgang hatte Sarkozy nach Berechnungen der liberalen Pariser Abendzeitung Le Monde 28 Prozent der Wähler Le Pens von vor fünf Jahren direkt für sich gewinnen können. In der zweiten Runde stimmten nun zwei Drittel der Wähler Le Pens vom 22. April ebenfalls für ihn, obwohl ihr „Chef“ bei seiner Rede vom 1. Mai zur Wahlenthaltung aufgerufen hatte. Hingegen verteilten sich die Stimmen des Christdemokraten François Bayrou aus dem ersten Wahlgang zu je gleichen Anteilen, jeweils 40 Prozent, auf Sarkozy und Royal. Der Rest wählte die Enthaltung. Im übrigen stimmten 71 Prozent der WählerInnen der unterschiedlichen Linkskräfte (diesseits der französischen Sozialdemokratie) in der Stichwahl für Ségolène Royal, 9  Prozent  für Sarkozy, und jede/r fünfte dieser Wähler/innen  enthielt  sich der Stimme.   

Da die Wahlbeteiligung aber zwischen beiden Durchgängen nicht gesunken ist, muss sich ein Teil der bisherigen Nichtwähler am Sonntag mobilisiert haben, da einige Teilnehmer am ersten  Wahlgang dieses Mal nicht mehr mitstimmten. Da rund acht Prozent der Wähler aus der ersten Runde nicht an der zweiten teilnehmen, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass am vorigen Sonntag zusätzliche Stimmbürger mobilisiert werden konnten. Rund 93 Prozent der eingetragenen Wähler nahmen damit an mindestens einem der beiden Wahlgänge teil – das entspricht einer Quasi-Vollbeteiligung, wenn man Fubkranke,  Scheintote und Alzheimerpatienten einmal abzieht. 

Arbeit und Leistungsprinzip

Die harten Attacken Nicolas Sarkozys gegen die „Ideen des Mai 1968“, die er in den vergangenen Woche wiederholt (so wörtlich) zu „liquidieren“ versprach, dürften bei der Gewinnung stramm rechter Wähler  eine Rolle gespielt haben. In dramatischen Worten beschwor der konservative Kandidat mehrfach den schädlichen Einfluss des 68er „Kulturbruchs“: Seitdem habe man das Leistungsprinzip verteufelt, in den Schulen habe man so getan, „als sei der Schüler dem Lehrer ebenbürtig“ – letztere Formulierung taucht sowohl bei Sarkozy als auch bei Le Pen auf – und die Arbeit sei „entwertet“ worden. 

Letztere Feststellung nimmt einen zentralen Stellenwert im Sozial- und Wirtschaftsprogramm Nicolas Sarkozys für die nahe Zukunft ein. Die sozialdemokratische Regierung der Jahre 1997 bis 2002, so betonte der Kandidat immer wieder und wieder, habe eine „moralische Krise, eine Sinnkrise der Arbeit“ ausgelöst, indem sie die Wochenarbeitszeit auf durchschnittlich 35 Stunden – im Jahresmabstab, was zugleich die Möglichkeit zur Einführung unterschiedlich langer Arbeitswochen je nach Auftragslage des Betriebs eröffnete – verkürzt habe. In Wirklichkeit war die sozialdemokratische Reform zwar, in der Praxis zahlreicher Betriebe, vor allem ein Türöffner für die Flexibilität, mit variablen Arbeitswochen, die nun mal 28 Stunden und mal 42 Stunden betragen können. Aber diese verstärkte Anpassung der Arbeitsryhthmen an die Bedürfnisse des Kapitals war durch die Sozialdemokraten zumindest durch die gleichzeitig gewährte Verkürzung der Gesamtarbeitszeit, im Jahresmabstab, „versübt“ worden. Letzteren Vorteil möchte Sarkozy nun aber wieder wegnehmen, da es nicht angehen könne, dass man in Frankreich angeblich kürzer „als in allen anderen Industrieländern“ arbeite. Die Flexibilität, die 1998/99 das Gegenstück zur Einführung der 35-Stunden-Woche als durchschnittliche Regelarbeitszeit war, möchte er natürlich nicht wieder in Frage stellen. 

Sarkozy spricht sich „im Namen der individuellen Selbstbestimmung“ für eine Verlängerung der Wochen- und der Lebensarbeitszeit „auf freiwilliger Basis“ aus. Seine Zauberformel lautet „Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“: Die Geringverdiener, deren finanzielle Lage Sarkozy in diesem Zusammenhang oft in dramatischen Worten schildert, sollen am Monatsende endlich auch auf einen grünen Zweig kommen dürfen. Aber nicht durch Lohnerhöhungen etwa beim Stundenlohn, sondern durch „früheres Aufstehen“, mehr Überstunden, Wochenendarbeit. Offenkundig ist dieses Angebot aber vielen Wählern auch unter den Arbeitern und Angestellten attraktiv erschienen, sonst hätte Sarkozy am Sonntag nicht auf rund 19 Millionen Wähler kommen können. Vor allem in kleinen und mittleren Betrieben der Privatindustrie und des privaten Dienstleistungsgewerbes, wo es faktisch kaum noch oder keine Gewerkschaften mehr gibt, konnte die Rechnung aufgehen: Kollektive Gegenwehr für bessere Löhne oder geringere Arbeitshetze ist hier für viele Betroffene nahezu undenkbar geworden, das dramatisch verschlechterte Kräfteverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital haben sie bereits verinnerlicht. Nun erhoffen sie sich einen Ausweg durch „freiwillige Mehrarbeit, um mehr zu verdienen“.  

Das dürfte in der Praxis schon bald Probleme geben, denn in der Praxis werden Überstunden durch den Betrieb angeordnet und nicht durch die Lohnabhängigen entschieden. Zudem wird das Kapital auch eine geringere Zahl von Arbeitskräften benötigen, wenn es in die Arbeitskraft der von ihm Beschäftigten besser und länger „nutzen“ kann. Probleme bei der Umsetzung der von Nicolas Sarkozy angekündigten „Reformen“ dürften also alsbald auftauchen, zumindest dürften sich einige der auf sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen. Was aber dann passieren wird, ist derzeit eine offene Frage. Vorsorglich hat Nicolas Sarkozy aber schon drastische Einschränkungen am Streikrecht angekündigt.  

„Noch vor dem Jahresende 2007“ (zunächst hieb es gar: noch vor dem Sommer) soll es zunächst im öffentlichen Dienst beschnitten werden, indem die Belegschaften von Transportdiensten zu einem „Mindest-Dienstangebot“ zwangsverpflichtet werden können. Das dürfte sogar noch relativ populär sein, da die Konservativen unter den Beschäftigten des Privatgewerbes erfolgreich einen sozialen Neiddiskurs gegen die „privilegierten“ öffentlich Bediensteten – die es sich noch erlauben können zu streiken, ohne den Verlust ihres Jobs zu riskieren – schüren konnten. Aber später soll auch das Streikrecht in den privaten Betrieben, etwa durch die Einführung von Mehrheitserfordernissen und Abstimmungsmodalitäten, beschnitten werden. Ein kluger Präsident baut vor.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel uns am 13. Mai 2007 vom Autor zur Veröffentlichung gegeben.

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