TREND-Thema: Stadtumbau

Stadtentwicklungskonzept Berlin 2020
Die „Kreative Klasse" und das Ende der Versprechungen für die Proletarisierten

7-8/10

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In der ersten Ausgabe der Randnotizen stellten wir die These auf, dass die Kritik der kapitalistischen Verhältnisse nach wie vor zwingender Bestandteil von Stadtteilinitiativen bleibt.

Im Folgenden wird versucht darzustellen in wieweit das 2004 erschienene „Stadtentwicklungskonzept Berlin 2020" lediglich ein Steuerungsinstrument zur Verbesserung der kapitalistischen Verwertung ist und welche weitere Verschärfung dies für die Lebenssituation der Proletarisierten zum Resultat haben wird. Die Abhängigkeit der Steuereinnahmen vom wirtschaftlichen Erfolg lässt es fraglich erscheinen, ob eine alternative politische Steuerung überhaupt gewollt ist. Diesem Artikel sollen weitere folgen, die sich mit den „politischen Alternativen" zu den derzeitigen Gentrifizierungstendenzen auseinandersetzen.
Bisher zum Thema erschienen:

Siehe auch die Infopartisan-Linkseite: Reaktionäres von "Rot-Rot"

Städte veranschaulichen die umfassende Organisation des Lebens durch den modernen Kapitalismus. Vereinzelte Individuen wiederholen im bestimmten Rhythmus Arbeit, Konsum und Freizeit. Um diesen Rhythmus aufrechtzuerhalten, findet Stadtentwicklung statt. Die spezifischen Formen dieser Entwicklung werden mit dem erpresserischen Geschwätz von der ökonomischen Nützlichkeit und der „Stadtortbestimmung im internationalen Wettbewerb der großen Städte" (Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg Junge-Reyer)(1) begründet.

Der Mensch als ökonomisches Verwertungsobjekt

Berlin ist eine von vielen Metropolenregionen, die „als Motoren der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung (...) die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit Deutschlands und Europas erhalten und dazu beitragen (sollen) den europäischen Integrations-prozess zu beschleunigen" (für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung BMVBW, Raumordnungspolitischer Handlungsrahmen 1995). Die Stadtentwicklung soll der Förderung dieser nationalen Aufträge dienen. Berlin soll sich

im Konkurrenzkampf mit anderen Metropolenregionen behaupten. Die Kernziele des 2004 veröffentlichten Stadtentwicklungskonzept Berlin 2020 lauten daher: Steigerung der Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit Berlins, Erhalt und Entwicklung einer sozial und funktional gemischten Stadt und die Erhaltung und Stärkung Berlins als grüne und ökologische Stadt, wobei letzteres Ziel deutlich den anderen untergeordnet ist.

Um stadtpolitisch handeln zu können, benötigt der Berliner Senat Steuereinnahmen und diese hängen vom wirtschaftlichen Erfolg ab, schließlich machen die Lohn-, Einkommens- und die Umsatzsteuer zusammen 72 Prozent der Steuereinnahmen Berlins aus. So verwundert es nicht, dass erfolgreiche Politik an dem Maß der Konkurrenzfähigkeit des Standortes gemessen wird.

Stadtentwicklung umfasst die Bereiche Jugend, Wohnen, Wirtschaft und Wissenschaft, Tourismus und Kultur, Grün- und Freiflächen, Mobilität und Verkehr. Zu diesen einzelnen Themen werden Handlungsfelder formuliert.

Die Zentralität des Ökonomischen Nutzens zur Verbesserung des Wirtschaftsstandortes ist in diesem Zusammenhang maßgeblich. Die Jugend soll nach Berlin kommen, da auf Grund des demographischen Wandels das „junge Humankapital" zu einem knappen Gut und gerade dessen Verwertung als entscheidend angesehen wird. Durch die Bezeichnung „junges Humankapital" wird dieser Verwertungsanspruch schonungslos beschrieben, beinhaltet er doch schon rein begrifflich die Reduzierung von Menschen auf eine rein ökonomische Größe.

Die Innenstadt soll durch „Aufwertungsmaßnahmen" für die Mittelschicht attraktiver gemacht werden. Durch größere Markttransparenz sollen im Bereich der Stadterneuerung und des Stadtumbaus „Anreize für private Akteure" entstehen. Die staatliche Förderung soll abnehmen und Modernisierung durch mehr Wettbewerb stattfinden. Mit den staatlichen Aufwertungs- und Sanierungsmaßnahmen soll der Bodenwert sich erhöhen, damit die Einnahmen aus den Grundsteuern sprudeln. So stellt die Senatsverwaltung für Finanzen fest, dass das bisherige, relativ niedrige Niveau der Grund- und Gewerbesteuer die problematische wirtschaftliche Lage Berlins zeigt. Diese soll verbessert werden, damit die kommunale Steuerkraft Berlins sich auf das Niveau von Frankfurt, München oder Düsseldorf entwickelt.(2) Die Innere Stadt soll nach den Vorstellungen des Stadtentwicklungskonzeptes zum maßgeblichen Ort der ökonomischen Entwicklung werden. Durch „kommunale Strategien" soll die Bildung von Netzwerken zwischen Wirtschaft und Wissenschaft im „innerstädtischen urba-nen Milieu" unterstützt und so die Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit Berlins gestärkt werden.

Mit der Errichtung des Flughafens Berlin Brandenburg International (BBI) und dem Ziel der guten Erreichbarkeit der „Dienstleistungszentren in der Innenstadt" soll Berlin für die „Zielgruppe der Einkaufstouristen" attraktiver werden, auch um einen weiteren „Kaufkraftabfluss nach Brandenburg" zu vermeiden. Der Tourismus, als ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für Berlin, soll dementsprechend durch die „Qualifizierung des öffentlichen Raums" nach den Bedürfnissen der Touristinnen gefördert werden. Öffentlicher Raum soll für „kulturelle Groß-Events" bereitgestellt werden, um so das „touristische Marketing" zu verbessern. Für das Einkaufserlebnis, das Eventfeeling und andere Formen der organisierten kapitalistischen Konsumkultur muss viel gezahlt werden, so dass die Tourismusbranche pro Jahr über 5 Milliarden Euro damit verdient. Wie sehr das Ökonomische alle Formen der Stadtentwicklung dominiert, zeigt sich auch bei dem Thema Parks- und Grünlagen. Im Stadtentwicklungsbericht wird auf Seite 63 festgestellt, dass „aufgrund mangelnder Finanzausstattung ein fortschreitender Substanz- und Qualitätsverlust zu befürchten" ist. So sollen an ausgewählten Standorten private Anleger verstärkt motiviert werden, „repräsentative öffentliche Freiflächen zu übernehmen. Ob es dann noch möglich sein wird sich kostenlos auf eine Wiese zu legen, dazu schweigt sich das Stadtentwicklungskonzept aus.

Innere Stadt und die „Kreative Klasse"

Das Stadtentwicklungskonzept Berlin 2020 ist ein Handlungskonzept zur Umsetzung des Möglichen. Die materielle Grundlage der Stadtpolitik, die Wirtschaftsstruktur Berlins, hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. So ist die Zahl der Erwerbstätigen im „Produktionsbezogenen Gewerbe" um 240.000 zurückgegangen. Im „Dienstleistungsbereich" (ohne öffentliche Verwaltung) sind im selben Zeitraum 225.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Anhand der Grafiken des Atlas für Stadtentwicklung (3) wird deutlich, dass sich in diesem Zusammenhang insbesondere die Berliner Innenstadt zum zentralen Arbeitsstandort entwickelt hat. Überdurchschnittliche Beschäftigtenzuwächse finden vor allem in den Bereichen EDV- und Softwareentwicklung, Steuer- Wirtschafts- und Rechtsberatung, Ingenieur- und Architekturdienstleistungen und der Medienwirtschaft statt. Die Innere Stadt hat ökonomisch bedeutend an Gewicht gewonnen und wird mehr und mehr zum Wohnort- und Arbeitsort der „Kreativen Klasse". Die vom Wirtschaftswissenschaftler Richard Florida entwickelte Theorie geht davon aus, dass die „kreativen Köpfe einer Gesellschaft" entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg von Regionen sind. Sie machen nach Richard Florida ca. 30 Prozent einer Gesellschaft aus und setzen sich aus der „Supercreative Gore" und der „Creative Professionals" zusammen. Während erstere Gruppe sich aus Wissenschaftlern, Künstlern, Professoren, Lehrenden, Designern und Unternehmern zusammensetzt, ist letztere vor allem mit wissensintensiver Arbeit (Management Unternehmens- und Finanzbereich, Rechts- und Gesundheitswesen, technische Berufe), beschäftigt. In der Theorie wird davon ausgegangen, dass die „Kreative Klasse" höchst mobil ist und sich dort ansiedelt, wo es für sie besonders attraktiv ist. Auf Deutschland bezogen werden in diesem Zusammenhang Berlin und Hamburg als Orte mit dem „höchsten kreativen Potential" angesehen. In der Förderung und Ansiedlung dieses Klientels wird „Deutschlands Zukunft gesehen", wie es in dem Bericht „Talente, Technologie und Toleranz - wo Deutschland Zukunft hat" von dem Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung heißt. Die Fokussierung auf die Aufwertung der Inneren Stadt hat so auch den Zweck, die „Kreative Klasse" an Berlin zu binden.

Ausschluss der Armen

Die Dressur des städtischen Raumes unter kapitalistischen Voraussetzungen bedeutet aber auch vor allem Ausschluss bestimmter Bevölkerungsteile, die trotz Lohnarbeit nicht über genügend Einkommen verfügen, arbeitslos sind oder als Renterinnen von Altersarmut betroffen sind. Im Januar 2010 waren in Berlin 244.959 Arbeitslose gemeldet, die Zahl der Billiglöhner und der Aufstocker, die ergänzend zu ihrem Einkommen Hartz IV beziehen müssen, steigt. So ist es gerade die im Fokus stehende Innere Stadt, die nach wie vor durch einen hohen Anteil von in materieller Armut lebenden gekennzeichnet ist. Das Bedürfnis sehr vieler von Armut betroffener Bewohnerinnen der inneren Stadt nach billigem Wohnraum findet jedoch keinen Niederschlag im Stadtentwicklungskonzept. Im Gegenteil es wird vor allem eine „Marktfähigkeit der Wohnquartiere" angestrebt. Hauptträger sollen in diesem Zusammenhang „private Eigentümer" sein. Sozialer Wohnungsbau, Mietobergrenzen, Milieuschutz, dies alles ist im Stadtentwicklungskonzept Berlin 2020 nicht vorgesehen, schließlich soll Schluss sein mit der „Versorgungsmentalität", wie es in dem Kapitel „Öffentliches Handeln - ein neues Steuerungsverständnis ist gefragt" heißt. Mit „Versorgungsmentalität" ist natürlich nicht der durch den Senat garantierte Gewinn von privaten Wasserwirtschaftsbetreibern oder das Cross Border Leasing Abenteuer der BVG gemeint. Die neue Handlungsmaxime heißt, „den Wettbewerb fördern". Eines der Resultate ist die Gentrifizierung als Veränderung der Bevölkerungsstruktur hin zu „Singles" bzw. jüngeren Familien mit höheren Bildungsabschlüssen und Einkommen. Diese Entwicklung wird als positive Entlastung des städtischen Haushaltes angesehen. Damit die Verdrängungsprozesse nicht zu sozialem Unmut führen sind Präventionsstrategien vorgesehen. Zu diesen Strategien kann das Quartiersmanagement als ein Instrumente zur Steuerung der Aufwertungsmaßnahmen gesehen werden (Siehe Randnotizen Erste Ausgabe). Auch mit der Fokussierung der Verkehrspolitik auf die Fernerreichbarkeit Berlins und die „gute Erreichbarkeit des Flughafens BBI zu den Dienstleistungszentren der Berliner Innenstadt" orientiert sich das Stadtentwicklungskonzept weder an ökologischen, noch an den Bedürfnissen der Proletarisierten. Die Rangordnung innerhalb der Gesellschaft zeigt sich so auch am Grad des Verkehrs. Die moderne Führungskraft und die zahlungskräftige Konsumentin ist ein Mensch, der sich an einem einzigen Tag in mehreren Metropolen befindet. An seinen Bedürfnissen misst sich der Erfolg von Verkehrspolitik und die Struktur des Einzelhandels in der Innenstadt. Die Proletarisierten dagegen dürfen als Aufstocker und Billiglohnkräfte dieses Klientel bedienen und müssen bei weiteren Verdrängungstendenzen zusehen, wie sie die weiteren Wege zu den Dienstleistungsarbeitsplätzen auf Billiglohnniveau, zur Arbeitsagentur, zu den Fortbildungsmaßnahmen u.a. bewältigen.

Eine Stadtentwicklung, die die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit Deutschlands zum Ziel hat, hat nur eine Förderung und Bedienung der speziellen Bedürfnisse der Elite, die heute „Kreative Klasse" genannt wird, zum Inhalt. Versprach Stadtentwicklung in den 60er und 70er Jahren noch standardisierte Massenwohnungen, passend zum steigenden Masseneinkommen, und beinhaltete die Möglichkeit eines steigenden Lebensstandards im Rahmen einer Anpassung an die Zwänge der Fabrikproduktion, so wird heute für die Proletarisierten kein Anstieg des materiellen Lebensniveaus mehr versprochen. Auch in dem Stadtentwicklungskonzept Berlin 2020 zeigen sich so die Auswirkungen einer Krise des Kapitalismus, der immer weniger in der Lage ist, die materiellen Bedürfnisse der Mehrheit zu befriedigen. _

Nachzulesen:

1. Ingeborg Junge-Reyer im Vorwort „Stadtentwicklungskonzept Berlin 2020" S. 2

2. Vgl. www.berlin.de/sen/finanzen/steuern/einnahmen/  (Stand: 18.05.2010)

3. www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/basisdaten_stadtentwicklung/atlas/de 

 

Editorische Anmerkung

Der Aufsatz erschien in der Juni-Ausgabe  der RandNotizen - Stadtteilzeitung aus dem Schillerkiez. Die HerausgeberInnen sind über http://nk44.blogsport.de/  zu erreichen. Die "RandNotizen" werden kostenlos abgegeben und sind zum Beispiel erhältlich im Stadtteil- & Infoladen LUNTE, Weisestr. 53, 12049 Berlin.

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