Robert Kurz ist tot
Anstelle eines Nachrufs

Karl Müller erinnert an den MLer Robert Kurz

07-2012

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Am 18. Juli 2012 -  kurz vor dem Erscheinen seines neuen Buches "Geld ohne Wert. Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der politischen Ökonomie" - verstarb Robert Kurz im Alter von 68 Jahren in Folge einer Operation in einem Nürnberger Krankenhaus.

Für die TAZ vom 20.7.2012 war Robert Kurz "Marxist und Marxismuskritiker zugleich".  Harry Nick, mit dem er im Neuen Deutschland, seinem letzten politischen Heimathafen, als Kolumnist zusammengearbeitet hat, bezeichnet ihn als "Philosophen und kundigen Ökonomen". (ND 20.7.2012)

Mit Robert Kurz ist die sogenannte Wertkritik unmittelbar verbunden, die er zusammen mit der Initiative Marxistische Kritik (IMK) ab Mitte der 80er Jahre entwickelte - ein Zusammenschluss, dem damals die Gruppe Arbeiterstimme, die Gruppe Arbeiterpolitik, einige "Autonome" und ML-Dissidenten um Robert Kurz von der Gruppe Neue Strömung Erlangen angehörten. 

Die "Wertkritik", die in der TREND-Herausgebererklärung 5/2004 als "neo-revisionistisch" charakterisiert wurde, ist inhaltlich maßgeblich von den Zeitschriften Krisis und Exit bestimmt. Letztere schreibt anläßlich des Todes ihres Redakteurs Robert Kurz: "Die kritische Theorie verliert in ihm einen streitbaren Denker und radikalen Kritiker in einer Zeit, die mehr denn je danach verlangt, 'alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist'. Dafür hat Bobby gelebt und gestritten."

In diesem Sinne wird Robert Kurz (fast)nur mit seinen "wertkritischen" Schriften, wie dies beispielhaft an  seiner Wikipedia-Seite nachzuvollziehen ist, in Verbindung gebracht.

Allein dem Jungen-Welt-Nachruf vom 20.7.2012  ist zu entnehmen, dass die politische Vita von Robert Kurz auch durch seine Mitgliedschaft in der MLPD-Vorläufergruppe KABD (Kommunistischer Arbeiterbund Deutschland) geprägt wurde.

Anstelle eines Nachrufs, der inhaltliche Eigentümlichkeit,  Wortgewaltigkeit, scharfe Gedankenführung und pointierte Polemik in Robert Kurzens jüngeren Schriften dieses Jahrtausends würdigt, soll die JW-Meldung zum Ausgangspunkt genommen werden, die Quasi-Dunkelstelle zwischen KABD-Mitgliedschaft und Wertkritik ein wenig inhaltlich aufzuhellen. Zu diesem Zwecke werde ich zwei Leseauszüge aus Robert Kurzens Papieren veröffentlichen, die ich in dem dissidenten ML-Spektrum erhalten habe, wo auch Robert Kurz sich zwischen 1978 und 1984 politisch betätigte.

"Wir stellen nämlich die Praxis der KPD nicht 'zur Disposition', um uns von ihr und ihren Traditionen zu 'distanzieren', sondern um dem Imperialismus sagen zu können: Abrechnung folgt! Um die objektiven Bedingungen herausfinden zu können, damit diese Abrechnung wirklich gründlich erfolgt, damit wir endlich die Worte Rosa Luxemburgs wahrmachen können, dem deutschen Imperialismus 'Daumen aufs Auge und Knie auf die Brust' zu setzen und ihn für alle Zeiten mit Stumpf und Stil auszurotten, deswegen stellen wir die Theorie und Praxis der Komintern und der KPD zur 'Disposition' und aus keinem anderen Grund!  Robert Kurz, Dezember 1978, veröffentlicht in: Diskussionsbeiträge zur marxistisch-leninstischen Theorie und Polizik, Nr., Januar 1979, hrg.v. Gruppe Marxisten-Leninisten in Nürnberg/Fürth/Erlangen

Robert Kurz gehörte zu den Kräften der 68er Bewegung (SDS-Mitlied und Aktivist im RC Nürnberg), die sich bei ihrer Transformation in die Bewegung der K-Gruppen dem KABD anschlossen, wo er als Landesinstrukteur des Revolutionären Jugendverbandes Deutschlands (RJVD), der Jugendorganisation des KABD in Bayern tätig war. Er wurde zusammen mit Günter Jacob und anderen als "Liquidator" 1976 aus dem Verband ausgeschlossen.(siehe dazu: Geschichte der MLPD,  II.Teil, 2.Halbband, S. 405.) Diese "Liquidatoren" bildeten mit anderen dissidenten MLern um die Zeitschrift "Aufsätze zur Diskussion" die Neue Hauptseite Theorie (NHT) und versuchten von außen auf die damaligen ML-Organisationen, die KPD, KPD/ML, den KBW, KB und KABD, unter der Parole Einheit der Marxisten-Leninisten ideologisch einzuwirken.

"Es hat noch nie eine Revolution gegeben und es wird auch nie eine geben, in der die Massen die Gesellschaftsordnung deswegen umstürzen, weil sie eine wissenschaftliche Einsicht in deren Wesen und Gesetzmäßigkeiten gewonnen haben. Vielmehr geht der Umsturz immer über konkrete Forderungen und Losungen, deren logischer Zusammenhang als revolutionäre Umwälzung dem Massen-bewußtsein nicht unmittelbar in wissenschaftlicher Form zugänglich ist. Die Massen fordern Brot und Frieden, jagen die Regierung davon, etablieren ihre eigenen Kampf- und Machtorgane, töten verhaßte Repräsentanten der Unterdrücker, organisieren die Verteilung von Lebensmitteln usw., aber was immer sie tun, sie durchbrechen nicht "den Warenfetisch" als solchen. Der Klassenkampf einerseits und sein wissenschaftlicher Ausdruck andererseits (die wissenschaftliche Form des Klassenbewußtseins) können erst im Kommunismus selbst mit der Aufhebung der Arbeitsteilung und der Verallgemeinerung des wissenschaftlichen Bewußtseins zur Deckung gelangen. Der AKV gerät in gefährliche Nähe des idealistischen Unfugs der "Marxistischen Gruppen", die gerade umgekehrt die Verallgemeinerung des wissenschaftlichen Bewußtseins über den Kapitalismus zur Voraussetzung seiner Aufhebung durch die Arbeiterklasse machen (und zwar zur einzigen und alleinigen Voraussetzung) und die daher sowohl ein politisches Programm als auch eine politische Strategie und Taktik ausdrücklich ablehnen, um "Politik" stattdessen auf "erklärende", "aufklärerische" Agitation und Propaganda zu beschränken, die "den Warenfetisch aufbrechen" soll.

Das (politisch-gesellschaftliche) Bewußtsein der Millionenmassen entwickelt sich aber, ganz im Gegensatz zum wissenschaftlichen Bewußtsein, in erster Linie anhand der eigenen praktischen Erfahrungen, wie Lenin mit vollem Recht hervorgehoben hat und was der AKV völlig unausgewiesen angreift (AzD 20, S. 187). Keinerlei Agitprop kann diese Erfahrungen ersetzen; Agitprop erreicht nur Tausende und Zehntausende, selbst bei einer großen Massenpartei bestenfalls Hunderttausende, die Theorie selbst erreicht noch viel weniger Menschen. Die Aufhebung des Massenbewußtseins als Befangenheit in den bürgerlichen Verhältnissen erfolgt, soweit es sich um das Bewußtsein der breitesten Millionenmassen handelt, überhaupt nicht durch Agitprop, auch nicht sekundär, sondern allein durch das Aufbrechen der materiellen gesellschaftlichen Widersprüche selbst; die revolutionäre Situation reift allein dann heran, wenn objektiv weder die Herrschenden noch die Massen in den alten Verhältnissen weiterwursteln können (ökonomische und politische Krise). Daraus erwächst jedoch die tatsächliche Revolution nicht im Selbstlauf; das Übergehen der Massen auf revolutionäre Positionen ist vielmehr eine Funktion revolutionärer Politik und ihrer Inhalte. Politik aber ist nicht identisch mit einem wie auch immer gearteten "Erklären" des Kapitalismus, sondern besteht in der konkreten programmatischen, strategischen und taktischen Gruppierung der Klassen- und Massenkräfte anhand konkreter Prägen durch einen komplizierten Umgruppierungsprozeß hindurch. Die sozialökonomische, Lage und Entwicklung der Massen, auch innerhalb der Arbeiterklasse, ist keineswegs einheitlich, folglich auch nicht aer Gang ihres spontanen BewuBtseins. Es differenzieren sich unterschiedlich auf die Krise reagierende Massenströmungen, die spontan auf vorgefundene politischideologische Erklärungsmuster zurückgreifen nicht aufgrund eines allgemeinen Warenfetischs, sondern entsprechend ihrer spezifischen Klaesen-und Schichtenlage im Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion und Reproduktion* Für die revolutionäre Partei heißt dies eben, daS der gesellschaftliche Desintegrationsprozeß bis hin zur Revolution auch auf der Basis einer ökonomischen und politischen Systemkrise nicht linear verlaufen kann, sondern durch verschiedene Etappen der strategischen und taktischen Gruppierung der gesellschaftlichen Massenkräfte hindurchgehen muß, anhand deren sich die Massen durch eigene Erfahrung von der Tauglichkeit oder Untauglichkeit der verschiedenen massenwirksamen politisch-ideologischen Richtungen (bzw. deren Programme und Losungen etc.) überzeugen können. Nebenbei bemerkt wird dabei niemals eine vollständige Gewinnung der Massen, insbesondere nicht der kleinbürgerlichen, möglich sein, woraus unvermeidlich die Notwendigkeit des Bürgerkriegs und des revolutionären Massenterrors folgt (eben dazu war die Weimarer Arbeiterbewegung aufgrund ihrer Spaltung unfähig).

Der Stellenwert des wissenschaftlichen revolutionären Bewußtseins ergibt sich aber gerade daraus, daß in diesem komplizierten politischen ProzeS eine richtige revolutionäre Politik nur möglich ist auf der Grundlage einer umfassenden, objektiven, wissenschaftlichen Theorie der gegebenen Verhältnisse in allen ihren Seiten und Zusammenhängen, eine Theorie also, die sich keineswegs beschränkt auf eine positivistisch-empirisch verengte "Klassenanalyse" (nicht einmal eine solche hatte die KPD/Komintern! ), sondern die den wissenschaftlichen Sozialismus als Ganzes auf die Höhe der Zeit hebt (einschließlich seiner weltanschaulichen und erkenntnistheoretischen Grundlagen). Aber diese Notwendigkeit ergibt sich nicht daraus, daß es gelte, die Frage nach der richtigen Politik zu ersetzen durch sozialpsychologische, massenkulturelle oder sonstige "Vermittlungstricks", um den abstrakten "Warenfetisch" zu "durchbrechen" und ein abstrakt revolutionäres Bewußtsein "an sich" den Massen einzuflößen.

Damit wird in keiner Weise die Bedeutung der revolutionären Agitprop herabgemindert, d.h. die Konsolidierung einer Massenpartei, die Heranbildung eines Netzes von Akkumulatoren der Partei, die Ausbildung von Kadern, die möglichst weite Verbreitung der marxistischen Theorie usw. Auch in dieser Hinsicht hatte die Weimarer KPD katastrophale Schwächen, was sioh z.B. in der unglaublichen Fluktuation ihrer Mitgliedschaft äußerte« Aber erstens darf die Bedeutung der Agitprop nicht illusionär ausgedehnt werden auf die ihr niemals zukommende Funktion eines "Aufbre-chens" des Bewußtseins der breiten Millionenmassen; zweitens waren auch die tatsächlichen Mängel der Komintern/KPD-Agitprop keineswegs einem allgemeinen Warenfetisch geschuldet, sondern einem falschen Theorie- und Politikverständnis, das sich konkret als durchaus nicht leninistischer Ökonomismus mit tendenziell theoriefeindlichen Implikationen erwies. Die konkreten Fehler der Komintern/KPD gilt es zu untersuchen und zu kritisieren, ihren inneren logischen Zusammenhang und ihre Ursachen aufzudecken, statt diese Aufgabe zu umgehen und zu vertuschen mit Hilfe eines objektivistischen 'Fetischismus-Konzepts'." Robert Kurz, 26./27.2. 1983, Papier mit dem Titel " Erkenntnistheorie, Geschichte der Arbeiterbewegung und unsere theoretischen Aufgaben (Thesen)", S. 4-7, vorgelegt auf der Konferenz der Neuen Hauptseite Theorie (NHT) in Frankfurt/M.

Auf dieser Konferenz versuchte die Gruppe um Robert Kurz nochmals ideologischen Einfluß auf die NHT aufgrund ihres  einsetzenden Erosionprozesses zu gewinnen, als sich nämlich von der NHT verschiedene Gruppen abzuspalten begannen. Das obige Papier stützte gleichzeitig die Forderung von Robert Kurz nach einer Analyse der Jugend- und Studentenbewegung argumentativ ab, die damals von ihm ständig angekündigt wurde, aber nie erscheinen sollte. Von dieser Analyse hieß es, mit ihr könne das Scheitern der ML-Gruppen auf den Begriff gebracht und eine politisch tragfähige  Perspektive für die ML-Zirkel entwickelt werden.

Das erschien im Frühjahr 1983 durchaus aktuell, war doch die größte ML-Gruppe, der KBW, 1983  in ein Auflösungsstrudel geraten, der 1985 mit der Liquidierung des KBW endete. Robert Kurzens Position blieb auf dieser Konferenz in der Minderheit. Er und seine Gruppe "Neue Strömung" verabschiedeten sich endgültig 1984 aus dem ML-Spektrum, um in einer zweijährigen "Mauserungsphase" (Marxistische Kritik Nr.1) 1986 mit der Wertkritik zu starten.

Texte von und über Robert Kurz bei TREND - eine Auswahl

Sowie bei Infopartisan:

  • Dockerill, Daniel
    Wertkritischer Exorzismus statt Wertformkritik
    Dockerill zeigt akribisch auf, wie Robert Kurz, schluderig und burschikos zugleich, mit Marxens kritik der politischen ökonomie umspringt und ihn für seine zwecke zurechtbiegt. /ddexorz.zip, 110k
  • Kurz, Robert
    Gibt es ein Leben nach der Marktwirtschaft?

    Überlegungen zur Transformation des warenproduzierenden Systems (rkmarkt.zip, 12K, ASCII)
  • Kurz, Robert
    Das Ende der Neuen Weltordnung
    Ein Essay zur globalen Ökonomie und Politik nach dem Epochenbruch
    rkende.zip,dos-ascii, 19K
  • Kurz, Robert
    Abstrakte Arbeit und Sozialismus
    Der chefideologe der zeitschrift KRISIS gilt derzeit als der theoretiker, der die Marxsche wertheorie nicht nur umfasssend rekonstruiert, sondern sie auch wieder als erkenntnisinstrument in die politischen alltagspraxis eingeführt hat. Schlüsseltext dafür ist dieser aufsatz, erschienen in der MK4 - seit jahren vergriffen und nun hier als downloadfile zu haben. / rkaaus.zip, 85k
  • Kurz, Robert,
    Die verlorene Ehre der Arbeit

    Dort im editorial wird er wiefolgt vorgestellt: "Robert Kurz zeigt in seinem Artikel "Die verlorene Ehre der Arbeit, dass jede Verherrlichung des unmittelbaren Produzenten und mithin der Arbeit absolut unvereinbar mit dem Begriff des Kommunismus ist. Arbeit ist die spezifische Form, in der der Stoffwechsel mit der Natur im fetischistischen Formzusammenhang geregelt wird, und der Begriff der Arbeit drueckt bereits die Gleichgueltigkeit gegenueber dem Stoff aus, die unter den Bedingungen explodierender Produktivkraftentwicklung in nackte Destruktion umschlagen muss. Die sinnlich-konkrete Organisation des gesellschaftlichen Zusammenhangs und des Stoffwechels mit der Natur schliesst auch den Formwandel gesellschaftlichen Taetigseins der Individuen ein. Robert Kurz versucht mit dem Begriff des "produktiven Muessiggangs" anzudeuten, was an die Stelle von "Arbeit" treten koennte. aus: Krisis 10 (rkvarb.zip, 44k )
  • Schlosser, Robert
    Zur wertfundamentalen Kritik der Arbeitsontologie

    Auszug aus einer längeren Kritik am sogenannten "Abspaltungstheorem", wie es in der Zeitschrift Krisis Kurz, Lohoff u.a. vertreten wird. ARBEIT1.ZIP 53k, winword 6.0
    (siehe auch dazu den Aufsatz von R.Kurz weiter oben)
  • Schlosser, Robert
    Im Club der toten Dinge
    Der autor weist mit seinem aufsatz nach, wie mißlungen Kurzens Buch "Kollaps der Modernisierung" geraten ist, so er sich denn darin auf Marx bezieht./ rskkrit.zip, 28k